Wut und Tränen: Bischöfe bremsen Hoffnung auf Kirchenreform
Seit langem ist von der Krise der katholischen Kirche in Deutschland die Rede. Beim Dialogprozess “Synodaler Weg“ eskaliert sie. Und das Projekt endet fast.
Die Moderatorin stockt. “Das sind, das sind keine Zweidrittel.” Unruhe kommt auf im Saal der Frankfurter Messe.
Gerade hat die Vollversammlung des “Synodalen Wegs”, die über Reformen in der katholischen Kirche in Deutschland beraten soll, über eine neue Grundlegung der Sexualethik abgestimmt. Ein mit Spannung erwarteter Schritt. Es geht um Anerkennung von Homosexualität, von trans- und intergeschlechtlichen Menschen, um künstliche Verhütung mit Pille und Kondom. Mehr als 80 Prozent der anwesenden Delegierten stimmen dem zu. Doch aus dem Kreis der 57 Bischöfe erhält das Dokument lediglich 61 Prozent. Und damit gilt es als abgelehnt. 21 Bischöfe stimmten mit “Nein” – und das war nach der Aussprache nicht zu erwarten.
Die Moderatorin stockt. “Das sind, das sind keine Zweidrittel.” Unruhe kommt auf im Saal der Frankfurter Messe.
Da kippt die Stimmung im Saal. Einer der jüngeren Delegierten steht auf und geht weinend zum Ausgang, zwei folgen ihm rasch. Das Präsidium unterbricht die Sitzung. Dutzend Delegierte stellen sich im Zentrum des Raums auf, legen einander die Hände auf die Schultern. “Unverschämtheit” rufen einige. “Wir brechen ab” andere.
Delegierte verlassen den Saal
Eine junge Frau hält ein Transparent hoch: “Kein Raum für Menschenfeindlichkeit”. Nicht wenige haben Tränen in den Augen oder weinen. Einige Bischöfe stehen schweigend am Rand. In diesem Moment, so wirkt es, kulminiert so vieles, was an Spannungen und Krisenhaftigkeit die katholische Kirche in Deutschland belastet.
Zum Verständnis ist ein Blick auf die Entstehung und Begründung des “Synodalen Weges” hilfreich. Anfang 2010 schockte Deutschland der Skandal des sexuellen Missbrauchs durch Kleriker. Von 2011 bis 2015 folgte ein “Gesprächsprozess der Deutschen Bischofskonferenz” mit vielen Worten, aber keinen Konsequenzen. Dann gab es bis 2018 eine umfassende deutschlandweite Studie. Die neuen Zahlen von Opfern (tausende Minderjährige) und Tätern (4,4 Prozent aller untersuchten Personalakten) verschärften die Debatte und den Ruf nach Reformen. Jahr für Jahr treten derweil Hunderttausende Christinnen und Christen aus der katholischen Kirche aus.
So begann Ende 2019 der “Synodale Weg” mit 230 Delegierten, Laien, Priestern, Ordensleuten und Bischöfen. Immer begleiten Demonstrationen die Veranstaltung mit Rufen nach Reformen. “Wir sind”, sagte die Präsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Irme Stetter-Karp, “in diesen Prozess hineingegangen, als die Bischöfe in ihrer Verzweiflung uns gebeten haben”.
Als Stetter-Karp dies sagt nach der Sitzungsunterbrechung in der Frankfurter Messe, bricht ihr die Stimme. Auch sie kämpft mit den Tränen. Tausende Stunden sei an dem abgelehnten Text gearbeitet worden. “Ich erwarte von den Bischöfen mit ihrer Macht, mit ihrer Verantwortung, dass sie zu ihrer Meinung offen stehen.”
Denn für Empörung bei jenen, die auf Zustimmung hofften, sorgt vor allem, dass von den Bischöfen, die mit “Nein” stimmten, sich nur eine Handvoll vorher im Plenum positionierten. Später spricht der Stuttgarter Stadtdekan Christian Hermes im Saal von “Feigheit und Faulheit” der Bischöfe. Und bekommt Applaus. Alle Anwesenden wissen mittlerweile, dass einzelne Oberhirten in jenem Forum, dass das Papier zur Sexualmoral erarbeitete, nur selten teilnahmen, die Möglichkeit von Hearings nicht nutzten, keine Änderungsanträge einreichten, aber nun mit “Nein” stimmten.
In Frankfurt wird der Donnerstagabend von der Grundsatzdebatte bestimmt, der Freitagmorgen ebenfalls. Zwischendurch berieten Bischöfe und der Rest der Versammlung in getrennten Treffen. Viele Teilnehmer war unsicher, ob die Beratungen am Freitag überhaupt weitergehen sollten. “Ich komme mir vor, als ob wir ins Messer gelaufen wären”, sagt eine Delegierte. Sie fühle sich verschaukelt. “Aus Lehre der Kirche wird Leere in der Kirche”, meint ein anderer.
Die Erfurter Dogmatikerin Julia Knop spricht von mehrfachem “Verrat”. Ein anderer Theologe von “Apostolischem Machtmissbrauch”. “Ich hoffe, dass ab heute niemand mehr die Frechheit hat zu sagen, diese Kirche habe kein Machtproblem”, so die Bundesvorsitzende der Katholischen Landjugendbewegung, Daniela Ordowski. Lediglich einzelne Bischöfe erklären ihr “Nein” in großer Runde, verweisen auf ihr Gewissen oder auf weltkirchliche Vorgaben.
Über Stunden kocht die Aussprache hoch. Eigentlich soll die Versammlung bis Samstagnachmittag mehrere weitere Texte in zweiter Lesung verabschieden. Texte, die durchaus auch Konfliktpotenzial bergen – wie der kräftige Ruf nach dem Weihe-Amt für Frauen, nach Priesterinnen.
Eigentlich soll der “Synodale Weg” im März 2023 mit Beschlüssen zu vielen umfassenden Texten enden. Beides scheint unsicher. “Bleiben wir zusammen! Diesen Appell höre ich jetzt immer wieder”, sagt die Ordensfrau Katharina Kluitmann. “Aber es kann doch nicht sein, dass wir Laien dauernd bei den Bischöfen bleiben müssen und die bleiben nicht mehr bei uns.” Viele der Älteren wissen, dass es vor rund 50 Jahren eine Synode der deutschen Katholiken gab, deren Arbeit damals letztlich im Sande verlief. Die Eingaben nach Rom verschwanden in vatikanischen Schubladen, Antworten gab es nie.
Auch dem Vorsitzenden der Bischofskonferenz, Bischof Georg Bätzing, der oft für Reformen und immer für Dialog wirbt, sind Verunsicherung und Frustration anzumerken. Er sieht eine “krisenhafte Situation für die Synodalität, die wir üben”, spricht von einer “nachhaltigen Krise”.
Am Freitagvormittag vor Beginn der weiteren Beratungen versucht er, Perspektiven aufzuzeigen. Künftig würden Bischöfe öffentlich abstimmen, um erkennbar zu machen, welcher Bischof sich wie entscheide. Und die Bischöfe wollten für das nun abgelehnte Dokument im November in Rom werben. Sie hätten eine “Verantwortung für die Menschen, die das Volk Gottes sind”.
Später meldet sich Eberhard Tiefensee, Priester und emeritierter Philosophieprofessor aus Erfurt. “Ich danke Ihnen für Ihre Stellungnahme”, sagt er an Bischof Bätzing gewandt und formuliert ein Nachwort: “Aber ich glaube nicht, dass zwei Drittel der Bischöfe hinter ihnen stehen.” Auch er bekommt Beifall im Saal.
Die Moderatorin stockt. “Das sind, das sind keine Zweidrittel.” Unruhe kommt auf im Saal der Frankfurter Messe.
Gerade hat die Vollversammlung des “Synodalen Wegs”, die über Reformen in der katholischen Kirche in Deutschland beraten soll, über eine neue Grundlegung der Sexualethik abgestimmt. Ein mit Spannung erwarteter Schritt. Es geht um Anerkennung von Homosexualität, von trans- und intergeschlechtlichen Menschen, um künstliche Verhütung mit Pille und Kondom. Mehr als 80 Prozent der anwesenden Delegierten stimmen dem zu. Doch aus dem Kreis der 57 Bischöfe erhält das Dokument lediglich 61 Prozent. Und damit gilt es als abgelehnt. 21 Bischöfe stimmten mit “Nein” – und das war nach der Aussprache nicht zu erwarten.
Delegierte verlassen den Saal
Da kippt die Stimmung im Saal. Einer der jüngeren Delegierten steht auf und geht weinend zum Ausgang, zwei folgen ihm rasch. Das Präsidium unterbricht die Sitzung. Dutzend Delegierte stellen sich im Zentrum des Raums auf, legen einander die Hände auf die Schultern. “Unverschämtheit” rufen einige. “Wir brechen ab” andere.
Eine junge Frau hält ein Transparent hoch: “Kein Raum für Menschenfeindlichkeit”. Nicht wenige haben Tränen in den Augen oder weinen. Einige Bischöfe stehen schweigend am Rand. In diesem Moment, so wirkt es, kulminiert so vieles, was an Spannungen und Krisenhaftigkeit die katholische Kirche in Deutschland belastet.
Zum Verständnis ist ein Blick auf die Entstehung und Begründung des “Synodalen Weges” hilfreich. Anfang 2010 schockte Deutschland der Skandal des sexuellen Missbrauchs durch Kleriker. Von 2011 bis 2015 folgte ein “Gesprächsprozess der Deutschen Bischofskonferenz” mit vielen Worten, aber keinen Konsequenzen. Dann gab es bis 2018 eine umfassende deutschlandweite Studie. Die neuen Zahlen von Opfern (tausende Minderjährige) und Tätern (4,4 Prozent aller untersuchten Personalakten) verschärften die Debatte und den Ruf nach Reformen. Jahr für Jahr treten derweil Hunderttausende Christinnen und Christen aus der katholischen Kirche aus.
So begann Ende 2019 der “Synodale Weg” mit 230 Delegierten, Laien, Priestern, Ordensleuten und Bischöfen. Immer begleiten Demonstrationen die Veranstaltung mit Rufen nach Reformen. “Wir sind”, sagte die Präsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Irme Stetter-Karp, “in diesen Prozess hineingegangen, als die Bischöfe in ihrer Verzweiflung uns gebeten haben”.
“Bischöfe in ihrer Verzweiflung”
Als Stetter-Karp dies sagt nach der Sitzungsunterbrechung in der Frankfurter Messe, bricht ihr die Stimme. Auch sie kämpft mit den Tränen. Tausende Stunden sei an dem abgelehnten Text gearbeitet worden. “Ich erwarte von den Bischöfen mit ihrer Macht, mit ihrer Verantwortung, dass sie zu ihrer Meinung offen stehen.”
“Die Leere der Kirche”
Denn für Empörung bei jenen, die auf Zustimmung hofften, sorgt vor allem, dass von den Bischöfen, die mit “Nein” stimmten, sich nur eine Handvoll vorher im Plenum positionierten. Später spricht der Stuttgarter Stadtdekan Christian Hermes im Saal von “Feigheit und Faulheit” der Bischöfe. Und bekommt Applaus. Alle Anwesenden wissen mittlerweile, dass einzelne Oberhirten in jenem Forum, dass das Papier zur Sexualmoral erarbeitete, nur selten teilnahmen, die Möglichkeit von Hearings nicht nutzten, keine Änderungsanträge einreichten, aber nun mit “Nein” stimmten.
In Frankfurt wird der Donnerstagabend von der Grundsatzdebatte bestimmt, der Freitagmorgen ebenfalls. Zwischendurch berieten Bischöfe und der Rest der Versammlung in getrennten Treffen. Viele Teilnehmer war unsicher, ob die Beratungen am Freitag überhaupt weitergehen sollten. “Ich komme mir vor, als ob wir ins Messer gelaufen wären”, sagt eine Delegierte. Sie fühle sich verschaukelt. “Aus Lehre der Kirche wird Leere in der Kirche”, meint ein anderer.
Die Erfurter Dogmatikerin Julia Knop spricht von mehrfachem “Verrat”. Ein anderer Theologe von “Apostolischem Machtmissbrauch”. “Ich hoffe, dass ab heute niemand mehr die Frechheit hat zu sagen, diese Kirche habe kein Machtproblem”, so die Bundesvorsitzende der Katholischen Landjugendbewegung, Daniela Ordowski. Lediglich einzelne Bischöfe erklären ihr “Nein” in großer Runde, verweisen auf ihr Gewissen oder auf weltkirchliche Vorgaben.
Ordensfrau beklagt die Bischöfe
Über Stunden kocht die Aussprache hoch. Eigentlich soll die Versammlung bis Samstagnachmittag mehrere weitere Texte in zweiter Lesung verabschieden. Texte, die durchaus auch Konfliktpotenzial bergen – wie der kräftige Ruf nach dem Weihe-Amt für Frauen, nach Priesterinnen.
Eigentlich soll der “Synodale Weg” im März 2023 mit Beschlüssen zu vielen umfassenden Texten enden. Beides scheint unsicher. “Bleiben wir zusammen! Diesen Appell höre ich jetzt immer wieder”, sagt die Ordensfrau Katharina Kluitmann. “Aber es kann doch nicht sein, dass wir Laien dauernd bei den Bischöfen bleiben müssen und die bleiben nicht mehr bei uns.” Viele der Älteren wissen, dass es vor rund 50 Jahren eine Synode der deutschen Katholiken gab, deren Arbeit damals letztlich im Sande verlief. Die Eingaben nach Rom verschwanden in vatikanischen Schubladen, Antworten gab es nie.
Vorsätze und ein Nachwort
Auch dem Vorsitzenden der Bischofskonferenz, Bischof Georg Bätzing, der oft für Reformen und immer für Dialog wirbt, sind Verunsicherung und Frustration anzumerken. Er sieht eine “krisenhafte Situation für die Synodalität, die wir üben”, spricht von einer “nachhaltigen Krise”.
Am Freitagvormittag vor Beginn der weiteren Beratungen versucht er, Perspektiven aufzuzeigen. Künftig würden Bischöfe öffentlich abstimmen, um erkennbar zu machen, welcher Bischof sich wie entscheide. Und die Bischöfe wollten für das nun abgelehnte Dokument im November in Rom werben. Sie hätten eine “Verantwortung für die Menschen, die das Volk Gottes sind”.
Später meldet sich Eberhard Tiefensee, Priester und emeritierter Philosophieprofessor aus Erfurt. “Ich danke Ihnen für Ihre Stellungnahme”, sagt er an Bischof Bätzing gewandt und formuliert ein Nachwort: “Aber ich glaube nicht, dass zwei Drittel der Bischöfe hinter ihnen stehen.” Auch er bekommt Beifall im Saal.