Welt

Kolumbien: Ein Ex-Guerillero als Präsident?

In Kolumbien stehen sich zwei Außenseiter in der Stichwahl zur Präsidentschaft gegenüber. Als Favorit gilt Gustavo Petro, der einst im Untergrund gegen den Staat kämpfte. Er wäre der erste linke Präsident des Landes.

Zweimal ist Gustavo Petro bereits bei der Präsidentenwahl gescheitert. Beim dritten Mal könnte es endlich klappen: Mit 40 Prozent der Stimmen hatte er im ersten Wahlgang am 29. Mai einigen Abstand zum Zweitplatzierten, der 28 Prozent holte. Auch wenn bereits mehrere ausgeschiedene Kandidaten dem parteilosen Unternehmer Rodolfo Hernández ihre Unterstützung für die Stichwahl am 19. Juni zugesagt haben, kann Petro weiter als Favorit für das Amt gelten. Und allein diese Aussicht hat es in sich. Denn Petro wäre der erste kolumbianische Präsident aus einem linken Wahlbündnis, nachdem in fast 140 Jahren Republik stets konservative oder liberale Präsidenten die Geschicke des Landes gelenkt haben. 

Während in vielen Ländern Lateinamerikas linke Parteien seit Jahrzehnten die Politik mitbestimmen, blieb die kolumbianische Mehrheit skeptisch gegenüber linkem Gedankengut. Zu groß war der Schrecken vor den unterschiedlichen Guerilla-Gruppen, die seit Mitte des 20. Jahrhunderts versucht haben, dem Land ihre kollektivistischen Ideologien mit Gewalt aufzuzwingen – allen voran die Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia, kurz FARC, mit der die Regierung 2016 einen brüchigen Friedensvertrag schloss. Umso überraschender wirkt es, dass nun ausgerechnet ein Ex-Guerillero eine echte Chance auf das Präsidentenamt hat.

Zweimal ist Gustavo Petro bereits bei der Präsidentenwahl gescheitert. Beim dritten Mal könnte es endlich klappen: Mit 40 Prozent der Stimmen hatte er im ersten Wahlgang am 29. Mai einigen Abstand zum Zweitplatzierten, der 28 Prozent holte. Auch wenn bereits mehrere ausgeschiedene Kandidaten dem parteilosen Unternehmer Rodolfo Hernández ihre Unterstützung für die Stichwahl am 19. Juni zugesagt haben, kann Petro weiter als Favorit für das Amt gelten. Und allein diese Aussicht hat es in sich. Denn Petro wäre der erste kolumbianische Präsident aus einem linken Wahlbündnis, nachdem in fast 140 Jahren Republik stets konservative oder liberale Präsidenten die Geschicke des Landes gelenkt haben. 

Als Kind eines Lehrers studierte Gustavo Petro an einer privaten Universität und erlangte einen Abschluss als Volkswirt. Noch als Teenager schloss er sich der Guerilla-Bewegung M-19 an, die sich 1970 gegründet hatte, nachdem der Kandidat der linken Alianza Nacional Popular, Gustavo Rojas Pinilla, durch mutmaßlichen Wahlbetrug um den Sieg gebracht worden war.

Als Teen in die Guerilla

Ab da führte Petro gewissermaßen ein Doppelleben: Offiziell trat er 1980 in den Dienst der zentralkolumbianischen Stadt Zipaquirá ein und wurde später Stadtverordneter. Parallel dazu engagierte er sich als “Coronel Aureliano” in der M-19. Den Namen gab er sich nach einer Figur im Roman “100 Jahre Einsamkeit” von seinem Landsmann und Idol, dem Literaturnobelpreisträger Gabriel García Márquez.

In dieser Zeit verübte die M-19 zahlreiche Verbrechen – darunter Entführungen, Morde und Angriffe auf militärische und polizeiliche Einrichtungen. 1985 wurde Petro wegen illegalen Waffenbesitzes festgenommen, gefoltert und wegen Verschwörung zu 18 Monaten Haft verurteilt. Als die M-19 im Jahr 1990 die Waffen niederlegte und zur politischen Partei Alianza Democrática M-19 wurde, kandidierte Petro für einen Sitz im kolumbianischen Parlament und zog als Abgeordneter ins Unterhaus ein.

Die Wiederwahl 1994 glückte nicht; und nachdem er Morddrohungen erhielt, ließ sich Petro in den 1990er Jahren als Diplomat nach Belgien entsenden. Nach seiner Rückkehr zog er erneut ins Parlament ein – erst als Abgeordneter, dann als Senator. Einen Namen machte er sich vor allem damit, dass er die Verbindungen des damaligen Präsidenten Alvaro Uribe mit der rechten Terrororganisation “Vereinigten Selbstverteidigungskräfte Kolumbiens” (AUC) aufdeckte und ihm damit zahlreiche Verfahren einbrachte.

Wohl auch durch diesen Erfolg wurde er bei der Präsidentschaftskandidatur 2010 zum Kandidaten der gemäßigten linken Partei PDA (Polo Democrático Alternativo), schied jedoch im ersten Wahlgang aus. Zwei Jahre später gewann er die Wahl zum Bürgermeister von Bogotá. 

Im Amt setzte er unter anderem strengere Waffenkontrollen in der Hauptstadt durch, stärkte den öffentlichen Transportsektor und richtete ein Frauen-Sekretariat sowie eine zentrale Anlaufstelle für die LGBTI-Community ein. Vor allem aber unterstützte er ärmere Bevölkerungsschichten mit Sozialprogrammen.

Versäumnisse werden ihm in der Bildungspolitik vorgeworfen – zumal er das ihm zugesprochene Haushaltsbudget nicht ausgeschöpft hat. Zwischenzeitlich wurde Petro von einem Gericht wegen Unregelmäßigkeiten bei der Umstellung der Abfallentsorgung suspendiert. Ein anderes Gericht stufte die Vorwürfe aber als geringfügig ein, und Petro brachte seine Amtszeit regulär zu Ende. Unterm Strich scheinen ihn die Haupstädter aber in guter Erinnerung zu haben, denn in Bogotá entfielen am Sonntag fast die Hälfte der Stimmen auf den Ex-Bürgermeister.

Bei der Präsidentschaftswahl 2018 unterlag Gustavo Petro in der Stichwahl dem mittlerweile extrem unbeliebten Präsidenten Iván Duque. Heute noch mehr als damals tritt er mit einem moderat linken Wahlprogramm an: Die Idee einer Verfassungsreform hat er fallengelassen. Doch er will das marktliberale Wirtschaftsmodell durch höhere Unternehmensbesteuerung abschwächen und die umweltzerstörerische Ausbeutung von Bodenschätzen einschränken.

Gleichzeitig soll es unter seiner Präsidentschaft keine Enteignung von Privateigentum geben. Dafür hat er medienwirksam unter notarieller Aufsicht einen Eid geleistet. Rechtlich bindend wäre der zwar wohl nicht, doch das Signal scheint klar: Er will nicht spalten, sondern einen. “Kolumbien braucht keinen Sozialismus, sondern Demokratie”, sagte Petro im vergangenen September der spanischen Tageszeitung “El Pais”.

Mehr als 40 Prozent der Wähler haben Gustavo Petro offenbar seine Vergangenheit im bewaffneten Kampf gegen den Staat verziehen. Allerdings hat Kolumbien Hunderte Verbrechen der M-19, die Petro begangen oder mitverantwortet haben könnte, bisher nicht gerichtlich aufgearbeitet. Der kolumbianische Journalist Francois Roger Cavard will das ändern. Gemeinsam mit Anwälten hat er nach eigenen Angaben Beweise für 40 dieser Verbrechen gesammelt, um Klagen einzureichen.

Am Tag nach dem ersten Wahlgang ließ der Nationale Gerichtshof von Spanien eine Klage zu, in der Gustavo Petro beschuldigt wird, im Jahr 1981 an der Entführung des 2014 verstorbenen spanischen Journalisten Fernando González Pacheco beteiligt gewesen zu sein. “Ich versichere, dass hinter der Klage kein politisches Kalkül steckt”, sagte Cavard im kolumbianischen Radio. Ob sie politische Auswirkungen hat, wird sich am 19. Juni zeigen. Dann findet die Stichwahl statt.

M-19-Guerrilleros im Jahr 1989 bei der Beerdigung eines führenden Mitglieds
Kolumbien Centro Democratico - Vor Wahlen

Zweimal ist Gustavo Petro bereits bei der Präsidentenwahl gescheitert. Beim dritten Mal könnte es endlich klappen: Mit 40 Prozent der Stimmen hatte er im ersten Wahlgang am 29. Mai einigen Abstand zum Zweitplatzierten, der 28 Prozent holte. Auch wenn bereits mehrere ausgeschiedene Kandidaten dem parteilosen Unternehmer Rodolfo Hernández ihre Unterstützung für die Stichwahl am 19. Juni zugesagt haben, kann Petro weiter als Favorit für das Amt gelten. Und allein diese Aussicht hat es in sich. Denn Petro wäre der erste kolumbianische Präsident aus einem linken Wahlbündnis, nachdem in fast 140 Jahren Republik stets konservative oder liberale Präsidenten die Geschicke des Landes gelenkt haben. 

Während in vielen Ländern Lateinamerikas linke Parteien seit Jahrzehnten die Politik mitbestimmen, blieb die kolumbianische Mehrheit skeptisch gegenüber linkem Gedankengut. Zu groß war der Schrecken vor den unterschiedlichen Guerilla-Gruppen, die seit Mitte des 20. Jahrhunderts versucht haben, dem Land ihre kollektivistischen Ideologien mit Gewalt aufzuzwingen – allen voran die Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia, kurz FARC, mit der die Regierung 2016 einen brüchigen Friedensvertrag schloss. Umso überraschender wirkt es, dass nun ausgerechnet ein Ex-Guerillero eine echte Chance auf das Präsidentenamt hat.

Als Teen in die Guerilla

Als Kind eines Lehrers studierte Gustavo Petro an einer privaten Universität und erlangte einen Abschluss als Volkswirt. Noch als Teenager schloss er sich der Guerilla-Bewegung M-19 an, die sich 1970 gegründet hatte, nachdem der Kandidat der linken Alianza Nacional Popular, Gustavo Rojas Pinilla, durch mutmaßlichen Wahlbetrug um den Sieg gebracht worden war.

Ab da führte Petro gewissermaßen ein Doppelleben: Offiziell trat er 1980 in den Dienst der zentralkolumbianischen Stadt Zipaquirá ein und wurde später Stadtverordneter. Parallel dazu engagierte er sich als “Coronel Aureliano” in der M-19. Den Namen gab er sich nach einer Figur im Roman “100 Jahre Einsamkeit” von seinem Landsmann und Idol, dem Literaturnobelpreisträger Gabriel García Márquez.

In dieser Zeit verübte die M-19 zahlreiche Verbrechen – darunter Entführungen, Morde und Angriffe auf militärische und polizeiliche Einrichtungen. 1985 wurde Petro wegen illegalen Waffenbesitzes festgenommen, gefoltert und wegen Verschwörung zu 18 Monaten Haft verurteilt. Als die M-19 im Jahr 1990 die Waffen niederlegte und zur politischen Partei Alianza Democrática M-19 wurde, kandidierte Petro für einen Sitz im kolumbianischen Parlament und zog als Abgeordneter ins Unterhaus ein.

Die Wiederwahl 1994 glückte nicht; und nachdem er Morddrohungen erhielt, ließ sich Petro in den 1990er Jahren als Diplomat nach Belgien entsenden. Nach seiner Rückkehr zog er erneut ins Parlament ein – erst als Abgeordneter, dann als Senator. Einen Namen machte er sich vor allem damit, dass er die Verbindungen des damaligen Präsidenten Alvaro Uribe mit der rechten Terrororganisation “Vereinigten Selbstverteidigungskräfte Kolumbiens” (AUC) aufdeckte und ihm damit zahlreiche Verfahren einbrachte.

Politische Karriere in der Opposition

Wohl auch durch diesen Erfolg wurde er bei der Präsidentschaftskandidatur 2010 zum Kandidaten der gemäßigten linken Partei PDA (Polo Democrático Alternativo), schied jedoch im ersten Wahlgang aus. Zwei Jahre später gewann er die Wahl zum Bürgermeister von Bogotá. 

Bürgermeister mit Makel

Im Amt setzte er unter anderem strengere Waffenkontrollen in der Hauptstadt durch, stärkte den öffentlichen Transportsektor und richtete ein Frauen-Sekretariat sowie eine zentrale Anlaufstelle für die LGBTI-Community ein. Vor allem aber unterstützte er ärmere Bevölkerungsschichten mit Sozialprogrammen.

Versäumnisse werden ihm in der Bildungspolitik vorgeworfen – zumal er das ihm zugesprochene Haushaltsbudget nicht ausgeschöpft hat. Zwischenzeitlich wurde Petro von einem Gericht wegen Unregelmäßigkeiten bei der Umstellung der Abfallentsorgung suspendiert. Ein anderes Gericht stufte die Vorwürfe aber als geringfügig ein, und Petro brachte seine Amtszeit regulär zu Ende. Unterm Strich scheinen ihn die Haupstädter aber in guter Erinnerung zu haben, denn in Bogotá entfielen am Sonntag fast die Hälfte der Stimmen auf den Ex-Bürgermeister.

Bei der Präsidentschaftswahl 2018 unterlag Gustavo Petro in der Stichwahl dem mittlerweile extrem unbeliebten Präsidenten Iván Duque. Heute noch mehr als damals tritt er mit einem moderat linken Wahlprogramm an: Die Idee einer Verfassungsreform hat er fallengelassen. Doch er will das marktliberale Wirtschaftsmodell durch höhere Unternehmensbesteuerung abschwächen und die umweltzerstörerische Ausbeutung von Bodenschätzen einschränken.

Sozialdemokratischer Präsidentschaftskandidat

Gleichzeitig soll es unter seiner Präsidentschaft keine Enteignung von Privateigentum geben. Dafür hat er medienwirksam unter notarieller Aufsicht einen Eid geleistet. Rechtlich bindend wäre der zwar wohl nicht, doch das Signal scheint klar: Er will nicht spalten, sondern einen. “Kolumbien braucht keinen Sozialismus, sondern Demokratie”, sagte Petro im vergangenen September der spanischen Tageszeitung “El Pais”.

Mehr als 40 Prozent der Wähler haben Gustavo Petro offenbar seine Vergangenheit im bewaffneten Kampf gegen den Staat verziehen. Allerdings hat Kolumbien Hunderte Verbrechen der M-19, die Petro begangen oder mitverantwortet haben könnte, bisher nicht gerichtlich aufgearbeitet. Der kolumbianische Journalist Francois Roger Cavard will das ändern. Gemeinsam mit Anwälten hat er nach eigenen Angaben Beweise für 40 dieser Verbrechen gesammelt, um Klagen einzureichen.

Holt Petro seine Vergangenheit ein?

Am Tag nach dem ersten Wahlgang ließ der Nationale Gerichtshof von Spanien eine Klage zu, in der Gustavo Petro beschuldigt wird, im Jahr 1981 an der Entführung des 2014 verstorbenen spanischen Journalisten Fernando González Pacheco beteiligt gewesen zu sein. “Ich versichere, dass hinter der Klage kein politisches Kalkül steckt”, sagte Cavard im kolumbianischen Radio. Ob sie politische Auswirkungen hat, wird sich am 19. Juni zeigen. Dann findet die Stichwahl statt.

Kolumbien Francia Marquez und Gustavo Petro auf einer Wahlkampfbühne

Nachrichten

Ähnliche Artikel

Leave a Reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *

Schaltfläche "Zurück zum Anfang"