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Helfen europäische Forscher Chinas Militär?

Wissenschaftler an Europas Universitäten kooperieren eng mit Forschern, die der chinesischen Volksbefreiungsarmee nahestehen. Das belegt eine gemeinsame Recherche der DW mit Medienpartnern.

Der junge Mann sei “extrem nett” gewesen, erinnert sich sein ehemaliger Professor und Doktorvater am Telefon. Nett und ausgesprochen talentiert. Er war stolz, den begabten chinesischen Wissenschaftler an seiner Universität im bevölkerungsreichsten deutschen Bundesland Nordrhein-Westfalen zu haben.

Heute arbeitet der chinesische Informatiker an der National University of Defense Technology (NUDT), der zentralen Kaderschmiede der Volksbefreiungsarmee. Die NUDT untersteht direkt der Zentralen Militärkommission, dem höchsten militärischen Führungsorgan Chinas.

Der junge Mann sei “extrem nett” gewesen, erinnert sich sein ehemaliger Professor und Doktorvater am Telefon. Nett und ausgesprochen talentiert. Er war stolz, den begabten chinesischen Wissenschaftler an seiner Universität im bevölkerungsreichsten deutschen Bundesland Nordrhein-Westfalen zu haben.

In Deutschland befasste sich der chinesische Doktorand – der auch vorher schon an der NUDT geforscht hatte – mit einer Technologie, die irgendwann in selbstfahrenden Autos eingebaut werden soll. Vielleicht kann sie im Straßenverkehr Leben retten – durch sogenannte Tiefenschichtenkarten, die eine bessere dreidimensionale Erfassung der Umgebung ermöglichen. Dieselbe Technologie könnte aber auch in einem Krieg nützlich sein.

Die China Science Investigation

Die DW und ihre Medienpartner haben die Publikationen des Doktoranden zu diesem Thema mehreren unabhängigen Experten zur Begutachtung vorgelegt. Auch sie bestätigen, dass bei dieser Forschung Dual-Use nicht ausgeschlossen werden könne. Von Dual-Use spricht man, wenn sowohl eine zivile als auch eine militärische Verwendung möglich ist. Konkret darauf angesprochen gibt auch der deutsche Professor zu, er könne sich im Nachhinein schon vorstellen, “dass man das auch für militärische Zwecke benutzen kann”. Darüber nachgedacht habe er damals nicht.

Der Doktorvater hat noch immer Kontakt zu dem chinesischen Kollegen, er hätte ihn gern länger gehalten, gibt er zu. Die Kommunikation habe sich verändert, seit er weg ist. Gespräche über aktuelle Forschungsprojekte seien jetzt tabu. “Darüber darf man an der NUDT nicht reden.”

Das Beispiel des Informatikers hätte auch an einer anderen deutschen oder europäischen Hochschule spielen können.

Um herauszufinden, wie eng die Verbindungen zwischen europäischen Hochschulen und chinesischen Militäruniversitäten sind, hat ein europäischer Recherche-Verband unter der Leitung der niederländischen Investigativ-Plattform Follow the Money mit Unterstützung des gemeinnützigen deutschen Recherchezentrums CORRECTIV einen Datensatz von rund 350.000 wissenschaftlichen Publikationen zusammengestellt und ausgewertet.

Insgesamt elf europäische Medien sind am Projekt China Science Investigation beteiligt, neben der DW beispielsweise auch die “Süddeutsche Zeitung” und der Deutschlandfunk.

Die gemeinsame Recherche belegt: Fast 3000 Kooperationen gab es zwischen Anfang 2000 und Februar 2022 zwischen europäischen Hochschulen und chinesischen Forschern, die dem Militär nahestehen. Auch und gerade in sensiblen Fachrichtungen wie Künstliche Intelligenz, Computer Vision und Quantenforschung. 

Rund 2200 dieser Veröffentlichungen entfielen auf die Kaderschmiede NUDT. Von den Forschern, die mit NUDT-Autoren publizierten, kommen fast die Hälfte aus dem Vereinigten Königreich, dahinter folgen die Niederlande und Deutschland. Hier entstanden mindestens 230 gemeinschaftlich mit NUDT-Forschern geschriebene Arbeiten. Deshalb konzentriert sich die Recherche auf die National University of Defense Technology.

Vor allem im naturwissenschaftlich-technologischen Bereich “werden dort viele der besten Talente des Militärs ausgebildet”, erklärt der China-Kenner Alex Joske. Er hat lange für den Think Tank Australian Strategic Policy Institute (ASPI) gearbeitet, der Militäruniversitäten in China beobachtet. Die NUDT spiele eine “entscheidende Rolle bei allen möglichen militärischen Forschungsprojekten, von der Hyperschalltechnik über Atomwaffen bis hin zu Supercomputern”.

Hinter jeder zweiten Veröffentlichung, so Joske, stehe “möglicherweise ein chinesischer Militäroffizier, der an einer europäischen Universität studiert, gearbeitet und eine Beziehung aufgebaut hat, die erst zu diesen Kooperationen geführt hat”.

Offiziell verboten sind solche Kooperationen nicht, die Forschung in Deutschland ist laut Grundgesetz frei. Tatsächlich war die fast uneingeschränkte wissenschaftliche Zusammenarbeit mit China politisch bisher ausdrücklich erwünscht, um auf dem riesigen chinesischen Markt Fuß zu fassen. Nicht nur in Deutschland hoffte man darauf, dass intensive Beziehungen in Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur für eine demokratische Öffnung des autoritären Staates sorgen könnten.

Dass diese Rechnung nicht aufging, wurde allerspätestens deutlich, als 2019 die ersten Berichte über die systematische Unterdrückung der muslimischen Minderheit der Uiguren in der westchinesischen Provinz Xinjiang erschienen. Heute gilt China in Deutschland als systemischer Rivale, auch wenn das Land weiter einer der wichtigsten Handelspartner ist.

Die Pekinger Führung macht aus ihren ehrgeizigen Zielen kein Geheimnis. Bis 2050 will China zur weltweit führenden Supermacht aufsteigen. Wissenschaft und Technologie spielen dabei eine Schlüsselrolle.

China verfolgt eine aggressive militärisch-zivile Fusionsstrategie, die die Grenzen zwischen ziviler, kommerzieller und militärischer Forschung auflöst. Jeder Staatsbürger hat die Pflicht, seinem Land auch militärisch zu dienen. Und sei es durch Wissen.

Mindestens genauso wichtig in Chinas Strategie: der Technologietransfer aus dem Ausland. Gerade in offenen Gesellschaften wie der deutschen habe China das Gefühl, sehr frei agieren zu können, betont die in Hongkong aufgewachsene China-Expertin und Publizistin Didi Kirsten Tatlow. China sei “ein bisschen wie ein Kind im Süßwarenladen, es geht rein, greift zu und nimmt sich, was es haben will”.

Die DW und ihre Partner haben im deutschen Datensatz der Recherche Studien identifiziert, bei denen nach übereinstimmender Einschätzung mehrerer unabhängiger Experten eine Dual-Use-Verwendung nicht ausgeschlossen werden kann.

Die Studien haben deutsche Forscher von den Universitäten Bonn, Stuttgart und einem Fraunhofer-Institut gemeinsam mit Wissenschaftlern der NUDT veröffentlicht. Eine stammt aus dem vergangenen Jahr, keine ist älter als fünf Jahre. Es ist sehr wahrscheinlich, dass der Datensatz noch viele weitere problematische Arbeiten enthält, die noch nicht identifiziert sind. Weil es sich nur um eine Stichprobe handelt, nennt die DW keine Namen oder Titel.

Besonders eindeutig liegt der Fall bei einer Studie zum Tracking von größeren Personengruppen. Hier müsse man sich “schon sehr anstrengen, um den Dual-Use-Charakter nicht zu sehen”, so ein Gutachter. Die dahinterstehende Technologie könnte in China theoretisch bei der Verfolgung der Uiguren eingesetzt werden.

Logo der China Science Investigation
Chinesische Wissenschaftlerin von der Seite mit Maske schaut durch ein Mikroskop
Militärfahrzeug und Soldaten auf einem Trainingsgelände in der Inneren Mongolei

Der junge Mann sei “extrem nett” gewesen, erinnert sich sein ehemaliger Professor und Doktorvater am Telefon. Nett und ausgesprochen talentiert. Er war stolz, den begabten chinesischen Wissenschaftler an seiner Universität im bevölkerungsreichsten deutschen Bundesland Nordrhein-Westfalen zu haben.

Heute arbeitet der chinesische Informatiker an der National University of Defense Technology (NUDT), der zentralen Kaderschmiede der Volksbefreiungsarmee. Die NUDT untersteht direkt der Zentralen Militärkommission, dem höchsten militärischen Führungsorgan Chinas.

Die China Science Investigation

In Deutschland befasste sich der chinesische Doktorand – der auch vorher schon an der NUDT geforscht hatte – mit einer Technologie, die irgendwann in selbstfahrenden Autos eingebaut werden soll. Vielleicht kann sie im Straßenverkehr Leben retten – durch sogenannte Tiefenschichtenkarten, die eine bessere dreidimensionale Erfassung der Umgebung ermöglichen. Dieselbe Technologie könnte aber auch in einem Krieg nützlich sein.

Die DW und ihre Medienpartner haben die Publikationen des Doktoranden zu diesem Thema mehreren unabhängigen Experten zur Begutachtung vorgelegt. Auch sie bestätigen, dass bei dieser Forschung Dual-Use nicht ausgeschlossen werden könne. Von Dual-Use spricht man, wenn sowohl eine zivile als auch eine militärische Verwendung möglich ist. Konkret darauf angesprochen gibt auch der deutsche Professor zu, er könne sich im Nachhinein schon vorstellen, “dass man das auch für militärische Zwecke benutzen kann”. Darüber nachgedacht habe er damals nicht.

Der Doktorvater hat noch immer Kontakt zu dem chinesischen Kollegen, er hätte ihn gern länger gehalten, gibt er zu. Die Kommunikation habe sich verändert, seit er weg ist. Gespräche über aktuelle Forschungsprojekte seien jetzt tabu. “Darüber darf man an der NUDT nicht reden.”

Das Beispiel des Informatikers hätte auch an einer anderen deutschen oder europäischen Hochschule spielen können.

Spitzenreiter NUDT

Um herauszufinden, wie eng die Verbindungen zwischen europäischen Hochschulen und chinesischen Militäruniversitäten sind, hat ein europäischer Recherche-Verband unter der Leitung der niederländischen Investigativ-Plattform Follow the Money mit Unterstützung des gemeinnützigen deutschen Recherchezentrums CORRECTIV einen Datensatz von rund 350.000 wissenschaftlichen Publikationen zusammengestellt und ausgewertet.

Wandel durch Annäherung

Insgesamt elf europäische Medien sind am Projekt China Science Investigation beteiligt, neben der DW beispielsweise auch die “Süddeutsche Zeitung” und der Deutschlandfunk.

Die gemeinsame Recherche belegt: Fast 3000 Kooperationen gab es zwischen Anfang 2000 und Februar 2022 zwischen europäischen Hochschulen und chinesischen Forschern, die dem Militär nahestehen. Auch und gerade in sensiblen Fachrichtungen wie Künstliche Intelligenz, Computer Vision und Quantenforschung. 

Rund 2200 dieser Veröffentlichungen entfielen auf die Kaderschmiede NUDT. Von den Forschern, die mit NUDT-Autoren publizierten, kommen fast die Hälfte aus dem Vereinigten Königreich, dahinter folgen die Niederlande und Deutschland. Hier entstanden mindestens 230 gemeinschaftlich mit NUDT-Forschern geschriebene Arbeiten. Deshalb konzentriert sich die Recherche auf die National University of Defense Technology.

Die Risiken grenzenloser Forschungsfreiheit

Vor allem im naturwissenschaftlich-technologischen Bereich “werden dort viele der besten Talente des Militärs ausgebildet”, erklärt der China-Kenner Alex Joske. Er hat lange für den Think Tank Australian Strategic Policy Institute (ASPI) gearbeitet, der Militäruniversitäten in China beobachtet. Die NUDT spiele eine “entscheidende Rolle bei allen möglichen militärischen Forschungsprojekten, von der Hyperschalltechnik über Atomwaffen bis hin zu Supercomputern”.

Hinter jeder zweiten Veröffentlichung, so Joske, stehe “möglicherweise ein chinesischer Militäroffizier, der an einer europäischen Universität studiert, gearbeitet und eine Beziehung aufgebaut hat, die erst zu diesen Kooperationen geführt hat”.

Studien mit Dual-Use-Potenzial

Offiziell verboten sind solche Kooperationen nicht, die Forschung in Deutschland ist laut Grundgesetz frei. Tatsächlich war die fast uneingeschränkte wissenschaftliche Zusammenarbeit mit China politisch bisher ausdrücklich erwünscht, um auf dem riesigen chinesischen Markt Fuß zu fassen. Nicht nur in Deutschland hoffte man darauf, dass intensive Beziehungen in Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur für eine demokratische Öffnung des autoritären Staates sorgen könnten.

Wenig Kontrolle, viele Grauzonen

Dass diese Rechnung nicht aufging, wurde allerspätestens deutlich, als 2019 die ersten Berichte über die systematische Unterdrückung der muslimischen Minderheit der Uiguren in der westchinesischen Provinz Xinjiang erschienen. Heute gilt China in Deutschland als systemischer Rivale, auch wenn das Land weiter einer der wichtigsten Handelspartner ist.

Die Pekinger Führung macht aus ihren ehrgeizigen Zielen kein Geheimnis. Bis 2050 will China zur weltweit führenden Supermacht aufsteigen. Wissenschaft und Technologie spielen dabei eine Schlüsselrolle.

China verfolgt eine aggressive militärisch-zivile Fusionsstrategie, die die Grenzen zwischen ziviler, kommerzieller und militärischer Forschung auflöst. Jeder Staatsbürger hat die Pflicht, seinem Land auch militärisch zu dienen. Und sei es durch Wissen.

Mindestens genauso wichtig in Chinas Strategie: der Technologietransfer aus dem Ausland. Gerade in offenen Gesellschaften wie der deutschen habe China das Gefühl, sehr frei agieren zu können, betont die in Hongkong aufgewachsene China-Expertin und Publizistin Didi Kirsten Tatlow. China sei “ein bisschen wie ein Kind im Süßwarenladen, es geht rein, greift zu und nimmt sich, was es haben will”.

Die DW und ihre Partner haben im deutschen Datensatz der Recherche Studien identifiziert, bei denen nach übereinstimmender Einschätzung mehrerer unabhängiger Experten eine Dual-Use-Verwendung nicht ausgeschlossen werden kann.

Die Studien haben deutsche Forscher von den Universitäten Bonn, Stuttgart und einem Fraunhofer-Institut gemeinsam mit Wissenschaftlern der NUDT veröffentlicht. Eine stammt aus dem vergangenen Jahr, keine ist älter als fünf Jahre. Es ist sehr wahrscheinlich, dass der Datensatz noch viele weitere problematische Arbeiten enthält, die noch nicht identifiziert sind. Weil es sich nur um eine Stichprobe handelt, nennt die DW keine Namen oder Titel.

Besonders eindeutig liegt der Fall bei einer Studie zum Tracking von größeren Personengruppen. Hier müsse man sich “schon sehr anstrengen, um den Dual-Use-Charakter nicht zu sehen”, so ein Gutachter. Die dahinterstehende Technologie könnte in China theoretisch bei der Verfolgung der Uiguren eingesetzt werden.

Diese Studie wurde mit einer hochdekorierten Co-Autorin der NUDT veröffentlicht, die bereits zahlreiche militärische Auszeichnungen erhalten hatte, darunter den “Preis für eine herausragende Doktorarbeit der chinesischen Volksbefreiungsarmee”.

Ein anderes Papier befasst sich mit verschlüsselter Quantenkommunikation. Militärisch lasse sich von dieser Forschung – auch wenn sie derzeit noch in einem frühen Stadium sei – gleich doppelt profitieren: Man könne “die eigene Quantenkommunikation abhörsicherer machen und fremde Kommunikation stören”, so ein Sachverständiger.

Ein anderes Papier befasst sich mit verschlüsselter Quantenkommunikation. Militärisch lasse sich von dieser Forschung – auch wenn sie derzeit noch in einem frühen Stadium sei – gleich doppelt profitieren: Man könne “die eigene Quantenkommunikation abhörsicherer machen und fremde Kommunikation stören”, so ein Sachverständiger.

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