Europäische Politische Gemeinschaft: Familientreffen im XL-Format
Zum ersten Treffen der “Europäischen Politischen Gemeinschaft” versammeln sich in Prag neben EU-Vertretern die Staats- und Regierungschefs aus 17 Ländern der erweiterten Nachbarschaft. Was kann der Mega-Gipfel bringen?
Sieben Monate nach Beginn des Krieges in der Ukraine versucht die EU, eine neue Plattform für die stärkere Zusammenarbeit mit nahen und fernen Nachbarn zu schaffen. Eingeladen in die historische Prager Burg sind 17 Staats- und Regierungschefs von Armenien über die Türkei bis zu den Balkanstaaten und Beitrittskandidaten auf der europäischen Wartebank. Das Treffen ist ein Versuchsballon, inwieweit sich gegenüber Russlands Aggression in der Ukraine ein weiterer Kreis von befreundeten Staaten schaffen lässt, die sich für die gemeinsame Sicherheit engagieren und in punkto Sanktionen und Energie mit der EU kooperieren wollen.
Skeptiker befürchten, das wichtigste Ergebnis dieses Gipfeltreffens im XL-Format könne das Familienfoto mit 44 Regierungschefs und -chefinnen werden, mehr oder minder angestrengt lächelnd. Dessen Ursprung in der kreativen politischen Phantasie des französischen Präsidenten Emmanuel Macron ließ manche Osteuropäer schnell abwinken, denn sie vermuteten, es solle eine Talkshow zweiter Klasse vor allem für Kandidatenländer geschaffen werden. Wenn die EU “ihre geopolitische Verantwortung in der Nachbarschaft wahrnehmen will, solle sie mehr in den Erweiterungsprozess investieren statt neue Gipfelformate zu erfinden”, kritisiert etwa Piotr Buras vom European Council on Foreign Relations in Warschau.
Sieben Monate nach Beginn des Krieges in der Ukraine versucht die EU, eine neue Plattform für die stärkere Zusammenarbeit mit nahen und fernen Nachbarn zu schaffen. Eingeladen in die historische Prager Burg sind 17 Staats- und Regierungschefs von Armenien über die Türkei bis zu den Balkanstaaten und Beitrittskandidaten auf der europäischen Wartebank. Das Treffen ist ein Versuchsballon, inwieweit sich gegenüber Russlands Aggression in der Ukraine ein weiterer Kreis von befreundeten Staaten schaffen lässt, die sich für die gemeinsame Sicherheit engagieren und in punkto Sanktionen und Energie mit der EU kooperieren wollen.
Macron hatte den Vorschlag im Mai kurz nach seiner Wiederwahl im Europaparlament in Straßburg gemacht. Auf die einzigartigen Herausforderungen durch den Krieg in der Ukraine brauche man eine neue Antwort, erklärte der Franzose, nämlich eine “Europäische Politische Gemeinschaft” (EPC). Diese Organisation würde demokratischen Ländern einen neuen Raum geben “für politische und Sicherheitszusammenarbeit, Kooperation im Energiesektor, bei Transport, Investitionen und der Bewegungsfreiheit der Bürger”. Wie so häufig bei Macrons strategischen Höhenflügen war Berlin zunächst wenig begeistert und befürchtete neue Strukturen, die finanziert werden müssten. Inzwischen unterstützt die Bundesregierung die Idee.
Mehr als ein Familienfoto?
Die Realität des auf Jahre zerstörten Verhältnisses mit Russland und die anhaltende militärische Bedrohung haben das Bedürfnis gestärkt, die Beziehungen der EU zu ihrer erweiterten Nachbarschaft neu zu gestalten. Die klassische EU-Nachbarschaftspolitik sei gescheiter, so schreiben Jean Pisany-Ferry und Daniela Schwarzer (Jaques Delors-Institut). Der Erweiterungsprozess sei schmerzhaft langsam. Die EU aber könne einerseits den Beitritt der Ukraine, Moldaus und der Balkanländer nicht stark beschleunigen, ohne selbst funktionsunfähig zu werden. Andererseits dürfe Brüssel sie nicht noch ein Jahrzehnt oder länger im Vorraum warten lassen. “Die EPC ist ein Versuch, dieses Problem zu überwinden.”
Die Europäische Politische Gemeinschaft hat wie jede internationale Organisation gleich zur Geburt eine Abkürzung bekommen, wobei nicht sicher ist, wie überlebensfähig das politische Kind sein wird. Die Politikexperten Pisany-Ferry und Schwarzer sehen den möglichen Nutzen vor allem in einer Verteidigungs- und Sicherheitspartnerschaft über den Rahmen der EU hinaus. Und sie haben weiter gesteckte Hoffnungen: Die EPC könnte eine “Brücke zu einer größeren EU und ein Rahmen für eine dauerhaftere kontinentale Integration werden”.
Geladen zum großen Familientreffen sind Freunde wie Norwegen, Island und die Schweiz, die nicht zur EU gehören, aber durch Verträge und Kooperation an sie gebunden sind. Zugesagt hat auch nach einigem Zögern Ex-Mitglied Großbritannien. Noch im Juni hatte Liz Truss als damalige Außenministerin erklärt, sie habe an dem Gipfel kein Interesse. Inzwischen hat sich das Blatt gewendet und London scheint auf vorsichtigem Annäherungskurs mit der EU. Die neue Regierung sieht wohl eine Chance, in bilateralen Treffen einen Ausweg aus dem Nordirland-Dilemma zu ebnen. Sie kann sich außerdem als “globales Großbritannien” profilieren, will aufrütteln zu einer gemeinsamen “Antwort auf Putins Krieg in der Ukraine” sowie über Energielieferungen und Migration verhandeln, wie es in einer Erklärung der Downing Street hieß. Bei letzterem geht es um Frankreich und den anhaltenden Transit der kleinen Flüchtlingsboote über den Ärmelkanal.
Um die Einladung an den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan wiederum hatte es diplomatische Verwerfungen gegeben. Die Teilnahme am EPC-Gipfel soll nämlich an die Anerkennung demokratischer Werte gebunden sein. Erdogan aber tritt sie seit Jahren mit Füßen, die Beitrittsgespräche mit der EU liegen längst auf Eis. Außerdem unterminiert er die gemeinsame Front gegen Russland und versucht sich stattdessen als Vermittler mit unklarer Loyalität. Am Ende siegte hier allerdings der Pragmatismus und der schwierige Nachbar wurde eingeladen. Auch wenn der jüngste Krach mit Schweden wegen einer Erdogan-Satire und die anhaltende Blockade des NATO-Beitritts von Finnland und Schweden nicht auf eine pro-europäische Wende in Ankara deuten.
Die Sitzordnung bei der gemeinsamen Aussprache am Donnerstagmittag und beim abendlichen Arbeitsessen dürfte wegen dieser und anderer Feindseligkeiten den Diplomaten Kopfschmerzen bereitet haben. Denn verfeindete Staaten wie Armenien und Aserbeidschan können nicht nebeneinander platziert werden, Israel und die Türkei haben erst vor kurzem ihre diplomatischen Beziehungen wiederbelebt und das Verhältnis Ankaras zu Griechenland und Zypern steht angesichts ständiger türkischer Provokationen im Mittelmeer wieder einmal auf dem Nullpunkt.
Ob das Treffen ein Erfolg wird, hängt davon ab, inwieweit die Staats- und Regierungschefs ihre nationalen Anliegen verfolgen oder ein echtes Interesse an der engeren Zusammenarbeit einer ähnlich gesinnten europäischen Familie zeigen. Für Teilnehmer wie die Ukraine, Georgien oder Moldau, die unter der Aggression oder Drohung durch Russland leiden, ist das keine Frage: Für sie kann es nicht genug Wiederaufbau, Finanzierung, Investition, militärische Unterstützung oder Kooperation geben.
Ursprünglich hatte Frankreich diese Art Familientreffen einmal im halben Jahr vorgesehen. Bis zum Frühjahr aber müsste die Europäische Politische Gemeinschaft zunächst eine Art von Organisation, Struktur und Finanzierung vereinbart haben, um mehr zu sein als eine riesige Tischrunde. Man kennt das Format, wenn 44 Staats- und Regierungschefs jeweils nur drei Minuten reden sollen, aber nach drei Stunden immer noch nicht fertig sind. Eine Menge bilateraler Treffen im Laufe des Nachmittags sollen die formellen Erklärungen in großer Runde mit Inhalt füllen. Und der Austragungsort für den nächsten paneuropäischen Gipfel ist ein politisches Signal: Als Gastgeber hat sich das kleine, im Schatten Russlands stehende Moldau angeboten.
Sieben Monate nach Beginn des Krieges in der Ukraine versucht die EU, eine neue Plattform für die stärkere Zusammenarbeit mit nahen und fernen Nachbarn zu schaffen. Eingeladen in die historische Prager Burg sind 17 Staats- und Regierungschefs von Armenien über die Türkei bis zu den Balkanstaaten und Beitrittskandidaten auf der europäischen Wartebank. Das Treffen ist ein Versuchsballon, inwieweit sich gegenüber Russlands Aggression in der Ukraine ein weiterer Kreis von befreundeten Staaten schaffen lässt, die sich für die gemeinsame Sicherheit engagieren und in punkto Sanktionen und Energie mit der EU kooperieren wollen.
Skeptiker befürchten, das wichtigste Ergebnis dieses Gipfeltreffens im XL-Format könne das Familienfoto mit 44 Regierungschefs und -chefinnen werden, mehr oder minder angestrengt lächelnd. Dessen Ursprung in der kreativen politischen Phantasie des französischen Präsidenten Emmanuel Macron ließ manche Osteuropäer schnell abwinken, denn sie vermuteten, es solle eine Talkshow zweiter Klasse vor allem für Kandidatenländer geschaffen werden. Wenn die EU “ihre geopolitische Verantwortung in der Nachbarschaft wahrnehmen will, solle sie mehr in den Erweiterungsprozess investieren statt neue Gipfelformate zu erfinden”, kritisiert etwa Piotr Buras vom European Council on Foreign Relations in Warschau.
Mehr als ein Familienfoto?
Macron hatte den Vorschlag im Mai kurz nach seiner Wiederwahl im Europaparlament in Straßburg gemacht. Auf die einzigartigen Herausforderungen durch den Krieg in der Ukraine brauche man eine neue Antwort, erklärte der Franzose, nämlich eine “Europäische Politische Gemeinschaft” (EPC). Diese Organisation würde demokratischen Ländern einen neuen Raum geben “für politische und Sicherheitszusammenarbeit, Kooperation im Energiesektor, bei Transport, Investitionen und der Bewegungsfreiheit der Bürger”. Wie so häufig bei Macrons strategischen Höhenflügen war Berlin zunächst wenig begeistert und befürchtete neue Strukturen, die finanziert werden müssten. Inzwischen unterstützt die Bundesregierung die Idee.
Die Realität des auf Jahre zerstörten Verhältnisses mit Russland und die anhaltende militärische Bedrohung haben das Bedürfnis gestärkt, die Beziehungen der EU zu ihrer erweiterten Nachbarschaft neu zu gestalten. Die klassische EU-Nachbarschaftspolitik sei gescheiter, so schreiben Jean Pisany-Ferry und Daniela Schwarzer (Jaques Delors-Institut). Der Erweiterungsprozess sei schmerzhaft langsam. Die EU aber könne einerseits den Beitritt der Ukraine, Moldaus und der Balkanländer nicht stark beschleunigen, ohne selbst funktionsunfähig zu werden. Andererseits dürfe Brüssel sie nicht noch ein Jahrzehnt oder länger im Vorraum warten lassen. “Die EPC ist ein Versuch, dieses Problem zu überwinden.”
Die Europäische Politische Gemeinschaft hat wie jede internationale Organisation gleich zur Geburt eine Abkürzung bekommen, wobei nicht sicher ist, wie überlebensfähig das politische Kind sein wird. Die Politikexperten Pisany-Ferry und Schwarzer sehen den möglichen Nutzen vor allem in einer Verteidigungs- und Sicherheitspartnerschaft über den Rahmen der EU hinaus. Und sie haben weiter gesteckte Hoffnungen: Die EPC könnte eine “Brücke zu einer größeren EU und ein Rahmen für eine dauerhaftere kontinentale Integration werden”.
Geladen zum großen Familientreffen sind Freunde wie Norwegen, Island und die Schweiz, die nicht zur EU gehören, aber durch Verträge und Kooperation an sie gebunden sind. Zugesagt hat auch nach einigem Zögern Ex-Mitglied Großbritannien. Noch im Juni hatte Liz Truss als damalige Außenministerin erklärt, sie habe an dem Gipfel kein Interesse. Inzwischen hat sich das Blatt gewendet und London scheint auf vorsichtigem Annäherungskurs mit der EU. Die neue Regierung sieht wohl eine Chance, in bilateralen Treffen einen Ausweg aus dem Nordirland-Dilemma zu ebnen. Sie kann sich außerdem als “globales Großbritannien” profilieren, will aufrütteln zu einer gemeinsamen “Antwort auf Putins Krieg in der Ukraine” sowie über Energielieferungen und Migration verhandeln, wie es in einer Erklärung der Downing Street hieß. Bei letzterem geht es um Frankreich und den anhaltenden Transit der kleinen Flüchtlingsboote über den Ärmelkanal.
Freunde, Feinde und andere
Um die Einladung an den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan wiederum hatte es diplomatische Verwerfungen gegeben. Die Teilnahme am EPC-Gipfel soll nämlich an die Anerkennung demokratischer Werte gebunden sein. Erdogan aber tritt sie seit Jahren mit Füßen, die Beitrittsgespräche mit der EU liegen längst auf Eis. Außerdem unterminiert er die gemeinsame Front gegen Russland und versucht sich stattdessen als Vermittler mit unklarer Loyalität. Am Ende siegte hier allerdings der Pragmatismus und der schwierige Nachbar wurde eingeladen. Auch wenn der jüngste Krach mit Schweden wegen einer Erdogan-Satire und die anhaltende Blockade des NATO-Beitritts von Finnland und Schweden nicht auf eine pro-europäische Wende in Ankara deuten.
Der nächste Gipfel in Moldau
Die Sitzordnung bei der gemeinsamen Aussprache am Donnerstagmittag und beim abendlichen Arbeitsessen dürfte wegen dieser und anderer Feindseligkeiten den Diplomaten Kopfschmerzen bereitet haben. Denn verfeindete Staaten wie Armenien und Aserbeidschan können nicht nebeneinander platziert werden, Israel und die Türkei haben erst vor kurzem ihre diplomatischen Beziehungen wiederbelebt und das Verhältnis Ankaras zu Griechenland und Zypern steht angesichts ständiger türkischer Provokationen im Mittelmeer wieder einmal auf dem Nullpunkt.
Ob das Treffen ein Erfolg wird, hängt davon ab, inwieweit die Staats- und Regierungschefs ihre nationalen Anliegen verfolgen oder ein echtes Interesse an der engeren Zusammenarbeit einer ähnlich gesinnten europäischen Familie zeigen. Für Teilnehmer wie die Ukraine, Georgien oder Moldau, die unter der Aggression oder Drohung durch Russland leiden, ist das keine Frage: Für sie kann es nicht genug Wiederaufbau, Finanzierung, Investition, militärische Unterstützung oder Kooperation geben.
Ursprünglich hatte Frankreich diese Art Familientreffen einmal im halben Jahr vorgesehen. Bis zum Frühjahr aber müsste die Europäische Politische Gemeinschaft zunächst eine Art von Organisation, Struktur und Finanzierung vereinbart haben, um mehr zu sein als eine riesige Tischrunde. Man kennt das Format, wenn 44 Staats- und Regierungschefs jeweils nur drei Minuten reden sollen, aber nach drei Stunden immer noch nicht fertig sind. Eine Menge bilateraler Treffen im Laufe des Nachmittags sollen die formellen Erklärungen in großer Runde mit Inhalt füllen. Und der Austragungsort für den nächsten paneuropäischen Gipfel ist ein politisches Signal: Als Gastgeber hat sich das kleine, im Schatten Russlands stehende Moldau angeboten.