Crowdfunding für den “Islamischen Staat”
Mit Spendengeldern unterstützen Anhänger der Terrororganisation “Islamischer Staat” ehemalige Mitkämpfer in einem syrischen Lager. Teilweise schmuggeln sie auch junge Männer aus dem Lager, um sie zu Kämpfern auszubilden.
“Diese Nachricht ist der Beginn eines wichtigen Spendenaufrufs.” So war es Ende Juli in einer auf Deutsch formulierten Notiz im Messenger-Dienst Telegram zu lesen. Im Lager Al-Hol im Norden Syriens, hieß es in der Nachricht weiter, befänden sich zwei Brüder, 15 und 17 Jahre alt.
Die Mutter der beiden aus Tadschikistan stammenden Brüder wolle diese “in Sicherheit” bringen, heißt es in der Mitteilung weiter. Dafür brauche sie insgesamt 14.000 Dollar. Mit dem Geld sollten Schlepper bezahlt werden, die die Teenager aus ihrer Gefangenschaft in Al-Hol herausbrächten.
“Diese Nachricht ist der Beginn eines wichtigen Spendenaufrufs.” So war es Ende Juli in einer auf Deutsch formulierten Notiz im Messenger-Dienst Telegram zu lesen. Im Lager Al-Hol im Norden Syriens, hieß es in der Nachricht weiter, befänden sich zwei Brüder, 15 und 17 Jahre alt.
Der Aufruf zum Crowdfunding für die beiden Insassen von Al-Hol ist nicht der einzige seiner Art. In dem Lager leben Schätzungen zufolge rund 56.000 Menschen, darunter viele Mitglieder, Ex-Mitglieder oder auch Mitläufer der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) und ihre Angehörigen. Laut Angaben des ‘United States Institute of Peace’ in Washington sind über 90 Prozent der Menschen im Lager Frauen und Kinder. Von diesen sind etwa zwei Drittel unter 18 Jahre alt. In Nord-Syrien gibt es weitere Lager dieser Art.
Gewalt ist Alltag
Rund 85 Prozent der Einwohner von Al-Hol sind Iraker oder Syrer, die übrigen stammen aus 60 anderen Ländern.
Fast alle Frauen und Kinder wurden in das Lager gebracht, nachdem der IS 2017 / 2018 aus den von ihm kontrollierten Gebieten im Irak und in Syrien vertrieben wurde. Viele der Frauen sind Witwen von IS-Kämpfern. Das Lager wird vom syrisch-kurdischen Militär verwaltet und bewacht. Die syrischen Kurden haben im nördlichen Syrien ein faktisch autonomes Gebiet errichtet.
Das Leben in Al-Hol – das Lager hat die Dimensionen einer größeren Stadt – ist schwierig und gefährlich. Die Vereinten Nationen berichteten allein für den Zeitraum zwischen Januar 2021 und Juni 2022 von 106 Morden, darunter auch Enthauptungen. Beobachtern zufolge ist das Lager gespalten in zwei Gruppen: Die eine hängt der fanatischen Ideologie des IS weiterhin an, die andere hat sich von ihr losgesagt.
Das Lager leidet nicht nur unter der Gewalt eines Teiles seiner Insassen. Es mangelt dort auch an sanitärer Infrastruktur, festen Wohnungen und Bildungseinrichtungen. Auch darum haben mehrere Staaten, unter anderem auch Deutschland, teilweise eigene Staatsbürger aus dem Lager zurück in ihre Heimat gebracht, wo sie sich vor Gericht verantworten müssen. Viele der dort lebenden Frauen haben kaum ein Einkommen. Auch vor diesem Hintergrund haben IS-Anhänger außerhalb des Lagers in den letzten Jahren Geld für die dort lebenden Familien gesammelt.
Sympathisanten der Extremisten bitten bereits seit Mitte 2019 auf Online-Seiten mit Namen wie “Gerechtigkeit für Schwestern”, “Käfigvögel” und “Schwestern im Zelt” um Unterstützung für die Frauen. In der Regel finden sich diese Kampagnen auf privaten Messenger-Anwendungen wie Telegram oder – trotz des Gefahr, wegen der Finanzierung einer terroristischen Organisation juristisch belangt zu werden – auf leichter zugänglichen Plattformen wie Instagram und Facebook.
In einem Bericht aus dem Jahr 2021 zählte das ‘Combating Terrorism Center’ an der US-Militärakademie ‘West Point’ 40 solcher Crowdfunding-Kampagnen. Formuliert sind sie überwiegend in Deutsch, Arabisch, Türkisch, Englisch, Französisch und Russisch. Oft gibt man sich betont harmlos und vor allem humanitär: So werben Aktivisten oft damit, das Geld diene dazu, den Familien von Al-Hol zu helfen, Lebensmittel, Medikamente, Spielzeug oder Kleidung zu kaufen.
Einmal gesammelt, wird das Geld über eine Kombination aus offiziellen und inoffiziellen Finanzsystemen in die syrischen Lager gebracht. Dazu gehören das Online-Zahlungssystem PayPal, Banken, die Western Union und ähnliche Anbieter sowie ein informelles Netzwerk für Geldtransfers, das als “Hawala” bekannt ist.
Seit langem gehe es jedoch nicht nur um die humanitäre Unterstützung der Lagerinsassen, so eine Studie des in den USA ansässigen ‘International Center for the Study of Violent Extremism’ (ICSVE). Zunehmend bäten Crowdfunding-Kampagnen potentielle Unterstützer um Geldspenden, um Menschen aus dem Lager zu schleusen, so das ICSVE, das auch die Kampagne für die beiden tadschikischen Jungen unter dem Titel “Spende auf dem Weg Allahs” analysiert hat.
Das Schleusertum habe teils ganz praktische Gründe, sagt Anne Speckhard, die Leiterin des Zentrums, gegenüber der DW. So kämen einige der Kinder jetzt in ein Alter, im den sie von den syrisch-kurdischen Militärs von ihren Familien getrennt und in andere Gefängnisse verlegt würden. “Das löst bei den Müttern Verzweiflung aus”, so Speckhard. Darum bäten sie um Geld, um die Kinder rechtzeitig aus dem Lager zu schmuggeln.
“Leider werden die Kinder von den Unterstützern oft aber in die Hände des IS und anderer militanter Gruppen gebracht und dort zu Kämpfern ausgebildet.” Aus dem Lager geschmuggelte Mädchen würden zudem oft als Ehefrauen für IS-Kämpfer in anderen Ländern vorgesehen und missbraucht, so Speckhard.
Täglich würden Personen aus dem Lager geschmuggelt, heißt es in einem bereits 2020 veröffentlichten Report in der Zeitschrift ‘Perspectives on Terrorism’. Ermöglicht werde der Schmuggel durch die Bestechung von Wachen und mit Hilfe eines lokalen Netzwerks von Menschenschmugglern.
Trotz der Zustände in Al-Hol ist die Rückführung der Flüchtlinge aus Syrien in ihre Herkunftsländer nach wie vor umstritten. Viele Regierungen zögern, weil sie eine mögliche Sicherheitsbedrohung oder negative öffentliche Reaktionen oder beides fürchten, so eine Studie der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch. Bis 2021 hatten nur 25 Länder versucht, Menschen aus Al-Hol nach Hause zu holen.
Die zentralasiatischen Staaten Kasachstan, Tadschikistan, Kirgisistan und Usbekistan gehören in dieser Hinsicht zu den aktivsten Ländern. Ende Juli kehrten 42 Frauen und 104 Kinder nach Tadschikistan zurück.
Die beiden tadschikischen Teenager allerdings haben offenbar keinen Flug in die Heimat erhalten, sondern werden höchstwahrscheinlich zu Terroristen ausgebildet. Anfang August, nur 10 Tage nach Beginn der Spendenaktion, meldeten mehrere Telegram-Kanäle mit Bezug zu Al-Hol auf Russisch und Deutsch, sie hätten das Spendenziel erreicht und könnten die beiden Teenager nun “in Sicherheit” bringen – gemeint ist ein Ausbildungslager des IS. Dort sollen die beiden Jungen unbestätigten Berichten zufolge längst eingetroffen sein.
Aus dem Englischen adaptiert von Kersten Knipp.
“Diese Nachricht ist der Beginn eines wichtigen Spendenaufrufs.” So war es Ende Juli in einer auf Deutsch formulierten Notiz im Messenger-Dienst Telegram zu lesen. Im Lager Al-Hol im Norden Syriens, hieß es in der Nachricht weiter, befänden sich zwei Brüder, 15 und 17 Jahre alt.
Die Mutter der beiden aus Tadschikistan stammenden Brüder wolle diese “in Sicherheit” bringen, heißt es in der Mitteilung weiter. Dafür brauche sie insgesamt 14.000 Dollar. Mit dem Geld sollten Schlepper bezahlt werden, die die Teenager aus ihrer Gefangenschaft in Al-Hol herausbrächten.
Gewalt ist Alltag
Der Aufruf zum Crowdfunding für die beiden Insassen von Al-Hol ist nicht der einzige seiner Art. In dem Lager leben Schätzungen zufolge rund 56.000 Menschen, darunter viele Mitglieder, Ex-Mitglieder oder auch Mitläufer der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) und ihre Angehörigen. Laut Angaben des ‘United States Institute of Peace’ in Washington sind über 90 Prozent der Menschen im Lager Frauen und Kinder. Von diesen sind etwa zwei Drittel unter 18 Jahre alt. In Nord-Syrien gibt es weitere Lager dieser Art.
Rund 85 Prozent der Einwohner von Al-Hol sind Iraker oder Syrer, die übrigen stammen aus 60 anderen Ländern.
Fast alle Frauen und Kinder wurden in das Lager gebracht, nachdem der IS 2017 / 2018 aus den von ihm kontrollierten Gebieten im Irak und in Syrien vertrieben wurde. Viele der Frauen sind Witwen von IS-Kämpfern. Das Lager wird vom syrisch-kurdischen Militär verwaltet und bewacht. Die syrischen Kurden haben im nördlichen Syrien ein faktisch autonomes Gebiet errichtet.
Das Leben in Al-Hol – das Lager hat die Dimensionen einer größeren Stadt – ist schwierig und gefährlich. Die Vereinten Nationen berichteten allein für den Zeitraum zwischen Januar 2021 und Juni 2022 von 106 Morden, darunter auch Enthauptungen. Beobachtern zufolge ist das Lager gespalten in zwei Gruppen: Die eine hängt der fanatischen Ideologie des IS weiterhin an, die andere hat sich von ihr losgesagt.
Hilfe für die “Schwestern”
Das Lager leidet nicht nur unter der Gewalt eines Teiles seiner Insassen. Es mangelt dort auch an sanitärer Infrastruktur, festen Wohnungen und Bildungseinrichtungen. Auch darum haben mehrere Staaten, unter anderem auch Deutschland, teilweise eigene Staatsbürger aus dem Lager zurück in ihre Heimat gebracht, wo sie sich vor Gericht verantworten müssen. Viele der dort lebenden Frauen haben kaum ein Einkommen. Auch vor diesem Hintergrund haben IS-Anhänger außerhalb des Lagers in den letzten Jahren Geld für die dort lebenden Familien gesammelt.
Menschenschmuggel für den IS
Sympathisanten der Extremisten bitten bereits seit Mitte 2019 auf Online-Seiten mit Namen wie “Gerechtigkeit für Schwestern”, “Käfigvögel” und “Schwestern im Zelt” um Unterstützung für die Frauen. In der Regel finden sich diese Kampagnen auf privaten Messenger-Anwendungen wie Telegram oder – trotz des Gefahr, wegen der Finanzierung einer terroristischen Organisation juristisch belangt zu werden – auf leichter zugänglichen Plattformen wie Instagram und Facebook.
In einem Bericht aus dem Jahr 2021 zählte das ‘Combating Terrorism Center’ an der US-Militärakademie ‘West Point’ 40 solcher Crowdfunding-Kampagnen. Formuliert sind sie überwiegend in Deutsch, Arabisch, Türkisch, Englisch, Französisch und Russisch. Oft gibt man sich betont harmlos und vor allem humanitär: So werben Aktivisten oft damit, das Geld diene dazu, den Familien von Al-Hol zu helfen, Lebensmittel, Medikamente, Spielzeug oder Kleidung zu kaufen.
Einmal gesammelt, wird das Geld über eine Kombination aus offiziellen und inoffiziellen Finanzsystemen in die syrischen Lager gebracht. Dazu gehören das Online-Zahlungssystem PayPal, Banken, die Western Union und ähnliche Anbieter sowie ein informelles Netzwerk für Geldtransfers, das als “Hawala” bekannt ist.
Ausbildung zum Terroristen
Seit langem gehe es jedoch nicht nur um die humanitäre Unterstützung der Lagerinsassen, so eine Studie des in den USA ansässigen ‘International Center for the Study of Violent Extremism’ (ICSVE). Zunehmend bäten Crowdfunding-Kampagnen potentielle Unterstützer um Geldspenden, um Menschen aus dem Lager zu schleusen, so das ICSVE, das auch die Kampagne für die beiden tadschikischen Jungen unter dem Titel “Spende auf dem Weg Allahs” analysiert hat.
Das Schleusertum habe teils ganz praktische Gründe, sagt Anne Speckhard, die Leiterin des Zentrums, gegenüber der DW. So kämen einige der Kinder jetzt in ein Alter, im den sie von den syrisch-kurdischen Militärs von ihren Familien getrennt und in andere Gefängnisse verlegt würden. “Das löst bei den Müttern Verzweiflung aus”, so Speckhard. Darum bäten sie um Geld, um die Kinder rechtzeitig aus dem Lager zu schmuggeln.
“Leider werden die Kinder von den Unterstützern oft aber in die Hände des IS und anderer militanter Gruppen gebracht und dort zu Kämpfern ausgebildet.” Aus dem Lager geschmuggelte Mädchen würden zudem oft als Ehefrauen für IS-Kämpfer in anderen Ländern vorgesehen und missbraucht, so Speckhard.
Täglich würden Personen aus dem Lager geschmuggelt, heißt es in einem bereits 2020 veröffentlichten Report in der Zeitschrift ‘Perspectives on Terrorism’. Ermöglicht werde der Schmuggel durch die Bestechung von Wachen und mit Hilfe eines lokalen Netzwerks von Menschenschmugglern.
Trotz der Zustände in Al-Hol ist die Rückführung der Flüchtlinge aus Syrien in ihre Herkunftsländer nach wie vor umstritten. Viele Regierungen zögern, weil sie eine mögliche Sicherheitsbedrohung oder negative öffentliche Reaktionen oder beides fürchten, so eine Studie der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch. Bis 2021 hatten nur 25 Länder versucht, Menschen aus Al-Hol nach Hause zu holen.
Die zentralasiatischen Staaten Kasachstan, Tadschikistan, Kirgisistan und Usbekistan gehören in dieser Hinsicht zu den aktivsten Ländern. Ende Juli kehrten 42 Frauen und 104 Kinder nach Tadschikistan zurück.
Die beiden tadschikischen Teenager allerdings haben offenbar keinen Flug in die Heimat erhalten, sondern werden höchstwahrscheinlich zu Terroristen ausgebildet. Anfang August, nur 10 Tage nach Beginn der Spendenaktion, meldeten mehrere Telegram-Kanäle mit Bezug zu Al-Hol auf Russisch und Deutsch, sie hätten das Spendenziel erreicht und könnten die beiden Teenager nun “in Sicherheit” bringen – gemeint ist ein Ausbildungslager des IS. Dort sollen die beiden Jungen unbestätigten Berichten zufolge längst eingetroffen sein.
Aus dem Englischen adaptiert von Kersten Knipp.