Tod nach Attentat: Shinzo Abes Vermächtnis für Japan
Er regierte Nippon fast acht Jahre lang, länger als jeder andere Politiker. Aber die Verfassungsreform, die Shinzo Abe lebenslang anstrebte, konnte er nicht durchsetzen. Nun starb der 67-Jährige nach einem Attentat.
Bereits zu Lebzeiten schieden sich die Geister an Shinzo Abe. Für seine Kritiker symbolisierte Abe das chauvinistische und rückwärtsgewandte Nippon, weil er als Premierminister einen Schlussstrich unter Japans Verantwortung für den Zweiten Weltkrieg in Asien gezogen hatte. Im Jahr 2015, zum 70. Jahrestag des Kriegsendes, bestätigte er zwar frühere Reue‑Bekundungen für die “Aktionen im Krieg”, aber entschuldigte sich nicht mehr. Sein Versprechen, ein “starkes und blühendes Japan” aufzubauen, erinnerte an das imperialistische Motto einer “reichen Nation, starken Armee” der Meiji‑Zeit in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Er wollte die pazifistische Verfassung, die Japan nach seiner Ansicht 1946 von den USA oktroyiert wurde, zugunsten eines stärkeren Staates überarbeiten. Seinen lebenslangen Reformtraum konnte er jedoch nie verwirklichen.
Wohlwollende betrachteten ihn als pragmatischen Reformer, der die Wirtschaft und das Bündnis mit den USA stärkte, “damit Japan niemals zu einer Nation zweiter Klasse absteigt”, wie er es einmal selbst formulierte. Zusammen mit der Notenbank setzte Abe auf eine ultralockere Geldpolitik und hohe Staatsausgaben und schloss bedeutende Handelsverträge mit der Europäischen Union und den Anrainerstaaten des Pazifiks ab. In seiner Amtszeit öffnete sich Japan so stark wie nie zuvor für ausländische Arbeitskräfte, Investoren und Touristen. Vor schmerzhaften Strukturreformen drückte er sich jedoch. Immerhin erbrachte seine Regierung den Nachweis, dass eine hochentwickelte Wirtschaft trotz einer schrumpfenden Bevölkerung wachsen kann.
Bereits zu Lebzeiten schieden sich die Geister an Shinzo Abe. Für seine Kritiker symbolisierte Abe das chauvinistische und rückwärtsgewandte Nippon, weil er als Premierminister einen Schlussstrich unter Japans Verantwortung für den Zweiten Weltkrieg in Asien gezogen hatte. Im Jahr 2015, zum 70. Jahrestag des Kriegsendes, bestätigte er zwar frühere Reue‑Bekundungen für die “Aktionen im Krieg”, aber entschuldigte sich nicht mehr. Sein Versprechen, ein “starkes und blühendes Japan” aufzubauen, erinnerte an das imperialistische Motto einer “reichen Nation, starken Armee” der Meiji‑Zeit in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Er wollte die pazifistische Verfassung, die Japan nach seiner Ansicht 1946 von den USA oktroyiert wurde, zugunsten eines stärkeren Staates überarbeiten. Seinen lebenslangen Reformtraum konnte er jedoch nie verwirklichen.
Ein wichtiges Erbe von Abe dürfte darin bestehen, Japan näher an Asien herangeführt zu haben. Mit seiner Vision von einem “freien und offenen Indopazifik” weckte der Politiker in Asien das Bewusstsein für das Hegemoniestreben Chinas und stärkte durch eine offensive Investitionspolitik die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Japan und der Region.
Ringen mit Chinas Hegemoniestreben
“Indien und Südostasien begrüßten das selbstbewusstere Japan als proaktiven und stabilisierenden Regionaleinfluss”, meinte Yoichi Funabashi, Chairman der Denkfabrik Asia Pacific Institute, beim Rücktritt von Abe 2020. Der historische Machtkampf zwischen China und den USA, der im Verlauf seiner Amtszeit deutlich eskalierte, zwang Abe zu einer Gratwanderung zwischen den beiden Supermächten. Dabei gelang es ihm, durch eine erweiterte Auslegung der japanischen Verfassung sowohl die Sicherheitsallianz mit den USA auszubauen als auch den Handel mit dem wichtigsten Wirtschaftspartner China vor Schaden zu bewahren.
Aus der Sicht von Zeitgeschichtlern vertrat Abe als erster Premier den neuen Konsens der japanischen Elite, das weltpolitische Gewicht ihres Landes langfristig zu sichern. Dieser Konsens hatte sich gebildet, nachdem Japan im Zuge der Finanzkrise von China als zweitgrößte Wirtschaftsmacht der Welt abgelöst wurde. Als Projekt der nationalen Stärkung ließ sich auch die Austragung der Olympischen Spiele in Tokio interpretieren, die sich durch die Corona‑Pandemie bis 2021 verzögerte. Mit seiner Versicherung, das Atomkraftwerk Fukushima sei unter Kontrolle, half Abe persönlich, Olympia nach Japan zu holen.
Doch viele außenpolitische Projekte blieben stecken, vor allem der erhoffte Friedensvertrag mit Russland und die Aufklärung des Schicksals von nach Nordkorea entführten Japanern.
Die Rekordlänge seiner Regierungszeit hatte Abe zwei Faktoren zu verdanken: Zum einen erlebte die japanische Wirtschaft mehrere Blütejahre, zum anderen blieb die Opposition immer schwach.
Die Jahre zwischen 2009 und 2012, in denen erstmals seit 1955 eine andere Partei als die Liberaldemokraten für längere Zeit an der Macht war, waren aufgrund der Unerfahrenheit ihrer Politiker sowie der Atom‑ und Tsunamikatastrophe von 2011 chaotisch verlaufen. Danach wagten die Wähler keine Experimente mehr und hielten Abe die Treue. Nicht einmal diverse Korruptionsskandale änderten dies. “Die Herstellung von politischer Stabilität lässt sich als sein wesentlicher Erfolg hervorheben”, meinte der deutsche Japan‑Experte Sebastian Maslow. Abe habe die Liberaldemokraten nach Jahren interner Machtkämpfe und vieler Finanzskandale rehabilitiert und wieder regierungsfähig gemacht.
Abe beeindruckte weder als Redner noch als Intellektueller. Was ihn an die politische Spitze brachte, war seine Abstammung aus einer begüterten Familie mit tiefen Wurzeln in der japanischen Politik. Sein Großonkel Eisaku Sato war ebenso Premierminister wie sein Großvater Nobusuke Kishi, sein Vater Shintaro brachte es zum Außenminister. Diese Herkunft verpflichtete.
“Das prägende Element seiner Karriere war Geschichtsrevisionismus”, kommentierte der deutsche Historiker Sven Saaler von der Tokioter Sophia‑Universität. Als herausragende Beispiele nannte Saaler die beschönigenden Darstellungen der japanischen Kriegsvergangenheit in den meisten Schulbüchern und die Wiedereinführung des Moralunterrichts. Nun ist Shinzo Abe nach einem Attentat bei einer Wahlkampfveranstaltung im Alter von 67 Jahren gestorben.
Bereits zu Lebzeiten schieden sich die Geister an Shinzo Abe. Für seine Kritiker symbolisierte Abe das chauvinistische und rückwärtsgewandte Nippon, weil er als Premierminister einen Schlussstrich unter Japans Verantwortung für den Zweiten Weltkrieg in Asien gezogen hatte. Im Jahr 2015, zum 70. Jahrestag des Kriegsendes, bestätigte er zwar frühere Reue‑Bekundungen für die “Aktionen im Krieg”, aber entschuldigte sich nicht mehr. Sein Versprechen, ein “starkes und blühendes Japan” aufzubauen, erinnerte an das imperialistische Motto einer “reichen Nation, starken Armee” der Meiji‑Zeit in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Er wollte die pazifistische Verfassung, die Japan nach seiner Ansicht 1946 von den USA oktroyiert wurde, zugunsten eines stärkeren Staates überarbeiten. Seinen lebenslangen Reformtraum konnte er jedoch nie verwirklichen.
Wohlwollende betrachteten ihn als pragmatischen Reformer, der die Wirtschaft und das Bündnis mit den USA stärkte, “damit Japan niemals zu einer Nation zweiter Klasse absteigt”, wie er es einmal selbst formulierte. Zusammen mit der Notenbank setzte Abe auf eine ultralockere Geldpolitik und hohe Staatsausgaben und schloss bedeutende Handelsverträge mit der Europäischen Union und den Anrainerstaaten des Pazifiks ab. In seiner Amtszeit öffnete sich Japan so stark wie nie zuvor für ausländische Arbeitskräfte, Investoren und Touristen. Vor schmerzhaften Strukturreformen drückte er sich jedoch. Immerhin erbrachte seine Regierung den Nachweis, dass eine hochentwickelte Wirtschaft trotz einer schrumpfenden Bevölkerung wachsen kann.
Ringen mit Chinas Hegemoniestreben
Ein wichtiges Erbe von Abe dürfte darin bestehen, Japan näher an Asien herangeführt zu haben. Mit seiner Vision von einem “freien und offenen Indopazifik” weckte der Politiker in Asien das Bewusstsein für das Hegemoniestreben Chinas und stärkte durch eine offensive Investitionspolitik die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Japan und der Region.
“Indien und Südostasien begrüßten das selbstbewusstere Japan als proaktiven und stabilisierenden Regionaleinfluss”, meinte Yoichi Funabashi, Chairman der Denkfabrik Asia Pacific Institute, beim Rücktritt von Abe 2020. Der historische Machtkampf zwischen China und den USA, der im Verlauf seiner Amtszeit deutlich eskalierte, zwang Abe zu einer Gratwanderung zwischen den beiden Supermächten. Dabei gelang es ihm, durch eine erweiterte Auslegung der japanischen Verfassung sowohl die Sicherheitsallianz mit den USA auszubauen als auch den Handel mit dem wichtigsten Wirtschaftspartner China vor Schaden zu bewahren.
Aus der Sicht von Zeitgeschichtlern vertrat Abe als erster Premier den neuen Konsens der japanischen Elite, das weltpolitische Gewicht ihres Landes langfristig zu sichern. Dieser Konsens hatte sich gebildet, nachdem Japan im Zuge der Finanzkrise von China als zweitgrößte Wirtschaftsmacht der Welt abgelöst wurde. Als Projekt der nationalen Stärkung ließ sich auch die Austragung der Olympischen Spiele in Tokio interpretieren, die sich durch die Corona‑Pandemie bis 2021 verzögerte. Mit seiner Versicherung, das Atomkraftwerk Fukushima sei unter Kontrolle, half Abe persönlich, Olympia nach Japan zu holen.
Doch viele außenpolitische Projekte blieben stecken, vor allem der erhoffte Friedensvertrag mit Russland und die Aufklärung des Schicksals von nach Nordkorea entführten Japanern.
Spross einer Politiker‑Dynastie
Die Rekordlänge seiner Regierungszeit hatte Abe zwei Faktoren zu verdanken: Zum einen erlebte die japanische Wirtschaft mehrere Blütejahre, zum anderen blieb die Opposition immer schwach.
Die Jahre zwischen 2009 und 2012, in denen erstmals seit 1955 eine andere Partei als die Liberaldemokraten für längere Zeit an der Macht war, waren aufgrund der Unerfahrenheit ihrer Politiker sowie der Atom‑ und Tsunamikatastrophe von 2011 chaotisch verlaufen. Danach wagten die Wähler keine Experimente mehr und hielten Abe die Treue. Nicht einmal diverse Korruptionsskandale änderten dies. “Die Herstellung von politischer Stabilität lässt sich als sein wesentlicher Erfolg hervorheben”, meinte der deutsche Japan‑Experte Sebastian Maslow. Abe habe die Liberaldemokraten nach Jahren interner Machtkämpfe und vieler Finanzskandale rehabilitiert und wieder regierungsfähig gemacht.
Abe beeindruckte weder als Redner noch als Intellektueller. Was ihn an die politische Spitze brachte, war seine Abstammung aus einer begüterten Familie mit tiefen Wurzeln in der japanischen Politik. Sein Großonkel Eisaku Sato war ebenso Premierminister wie sein Großvater Nobusuke Kishi, sein Vater Shintaro brachte es zum Außenminister. Diese Herkunft verpflichtete.
“Das prägende Element seiner Karriere war Geschichtsrevisionismus”, kommentierte der deutsche Historiker Sven Saaler von der Tokioter Sophia‑Universität. Als herausragende Beispiele nannte Saaler die beschönigenden Darstellungen der japanischen Kriegsvergangenheit in den meisten Schulbüchern und die Wiedereinführung des Moralunterrichts. Nun ist Shinzo Abe nach einem Attentat bei einer Wahlkampfveranstaltung im Alter von 67 Jahren gestorben.