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Zäsur in Kolumbien: Ex-Guerillero Gustavo Petro tritt Präsidentenamt an

In Kolumbien zieht erstmals in der jüngeren Geschichte ein linker Politiker in den Präsidentenpalast ein. Gustavo Petro, Ex-Guerilla-Kämpfer und Bürgermeister von Bogotá, tritt an diesem Sonntag sein Amt an. Ein Porträt.

Er hat es geschafft: Beim dritten Anlauf ging der 62jährige kolumbianische Politiker Gustavo Petro bei den Präsidentschaftswahlen als Sieger hervor und tritt an diesem Sonntag sein Amt an. Als Konsenskandidat großer Teile des linken Parteienspektrums setzte sich der fünffache Vater und Volkswirt in der Stichwahl am 19. Juni mit 50,5 Prozent gegen den parteilosen Unternehmer Rodolfo Hernández durch.

Wie der Name des Wahlbündnisses “Pacto Histórico” (“Historischer Pakt”) verheißt, könnte Petros Wahlsieg tatsächlich einen Wendepunkt in der kolumbianischen Geschichte markieren. Denn er ist der erste linke Präsident der Republik Kolumbien.

Er hat es geschafft: Beim dritten Anlauf ging der 62jährige kolumbianische Politiker Gustavo Petro bei den Präsidentschaftswahlen als Sieger hervor und tritt an diesem Sonntag sein Amt an. Als Konsenskandidat großer Teile des linken Parteienspektrums setzte sich der fünffache Vater und Volkswirt in der Stichwahl am 19. Juni mit 50,5 Prozent gegen den parteilosen Unternehmer Rodolfo Hernández durch.

Fast 140 Jahre lang hatten stets Präsidenten aus konservativen oder liberalen Parteien die Geschicke des Landes gelenkt. Während in vielen Ländern Lateinamerikas linke Parteien seit Jahrzehnten die Politik mitbestimmen, blieb die kolumbianische Mehrheit skeptisch gegenüber linkem Gedankengut.

Als Teen in die Guerilla

Zu traumatisch waren die Erfahrungen mit den unterschiedlichen Guerilla-Gruppen, die seit Mitte des 20. Jahrhunderts versucht haben, die Herrschafts- und Besitzverhältnisse im Land mit Gewalt zu verändern – allen voran die “Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia”, kurz FARC, mit der die Regierung 2016 einen Friedensvertrag schloss. 

Umso überraschender wirkt es, dass die Kolumbianer nun ausgerechnet ein Ex-Guerillero zum Staatschef erkoren haben. Als Kind eines Lehrers studierte Gustavo Petro Volkswirtschaftslehre an einer privaten Universität. Während seiner Studienzeit schloss er sich der Bewegung “Movimiento 19 de Abril” an.

Die Bewegung hatte sich 1970 gegründet, nachdem der Kandidat der linken Alianza Nacional Popular, Gustavo Rojas Pinilla, durch mutmaßlichen Wahlbetrug um den Sieg gebracht worden war.

Von diesem Zeitpunkt an führte Petro gewissermaßen ein Doppelleben: Nach abgeschlossenem Studium trat er 1980 offiziell in den Dienst der zentralkolumbianischen Stadt Zipaquirá ein und wurde später Stadtverordneter. Parallel dazu engagierte er sich als “Coronel Aureliano” in der M-19. Den Namen gab er sich nach einer Figur im Roman “100 Jahre Einsamkeit” von seinem Landsmann und Idol, dem Literaturnobelpreisträger Gabriel García Márquez.

In dieser Zeit verübte die M-19 zahlreiche Verbrechen – darunter Entführungen, Morde und Angriffe auf militärische und polizeiliche Einrichtungen. In wie viele davon Petro verwickelt war, ist unbekannt. Denn Hunderte Verbrechen der M-19 hat Kolumbien bisher nicht gerichtlich aufgearbeitet.

Um das zu ändern, hat der kolumbianische Journalist Francois Roger Cavard nach eigenen Angaben Beweise für 40 dieser Verbrechen gesammelt und Klagen eingereicht. Eine davon hat der Nationale Gerichtshof von Spanien kürzlich zugelassen. Darin wird Gustavo Petro beschuldigt, im Jahr 1981 an der Entführung des 2014 verstorbenen spanischen Journalisten Fernando González Pacheco beteiligt gewesen zu sein.

Petro stand schon einmal als Guerilla vor Gericht: 1985 wurde er wegen illegalen Waffenbesitzes festgenommen, gefoltert und wegen Verschwörung zu 18 Monaten Haft verurteilt. Als die M-19 im Jahr 1990 die Waffen niederlegte und zur politischen Partei Alianza Democrática M-19 wurde, kandidierte Petro für einen Sitz im kolumbianischen Parlament und zog als Abgeordneter ins Unterhaus ein.

Die Wiederwahl 1994 glückte nicht. Nachdem zahlreichen Morddrohungen ließ sich Petro in den 1990er Jahren als Diplomat nach Belgien entsenden. Nach seiner Rückkehr zog er erneut ins Parlament ein – erst als Abgeordneter, dann als Senator.

Einen Namen machte er sich vor allem damit, dass er die Verbindungen des damaligen Präsidenten Alvaro Uribe mit der rechten Terrororganisation “Vereinigten Selbstverteidigungskräfte Kolumbiens” (AUC) aufdeckte und ihm damit zahlreiche Verfahren einbrachte.

Wohl auch durch diesen Erfolg wurde er bei der Präsidentschaftskandidatur 2010 zum Kandidaten der gemäßigten linken Partei PDA (Polo Democrático Alternativo), schied jedoch im ersten Wahlgang aus. Zwei Jahre später gewann er die Wahl zum Bürgermeister von Bogotá. 

Im Amt setzte er unter anderem strengere Waffenkontrollen in der Hauptstadt durch, stärkte den öffentlichen Transportsektor und richtete ein Frauen-Sekretariat sowie eine zentrale Anlaufstelle für die LGBTI-Community ein. Vor allem aber unterstützte er ärmere Bevölkerungsschichten mit Sozialprogrammen.

Bei der Präsidentschaftswahl 2018 unterlag Petro in der Stichwahl dem mittlerweile extrem unbeliebten Präsidenten Iván Duque. Diesmal ist er – noch mehr als damals – mit einem moderat linken Wahlprogramm angetreten: Der Volkswirt hat sich für eine eine höhere Unternehmensbesteuerung ausgesprochen und will die umweltzerstörerische Ausbeutung von Bodenschätzen einschränken.

Gleichzeitig soll es unter seiner Präsidentschaft keine Enteignung von Privateigentum geben. Dafür hatte er medienwirksam unter notarieller Aufsicht einen Eid geleistet. Auch wenn der Schwur wohl rechtlich nicht bindend ist, war das politische Signal deutlich.

“Kolumbien braucht keinen Sozialismus, sondern Demokratie”, erklärte Petro im vergangenen September gegenüber der spanischen Tageszeitung “El Pais”. Und bei seiner Siegesrede rief er seinen jubelnden Anhängern zur: “Wir wollen den Kapitalismus in Kolumbien weiterentwickeln.” Dazu solle nach Petros Worten neben einem sozialen Ausgleich auch eine “Umweltgerechtigkeit” gehören.

Die dritte Hauptbotschaft, die Petro auch am Wahlabend wiederholte, ist ein Dauerbrenner in Kolumbien: der Friede. Dieses Ziel eint die überwältigende Mehrheit der Menschen im Land, und eine knappe Mehrheit scheint ihn für den richtigen Präsidenten zu halten, es zu erreichen.

Viele Anhänger seines Gegenkandidaten aber eint die Sorge, Petro wolle Kolumbien entgegen seiner Versprechen zu einem weiteren Venezuela machen. Dass sein Wahlsieg ein historischer Meilenstein ist, darüber sind sich die meisten Kommentatoren einig. In welche Richtung diese Wende führt, liegt nun in Petros Händen.

Das Porträt wurde am 5.08.2022 und 20.06.2022 aktualisiert.

M-19-Guerrilleros im Jahr 1989 bei der Beerdigung eines führenden Mitglieds
Kolumbien Centro Democratico - Vor Wahlen

Er hat es geschafft: Beim dritten Anlauf ging der 62jährige kolumbianische Politiker Gustavo Petro bei den Präsidentschaftswahlen als Sieger hervor und tritt an diesem Sonntag sein Amt an. Als Konsenskandidat großer Teile des linken Parteienspektrums setzte sich der fünffache Vater und Volkswirt in der Stichwahl am 19. Juni mit 50,5 Prozent gegen den parteilosen Unternehmer Rodolfo Hernández durch.

Wie der Name des Wahlbündnisses “Pacto Histórico” (“Historischer Pakt”) verheißt, könnte Petros Wahlsieg tatsächlich einen Wendepunkt in der kolumbianischen Geschichte markieren. Denn er ist der erste linke Präsident der Republik Kolumbien.

Als Teen in die Guerilla

Fast 140 Jahre lang hatten stets Präsidenten aus konservativen oder liberalen Parteien die Geschicke des Landes gelenkt. Während in vielen Ländern Lateinamerikas linke Parteien seit Jahrzehnten die Politik mitbestimmen, blieb die kolumbianische Mehrheit skeptisch gegenüber linkem Gedankengut.

Zu traumatisch waren die Erfahrungen mit den unterschiedlichen Guerilla-Gruppen, die seit Mitte des 20. Jahrhunderts versucht haben, die Herrschafts- und Besitzverhältnisse im Land mit Gewalt zu verändern – allen voran die “Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia”, kurz FARC, mit der die Regierung 2016 einen Friedensvertrag schloss. 

Umso überraschender wirkt es, dass die Kolumbianer nun ausgerechnet ein Ex-Guerillero zum Staatschef erkoren haben. Als Kind eines Lehrers studierte Gustavo Petro Volkswirtschaftslehre an einer privaten Universität. Während seiner Studienzeit schloss er sich der Bewegung “Movimiento 19 de Abril” an.

Die Bewegung hatte sich 1970 gegründet, nachdem der Kandidat der linken Alianza Nacional Popular, Gustavo Rojas Pinilla, durch mutmaßlichen Wahlbetrug um den Sieg gebracht worden war.

Diplomatische Auszeit in Belgien

Von diesem Zeitpunkt an führte Petro gewissermaßen ein Doppelleben: Nach abgeschlossenem Studium trat er 1980 offiziell in den Dienst der zentralkolumbianischen Stadt Zipaquirá ein und wurde später Stadtverordneter. Parallel dazu engagierte er sich als “Coronel Aureliano” in der M-19. Den Namen gab er sich nach einer Figur im Roman “100 Jahre Einsamkeit” von seinem Landsmann und Idol, dem Literaturnobelpreisträger Gabriel García Márquez.

Ökologisch-sozialer Kapitalismus?

In dieser Zeit verübte die M-19 zahlreiche Verbrechen – darunter Entführungen, Morde und Angriffe auf militärische und polizeiliche Einrichtungen. In wie viele davon Petro verwickelt war, ist unbekannt. Denn Hunderte Verbrechen der M-19 hat Kolumbien bisher nicht gerichtlich aufgearbeitet.

Um das zu ändern, hat der kolumbianische Journalist Francois Roger Cavard nach eigenen Angaben Beweise für 40 dieser Verbrechen gesammelt und Klagen eingereicht. Eine davon hat der Nationale Gerichtshof von Spanien kürzlich zugelassen. Darin wird Gustavo Petro beschuldigt, im Jahr 1981 an der Entführung des 2014 verstorbenen spanischen Journalisten Fernando González Pacheco beteiligt gewesen zu sein.

Petro stand schon einmal als Guerilla vor Gericht: 1985 wurde er wegen illegalen Waffenbesitzes festgenommen, gefoltert und wegen Verschwörung zu 18 Monaten Haft verurteilt. Als die M-19 im Jahr 1990 die Waffen niederlegte und zur politischen Partei Alianza Democrática M-19 wurde, kandidierte Petro für einen Sitz im kolumbianischen Parlament und zog als Abgeordneter ins Unterhaus ein.

Gelingt es Petro, Kolumbien zu einen?

Die Wiederwahl 1994 glückte nicht. Nachdem zahlreichen Morddrohungen ließ sich Petro in den 1990er Jahren als Diplomat nach Belgien entsenden. Nach seiner Rückkehr zog er erneut ins Parlament ein – erst als Abgeordneter, dann als Senator.

Einen Namen machte er sich vor allem damit, dass er die Verbindungen des damaligen Präsidenten Alvaro Uribe mit der rechten Terrororganisation “Vereinigten Selbstverteidigungskräfte Kolumbiens” (AUC) aufdeckte und ihm damit zahlreiche Verfahren einbrachte.

Wohl auch durch diesen Erfolg wurde er bei der Präsidentschaftskandidatur 2010 zum Kandidaten der gemäßigten linken Partei PDA (Polo Democrático Alternativo), schied jedoch im ersten Wahlgang aus. Zwei Jahre später gewann er die Wahl zum Bürgermeister von Bogotá. 

Im Amt setzte er unter anderem strengere Waffenkontrollen in der Hauptstadt durch, stärkte den öffentlichen Transportsektor und richtete ein Frauen-Sekretariat sowie eine zentrale Anlaufstelle für die LGBTI-Community ein. Vor allem aber unterstützte er ärmere Bevölkerungsschichten mit Sozialprogrammen.

Kolumbien Francia Marquez und Gustavo Petro auf einer Wahlkampfbühne

Bei der Präsidentschaftswahl 2018 unterlag Petro in der Stichwahl dem mittlerweile extrem unbeliebten Präsidenten Iván Duque. Diesmal ist er – noch mehr als damals – mit einem moderat linken Wahlprogramm angetreten: Der Volkswirt hat sich für eine eine höhere Unternehmensbesteuerung ausgesprochen und will die umweltzerstörerische Ausbeutung von Bodenschätzen einschränken.

Gleichzeitig soll es unter seiner Präsidentschaft keine Enteignung von Privateigentum geben. Dafür hatte er medienwirksam unter notarieller Aufsicht einen Eid geleistet. Auch wenn der Schwur wohl rechtlich nicht bindend ist, war das politische Signal deutlich.

“Kolumbien braucht keinen Sozialismus, sondern Demokratie”, erklärte Petro im vergangenen September gegenüber der spanischen Tageszeitung “El Pais”. Und bei seiner Siegesrede rief er seinen jubelnden Anhängern zur: “Wir wollen den Kapitalismus in Kolumbien weiterentwickeln.” Dazu solle nach Petros Worten neben einem sozialen Ausgleich auch eine “Umweltgerechtigkeit” gehören.

Die dritte Hauptbotschaft, die Petro auch am Wahlabend wiederholte, ist ein Dauerbrenner in Kolumbien: der Friede. Dieses Ziel eint die überwältigende Mehrheit der Menschen im Land, und eine knappe Mehrheit scheint ihn für den richtigen Präsidenten zu halten, es zu erreichen.

Viele Anhänger seines Gegenkandidaten aber eint die Sorge, Petro wolle Kolumbien entgegen seiner Versprechen zu einem weiteren Venezuela machen. Dass sein Wahlsieg ein historischer Meilenstein ist, darüber sind sich die meisten Kommentatoren einig. In welche Richtung diese Wende führt, liegt nun in Petros Händen.

Das Porträt wurde am 5.08.2022 und 20.06.2022 aktualisiert.

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