Fidon Mwombeki: “Die Konflikte Afrikas nicht vergessen”
Der afrikanische Theologe Mwombeki vermisst den Blick auf die Konflikte Afrikas. Darüber sei auf dem weltweiten Kirchentreffen weit weniger diskutiert worden als über den Ukraine-Krieg, kritisiert er im DW-Interview.
Acht Tage lang berieten knapp 4000 Delegierte aus 352 Kirchen und 120 Ländern bei der 11. Vollversammlung des Ökumenischen Rats der Kirchen in Karlsruhe. Im Interview der Deutschen Welle zieht der Generalsekretär der Gesamtafrikanischen Konferenz der Kirchen (AACC), Fidon Mwombeki, eine Bilanz der Konferenz. Der Theologe aus Tansania kritisiert, dass Europas Kirchen über alle Aufmerksamkeit für den Ukraine-Krieg die zahlreichen Konflikte in Afrika vergessen.
Deutsche Welle: Herr Mwombeki, wie fällt Ihre Bilanz der Vollversammlung aus?
Acht Tage lang berieten knapp 4000 Delegierte aus 352 Kirchen und 120 Ländern bei der 11. Vollversammlung des Ökumenischen Rats der Kirchen in Karlsruhe. Im Interview der Deutschen Welle zieht der Generalsekretär der Gesamtafrikanischen Konferenz der Kirchen (AACC), Fidon Mwombeki, eine Bilanz der Konferenz. Der Theologe aus Tansania kritisiert, dass Europas Kirchen über alle Aufmerksamkeit für den Ukraine-Krieg die zahlreichen Konflikte in Afrika vergessen.
Fidon Mwombeki: Für mich war die Versammlung ein Erfolg und wunderbar vorbereitet. Nach vielen Jahren und nach den Einschränkungen der Corona-Zeit konnten wir uns wieder direkt miteinander austauschen und Grundsatzfragen diskutieren. Das ist für eine weltweite Vereinigung unersetzbar.
Im Vorfeld wurde viel über den Gegensatz zwischen Europa und dem globalen Süden diskutiert. Deutschland war in früheren Jahren ja auch Kolonialmacht in Afrika. Spielte das für die afrikanischen Delegierten eine Rolle?
Überhaupt nicht. Die Rolle Deutschlands im Kolonialismus in Afrika war sehr gering. Nehmen Sie nur den Vergleich: Großbritannien hat in Afrika 24 Länder kolonialisiert und sehr lange dominiert, ganz ähnlich Frankreich. Dagegen hat Deutschland nur wenige Länder kolonialisiert, und das auch nur kurz. Deutschland hat insgesamt nur rund 30 Jahre als Kolonialmacht in Afrika gewirkt. Das spielt für uns keine Rolle. Aber nachdenken müssen wir alle. Ich denke, der globale Norden sollte sich heute nicht hauptsächlich mit Kolonialismus und der Kolonialzeit befassen, sondern mit ungerechten Regelungen und dem Zusammenleben in der heutigen Welt, mit der heutigen Ausbeutung, dem weltweiten Wirtschaftssystem, das Afrika benachteiligt. Das ist aktueller und bedrückender als die Geschichte des Kolonialismus.
Die Frage der Kolonialzeit ist nicht mehr aktuell?
Im Vorfeld der Weltversammlung gab es bei uns in der Gesamtafrikanischen Konferenz durchaus den Gedanken, von Deutschland ein Schuldeingeständnis für die Berliner Konferenz von 1884/85 zu verlangen, die sogenannte Kongokonferenz. Damals wurde Afrika wirklich zerschnitten und unter Europäern aufgeteilt. Aber unser Ausschuss hat das abgesagt. Wir sind darüber hinweg. Die Probleme, die wir heute haben, sind von uns selbst zu reflektieren und zu bekennen. Es geht um Ethnozentrismus, es geht um Korruption, um Ungerechtigkeit, um das Fehlende funktionierender Demokratie. Und diese Probleme hängen nicht vom Kolonialismus ab.
Hat der Begriff „Dialog” für Sie in Afrika eine andere Bedeutung?
Dialog ist ja auch in deutschen Gemeinden etwas anderes als bei offiziellen kirchlichen Dialogveranstaltungen. Letztlich ist das in Afrika ähnlich. An der Basis geht es um das Zusammenleben – das geschieht dort an jedem Tag. Dazu gehört auch interreligiöser Dialog oder interkonfessioneller Dialog zwischen Protestanten und Katholiken. Offiziell ist solcher Dialog schwierig. Aber an der Basis läuft das, da lebt man zusammen und feiert man zusammen. Wir müssen das tägliche Zusammenleben bewältigen, in einem Dialog des Lebens.
Wurden in Karlsruhe Probleme mit islamistischen Gruppen debattiert, die es in einigen Ländern Afrikas gibt?
In Karlsruhe wurde das nicht thematisiert, das tat uns wirklich leid. Dabei gibt es durchaus einige Länder, zum Beispiel Nigeria und dort der Norden Nigerias, in denen es große Schwierigkeiten zwischen Muslimen und Christen gibt. Die Menschen dort leiden unter Terrorismus und islamistischem Fundamentalismus.
Die Europäer schauen derzeit sehr auf den Krieg in der Ukraine, einen schrecklichen Krieg. Im Vorfeld der Vollversammlung wurde lange debattiert, welche Rolle dieser Konflikt in Karlsruhe spielen sollte und ob russisch-orthodoxe Vertreter überhaupt teilnehmen sollten. Wie ist Ihr Fazit: Schauen die Europäer zu sehr auf diesen einen Krieg und nehmen Konflikte in Afrika, zum Beispiel den Krieg zwischen Äthiopien und Eritrea, nicht wahr?
Ja. Das haben wir ganz offen gesagt und vor der Tagung ein entsprechendes Dokument an einige Ausschüsse des ÖRK geschickt. Wir verstehen durchaus, warum in Europa der Krieg gegen die Ukraine so wichtig ist. Aber wir sind enttäuscht, dass Konflikte in Afrika – im Sudan, in der Sahel-Region, in Äthiopien, in Kamerun – nicht so diskutiert wurden. Sie dürfen nicht vergessen werden. Und wichtig ist uns auch: Die ukrainischen Flüchtlinge sollten genauso angesehen sein wie andere Menschen auf der Welt, die in der selben Situation sind. Unser Anliegen ist, dass es nicht Flüchtlinge erster oder zweiter Klasse geben sollte. Es sind alle Menschen gleich.
Fidon Mwombeki, 1960 in Tansania geboren, ist evangelischer Theologe. Mwombeki studierte auch in den USA und arbeitete zeitweise in Deutschland. Seit 2018 ist er Generalsekretär der Gesamtafrikanischen Konferenz der Kirchen. Dem Dachbündnis gehören nach seinen Angaben Kirchen an, zu denen rund 120 Millionen Gläubige gehören.
Das Gespräch führte Christoph Strack.
Acht Tage lang berieten knapp 4000 Delegierte aus 352 Kirchen und 120 Ländern bei der 11. Vollversammlung des Ökumenischen Rats der Kirchen in Karlsruhe. Im Interview der Deutschen Welle zieht der Generalsekretär der Gesamtafrikanischen Konferenz der Kirchen (AACC), Fidon Mwombeki, eine Bilanz der Konferenz. Der Theologe aus Tansania kritisiert, dass Europas Kirchen über alle Aufmerksamkeit für den Ukraine-Krieg die zahlreichen Konflikte in Afrika vergessen.
Deutsche Welle: Herr Mwombeki, wie fällt Ihre Bilanz der Vollversammlung aus?
Fidon Mwombeki: Für mich war die Versammlung ein Erfolg und wunderbar vorbereitet. Nach vielen Jahren und nach den Einschränkungen der Corona-Zeit konnten wir uns wieder direkt miteinander austauschen und Grundsatzfragen diskutieren. Das ist für eine weltweite Vereinigung unersetzbar.
Im Vorfeld wurde viel über den Gegensatz zwischen Europa und dem globalen Süden diskutiert. Deutschland war in früheren Jahren ja auch Kolonialmacht in Afrika. Spielte das für die afrikanischen Delegierten eine Rolle?
Überhaupt nicht. Die Rolle Deutschlands im Kolonialismus in Afrika war sehr gering. Nehmen Sie nur den Vergleich: Großbritannien hat in Afrika 24 Länder kolonialisiert und sehr lange dominiert, ganz ähnlich Frankreich. Dagegen hat Deutschland nur wenige Länder kolonialisiert, und das auch nur kurz. Deutschland hat insgesamt nur rund 30 Jahre als Kolonialmacht in Afrika gewirkt. Das spielt für uns keine Rolle. Aber nachdenken müssen wir alle. Ich denke, der globale Norden sollte sich heute nicht hauptsächlich mit Kolonialismus und der Kolonialzeit befassen, sondern mit ungerechten Regelungen und dem Zusammenleben in der heutigen Welt, mit der heutigen Ausbeutung, dem weltweiten Wirtschaftssystem, das Afrika benachteiligt. Das ist aktueller und bedrückender als die Geschichte des Kolonialismus.
Die Frage der Kolonialzeit ist nicht mehr aktuell?
Im Vorfeld der Weltversammlung gab es bei uns in der Gesamtafrikanischen Konferenz durchaus den Gedanken, von Deutschland ein Schuldeingeständnis für die Berliner Konferenz von 1884/85 zu verlangen, die sogenannte Kongokonferenz. Damals wurde Afrika wirklich zerschnitten und unter Europäern aufgeteilt. Aber unser Ausschuss hat das abgesagt. Wir sind darüber hinweg. Die Probleme, die wir heute haben, sind von uns selbst zu reflektieren und zu bekennen. Es geht um Ethnozentrismus, es geht um Korruption, um Ungerechtigkeit, um das Fehlende funktionierender Demokratie. Und diese Probleme hängen nicht vom Kolonialismus ab.
Hat der Begriff „Dialog” für Sie in Afrika eine andere Bedeutung?
Dialog ist ja auch in deutschen Gemeinden etwas anderes als bei offiziellen kirchlichen Dialogveranstaltungen. Letztlich ist das in Afrika ähnlich. An der Basis geht es um das Zusammenleben – das geschieht dort an jedem Tag. Dazu gehört auch interreligiöser Dialog oder interkonfessioneller Dialog zwischen Protestanten und Katholiken. Offiziell ist solcher Dialog schwierig. Aber an der Basis läuft das, da lebt man zusammen und feiert man zusammen. Wir müssen das tägliche Zusammenleben bewältigen, in einem Dialog des Lebens.
Wurden in Karlsruhe Probleme mit islamistischen Gruppen debattiert, die es in einigen Ländern Afrikas gibt?
In Karlsruhe wurde das nicht thematisiert, das tat uns wirklich leid. Dabei gibt es durchaus einige Länder, zum Beispiel Nigeria und dort der Norden Nigerias, in denen es große Schwierigkeiten zwischen Muslimen und Christen gibt. Die Menschen dort leiden unter Terrorismus und islamistischem Fundamentalismus.
Die Europäer schauen derzeit sehr auf den Krieg in der Ukraine, einen schrecklichen Krieg. Im Vorfeld der Vollversammlung wurde lange debattiert, welche Rolle dieser Konflikt in Karlsruhe spielen sollte und ob russisch-orthodoxe Vertreter überhaupt teilnehmen sollten. Wie ist Ihr Fazit: Schauen die Europäer zu sehr auf diesen einen Krieg und nehmen Konflikte in Afrika, zum Beispiel den Krieg zwischen Äthiopien und Eritrea, nicht wahr?
Ja. Das haben wir ganz offen gesagt und vor der Tagung ein entsprechendes Dokument an einige Ausschüsse des ÖRK geschickt. Wir verstehen durchaus, warum in Europa der Krieg gegen die Ukraine so wichtig ist. Aber wir sind enttäuscht, dass Konflikte in Afrika – im Sudan, in der Sahel-Region, in Äthiopien, in Kamerun – nicht so diskutiert wurden. Sie dürfen nicht vergessen werden. Und wichtig ist uns auch: Die ukrainischen Flüchtlinge sollten genauso angesehen sein wie andere Menschen auf der Welt, die in der selben Situation sind. Unser Anliegen ist, dass es nicht Flüchtlinge erster oder zweiter Klasse geben sollte. Es sind alle Menschen gleich.
Fidon Mwombeki, 1960 in Tansania geboren, ist evangelischer Theologe. Mwombeki studierte auch in den USA und arbeitete zeitweise in Deutschland. Seit 2018 ist er Generalsekretär der Gesamtafrikanischen Konferenz der Kirchen. Dem Dachbündnis gehören nach seinen Angaben Kirchen an, zu denen rund 120 Millionen Gläubige gehören.
Das Gespräch führte Christoph Strack.