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Russische Freiwillige sind in Polen nur bedingt willkommen

Russische Kriegsgegner helfen geflohenen Ukrainerinnen und Ukrainern in der polnisch-ukrainischen Grenzstadt Przemysl – und stoßen auf Misstrauen.

Für viele ukrainische Kriegsflüchtlinge ist der Bahnhof im polnischen Przemysl, zehn Kilometer von der Grenze zur Ukraine entfernt, die erste Station außerhalb ihrer Heimat. Jeden Tag kommen hier bis zu 2000 Ukrainerinnen und Ukrainer an, die vor Putins Bomben fliehen. Die meisten sind Frauen und Kinder.

Auf dem Weg zwischen der Bahnhofshalle und dem Bahnsteig Nummer 5, wo die Züge aus der Ukraine ankommen, erklären freiwillige Helferinnen und Helfer den Menschen den Weg, bewachen Gepäck oder Haustiere, geben Tipps auf Ukrainisch, Polnisch, Englisch – und Russisch. Jeden Tag sind hier bis zu 100 von ihnen im Einsatz.

Für viele ukrainische Kriegsflüchtlinge ist der Bahnhof im polnischen Przemysl, zehn Kilometer von der Grenze zur Ukraine entfernt, die erste Station außerhalb ihrer Heimat. Jeden Tag kommen hier bis zu 2000 Ukrainerinnen und Ukrainer an, die vor Putins Bomben fliehen. Die meisten sind Frauen und Kinder.

Im ersten Monat nach Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine am 24.02.2022 wurde die Arbeit der Helfenden von der Stadtverwaltung von Przemysl koordiniert. Dann übernahm die Regierung des Verwaltungsbezirks – auf Polnisch Wojewodschaft – die Aufsicht über alle Hilfsaktivitäten in und um den Bahnhof.

Russischer Pass, weiße Weste

Was man bei Helfenden besonders schätze, seien Sprachkenntnisse und Hilfsbereitschaft, heißt es am Schalter der Regionalverwaltung in der Bahnhofshalle. Die Mitarbeiterin, die anonym bleiben will, erklärt der DW, dass jeder als Hilfskraft willkommen sei – unabhängig von Herkunft, Wohnsitz und Nationalität. Aber die Freiwilligen aus Russland, mit denen die DW vor Ort gesprochen hat, berichten von ganz anderen Erfahrungen.

Mehrmals seien russische Freiwillige am Bahnhof von Przemysl zurückgewiesen worden, sagt Georgij Nurmanov. Anfang März 2022 gründete der 38-Jährige die Initiative “Russians for Ukraine” (Russen für die Ukraine), um ukrainischen Flüchtenden in Polen zu helfen. “Wir haben erlebt, dass die Beamten Personen mit russischem Pass nicht einsetzen wollten. Es hieß dann, im Moment würde niemand mehr gebraucht – aber gleichzeitig wurden andere Personen angenommen”, berichtet der russische Kriegsgegner.

Ein Sprecher der Regionalverwaltung blieb gegenüber der polnischen Zeitung Rzeczpospolita dabei, dass die Nationalität keine Rolle spiele, dass die Freiwilligen aber von den polnischen Sicherheitsbehörden überprüft würden. In der Praxis jedoch sähe das anders aus, wiederholt Flüchtlingshelfer Nurmanov: “Es gibt offenbar keine festen Regelungen. Manchmal kommt man mit dem russischen Pass auch durch. Je nachdem, wer gerade am Schalter sitzt.”

Georgij Nurmanov stammt aus Omsk in Sibirien. Seit zehn Jahren lebt er als Piroggenproduzent in der polnischen Hauptstadt Warschau – aus politischen Gründen. Nurmanov ist ein ausgesprochener Gegner des russischen Präsidenten Wladimir Putin. Russlands Überfall auf die Ukraine verurteilt er scharf. In einem Dorf nahe Przemysl hat Nurmanov ein Haus gemietet, in dem bis zu 20 Freiwillige übernachten können. Der Telegram-Kanal von “Russians for Ukraine” hat mittlerweile über 2400 Mitglieder.

Bisher trugen die russischen Freiwilligen vor Ort weiße Westen mit dem englischen Schriftzug “Russians for Ukraine”. Doch dieses Outfit  ist seit kurzem auf dem Bahnhof nicht mehr willkommen: “Seit dem 1. Mai 2022 sind nur noch die gelben Westen zugelassen, die die polnischen Beamten verteilen. So können wir nicht mehr als ‘Russians for Ukraine’ identifiziert werden”, berichtet Georgij Nurmanov. Er sieht dahinter einerseits Diskriminierung – und andererseits ein politisch motiviertes Spiel der Behörden: “Das ist die Politik der hiesigen Nationalisten.”

Seit 2015 stellt die nationalkonservative Partei PiS (Recht und Gerechtigkeit) in Polen die Regierung. Auch die Verwaltung der Wojewodschaft dominieren PiS-Mitglieder. Ihre Konkurrenz stellen in der Region fremdenfeindliche Parteien, die noch weiter rechts stehen als die Regierungspartei. Wojciech Bakun, seit 2018 Bürgermeister von Przemysl, saß zuvor für die rechtspopulistische Partei “Kukiz’15” im polnischen Parlament.

Einige russische Flüchtlingshelfer berichten, Fremdenfeindlichkeit begegne ihnen auch bei ihrer Arbeit am Bahnhof von Przemysl. Die “Russians for Ukraine”-Freiwillige Ola Karon hat russisch-ukrainische Wurzeln und lebt derzeit in den Niederlanden. Für zwei Monate kam sie nach Przemysl, um Geflüchtete zu unterstützen. “Wir wollen hier keine Russen”, hörte sie von einer Polin am Bahnhof, die Olas Weste mit dem Logo “Russians for Ukraine” sah und sie Russisch sprechen hörte. “Ich war schockiert”, berichtet Karon im Gespräch mit der DW. “Ich bin doch extra hierhergekommen, um Menschen zu helfen, die vor Russlands Armee fliehen.”

Ein polnischer Freiwilliger forderte einen russischen Flüchtlingshelfer gar vor Kurzem auf, die Weste mit dem “Russians for Ukraine”-Logo auszuziehen, da sie verboten sei. Als der Russe höflich nach der rechtlichen Grundlage für dieses Verbot fragte, bekam er zu hören: “Hier ist Polen, keiner wird sich bei dir entschuldigen, niemand wird dir irgendeine rechtliche Grundlage zeigen. Hau ab nach Russland.”

Was denn die rechtliche Grundlage für den russischen Angriff auf die Ukraine sei, wollte der Pole noch von dem “Russians for Ukraine”-Aktivisten wissen. “Die gibt es nicht, der Überfall ist illegal”, antwortete der Russe. So sei es auch mit dem Verbot der weißen Westen von “Russians for Ukraine”, erklärte daraufhin sein polnisches Gegenüber. Georgij Nurmanov und seine Mitarbeiter haben mehrere solcher Situationen mit Handys gefilmt und auf ihrem Telegram-Kanal veröffentlicht.

Doch egal, ob bürokratische Hürden oder fremdenfeindliche Attacken die Arbeit von “Russians for Ukraine” behindern: Nurmanov und seine Mitstreiter lassen sich nicht entmutigen. Die Flüchtlingshilfe-Initiative ist nicht die erste, in der sich der Russe engagiert. 2016 hat er in Warschau die Kreml-kritische Stiftung WOT (Für ein freies Russland) mitgegründet.

An der Fassade des “Russians for Ukraine”-Hauses nahe der polnisch-ukrainischen Grenze prangt die weiß-blau-weiße Fahne, seit März 2022 das Symbol der russischen Kriegsgegner. In der Küche hängen Fotos der Freiwilligen, die bisher hierhergekommen sind, um ukrainischen Flüchtenden zu helfen. In den ersten 100 Tagen des Krieges waren das insgesamt 160 Helfer.

“Es sind sowohl Russen als auch russischsprachige Menschen, darunter viele, die unsere Heimat aus politischen Gründen verlassen haben”, erklärt Nurmanov, während er am Küchentisch zusammen mit seinen Mitarbeitern den Arbeitsplan für die nächsten Tage festlegt. “Unser gemeinsamer Nenner ist die russische Sprache.”

Noch am selben Abend muss er zwei Freiwillige nach Przemysl zum Zentrum für humanitäre Hilfe fahren, wo sie zwei andere Frauen nach zwölf Stunden Arbeit ablösen müssen. In dem früheren Kaufhaus befinden sich Schlafsäle und Aufenthaltsräume für hunderte Flüchtlinge. Verwaltet wird das Zentrum von lokalen Geschäftsleuten. Hier werden die russischen Freiwilligen mit offenen Armen empfangen.

Georgij Nurmanov und seinen Freunden macht das Mut. “Für uns ist es wichtig zu helfen – aber auch präsent zu sein”, sagt der Gründer von “Russians for Ukraine” der DW, “denn so können wir zeigen, dass nicht alle Russen diesen Krieg unterstützen. Wir fühlen uns verantwortlich dafür, was jetzt in der Ukraine geschieht.”

Polen Georgij Nurmanov, Gründer der Initiative Russians for Ukraine
Russische Volontäre von der Initiative Russians for Ukraine

Für viele ukrainische Kriegsflüchtlinge ist der Bahnhof im polnischen Przemysl, zehn Kilometer von der Grenze zur Ukraine entfernt, die erste Station außerhalb ihrer Heimat. Jeden Tag kommen hier bis zu 2000 Ukrainerinnen und Ukrainer an, die vor Putins Bomben fliehen. Die meisten sind Frauen und Kinder.

Auf dem Weg zwischen der Bahnhofshalle und dem Bahnsteig Nummer 5, wo die Züge aus der Ukraine ankommen, erklären freiwillige Helferinnen und Helfer den Menschen den Weg, bewachen Gepäck oder Haustiere, geben Tipps auf Ukrainisch, Polnisch, Englisch – und Russisch. Jeden Tag sind hier bis zu 100 von ihnen im Einsatz.

Russischer Pass, weiße Weste

Im ersten Monat nach Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine am 24.02.2022 wurde die Arbeit der Helfenden von der Stadtverwaltung von Przemysl koordiniert. Dann übernahm die Regierung des Verwaltungsbezirks – auf Polnisch Wojewodschaft – die Aufsicht über alle Hilfsaktivitäten in und um den Bahnhof.

Was man bei Helfenden besonders schätze, seien Sprachkenntnisse und Hilfsbereitschaft, heißt es am Schalter der Regionalverwaltung in der Bahnhofshalle. Die Mitarbeiterin, die anonym bleiben will, erklärt der DW, dass jeder als Hilfskraft willkommen sei – unabhängig von Herkunft, Wohnsitz und Nationalität. Aber die Freiwilligen aus Russland, mit denen die DW vor Ort gesprochen hat, berichten von ganz anderen Erfahrungen.

Mehrmals seien russische Freiwillige am Bahnhof von Przemysl zurückgewiesen worden, sagt Georgij Nurmanov. Anfang März 2022 gründete der 38-Jährige die Initiative “Russians for Ukraine” (Russen für die Ukraine), um ukrainischen Flüchtenden in Polen zu helfen. “Wir haben erlebt, dass die Beamten Personen mit russischem Pass nicht einsetzen wollten. Es hieß dann, im Moment würde niemand mehr gebraucht – aber gleichzeitig wurden andere Personen angenommen”, berichtet der russische Kriegsgegner.

Ein Sprecher der Regionalverwaltung blieb gegenüber der polnischen Zeitung Rzeczpospolita dabei, dass die Nationalität keine Rolle spiele, dass die Freiwilligen aber von den polnischen Sicherheitsbehörden überprüft würden. In der Praxis jedoch sähe das anders aus, wiederholt Flüchtlingshelfer Nurmanov: “Es gibt offenbar keine festen Regelungen. Manchmal kommt man mit dem russischen Pass auch durch. Je nachdem, wer gerade am Schalter sitzt.”

Bürokratische Hürden

Georgij Nurmanov stammt aus Omsk in Sibirien. Seit zehn Jahren lebt er als Piroggenproduzent in der polnischen Hauptstadt Warschau – aus politischen Gründen. Nurmanov ist ein ausgesprochener Gegner des russischen Präsidenten Wladimir Putin. Russlands Überfall auf die Ukraine verurteilt er scharf. In einem Dorf nahe Przemysl hat Nurmanov ein Haus gemietet, in dem bis zu 20 Freiwillige übernachten können. Der Telegram-Kanal von “Russians for Ukraine” hat mittlerweile über 2400 Mitglieder.

Russen unerwünscht

Bisher trugen die russischen Freiwilligen vor Ort weiße Westen mit dem englischen Schriftzug “Russians for Ukraine”. Doch dieses Outfit  ist seit kurzem auf dem Bahnhof nicht mehr willkommen: “Seit dem 1. Mai 2022 sind nur noch die gelben Westen zugelassen, die die polnischen Beamten verteilen. So können wir nicht mehr als ‘Russians for Ukraine’ identifiziert werden”, berichtet Georgij Nurmanov. Er sieht dahinter einerseits Diskriminierung – und andererseits ein politisch motiviertes Spiel der Behörden: “Das ist die Politik der hiesigen Nationalisten.”

Seit 2015 stellt die nationalkonservative Partei PiS (Recht und Gerechtigkeit) in Polen die Regierung. Auch die Verwaltung der Wojewodschaft dominieren PiS-Mitglieder. Ihre Konkurrenz stellen in der Region fremdenfeindliche Parteien, die noch weiter rechts stehen als die Regierungspartei. Wojciech Bakun, seit 2018 Bürgermeister von Przemysl, saß zuvor für die rechtspopulistische Partei “Kukiz’15” im polnischen Parlament.

Einige russische Flüchtlingshelfer berichten, Fremdenfeindlichkeit begegne ihnen auch bei ihrer Arbeit am Bahnhof von Przemysl. Die “Russians for Ukraine”-Freiwillige Ola Karon hat russisch-ukrainische Wurzeln und lebt derzeit in den Niederlanden. Für zwei Monate kam sie nach Przemysl, um Geflüchtete zu unterstützen. “Wir wollen hier keine Russen”, hörte sie von einer Polin am Bahnhof, die Olas Weste mit dem Logo “Russians for Ukraine” sah und sie Russisch sprechen hörte. “Ich war schockiert”, berichtet Karon im Gespräch mit der DW. “Ich bin doch extra hierhergekommen, um Menschen zu helfen, die vor Russlands Armee fliehen.”

“Hau ab nach Russland”

Ein polnischer Freiwilliger forderte einen russischen Flüchtlingshelfer gar vor Kurzem auf, die Weste mit dem “Russians for Ukraine”-Logo auszuziehen, da sie verboten sei. Als der Russe höflich nach der rechtlichen Grundlage für dieses Verbot fragte, bekam er zu hören: “Hier ist Polen, keiner wird sich bei dir entschuldigen, niemand wird dir irgendeine rechtliche Grundlage zeigen. Hau ab nach Russland.”

Was denn die rechtliche Grundlage für den russischen Angriff auf die Ukraine sei, wollte der Pole noch von dem “Russians for Ukraine”-Aktivisten wissen. “Die gibt es nicht, der Überfall ist illegal”, antwortete der Russe. So sei es auch mit dem Verbot der weißen Westen von “Russians for Ukraine”, erklärte daraufhin sein polnisches Gegenüber. Georgij Nurmanov und seine Mitarbeiter haben mehrere solcher Situationen mit Handys gefilmt und auf ihrem Telegram-Kanal veröffentlicht.

“Zeigen, dass nicht alle Russen diesen Krieg unterstützen”

Doch egal, ob bürokratische Hürden oder fremdenfeindliche Attacken die Arbeit von “Russians for Ukraine” behindern: Nurmanov und seine Mitstreiter lassen sich nicht entmutigen. Die Flüchtlingshilfe-Initiative ist nicht die erste, in der sich der Russe engagiert. 2016 hat er in Warschau die Kreml-kritische Stiftung WOT (Für ein freies Russland) mitgegründet.

An der Fassade des “Russians for Ukraine”-Hauses nahe der polnisch-ukrainischen Grenze prangt die weiß-blau-weiße Fahne, seit März 2022 das Symbol der russischen Kriegsgegner. In der Küche hängen Fotos der Freiwilligen, die bisher hierhergekommen sind, um ukrainischen Flüchtenden zu helfen. In den ersten 100 Tagen des Krieges waren das insgesamt 160 Helfer.

Russische Volontäre von der Initiative Russians for Ukraine

“Es sind sowohl Russen als auch russischsprachige Menschen, darunter viele, die unsere Heimat aus politischen Gründen verlassen haben”, erklärt Nurmanov, während er am Küchentisch zusammen mit seinen Mitarbeitern den Arbeitsplan für die nächsten Tage festlegt. “Unser gemeinsamer Nenner ist die russische Sprache.”

Noch am selben Abend muss er zwei Freiwillige nach Przemysl zum Zentrum für humanitäre Hilfe fahren, wo sie zwei andere Frauen nach zwölf Stunden Arbeit ablösen müssen. In dem früheren Kaufhaus befinden sich Schlafsäle und Aufenthaltsräume für hunderte Flüchtlinge. Verwaltet wird das Zentrum von lokalen Geschäftsleuten. Hier werden die russischen Freiwilligen mit offenen Armen empfangen.

Georgij Nurmanov und seinen Freunden macht das Mut. “Für uns ist es wichtig zu helfen – aber auch präsent zu sein”, sagt der Gründer von “Russians for Ukraine” der DW, “denn so können wir zeigen, dass nicht alle Russen diesen Krieg unterstützen. Wir fühlen uns verantwortlich dafür, was jetzt in der Ukraine geschieht.”

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