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Abgrenzung statt Siegesfeier – Der 9. Mai in Litauen

Wenn Russland den “Tag des Sieges” feiert, kommen im Baltikum unangenehme Erinnerungen an die Sowjetherrschaft hoch. Wegen des Krieges in der Ukraine setzt Litauen in diesem Jahr deutliche Zeichen.

Wenn nicht gerade ein startendes Flugzeug am Himmel dröhnt, hört man auf dem Antakalnis-Friedhof am Stadtrand von Vilnius nur Vogelzwitschern und das sanfte Rauschen der Kiefern im Wind. An diesem Frühlingsnachmittag sind kaum Besucher auf dem wohl berühmtesten Friedhof der litauischen Hauptstadt und das Ehrenmal für die zwischen 1941 und 1945 gefallenen Soldaten der Roten Armee ist gänzlich verlassen. Sechs übergroße Stein-Soldaten wachen über graue Treppenstufen, gesäumt von Dutzenden Granitplatten mit den Namen der Gefallenen.

Es ist ungewiss, wie viele Menschen in diesem Jahr am 9. Mai den Antakalnis-Friedhof oder eines der anderen Ehrenmäler im Land besuchen werden. In Moskau wird der “Tag des Sieges” über die deutschen Nationalsozialisten mit pompösen Militärparaden begangen und zunehmend mit großer politischer Bedeutung aufgeladen – hier im Baltikum hingegen ist es ein Tag der gemischten Gefühle: Die Befreiung von Nazi-Deutschland infolge der Kapitulation am 8. Mai 1945 war in Estland, Lettland und Litauen gleichzeitig der Beginn der sowjetischen Fremdherrschaft. “Viele Menschen finden, dass in diesem Teil der Welt der Krieg damals nicht geendet hat”, sagt Violeta Davoliūtė, Professorin am Zentrum für (post-)sowjetische Erinnerungsstudien an der Universität Vilnius. “Es gab eine neue Welle von Repressionen und Deportationen, also ist es kein Tag, an dem alle glücklich sind und ein Happy End feiern.”

Wenn nicht gerade ein startendes Flugzeug am Himmel dröhnt, hört man auf dem Antakalnis-Friedhof am Stadtrand von Vilnius nur Vogelzwitschern und das sanfte Rauschen der Kiefern im Wind. An diesem Frühlingsnachmittag sind kaum Besucher auf dem wohl berühmtesten Friedhof der litauischen Hauptstadt und das Ehrenmal für die zwischen 1941 und 1945 gefallenen Soldaten der Roten Armee ist gänzlich verlassen. Sechs übergroße Stein-Soldaten wachen über graue Treppenstufen, gesäumt von Dutzenden Granitplatten mit den Namen der Gefallenen.

Gedenkveranstaltungen zum 9. Mai fallen in Litauen daher klein aus und finden meist nur innerhalb der russischen Community statt. Anders als in Lettland und Estland macht diese in Litauen nur rund fünf Prozent aus. Die meisten seien während der Zeit der Sowjetunion nach Litauen gekommen, erklärt Konstantin, der an einer litauischen Schule Russisch lehrt, beim Treffen mit der DW. Seinen Nachnamen will der russische Staatsbürger, der seit 18 Jahren in Litauen lebt, zu diesem Thema nicht veröffentlicht sehen.

Nur kleine russische Community in Litauen

1990 erlangte Litauen seine Unabhängigkeit zurück – einigen Russen, die bereits zu Sowjetzeiten ins Land gekommen waren, sei es schwer gefallen, sich neu in der Gesellschaft zu verorten, sagt Konstantin: “Nach dem Zerfall des Sowjetischen Reichs haben sie keinen Platz für sich gefunden. Über viele Jahre standen Russen, auch wenn sie kein Litauisch sprachen, alle Türen offen. Und eines Tages verlierst du diese Möglichkeiten.”

Bevor er Lehrer wurde, begleitete Konstantin die Veranstaltungen zum 9. Mai über viele Jahre als Reporter bei regionalen Medien – zuletzt 2019. “Früher kamen über den ganzen Tag verteilt Menschen zu den Ehrenmälern und legten einfach Blumen nieder”, sagt Konstantin. Doch in den vergangenen Jahren habe die russische Botschaft, die die Veranstaltungen überwiegend organisiert, das Gedenken zunehmend politisiert: Auch in Litauen hätten Menschen zum Beispiel Fotos von Kriegstoten hochgehalten. Das “Unsterbliche Regiment” ist eine unter Wladimir Putin etablierte Aktion, ein Gedenkmarsch mit Portraits von russischen Opfern des 2. Weltkrieges. Sie soll den großen Bogen vom Damals ins Heute schlagen.

Konstantin erinnert sich an die Stimmung bei der letzten Veranstaltung, über die er berichtet hat: “Ich persönlich habe ein deutlich höheres Aggressionspotenzial wahrgenommen, diese Menschen waren wütend. Sie haben fast darauf gewartet, – so kam es mir zumindest vor – dass jemand kommt und sie provoziert.”

Was ist in diesem Jahr, knapp elf Wochen nach dem russischen Einmarsch in der Ukraine, zu erwarten? “Ausgehend von dem, was jetzt in den Tagen vor dem 9. Mai passiert, gibt es keine Anzeichen dafür, dass es anders ablaufen wird als sonst”, sagt die litauische Parlamentspräsidentin Viktorija Čmilytė-Nielsen im Gespräch mit der DW.

Zeichen wie das Z-Symbol oder das Georgsband, die als Zustimmung zum russischen Angriffskrieg gewertet werden, sind in den drei Baltenrepubliken ohnehin verboten. In Lettland und Estland, wo die russische Minderheit jeweils rund ein Viertel der Bevölkerung ausmacht, sind zudem größere Veranstaltungen rund um den “Tag des Sieges” untersagt. Aus Vilnius heißt es, wie aus anderen litauischen Städten auch, es seien bislang keine Veranstaltungen angemeldet worden.

Für private Friedhofsbesuche gibt es keine Einschränkungen – “selbstverständlich”, betont der Bürgermeister von Vilnius, Remigijus Šimašius, auf DW-Anfrage. Vor dem Hintergrund der russischen Aggressionen in der Ukraine wolle man jedoch zeigen, dass “die, die ihren alten Sieg gegen einen der Aggressoren am 9. Mai feiern, schon damals ebenfalls Aggressoren waren und heute ein Land der Aggression und der Kriegsverbrechen sind”.

Wer in diesem Jahr am 9. Mai das Ehrenmal im Stadtteil Antakalnis besuchen will, kommt unweigerlich an einer Ausstellung über den Krieg in der Ukraine vorbei: “Neutrale, aber entsetzliche Fotos, die die Realität der Vergangenheit und des aktuellen Kriegs in der Ukraine zeigen, werden für ein paar Tage am Friedhofseingang aufgestellt”, teilt Šimašius mit.

In der Seimas, dem litauischen Parlament, wurde zudem darüber diskutiert, den 9. Mai zum offiziellen “Gedenktag für die Opfer des Genozids in der Ukraine” zu erklären. Diese Idee sei aber inzwischen wieder verworfen worden, erklärt Seimas-Präsidentin Čmilytė-Nielsen. “Wir haben entschieden, dass die Ukraine selbst ein Datum auswählen sollte, an dem sie der Opfer im russischen Krieg gedenken möchte. Wir werden uns dann daran orientieren.” 

Die Seimas bleibt jedoch so lange nicht untätig, erzählt Čmilytė-Nielsen: Eine Debatte über eine Resolution, wonach Litauen die russischen Gräueltaten in der Ukraine offiziell als Genozid einstufen würde, steht bereits im Tagungskalender – am 10. Mai.

Liatuen | Reportagefotos zum Tag des Sieges
Liatuen | Reportagefotos zum Tag des Sieges

Wenn nicht gerade ein startendes Flugzeug am Himmel dröhnt, hört man auf dem Antakalnis-Friedhof am Stadtrand von Vilnius nur Vogelzwitschern und das sanfte Rauschen der Kiefern im Wind. An diesem Frühlingsnachmittag sind kaum Besucher auf dem wohl berühmtesten Friedhof der litauischen Hauptstadt und das Ehrenmal für die zwischen 1941 und 1945 gefallenen Soldaten der Roten Armee ist gänzlich verlassen. Sechs übergroße Stein-Soldaten wachen über graue Treppenstufen, gesäumt von Dutzenden Granitplatten mit den Namen der Gefallenen.

Es ist ungewiss, wie viele Menschen in diesem Jahr am 9. Mai den Antakalnis-Friedhof oder eines der anderen Ehrenmäler im Land besuchen werden. In Moskau wird der “Tag des Sieges” über die deutschen Nationalsozialisten mit pompösen Militärparaden begangen und zunehmend mit großer politischer Bedeutung aufgeladen – hier im Baltikum hingegen ist es ein Tag der gemischten Gefühle: Die Befreiung von Nazi-Deutschland infolge der Kapitulation am 8. Mai 1945 war in Estland, Lettland und Litauen gleichzeitig der Beginn der sowjetischen Fremdherrschaft. “Viele Menschen finden, dass in diesem Teil der Welt der Krieg damals nicht geendet hat”, sagt Violeta Davoliūtė, Professorin am Zentrum für (post-)sowjetische Erinnerungsstudien an der Universität Vilnius. “Es gab eine neue Welle von Repressionen und Deportationen, also ist es kein Tag, an dem alle glücklich sind und ein Happy End feiern.”

Nur kleine russische Community in Litauen

Gedenkveranstaltungen zum 9. Mai fallen in Litauen daher klein aus und finden meist nur innerhalb der russischen Community statt. Anders als in Lettland und Estland macht diese in Litauen nur rund fünf Prozent aus. Die meisten seien während der Zeit der Sowjetunion nach Litauen gekommen, erklärt Konstantin, der an einer litauischen Schule Russisch lehrt, beim Treffen mit der DW. Seinen Nachnamen will der russische Staatsbürger, der seit 18 Jahren in Litauen lebt, zu diesem Thema nicht veröffentlicht sehen.

1990 erlangte Litauen seine Unabhängigkeit zurück – einigen Russen, die bereits zu Sowjetzeiten ins Land gekommen waren, sei es schwer gefallen, sich neu in der Gesellschaft zu verorten, sagt Konstantin: “Nach dem Zerfall des Sowjetischen Reichs haben sie keinen Platz für sich gefunden. Über viele Jahre standen Russen, auch wenn sie kein Litauisch sprachen, alle Türen offen. Und eines Tages verlierst du diese Möglichkeiten.”

Bevor er Lehrer wurde, begleitete Konstantin die Veranstaltungen zum 9. Mai über viele Jahre als Reporter bei regionalen Medien – zuletzt 2019. “Früher kamen über den ganzen Tag verteilt Menschen zu den Ehrenmälern und legten einfach Blumen nieder”, sagt Konstantin. Doch in den vergangenen Jahren habe die russische Botschaft, die die Veranstaltungen überwiegend organisiert, das Gedenken zunehmend politisiert: Auch in Litauen hätten Menschen zum Beispiel Fotos von Kriegstoten hochgehalten. Das “Unsterbliche Regiment” ist eine unter Wladimir Putin etablierte Aktion, ein Gedenkmarsch mit Portraits von russischen Opfern des 2. Weltkrieges. Sie soll den großen Bogen vom Damals ins Heute schlagen.

Konstantin erinnert sich an die Stimmung bei der letzten Veranstaltung, über die er berichtet hat: “Ich persönlich habe ein deutlich höheres Aggressionspotenzial wahrgenommen, diese Menschen waren wütend. Sie haben fast darauf gewartet, – so kam es mir zumindest vor – dass jemand kommt und sie provoziert.”

Zunehmend politisiertes Gedenken

Was ist in diesem Jahr, knapp elf Wochen nach dem russischen Einmarsch in der Ukraine, zu erwarten? “Ausgehend von dem, was jetzt in den Tagen vor dem 9. Mai passiert, gibt es keine Anzeichen dafür, dass es anders ablaufen wird als sonst”, sagt die litauische Parlamentspräsidentin Viktorija Čmilytė-Nielsen im Gespräch mit der DW.

Z-Symbol und Georgsband verboten

Zeichen wie das Z-Symbol oder das Georgsband, die als Zustimmung zum russischen Angriffskrieg gewertet werden, sind in den drei Baltenrepubliken ohnehin verboten. In Lettland und Estland, wo die russische Minderheit jeweils rund ein Viertel der Bevölkerung ausmacht, sind zudem größere Veranstaltungen rund um den “Tag des Sieges” untersagt. Aus Vilnius heißt es, wie aus anderen litauischen Städten auch, es seien bislang keine Veranstaltungen angemeldet worden.

Für private Friedhofsbesuche gibt es keine Einschränkungen – “selbstverständlich”, betont der Bürgermeister von Vilnius, Remigijus Šimašius, auf DW-Anfrage. Vor dem Hintergrund der russischen Aggressionen in der Ukraine wolle man jedoch zeigen, dass “die, die ihren alten Sieg gegen einen der Aggressoren am 9. Mai feiern, schon damals ebenfalls Aggressoren waren und heute ein Land der Aggression und der Kriegsverbrechen sind”.

Wer in diesem Jahr am 9. Mai das Ehrenmal im Stadtteil Antakalnis besuchen will, kommt unweigerlich an einer Ausstellung über den Krieg in der Ukraine vorbei: “Neutrale, aber entsetzliche Fotos, die die Realität der Vergangenheit und des aktuellen Kriegs in der Ukraine zeigen, werden für ein paar Tage am Friedhofseingang aufgestellt”, teilt Šimašius mit.

Schockbilder aus dem Krieg

In der Seimas, dem litauischen Parlament, wurde zudem darüber diskutiert, den 9. Mai zum offiziellen “Gedenktag für die Opfer des Genozids in der Ukraine” zu erklären. Diese Idee sei aber inzwischen wieder verworfen worden, erklärt Seimas-Präsidentin Čmilytė-Nielsen. “Wir haben entschieden, dass die Ukraine selbst ein Datum auswählen sollte, an dem sie der Opfer im russischen Krieg gedenken möchte. Wir werden uns dann daran orientieren.” 

Die Seimas bleibt jedoch so lange nicht untätig, erzählt Čmilytė-Nielsen: Eine Debatte über eine Resolution, wonach Litauen die russischen Gräueltaten in der Ukraine offiziell als Genozid einstufen würde, steht bereits im Tagungskalender – am 10. Mai.

Parlament treibt Einstufung als “Genozid” voran

Liatuen | Reportagefotos zum Tag des Sieges - Viktorija Čmilytė-Nielsen

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