Notfalls ohne Ungarn: EU will globale Mindeststeuer
Die EU-Finanzminister suchen Wege, um Budapests Blockade gegen die globale Mindeststeuer zu umgehen. Die Umsetzung der Steuerreform, die digitale Konzerne im Visier hat, wird sich wohl verzögern. Aus Prag Bernd Riegert.
Der ungarische Finanzminister Mihaly Varga war beim informellen Treffen der EU-Finanzminister in Prag ein gefragter Mann. Viele Kolleginnen und Kollegen, darunter der deutsche Ressortchef Christian Lindner, wollten dem rechtsnationalen Fidesz-Politiker aus Budapest ins Gewissen reden.
Der seit neun Jahre amtierende Mihaly Varga ließ sich aber auch in bilateralen Gesprächen kaum beeindrucken. Die Begegnungen seien “kurz” und “kalt” gewesen, hieß es in Prag. Worum geht es?
Der ungarische Finanzminister Mihaly Varga war beim informellen Treffen der EU-Finanzminister in Prag ein gefragter Mann. Viele Kolleginnen und Kollegen, darunter der deutsche Ressortchef Christian Lindner, wollten dem rechtsnationalen Fidesz-Politiker aus Budapest ins Gewissen reden.
Ungarn blockiert als einziges der 27 EU-Mitgliedsländer die Einführung einer globalen Mindeststeuer von 15 Prozent für Unternehmen, die mehr als 750 Millionen Euro Umsatz machen. Auf diese globale Unternehmenssteuer hatten sich im letzten Jahr mehr als 130 Staaten auf allen Kontinenten geeinigt.
Frankreich und andere wollen Ungarn ausbooten
Damit sollte die Verschiebung von Unternehmensgewinnen in Steueroasen unterbunden werden. Außerdem soll mit der Steuer sichergestellt werden, dass große digitale Konzerne angemessen besteuert werden können.
Vor fast fünf Jahren hatte die Überzeugungsarbeit für die globale Mindeststeuer begonnen. In der EU hatte sie unter anderen der französische Finanzminister Bruno Le Maire auf den Weg gebracht. Le Maire war bei den Beratungen in Prag dabei und bezeichnete das Projekt Mindeststeuer als eine Frage der Gerechtigkeit, gerade in einer Zeit der hohen Inflation und hoher Staatsverschuldung.
“Frankreich ist nicht bereit, eine Blockade durch Ungarn weiter hinzunehmen”, kündigte Bruno Le Maire zusammen mit den Finanzministerinnen aus Spanien und den Niederlanden sowie den Finanzministern aus Italien und Deutschland an. Die fünf Staaten wollen alle rechtlichen Schritte unternehmen, um so schnell wie möglich, eine Mindeststeuer für Unternehmen einzuführen, erklärten sie in einer gemeinsamen Stellungnahme.
Der deutsche Finanzminister Christian Lindner ging noch einen Schritt weiter. “Deutschland steht bereit, die globale Mindestbesteuerung auch in nationalem Recht einzuführen. Wir tun dies nötigenfalls auch unabhängig von einer Einigung auf der europäischen Ebene.”
In Steuerfragen ist in der EU Einstimmigkeit erforderlich, um verbindliche Vorschriften für alle Mitgliedsstaaten zu erlassen. Ungarn nutzt sein Veto nicht etwa, weil es inhaltliche Bedenken gegen die Mindeststeuer vorbringen könnte, sondern weil es mit dem Faustpfand Zugeständnisse bei der Auszahlung von Fördermitteln aus der EU-Kasse erzwingen will, vermuten EU-Diplomaten in Tschechien.
Denn die EU-Kommission hat diese Mittel aus dem Corona-Wiederaufbaufonds auf Eis gelegt, weil der Streit zwischen Brüssel und Budapest um die rechtstaatliche Ordnung in Ungarn und die Korruptionsbekämpfung nach jahrelangem Disput immer noch schwelt.
Der ungarische Finanzminister Varga konnte dem Vernehmen nach in Prag auch nicht genau begründen, was Ungarns inhaltliche Einwände gegen die Mindeststeuer sind. Sein Verweis auf andere EU-Mitgliedsstaaten, die auch Bedenken hätten, zieht nicht mehr. Polen und Schweden hatten ihre ursprüngliche Kritik zurückgezogen. Es steht 26 zu 1 für die Mindeststeuer, die ja kein europäisches, sondern ein globales Projekt ist.
Der Initiative der fünf Staaten Frankreich, Deutschland, Niederlande, Italien und Spanien folgend könnten auch die übrigen EU-Staaten politische Erklärungen abgeben und die Mindeststeuer einführen, ohne auf eine europäische Regelung zu warten und so Ungarn zu umgehen. EU-Kommissar Valdis Dombrovskis, der für Wirtschaft und Finanzen zuständig ist, hat Bedenken, ob tatsächlich alle Staaten diese freiwillige Zusage auch einhalten würden.
Als Alternative zu einem EU-Gesetz bietet sich noch die sogenannte “verstärkte Zusammenarbeit” von einer Gruppe von Mitgliedsstaaten an, die in den EU-Verträgen verankert und verbindlicher ist. “Die EU hat sich verpflichtet, die Steuer zu harmonisieren. Wir werden Wege finden, das zu tun”, kündigte Dombrovskis an. “Das ist auch eine Frage der Glaubwürdigkeit der EU gegenüber der Welt.”
Die Gruppe der 20 führenden Industrie- und Schwellenländer sowie die federführende “Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung” (OECD) hatten Anfang 2023 als Starttermin für die Mindeststeuer festgelegt. Doch daraus wird wohl nichts mehr.
Die EU wird wohl länger brauchen und hat nun angekündigt, bis Mitte des Jahres 2023 Fakten zu schaffen. Auch in den USA gibt es Schwierigkeiten mit der Implementierung des neuen Steuersystems.
Im Prinzip ist die Regierung von Präsident Joe Biden dafür, aber im gesetzgebenden Kongress haben sich Fragen zur Stellung von amerikanischen Digitalkonzernen in der neuen Steuerwelt und zu den Einnahmen des amerikanischen Fiskus aufgetan.
Vor Ende 2023 ist wohl auch in Washington mit keiner Entscheidung zu rechnen. Fraglich ist auch, ob die Steuer im dann tobenden Präsidentschaftswahlkampf eine Rolle spielen könnte.
Bereits im Juni sollte unter der damaligen EU-Ratspräsidentschaft Frankreichs der einstimmige Beschluss zur Einführung der globalen Mindeststeuer fallen. Doch damals machte der Ungar Varga seinem Kollegen Le Maire unerwartet einen Strich durch die Rechnung.
Mit der Initiative der fünf Staaten in Prag hat Le Maire zum Gegenschlag ausgeholt, um zu zeigen, dass es zur Not auch ohne Ungarn geht. Die ungarische Regierung zeigt aber ganz ungeniert noch weitere Trümpfe vor. In der nächsten Woche könnte sie die Verlängerung von Sanktionen gegen russische Oligarchen verhindern. Auch hier ist Einstimmigkeit gefragt. Ungarn hat bereits mit einem Veto gedroht.
Der ungarische Finanzminister Mihaly Varga war beim informellen Treffen der EU-Finanzminister in Prag ein gefragter Mann. Viele Kolleginnen und Kollegen, darunter der deutsche Ressortchef Christian Lindner, wollten dem rechtsnationalen Fidesz-Politiker aus Budapest ins Gewissen reden.
Der seit neun Jahre amtierende Mihaly Varga ließ sich aber auch in bilateralen Gesprächen kaum beeindrucken. Die Begegnungen seien “kurz” und “kalt” gewesen, hieß es in Prag. Worum geht es?
Frankreich und andere wollen Ungarn ausbooten
Ungarn blockiert als einziges der 27 EU-Mitgliedsländer die Einführung einer globalen Mindeststeuer von 15 Prozent für Unternehmen, die mehr als 750 Millionen Euro Umsatz machen. Auf diese globale Unternehmenssteuer hatten sich im letzten Jahr mehr als 130 Staaten auf allen Kontinenten geeinigt.
Damit sollte die Verschiebung von Unternehmensgewinnen in Steueroasen unterbunden werden. Außerdem soll mit der Steuer sichergestellt werden, dass große digitale Konzerne angemessen besteuert werden können.
Vor fast fünf Jahren hatte die Überzeugungsarbeit für die globale Mindeststeuer begonnen. In der EU hatte sie unter anderen der französische Finanzminister Bruno Le Maire auf den Weg gebracht. Le Maire war bei den Beratungen in Prag dabei und bezeichnete das Projekt Mindeststeuer als eine Frage der Gerechtigkeit, gerade in einer Zeit der hohen Inflation und hoher Staatsverschuldung.
“Frankreich ist nicht bereit, eine Blockade durch Ungarn weiter hinzunehmen”, kündigte Bruno Le Maire zusammen mit den Finanzministerinnen aus Spanien und den Niederlanden sowie den Finanzministern aus Italien und Deutschland an. Die fünf Staaten wollen alle rechtlichen Schritte unternehmen, um so schnell wie möglich, eine Mindeststeuer für Unternehmen einzuführen, erklärten sie in einer gemeinsamen Stellungnahme.
Hindernis Einstimmigkeit umgehen
Der deutsche Finanzminister Christian Lindner ging noch einen Schritt weiter. “Deutschland steht bereit, die globale Mindestbesteuerung auch in nationalem Recht einzuführen. Wir tun dies nötigenfalls auch unabhängig von einer Einigung auf der europäischen Ebene.”
Erst Ende 2023?
In Steuerfragen ist in der EU Einstimmigkeit erforderlich, um verbindliche Vorschriften für alle Mitgliedsstaaten zu erlassen. Ungarn nutzt sein Veto nicht etwa, weil es inhaltliche Bedenken gegen die Mindeststeuer vorbringen könnte, sondern weil es mit dem Faustpfand Zugeständnisse bei der Auszahlung von Fördermitteln aus der EU-Kasse erzwingen will, vermuten EU-Diplomaten in Tschechien.
Denn die EU-Kommission hat diese Mittel aus dem Corona-Wiederaufbaufonds auf Eis gelegt, weil der Streit zwischen Brüssel und Budapest um die rechtstaatliche Ordnung in Ungarn und die Korruptionsbekämpfung nach jahrelangem Disput immer noch schwelt.
Der ungarische Finanzminister Varga konnte dem Vernehmen nach in Prag auch nicht genau begründen, was Ungarns inhaltliche Einwände gegen die Mindeststeuer sind. Sein Verweis auf andere EU-Mitgliedsstaaten, die auch Bedenken hätten, zieht nicht mehr. Polen und Schweden hatten ihre ursprüngliche Kritik zurückgezogen. Es steht 26 zu 1 für die Mindeststeuer, die ja kein europäisches, sondern ein globales Projekt ist.
Ungarn löckt wider den Stachel
Der Initiative der fünf Staaten Frankreich, Deutschland, Niederlande, Italien und Spanien folgend könnten auch die übrigen EU-Staaten politische Erklärungen abgeben und die Mindeststeuer einführen, ohne auf eine europäische Regelung zu warten und so Ungarn zu umgehen. EU-Kommissar Valdis Dombrovskis, der für Wirtschaft und Finanzen zuständig ist, hat Bedenken, ob tatsächlich alle Staaten diese freiwillige Zusage auch einhalten würden.
Als Alternative zu einem EU-Gesetz bietet sich noch die sogenannte “verstärkte Zusammenarbeit” von einer Gruppe von Mitgliedsstaaten an, die in den EU-Verträgen verankert und verbindlicher ist. “Die EU hat sich verpflichtet, die Steuer zu harmonisieren. Wir werden Wege finden, das zu tun”, kündigte Dombrovskis an. “Das ist auch eine Frage der Glaubwürdigkeit der EU gegenüber der Welt.”
Die Gruppe der 20 führenden Industrie- und Schwellenländer sowie die federführende “Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung” (OECD) hatten Anfang 2023 als Starttermin für die Mindeststeuer festgelegt. Doch daraus wird wohl nichts mehr.
Die EU wird wohl länger brauchen und hat nun angekündigt, bis Mitte des Jahres 2023 Fakten zu schaffen. Auch in den USA gibt es Schwierigkeiten mit der Implementierung des neuen Steuersystems.
Im Prinzip ist die Regierung von Präsident Joe Biden dafür, aber im gesetzgebenden Kongress haben sich Fragen zur Stellung von amerikanischen Digitalkonzernen in der neuen Steuerwelt und zu den Einnahmen des amerikanischen Fiskus aufgetan.
Vor Ende 2023 ist wohl auch in Washington mit keiner Entscheidung zu rechnen. Fraglich ist auch, ob die Steuer im dann tobenden Präsidentschaftswahlkampf eine Rolle spielen könnte.
Bereits im Juni sollte unter der damaligen EU-Ratspräsidentschaft Frankreichs der einstimmige Beschluss zur Einführung der globalen Mindeststeuer fallen. Doch damals machte der Ungar Varga seinem Kollegen Le Maire unerwartet einen Strich durch die Rechnung.
Mit der Initiative der fünf Staaten in Prag hat Le Maire zum Gegenschlag ausgeholt, um zu zeigen, dass es zur Not auch ohne Ungarn geht. Die ungarische Regierung zeigt aber ganz ungeniert noch weitere Trümpfe vor. In der nächsten Woche könnte sie die Verlängerung von Sanktionen gegen russische Oligarchen verhindern. Auch hier ist Einstimmigkeit gefragt. Ungarn hat bereits mit einem Veto gedroht.