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Bundesgerichtshof zu Antisemitismus an Kirchenfassade

Die Karlsruher Richter müssen entscheiden, ob ein judenfeindliches mittelalterliches Relief an der “Mutterkirche der Reformation” entfernt werden soll. Zweimal war der jüdische Kläger bereits vor Gericht gescheitert.

Das Sandsteinrelief an der Stadtkirche in Wittenberg in Sachsen-Anhalt zeigt eine Sau, an deren Zitzen Menschen saugen, die durch ihre spitzen Hüte als Juden zu erkennen sind. Es stammt von 1290. Ein Rabbiner schaut der Sau unter den Schwanz und in den After. Das Schwein gilt im Judentum als unreines Tier und verkörperte in der christlichen Kunst des Mittelalters den Teufel.

“In Stein gemeißelter Antisemitismus” sei das, so der Vorsitzende Richter Stephan Seiters während der Verhandlung vor dem Bundesgerichtshof in Karlsruhe. Dass die Plastik als antijüdische Schmähung gedacht war, bestreitet auch die beklagte evangelische Gemeinde nicht. Der Streit dreht sich vielmehr darum, wie man damit umgehen sollte.

Das Sandsteinrelief an der Stadtkirche in Wittenberg in Sachsen-Anhalt zeigt eine Sau, an deren Zitzen Menschen saugen, die durch ihre spitzen Hüte als Juden zu erkennen sind. Es stammt von 1290. Ein Rabbiner schaut der Sau unter den Schwanz und in den After. Das Schwein gilt im Judentum als unreines Tier und verkörperte in der christlichen Kunst des Mittelalters den Teufel.

Der Kläger Michael Düllmann, Mitglied einer jüdischen Gemeinde, will das Relief entfernen lassen, weil er es als Beleidigung für alle Juden empfindet. Vor dem Landgericht Dessau-Roßlau und dem Oberlandesgericht in Naumburg war er allerdings mit seinem Anliegen gescheitert. Beide Instanzen hatten im Prinzip der beklagten evangelische Gemeinde Recht gegeben, die meint, für eine Auseinandersetzung mit dem antisemitistischen Relief solle man es dort belassen und den Kontext erläutern – was auch bereits seit Jahrzehnten geschieht.

Kläger: Luther war “Erz-Antisemit”

Denn schon zu DDR-Zeiten wurde daraus ein Mahnmal mit Informationstafel. Das könne aber “in keinem Fall ausreichen”, hat Düllmanns Anwalt Christian Rohnke vor Gericht argumentiert. “Im Gegenteil, die historischen Zusammenhänge werden durch die wirren und verschwurbelten Texte noch verharmlost”, so der Kläger-Anwalt. Auch auf Kirchenseite hält man die Erläuterungen durchaus für verbesserungswürdig und hat vor, das auch umzusetzen.

Die Auseinandersetzung hat gleichfalls mit der besonderen Bedeutung des Kirchengebäudes zu tun. Denn selbst wenn solche antisemitischen Darstellungen in und an Kirchen im Mittelalter nichts Ungewöhnliches waren und es noch heute rund 50 von ihnen in Deutschland gibt, geht es hier um die Kirche, in der einst Martin Luther predigte. Und der Reformator selbst hat judenfeindliche Schriften verfasst, etwa “Von den Juden und ihren Lügen”.

Düllmann sieht in Wittenberg nur ein Beispiel für viele Verfehlungen der Kirche im Umgang mit Juden. “Die Kirche hat das deutsche Volk auschwitzfähig gemacht”, sagte er am Rande der Verhandlung, Luther sei ein “Erz-Antisemit” gewesen. Eine antisemitische Plastik an der “Mutterkirche der Reformation” – das hat durchaus Brisanz.

Die Stadtkirchengemeinde bezeichnet die judenfeindliche Darstellung als “ein schwieriges Erbe, aber ebenso als Dokument der Zeitgeschichte”. Solche Skulpturen einfach von den Kirchen zu entfernen, würde zu kurz greifen, “denn antijüdische Geschichte lässt sich nicht ungeschehen machen, indem man ihre Zeugnisse abschlägt und glättet”, meint Christian Staffa, der Antisemitismusbeauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland.

Es stellten sich drei Fragen, hat Richter Seiters in der Verhandlung gesagt: ob das Relief inzwischen in eine Art Mahnmal umgewandelt sei, ob die beklagte Gemeinde sich von der Aussage ausreichend distanziert habe und ob die Rechtsverletzung möglicherweise nur durch die Entfernung der Plastik zu beheben sei, weil eine Beleidigung eine Beleidigung bleibe, unabhängig vom Kontext.

Auch auf jüdischer Seite gehen die Meinungen zu dem Relief auseinander. Während des Prozesses in der Vorinstanz vor dem Oberlandesgericht hatte sich der jüdische Historiker Michael Wolffsohn gegen eine Entfernung ausgesprochen. Sonst führe das dazu, dass man sich mit einem Thema nicht mehr auseinandersetze. “Wegwischen ist im Grunde genommen Selbstbetrug”, sagte Wolffsohn damals.

Josef Schuster, der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, hatte nach der Entscheidung des Oberlandesgerichts 2020 eine Tafel gefordert, “die das Schmährelief eindeutig erläutert und in den historischen Kontext einordnet”. Die Kirche müsse eine klare Abgrenzung und Verurteilung zum Ausdruck bringen, was bisher nicht ersichtlich sei.

“Die antijudaistische Geschichte der Kirche lässt sich nicht ungeschehen machen”, sagte Schuster. Eine Erklärtafel sei besser, als Schmähplastiken zu entfernen und damit zu verleugnen. Gelungene Beispiele gibt es nach Angaben des Zentralrats der Juden am Regensburger Dom und an der Ritterstiftskirche St. Peter in Bad Wimpfen bei Heilbronn.

Michael Düllmann will sich jedenfalls im Falle einer weiteren gerichtlichen Niederlage nicht geschlagen geben, sondern würde dann vor das Bundesverfassungsgericht ziehen. Der Bundesgerichtshof ist die letzte Instanz in Zivilverfahren. Beim Verfassungsgericht ginge es dann nicht um zivilrechtliche Fragen nach Beleidigung und Unterlassung, sondern um das Grundgesetz und die Würde des Menschen. Schließlich bliebe ihm noch der Gang zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.

Deutschland Judensau am Rgensburger Dom | Michael Dietrich Düllmann
Martin Luther 1530 | Gemälde von Lukas Cranach
Deutschland Entscheidung über antijüdisches Relief | Wittenberger Stadtkirche

Das Sandsteinrelief an der Stadtkirche in Wittenberg in Sachsen-Anhalt zeigt eine Sau, an deren Zitzen Menschen saugen, die durch ihre spitzen Hüte als Juden zu erkennen sind. Es stammt von 1290. Ein Rabbiner schaut der Sau unter den Schwanz und in den After. Das Schwein gilt im Judentum als unreines Tier und verkörperte in der christlichen Kunst des Mittelalters den Teufel.

“In Stein gemeißelter Antisemitismus” sei das, so der Vorsitzende Richter Stephan Seiters während der Verhandlung vor dem Bundesgerichtshof in Karlsruhe. Dass die Plastik als antijüdische Schmähung gedacht war, bestreitet auch die beklagte evangelische Gemeinde nicht. Der Streit dreht sich vielmehr darum, wie man damit umgehen sollte.

Kläger: Luther war “Erz-Antisemit”

Der Kläger Michael Düllmann, Mitglied einer jüdischen Gemeinde, will das Relief entfernen lassen, weil er es als Beleidigung für alle Juden empfindet. Vor dem Landgericht Dessau-Roßlau und dem Oberlandesgericht in Naumburg war er allerdings mit seinem Anliegen gescheitert. Beide Instanzen hatten im Prinzip der beklagten evangelische Gemeinde Recht gegeben, die meint, für eine Auseinandersetzung mit dem antisemitistischen Relief solle man es dort belassen und den Kontext erläutern – was auch bereits seit Jahrzehnten geschieht.

Denn schon zu DDR-Zeiten wurde daraus ein Mahnmal mit Informationstafel. Das könne aber “in keinem Fall ausreichen”, hat Düllmanns Anwalt Christian Rohnke vor Gericht argumentiert. “Im Gegenteil, die historischen Zusammenhänge werden durch die wirren und verschwurbelten Texte noch verharmlost”, so der Kläger-Anwalt. Auch auf Kirchenseite hält man die Erläuterungen durchaus für verbesserungswürdig und hat vor, das auch umzusetzen.

Die Auseinandersetzung hat gleichfalls mit der besonderen Bedeutung des Kirchengebäudes zu tun. Denn selbst wenn solche antisemitischen Darstellungen in und an Kirchen im Mittelalter nichts Ungewöhnliches waren und es noch heute rund 50 von ihnen in Deutschland gibt, geht es hier um die Kirche, in der einst Martin Luther predigte. Und der Reformator selbst hat judenfeindliche Schriften verfasst, etwa “Von den Juden und ihren Lügen”.

Düllmann sieht in Wittenberg nur ein Beispiel für viele Verfehlungen der Kirche im Umgang mit Juden. “Die Kirche hat das deutsche Volk auschwitzfähig gemacht”, sagte er am Rande der Verhandlung, Luther sei ein “Erz-Antisemit” gewesen. Eine antisemitische Plastik an der “Mutterkirche der Reformation” – das hat durchaus Brisanz.

Ein “Dokument der Zeitgeschichte”

Die Stadtkirchengemeinde bezeichnet die judenfeindliche Darstellung als “ein schwieriges Erbe, aber ebenso als Dokument der Zeitgeschichte”. Solche Skulpturen einfach von den Kirchen zu entfernen, würde zu kurz greifen, “denn antijüdische Geschichte lässt sich nicht ungeschehen machen, indem man ihre Zeugnisse abschlägt und glättet”, meint Christian Staffa, der Antisemitismusbeauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland.

Reicht die Distanzierung der Kirche?

Es stellten sich drei Fragen, hat Richter Seiters in der Verhandlung gesagt: ob das Relief inzwischen in eine Art Mahnmal umgewandelt sei, ob die beklagte Gemeinde sich von der Aussage ausreichend distanziert habe und ob die Rechtsverletzung möglicherweise nur durch die Entfernung der Plastik zu beheben sei, weil eine Beleidigung eine Beleidigung bleibe, unabhängig vom Kontext.

Auch auf jüdischer Seite gehen die Meinungen zu dem Relief auseinander. Während des Prozesses in der Vorinstanz vor dem Oberlandesgericht hatte sich der jüdische Historiker Michael Wolffsohn gegen eine Entfernung ausgesprochen. Sonst führe das dazu, dass man sich mit einem Thema nicht mehr auseinandersetze. “Wegwischen ist im Grunde genommen Selbstbetrug”, sagte Wolffsohn damals.

Josef Schuster, der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, hatte nach der Entscheidung des Oberlandesgerichts 2020 eine Tafel gefordert, “die das Schmährelief eindeutig erläutert und in den historischen Kontext einordnet”. Die Kirche müsse eine klare Abgrenzung und Verurteilung zum Ausdruck bringen, was bisher nicht ersichtlich sei.

“Die antijudaistische Geschichte der Kirche lässt sich nicht ungeschehen machen”, sagte Schuster. Eine Erklärtafel sei besser, als Schmähplastiken zu entfernen und damit zu verleugnen. Gelungene Beispiele gibt es nach Angaben des Zentralrats der Juden am Regensburger Dom und an der Ritterstiftskirche St. Peter in Bad Wimpfen bei Heilbronn.

Michael Düllmann will sich jedenfalls im Falle einer weiteren gerichtlichen Niederlage nicht geschlagen geben, sondern würde dann vor das Bundesverfassungsgericht ziehen. Der Bundesgerichtshof ist die letzte Instanz in Zivilverfahren. Beim Verfassungsgericht ginge es dann nicht um zivilrechtliche Fragen nach Beleidigung und Unterlassung, sondern um das Grundgesetz und die Würde des Menschen. Schließlich bliebe ihm noch der Gang zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.

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