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Polen: Ein Schloss sucht die Enkel seines Dienstpersonals

Rund 400 Menschen arbeiteten vor einem Jahrhundert für die Adelsfamilie Hochberg im Schloss Fürstenstein, das heute in Polen liegt. Nun sucht die Schloss-Stiftung ihre Nachkommen – vor allem in Deutschland.

Ein Dutzend Köchinnen und Köche posieren stolz auf einem alten Foto, das den Alltag der ehemaligen Bewohner des Schlosses Fürstenstein zeigt. Heute heißt das Schloss Ksiaz und liegt in der südwestpolnischen Stadt Walbrzych, die vor 1945 den Namen Waldenburg trug. In einer der Köchinnen auf dem Foto erkannte Dorothea Huhn aus Hannover ihre Oma. Sie nahm Kontakt mit der Stadtverwaltung auf, dem heutigen Besitzer des Schlosses, und reiste nach Polen, um die Geschichte ihrer Großmutter zu erzählen.

Die Großmutter hieß Anna Biller. Zu Anfang des 20. Jahrhunderts arbeitete sie als junge Frau in der Schlossküche am Hof von Hans Heinrich XV. Hochberg Fürst von Pless und seiner englischen Frau Daisy. “Ich kann mich an die ausgezeichnete Küche meiner Oma erinnern”, erzählt Dorothea Huhn während ihres Besuchs in Ksiaz. Die Rezepte ihrer Großmutter habe sie geerbt, darunter das Rezept für die schlesische Mohntorte.

Ein Dutzend Köchinnen und Köche posieren stolz auf einem alten Foto, das den Alltag der ehemaligen Bewohner des Schlosses Fürstenstein zeigt. Heute heißt das Schloss Ksiaz und liegt in der südwestpolnischen Stadt Walbrzych, die vor 1945 den Namen Waldenburg trug. In einer der Köchinnen auf dem Foto erkannte Dorothea Huhn aus Hannover ihre Oma. Sie nahm Kontakt mit der Stadtverwaltung auf, dem heutigen Besitzer des Schlosses, und reiste nach Polen, um die Geschichte ihrer Großmutter zu erzählen.

1924 heiratete Anna Biller und verließ das Schloss. Zum Abschied bekam sie als Geschenk einen Salzstreuer von der fürstlichen Tafel. “Es ist ein kleines, aber sehr elegantes Objekt aus geschliffenem Kristall und Silber”, berichtet die Enkelin Dorothea Huhn.

Hofkoch und talentierter Fotograf

Die Geschichte von Dorothea Huhn und ihrer Großmutter inspirierte die heutige Verwaltung des Schlosses Ksiaz: Vielleicht, so dachten sich die Mitarbeiter, gibt es noch weitere Nachkommen der früheren Schlossdiener? Sie könnten helfen, unbekannte Menschen auf Hunderten alter Fotos zu identifizieren.

Ende Mai veröffentlichte die Schlossverwaltung in sozialen Medien einen Aufruf in polnischer, deutscher und englischer Sprache: Wer seine Angehörigen auf einem der Gruppenfotos erkennt, wird um Kontaktaufnahme mit der Verwaltung gebeten.

“Rund 400 Personen arbeiteten zu Anfang des 20. Jahrhunderts im Schloss Fürstenstein für die fünfköpfige Familie Hochberg”, sagt Mateusz Mykytyszyn, Pressesprecher des Schlosses und Präsident der Stiftung, die der Fürstin Daisy von Pless gewidmet ist.

Viele von ihnen – Butler, Zimmermädchen, Stallpersonal oder Küchenarbeiter – sind jetzt auf einer Fotoausstellung zu sehen. Die Bilder machte vor etwa 100 Jahren der Hofkoch Louis Hardouin. Seine in Kanada lebende Enkelin hat die wertvolle Sammlung im Jahr 2016 dem Schloss Ksiaz geschenkt. “Indem wir diese Menschen und ihre Geschichte zeigen, erzählen wir auch unsere eigene Geschichte”, so Mykytyszyn. “Jedes Andenken, jede Erinnerung an Ksiaz ist für uns enorm wertvoll.”

Sehr oft sind diese Geschichten bewegend und sentimental. “Wir haben zum Beispiel Besuch vom Urenkel des Bibliothekars Karl Johannes Endemann bekommen, der sich um die Hofbibliothek gekümmert hat. Er schenkte uns Möbel und einen Spiegel, den seine Großmutter als Hochzeitsgeschenk von Fürstin Daisy erhalten hatte”, erzählt Mykytyszyn.

Die meisten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wohnten auch selbst in dem gewaltigen Schloss, das auf einem Felsvorsprung thront und weithin sichtbar ist. Hier war ihr Zuhause. Dieses Leben endete mit Beginn des Zweiten Weltkriegs. Denn die Fürsten von Hochberg und Pless unterstützten Hitlers Regime nicht. Ihr mittlerer Sohn Alexander trat sogar den polnischen Exilstreitkräften im Westen bei.

Die Familie von Hochberg und Pless wurde von den Nazis enteignet, 1943 beschlagnahmte der NS-Staat ihr Schloss. Es sollte zu einem von insgesamt 20 Führerhauptquartieren umgebaut werden, fertiggestellt wurde dieser Umbau jedoch nie. Während der Arbeiten wurden wertvolle historische Säle und Teile der Inneneinrichtung zerstört. Nach der Eroberung durch die Rote Armee 1945 plünderten russische Soldaten das Schloss.

Die meisten deutschen Bewohner der Stadt Waldenburg flohen nach Kriegsende entweder nach Westen oder wurden später vertrieben. Die Polen, die in die Stadt kamen, bauten ein neues Leben in den “wiedergewonnenen Gebieten” auf – wie es die kommunistische Propaganda damals darstellte.

Die jetzige Generation, die in Walbrzych lebt, will die deutsche Vergangenheit des Schlosses und der Stadt nicht verdrängen. Im Gegenteil: Viele empfinden sie als Teil eines gemeinsamen historischen Erbes. “Niemand spricht mehr von den ‘wiedergewonnenen Gebieten'”, sagt Mykytyszyn. “Gemeinsame Geschichte, kulturelles Erbe und Denkmäler haben keine Nationalität. Sie gehören uns allen, und wir alle müssen uns um sie kümmern.”

Nach ersten Reparaturen in den 1960er Jahren wird das Schloss inzwischen vollständig restauriert. 2014 wurde das Mausoleum der Familie Hochberg im Schlosspark renoviert. Die 1943 in Waldenburg verarmt verstorbene Fürstin Daisy von Pless ist inzwischen eine Kultfigur im Ort. Die englische Frau von Hans Heinrich XV. war vor allem wegen ihrer Wohltätigkeit sehr beliebt. Zur Zeit führt das Dramatische Theater Walbrzych das Musical “Daisy” auf.

Ihr Enkel, Fürst Bolko von Pless, der in München lebt und heute 86 Jahre alt ist, war in den vergangenen Jahren regelmäßig zu Gast in Ksiaz. 2015 erhielt er die Ehrenbürgerschaft der Stadt Walbrzych. Am 28. Juni 2022 erscheinen dort seine Memoiren, aufgezeichnet von Mateusz Mykytyszyn, Präsident der Daisy-von-Pless-Stiftung.

“Über 700 Jahre lang war dieses Land Heimat meiner Familie”, schreibt Bolko von Pless in seinem Buch. “Unser gemeinsames kulturelles Erbe ist eine Brücke zwischen der Vergangenheit und der Zukunft. Es erlaubt uns auch, auf dem Fundament der Tradition und der Geschichte Verständigung zu bauen, Wunden zu heilen und Spaltungen der Vergangenheit zu überwinden.”

Das ehemalige Schloss Fürstenstein, heute Ksiaz, im polnischen Walbrzych (Waldenburg)
Köchinnen und Köche im Schloss Fürstenstein zu Anfang des 20. Jahrhunderts
Ein Saal im Schloss Ksiaz (Fürstenstein)

Ein Dutzend Köchinnen und Köche posieren stolz auf einem alten Foto, das den Alltag der ehemaligen Bewohner des Schlosses Fürstenstein zeigt. Heute heißt das Schloss Ksiaz und liegt in der südwestpolnischen Stadt Walbrzych, die vor 1945 den Namen Waldenburg trug. In einer der Köchinnen auf dem Foto erkannte Dorothea Huhn aus Hannover ihre Oma. Sie nahm Kontakt mit der Stadtverwaltung auf, dem heutigen Besitzer des Schlosses, und reiste nach Polen, um die Geschichte ihrer Großmutter zu erzählen.

Die Großmutter hieß Anna Biller. Zu Anfang des 20. Jahrhunderts arbeitete sie als junge Frau in der Schlossküche am Hof von Hans Heinrich XV. Hochberg Fürst von Pless und seiner englischen Frau Daisy. “Ich kann mich an die ausgezeichnete Küche meiner Oma erinnern”, erzählt Dorothea Huhn während ihres Besuchs in Ksiaz. Die Rezepte ihrer Großmutter habe sie geerbt, darunter das Rezept für die schlesische Mohntorte.

Hofkoch und talentierter Fotograf

1924 heiratete Anna Biller und verließ das Schloss. Zum Abschied bekam sie als Geschenk einen Salzstreuer von der fürstlichen Tafel. “Es ist ein kleines, aber sehr elegantes Objekt aus geschliffenem Kristall und Silber”, berichtet die Enkelin Dorothea Huhn.

Die Geschichte von Dorothea Huhn und ihrer Großmutter inspirierte die heutige Verwaltung des Schlosses Ksiaz: Vielleicht, so dachten sich die Mitarbeiter, gibt es noch weitere Nachkommen der früheren Schlossdiener? Sie könnten helfen, unbekannte Menschen auf Hunderten alter Fotos zu identifizieren.

Ende Mai veröffentlichte die Schlossverwaltung in sozialen Medien einen Aufruf in polnischer, deutscher und englischer Sprache: Wer seine Angehörigen auf einem der Gruppenfotos erkennt, wird um Kontaktaufnahme mit der Verwaltung gebeten.

“Rund 400 Personen arbeiteten zu Anfang des 20. Jahrhunderts im Schloss Fürstenstein für die fünfköpfige Familie Hochberg”, sagt Mateusz Mykytyszyn, Pressesprecher des Schlosses und Präsident der Stiftung, die der Fürstin Daisy von Pless gewidmet ist.

Wertvolle Bilder für das Schloss Ksiaz

Viele von ihnen – Butler, Zimmermädchen, Stallpersonal oder Küchenarbeiter – sind jetzt auf einer Fotoausstellung zu sehen. Die Bilder machte vor etwa 100 Jahren der Hofkoch Louis Hardouin. Seine in Kanada lebende Enkelin hat die wertvolle Sammlung im Jahr 2016 dem Schloss Ksiaz geschenkt. “Indem wir diese Menschen und ihre Geschichte zeigen, erzählen wir auch unsere eigene Geschichte”, so Mykytyszyn. “Jedes Andenken, jede Erinnerung an Ksiaz ist für uns enorm wertvoll.”

Führerhauptquartier in Niederschlesien

Sehr oft sind diese Geschichten bewegend und sentimental. “Wir haben zum Beispiel Besuch vom Urenkel des Bibliothekars Karl Johannes Endemann bekommen, der sich um die Hofbibliothek gekümmert hat. Er schenkte uns Möbel und einen Spiegel, den seine Großmutter als Hochzeitsgeschenk von Fürstin Daisy erhalten hatte”, erzählt Mykytyszyn.

Die meisten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wohnten auch selbst in dem gewaltigen Schloss, das auf einem Felsvorsprung thront und weithin sichtbar ist. Hier war ihr Zuhause. Dieses Leben endete mit Beginn des Zweiten Weltkriegs. Denn die Fürsten von Hochberg und Pless unterstützten Hitlers Regime nicht. Ihr mittlerer Sohn Alexander trat sogar den polnischen Exilstreitkräften im Westen bei.

Die Familie von Hochberg und Pless wurde von den Nazis enteignet, 1943 beschlagnahmte der NS-Staat ihr Schloss. Es sollte zu einem von insgesamt 20 Führerhauptquartieren umgebaut werden, fertiggestellt wurde dieser Umbau jedoch nie. Während der Arbeiten wurden wertvolle historische Säle und Teile der Inneneinrichtung zerstört. Nach der Eroberung durch die Rote Armee 1945 plünderten russische Soldaten das Schloss.

Memoiren des schlesischen Fürsten

Die meisten deutschen Bewohner der Stadt Waldenburg flohen nach Kriegsende entweder nach Westen oder wurden später vertrieben. Die Polen, die in die Stadt kamen, bauten ein neues Leben in den “wiedergewonnenen Gebieten” auf – wie es die kommunistische Propaganda damals darstellte.

Die jetzige Generation, die in Walbrzych lebt, will die deutsche Vergangenheit des Schlosses und der Stadt nicht verdrängen. Im Gegenteil: Viele empfinden sie als Teil eines gemeinsamen historischen Erbes. “Niemand spricht mehr von den ‘wiedergewonnenen Gebieten'”, sagt Mykytyszyn. “Gemeinsame Geschichte, kulturelles Erbe und Denkmäler haben keine Nationalität. Sie gehören uns allen, und wir alle müssen uns um sie kümmern.”

Enkel Fürst Bolko von Pless lebt in München

Nach ersten Reparaturen in den 1960er Jahren wird das Schloss inzwischen vollständig restauriert. 2014 wurde das Mausoleum der Familie Hochberg im Schlosspark renoviert. Die 1943 in Waldenburg verarmt verstorbene Fürstin Daisy von Pless ist inzwischen eine Kultfigur im Ort. Die englische Frau von Hans Heinrich XV. war vor allem wegen ihrer Wohltätigkeit sehr beliebt. Zur Zeit führt das Dramatische Theater Walbrzych das Musical “Daisy” auf.

Ihr Enkel, Fürst Bolko von Pless, der in München lebt und heute 86 Jahre alt ist, war in den vergangenen Jahren regelmäßig zu Gast in Ksiaz. 2015 erhielt er die Ehrenbürgerschaft der Stadt Walbrzych. Am 28. Juni 2022 erscheinen dort seine Memoiren, aufgezeichnet von Mateusz Mykytyszyn, Präsident der Daisy-von-Pless-Stiftung.

Junge Männer auf einem Schlitten im Winter im Park des Schlosses Fürstenstein

“Über 700 Jahre lang war dieses Land Heimat meiner Familie”, schreibt Bolko von Pless in seinem Buch. “Unser gemeinsames kulturelles Erbe ist eine Brücke zwischen der Vergangenheit und der Zukunft. Es erlaubt uns auch, auf dem Fundament der Tradition und der Geschichte Verständigung zu bauen, Wunden zu heilen und Spaltungen der Vergangenheit zu überwinden.”

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