Welt

Alaa Abd El-Fattah: Im Hungerstreik und hinter Kairos Gittern

2011 wurden die Demokratie-Aktivisten in Ägypten gefeiert. Heute haben viele von ihnen das Land verlassen oder sitzen hinter Gittern wie Alaa Abd El-Fattah, einst Ikone der Aufstände. Seit April ist er im Hungerstreik.

Bis vor wenigen Wochen wusste Mona Seif nicht mal, ob ihr Bruder überhaupt noch lebt: 
Alaa Abd El-Fattah ist einer der prominentesten politischen Gefangenen in Ägypten und seit Anfang April im Hungerstreik – im Protest gegen seine Inhaftierung und seine Haftbedingungen. Mitte Juli brach auf einmal Abd El-Fattahs Kontakt zur Außenwelt ab. Fast zehn Tage lang hatten die Familienangehörigen nichts von ihm gehört, Gefängnisbeamte hatten behauptet, er weigere sich, sie zu sehen, berichtete Amnesty International. Dabei sind die Treffen mit der Familie genau das, was Alaa Abd El-Fattah seit Jahren noch am Leben hält.

“Alaa ist uns allen sehr nah, unsere Mutter ist seine beste Freundin”, sagt Mona Seif, die in der Krebsforschung arbeitet. Nach internationalem Aufruhr durfte seine Mutter Laila Soueif, eine Universitätsprofessorin, ihn schließlich zehn Tage später sehen, eine Glasscheibe trennte die beiden, Umarmungen sind schon lange verboten. Sie erzählte ihm von den Geschehnissen in der Welt, der Inflation, den gestiegenen Kraftstoffpreisen, den Kriegen.

Bis vor wenigen Wochen wusste Mona Seif nicht mal, ob ihr Bruder überhaupt noch lebt: 
Alaa Abd El-Fattah ist einer der prominentesten politischen Gefangenen in Ägypten und seit Anfang April im Hungerstreik – im Protest gegen seine Inhaftierung und seine Haftbedingungen. Mitte Juli brach auf einmal Abd El-Fattahs Kontakt zur Außenwelt ab. Fast zehn Tage lang hatten die Familienangehörigen nichts von ihm gehört, Gefängnisbeamte hatten behauptet, er weigere sich, sie zu sehen, berichtete Amnesty International. Dabei sind die Treffen mit der Familie genau das, was Alaa Abd El-Fattah seit Jahren noch am Leben hält.

Sie erzählte es ihm, um ihn am Weltgeschehen teilhaben zu lassen. Kurze Zeit darauf meldete er sich mit einem Brief aus dem Gefängnis zu Wort, seine Schwester Mona Seif veröffentlicht Auszüge: Der Besuch seiner Mutter habe ihm gezeigt, dass alles, was sie ihm über die jetzige Welt erzählt habe, für ihn neu sei. “Erschreckenderweise fehlt mir der Zusammenhang. Ich bemühe mich den ganzen Tag mich daran zu erinnern, was ich weiß, um mir ein Bild zu machen, um mein Weltbild zu erneuern, aber dann verzweifele ich und fühle mich hilflos und verloren. Ich weine.”

Folter und Isolation im Gefängnis

Mona Seif erzählt von den jahrelangen schwierigen Haftbedingungen ihres Bruders, von Folter, von der Isolation, dem Verbot Zeitungen zu lesen. Die Behörden würden nicht wollen, dass er etwas über das Weltgeschehen mitbekomme. Seine Hoffnung und Erinnerung an eine Zeit, in der es um den Traum von Würde und Menschenrechten ging, sollen endgültig ausradiert werden.

Alaa Abd El-Fattah war mit seinen Visionen und Texten während der Aufstände von 2011 eine Art internationale Ikone der Demokratiebewegung Ägyptens geworden. Er war charismatisch, hielt Reden in fließendem Englisch, trat auch im Ausland auf. Seine Texte, von denen einige aus dem Gefängnis geschmuggelt wurden, wurden dieses Jahr als Buch mit dem Titel “You Have Not Been Defeated” veröffentlicht.

Dass Langzeitherrscher und Diktator Hosni Mubarak schließlich im Februar 2011 aus dem Amt gejagt wurde, gab ihm und Tausenden anderen die Hoffnung, dass Ägypten sich ändern könne. Er beschloss, sein Leben mit seiner Frau Manal in Kairo zu verbringen – eigentlich wollte er nach Südafrika auswandern. Wenige Monate später wurde ihr Sohn Khalid geboren. Alaa Abd El-Fattah ist die zweifelhafte Ehre zu Teil geworden, unter Hosni Mubarak, dem islamistischen Führer Mohamed Mursi und jetzt unter Abdel Fattah el-Sisi, dem General, der offiziell seit Juni 2014 Ägyptens Präsident ist, politischer Gefangener oder Angeklagter gewesen zu sein. Besonders aber ist er dem Regime von Abdel Fattah el-Sisi ein Dorn im Auge.

“Die ägyptischen Behörden haben es auf Alaa Abd El-Fattah abgesehen, weil er Prinzipien hat”, sagt Amr Magdi, Senior Researcher in der Nahost/Nordafrika-Abteilung bei der Organisation Human Rights Watch (HRW) in Berlin. “Sie zielen hauptsächlich auf Menschen, die an ihren Prinzipien festhalten und demokratische und menschenrechtliche Werte verteidigen.” Dazu komme: “Alaa hat die Fähigkeit, Menschen zu begeistern. Er hat das Potenzial, ein Anführer zu sein.” Das wisse die Regierung und wolle das verhindern – mit allen Mitteln.

Den Großteil des vergangenen Jahrzehnts hat der mittlerweile 40-jährige Softwareentwickler und Demokratie-Aktivist in ägyptischen Gefängnissen verbracht. Zuletzt wurde er im Dezember 2021 nach zwei Jahren Untersuchungshaft in einem Schnellverfahren zu weiteren fünf Jahren Haft verurteilt. Der Vorwurf: Mitgliedschaft und Finanzierung einer terroristischen Organisation. Vorwürfe, mit denen viele Inhaftierte belegt werden. Außerdem wurde ihm Verbreitung von Falschnachrichten vorgeworfen. Er hatte im Internet den Post eines anderen über Haftbedingungen in Ägyptens berüchtigtem Tora Gefängnis geteilt.

Ein Gefängnis, in dem er schließlich selbst einige Zeit verbringen musste, bis er im Mai ins Wadi Natroun Gefängnis verlegt wurde – auf den Druck einer öffentliche Kampagne hin, dem Einsatz des britischen Konsulats und einiger britischer Abgeordneter. Da seine Mutter lange Zeit in England gelebt hat, hat Alaa Abd El-Fattah seit Ende 2021 ebenfalls die britische Staatsangehörigkeit. In Wadi Natroun dürfe er wenigstens Bücher lesen, sagt seine Schwester.

Sein Hungerstreik ist auch ein Protest dagegen, dass dem britischen Konsulat seit gut sechs Monaten kein Zugang zu ihm gestattet wird. Die Familie hat bereits mehrfach an Liz Truss, die mögliche Nachfolgerin von Großbritanniens Noch-Premier Boris Johnson, appelliert, sich für ihren Sohn und Bruder einzusetzen. Sie wolle sich stark machen, hieß es. Die Familie wartet immer noch darauf.

In seinem jüngsten Brief beschreibt Alaa Abd El-Fattah auch seine Begegnungen mit anderen politischen Gefangenen im Wadi Natroun-Gefängnis. Viele seien schon inhaftiert worden, als sie noch Minderjährige waren. Es täte ihm leid, da sie nie die Möglichkeit gehabt hätten, ihr Leben zu leben, zu heiraten, Kinder zu bekommen. Auch viele von Abd El-Fattahs Mistreitern sind politische Gefangene – oft unter entsetzlichen Bedingungen. “Alaa und alle Gefangenen sind ein Symbol für uns alle, die 2011 für ein besseres Leben auf die Straße gegangen sind, daher wurden viele von uns inhaftiert”, sagt eine 34-jährige Frau, die ihren Namen nicht nennen will. Sie hat damals, 2011, auch demonstriert und Ägypten mittlerweile verlassen. 

Tatsächlich ist die Menschenrechtslage in Ägypten prekär. Unterschiedlichen Schätzungen zufolge sollen etwa 60.000 politische Gefangene in den Gefängnissen Ägyptens seit der Machtübernahme von El-Sisi 2013 sitzen. Reporter ohne Grenzen beschreibt Ägypten als eines der weltweit größten Gefängnisse für Journalisten. “Die Hoffnungen auf Freiheit, die der Revolution von 2011 entsprangen, scheinen nun in weite Ferne gerückt”, heißt es dort. Das bestätigt auch Amr Magdi: “Wenn wir uns die jüngere Vergangenheit Ägyptens anschauen, unter den Präsidenten Anwar Sadat, Hosni Mubarak und Mohamed Morsi, dann war die Menschenrechtssituation noch nie so schlimm wie heute”, sagt er. 

“Es gibt diese seltsamen Gerichtsurteile, wo ein Richter fünf Minuten im Gerichtssaal erscheint und 500 Menschen zum Tode verurteilt.” Erst im Januar hatte eine der wichtigsten Menschenrechtsorganisationen in Kairo, das “Arabische Netzwerk für Menschenrechte” (Arabic Network for Human Rights, ANHRI) seine Arbeit offiziell eingestellt. Die Begründung: In Ägypten gebe es nicht mal ein Minimum an Rechtsstaatlichkeit und Respekt für Menschenrechte. Dazu gibt es ein neues NGO-Gesetz, dass es Organisationen in Zukunft unmöglich macht, unabhängig zu arbeiten.

Nicht nur Alaa Abd El-Fattah ist mit den Grausamkeiten der Autoritarismus Ägyptens bestens vertraut, auch seine Familie. Seine Schwester Mona Seif wurde geboren, während ihr Vater Ahmad Seif el-Islam, der später Menschenrechtsanwalt wurde, im Gefängnis saß. Seine Schwester Sanaa Seif saß bis Dezember 2021 ebenfalls 18 Monate wegen “Verbreitung falscher Nachrichten” im Gefängnis. Amnesty International verurteilte ihre Inhaftierung. 

Alaa Abd El-Fattah wünscht sich ein Leben in Freiheit mit seinem Sohn und seiner Frau. Die Familie hofft, dass sie Rückendeckung aus Großbritannien und anderen Ländern bekommt, auch aus Deutschland.

Zwar würden deutsche oder europäische Politiker der Menschenrechtslage in Ägypten immer wieder einen Teil ihrer Aufmerksamkeit schenken, aber in den letzten Jahren habe man die Menschenrechte nie in den Mittelpunkt gestellt, sagt Amr Magdi von HRW. “Wir wollen, dass sich diese Länder konsequent zu Menschenrechten äußern, um Druck auf die ägyptische Regierung auszuüben. Wir rufen auch dazu auf, die ägyptische Regierung nicht weiter mit Waffen zu versorgen”, so Magdi.

Tatsächlich gehört Ägypten zu den Top-Abnehmern der deutschen Rüstungsindustrie, und auch die Wirtschaftsbeziehungen florieren. Bundesaußenministerin Annalena Baerbock hat zwar bereits eine restriktivere Politik angekündigt, die Waffenlieferungen von der Durchsetzung der Menschenrechte im Land abhängig mache. Doch bisher zeigt sich das noch nicht mit Blick auf Ägypten.

Derweil hat Ägyptens Machthaber El-Sisi einen nationalen politischen Dialog angestoßen, bei dem alle Partei- und Jugendströmungen sich den aktuellen Herausforderungen des Landes stellen sollen. “Es ist kein erfolgreicher Dialog möglich, ohne das Problem willkürlicher Inhaftierungen und Strafverfolgungen anzuerkennen und Tausende von Gefangenen freizulassen”, sagt Amr Magdi. Doch ob das passiert, ist eher fraglich.

Mona Seif hofft derweil, dass die Politik die damals gefeierten Demokratie-Aktivisten nicht vergisst und ihre Familie eines Tages wieder vereint sein kann. Eine Zukunft sieht sie nur außerhalb Ägyptens, sollte es der gesundheitliche Zustand ihres Bruders zulassen: “Ich glaube nicht, dass das gegenwärtige Regime es ihm erlauben würde, sich ein Leben aufzubauen, ohne ihn erneut zu inhaftieren.”

 

Ägypten Giza | Alaa Abdel-Fattah, Mona Seif und Laila Soueif
Ägypten Kairo | Alaa Abdel-Fattah, Mona Seif
England London | Protest für Freilassung von Zazanin Zaghari-Ratcliffe und Alaa Abdel-Fattah

Bis vor wenigen Wochen wusste Mona Seif nicht mal, ob ihr Bruder überhaupt noch lebt: 
Alaa Abd El-Fattah ist einer der prominentesten politischen Gefangenen in Ägypten und seit Anfang April im Hungerstreik – im Protest gegen seine Inhaftierung und seine Haftbedingungen. Mitte Juli brach auf einmal Abd El-Fattahs Kontakt zur Außenwelt ab. Fast zehn Tage lang hatten die Familienangehörigen nichts von ihm gehört, Gefängnisbeamte hatten behauptet, er weigere sich, sie zu sehen, berichtete Amnesty International. Dabei sind die Treffen mit der Familie genau das, was Alaa Abd El-Fattah seit Jahren noch am Leben hält.

“Alaa ist uns allen sehr nah, unsere Mutter ist seine beste Freundin”, sagt Mona Seif, die in der Krebsforschung arbeitet. Nach internationalem Aufruhr durfte seine Mutter Laila Soueif, eine Universitätsprofessorin, ihn schließlich zehn Tage später sehen, eine Glasscheibe trennte die beiden, Umarmungen sind schon lange verboten. Sie erzählte ihm von den Geschehnissen in der Welt, der Inflation, den gestiegenen Kraftstoffpreisen, den Kriegen.

Folter und Isolation im Gefängnis

Sie erzählte es ihm, um ihn am Weltgeschehen teilhaben zu lassen. Kurze Zeit darauf meldete er sich mit einem Brief aus dem Gefängnis zu Wort, seine Schwester Mona Seif veröffentlicht Auszüge: Der Besuch seiner Mutter habe ihm gezeigt, dass alles, was sie ihm über die jetzige Welt erzählt habe, für ihn neu sei. “Erschreckenderweise fehlt mir der Zusammenhang. Ich bemühe mich den ganzen Tag mich daran zu erinnern, was ich weiß, um mir ein Bild zu machen, um mein Weltbild zu erneuern, aber dann verzweifele ich und fühle mich hilflos und verloren. Ich weine.”

Mona Seif erzählt von den jahrelangen schwierigen Haftbedingungen ihres Bruders, von Folter, von der Isolation, dem Verbot Zeitungen zu lesen. Die Behörden würden nicht wollen, dass er etwas über das Weltgeschehen mitbekomme. Seine Hoffnung und Erinnerung an eine Zeit, in der es um den Traum von Würde und Menschenrechten ging, sollen endgültig ausradiert werden.

Alaa Abd El-Fattah war mit seinen Visionen und Texten während der Aufstände von 2011 eine Art internationale Ikone der Demokratiebewegung Ägyptens geworden. Er war charismatisch, hielt Reden in fließendem Englisch, trat auch im Ausland auf. Seine Texte, von denen einige aus dem Gefängnis geschmuggelt wurden, wurden dieses Jahr als Buch mit dem Titel “You Have Not Been Defeated” veröffentlicht.

Dass Langzeitherrscher und Diktator Hosni Mubarak schließlich im Februar 2011 aus dem Amt gejagt wurde, gab ihm und Tausenden anderen die Hoffnung, dass Ägypten sich ändern könne. Er beschloss, sein Leben mit seiner Frau Manal in Kairo zu verbringen – eigentlich wollte er nach Südafrika auswandern. Wenige Monate später wurde ihr Sohn Khalid geboren. Alaa Abd El-Fattah ist die zweifelhafte Ehre zu Teil geworden, unter Hosni Mubarak, dem islamistischen Führer Mohamed Mursi und jetzt unter Abdel Fattah el-Sisi, dem General, der offiziell seit Juni 2014 Ägyptens Präsident ist, politischer Gefangener oder Angeklagter gewesen zu sein. Besonders aber ist er dem Regime von Abdel Fattah el-Sisi ein Dorn im Auge.

Alaa Abd El-Fattah “hat das Potenzial, ein Anführer zu sein”

“Die ägyptischen Behörden haben es auf Alaa Abd El-Fattah abgesehen, weil er Prinzipien hat”, sagt Amr Magdi, Senior Researcher in der Nahost/Nordafrika-Abteilung bei der Organisation Human Rights Watch (HRW) in Berlin. “Sie zielen hauptsächlich auf Menschen, die an ihren Prinzipien festhalten und demokratische und menschenrechtliche Werte verteidigen.” Dazu komme: “Alaa hat die Fähigkeit, Menschen zu begeistern. Er hat das Potenzial, ein Anführer zu sein.” Das wisse die Regierung und wolle das verhindern – mit allen Mitteln.

Bitte um Hilfe aus Großbritannien 

Den Großteil des vergangenen Jahrzehnts hat der mittlerweile 40-jährige Softwareentwickler und Demokratie-Aktivist in ägyptischen Gefängnissen verbracht. Zuletzt wurde er im Dezember 2021 nach zwei Jahren Untersuchungshaft in einem Schnellverfahren zu weiteren fünf Jahren Haft verurteilt. Der Vorwurf: Mitgliedschaft und Finanzierung einer terroristischen Organisation. Vorwürfe, mit denen viele Inhaftierte belegt werden. Außerdem wurde ihm Verbreitung von Falschnachrichten vorgeworfen. Er hatte im Internet den Post eines anderen über Haftbedingungen in Ägyptens berüchtigtem Tora Gefängnis geteilt.

Ein Gefängnis, in dem er schließlich selbst einige Zeit verbringen musste, bis er im Mai ins Wadi Natroun Gefängnis verlegt wurde – auf den Druck einer öffentliche Kampagne hin, dem Einsatz des britischen Konsulats und einiger britischer Abgeordneter. Da seine Mutter lange Zeit in England gelebt hat, hat Alaa Abd El-Fattah seit Ende 2021 ebenfalls die britische Staatsangehörigkeit. In Wadi Natroun dürfe er wenigstens Bücher lesen, sagt seine Schwester.

Sein Hungerstreik ist auch ein Protest dagegen, dass dem britischen Konsulat seit gut sechs Monaten kein Zugang zu ihm gestattet wird. Die Familie hat bereits mehrfach an Liz Truss, die mögliche Nachfolgerin von Großbritanniens Noch-Premier Boris Johnson, appelliert, sich für ihren Sohn und Bruder einzusetzen. Sie wolle sich stark machen, hieß es. Die Familie wartet immer noch darauf.

60.000 politische Gefangene in El-Sisis Ägypten

In seinem jüngsten Brief beschreibt Alaa Abd El-Fattah auch seine Begegnungen mit anderen politischen Gefangenen im Wadi Natroun-Gefängnis. Viele seien schon inhaftiert worden, als sie noch Minderjährige waren. Es täte ihm leid, da sie nie die Möglichkeit gehabt hätten, ihr Leben zu leben, zu heiraten, Kinder zu bekommen. Auch viele von Abd El-Fattahs Mistreitern sind politische Gefangene – oft unter entsetzlichen Bedingungen. “Alaa und alle Gefangenen sind ein Symbol für uns alle, die 2011 für ein besseres Leben auf die Straße gegangen sind, daher wurden viele von uns inhaftiert”, sagt eine 34-jährige Frau, die ihren Namen nicht nennen will. Sie hat damals, 2011, auch demonstriert und Ägypten mittlerweile verlassen. 

Tatsächlich ist die Menschenrechtslage in Ägypten prekär. Unterschiedlichen Schätzungen zufolge sollen etwa 60.000 politische Gefangene in den Gefängnissen Ägyptens seit der Machtübernahme von El-Sisi 2013 sitzen. Reporter ohne Grenzen beschreibt Ägypten als eines der weltweit größten Gefängnisse für Journalisten. “Die Hoffnungen auf Freiheit, die der Revolution von 2011 entsprangen, scheinen nun in weite Ferne gerückt”, heißt es dort. Das bestätigt auch Amr Magdi: “Wenn wir uns die jüngere Vergangenheit Ägyptens anschauen, unter den Präsidenten Anwar Sadat, Hosni Mubarak und Mohamed Morsi, dann war die Menschenrechtssituation noch nie so schlimm wie heute”, sagt er. 

Hoffen auf ein Leben in Würde und Freiheit

“Es gibt diese seltsamen Gerichtsurteile, wo ein Richter fünf Minuten im Gerichtssaal erscheint und 500 Menschen zum Tode verurteilt.” Erst im Januar hatte eine der wichtigsten Menschenrechtsorganisationen in Kairo, das “Arabische Netzwerk für Menschenrechte” (Arabic Network for Human Rights, ANHRI) seine Arbeit offiziell eingestellt. Die Begründung: In Ägypten gebe es nicht mal ein Minimum an Rechtsstaatlichkeit und Respekt für Menschenrechte. Dazu gibt es ein neues NGO-Gesetz, dass es Organisationen in Zukunft unmöglich macht, unabhängig zu arbeiten.

Nicht nur Alaa Abd El-Fattah ist mit den Grausamkeiten der Autoritarismus Ägyptens bestens vertraut, auch seine Familie. Seine Schwester Mona Seif wurde geboren, während ihr Vater Ahmad Seif el-Islam, der später Menschenrechtsanwalt wurde, im Gefängnis saß. Seine Schwester Sanaa Seif saß bis Dezember 2021 ebenfalls 18 Monate wegen “Verbreitung falscher Nachrichten” im Gefängnis. Amnesty International verurteilte ihre Inhaftierung. 

Alaa Abd El-Fattah wünscht sich ein Leben in Freiheit mit seinem Sohn und seiner Frau. Die Familie hofft, dass sie Rückendeckung aus Großbritannien und anderen Ländern bekommt, auch aus Deutschland.

Zwar würden deutsche oder europäische Politiker der Menschenrechtslage in Ägypten immer wieder einen Teil ihrer Aufmerksamkeit schenken, aber in den letzten Jahren habe man die Menschenrechte nie in den Mittelpunkt gestellt, sagt Amr Magdi von HRW. “Wir wollen, dass sich diese Länder konsequent zu Menschenrechten äußern, um Druck auf die ägyptische Regierung auszuüben. Wir rufen auch dazu auf, die ägyptische Regierung nicht weiter mit Waffen zu versorgen”, so Magdi.

Tatsächlich gehört Ägypten zu den Top-Abnehmern der deutschen Rüstungsindustrie, und auch die Wirtschaftsbeziehungen florieren. Bundesaußenministerin Annalena Baerbock hat zwar bereits eine restriktivere Politik angekündigt, die Waffenlieferungen von der Durchsetzung der Menschenrechte im Land abhängig mache. Doch bisher zeigt sich das noch nicht mit Blick auf Ägypten.

Derweil hat Ägyptens Machthaber El-Sisi einen nationalen politischen Dialog angestoßen, bei dem alle Partei- und Jugendströmungen sich den aktuellen Herausforderungen des Landes stellen sollen. “Es ist kein erfolgreicher Dialog möglich, ohne das Problem willkürlicher Inhaftierungen und Strafverfolgungen anzuerkennen und Tausende von Gefangenen freizulassen”, sagt Amr Magdi. Doch ob das passiert, ist eher fraglich.

Mona Seif hofft derweil, dass die Politik die damals gefeierten Demokratie-Aktivisten nicht vergisst und ihre Familie eines Tages wieder vereint sein kann. Eine Zukunft sieht sie nur außerhalb Ägyptens, sollte es der gesundheitliche Zustand ihres Bruders zulassen: “Ich glaube nicht, dass das gegenwärtige Regime es ihm erlauben würde, sich ein Leben aufzubauen, ohne ihn erneut zu inhaftieren.”

 

Nachrichten

Ähnliche Artikel

Leave a Reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *

Schaltfläche "Zurück zum Anfang"