Meinung: Scholz’ Herausforderungen in China
Bundeskanzler Olaf Scholz hat in China versucht, sich sowohl für die Wirtschaft als auch für Menschenrechte und Reformen einzusetzen. Doch deutsche Unternehmen sind zu sehr auf China angewiesen, meint Clifford Coonan.
Bundeskanzler Olaf Scholz‘ Besuch in China illustriert Deutschlands Abhängigkeiten. Einheimische Industriekonzerne wie BASF, Siemens und Volkswagen sind ebenso von China abhängig geworden wie Deutschland von russischem Gas – mit verheerenden Folgen. Obwohl der weltweite Handel in den vergangenen drei Jahren durch die Corona-Pandemie abgenommen hat, scheinen deutsche Unternehmen keine Anstrengungen unternommen zu haben, sich anderswo umzuschauen.
Das IFO-Institut für Wirtschaftsforschung fand kürzlich heraus, dass fast die Hälfte deutscher Industriebetriebe sich im Wesentlichen auf Beiträge aus China verlassen. Von den Direktinvestitionen der EU in China in den vergangenen vier Jahren entfallen 43 Prozent auf deutsche Firmen. Chinas Handel mit Deutschland umfasste 2021 insgesamt 245 Milliarden Euro – ein Anstieg von 15 Prozent seit dem Vorjahr.
Bundeskanzler Olaf Scholz‘ Besuch in China illustriert Deutschlands Abhängigkeiten. Einheimische Industriekonzerne wie BASF, Siemens und Volkswagen sind ebenso von China abhängig geworden wie Deutschland von russischem Gas – mit verheerenden Folgen. Obwohl der weltweite Handel in den vergangenen drei Jahren durch die Corona-Pandemie abgenommen hat, scheinen deutsche Unternehmen keine Anstrengungen unternommen zu haben, sich anderswo umzuschauen.
Kurz nachdem Olaf Scholz Chinas Präsident Xi Jinping und Premier Li Keqiang getroffen hatte, gab es den entscheidenden Moment der Kanzlervisite in Peking – übrigens der erste Besuch eines westlichen Regierungschefs seit Beginn der Corona-Pandemie.
Die Schlüsselszene: Cosco und der Hamburger Hafen
Ende Oktober hatte Scholz den Verkauf von knapp 25 Prozent eines Terminals des Hamburger Hafens an die chinesische Staatsrederei Cosco durchgesetzt – gegen den Widerstand der Geheimdienste, seiner Koalitionspartner und sechs seiner Minister. Auf die Frage von Reportern, ob die chinesische Führung sein Durchboxen des Cosco-Deals begrüßt habe, schnappte Scholz: “Ich hab’s nicht angesprochen und andere sind auch nicht darauf zurückgekommen.” Nach dem Treffen mit Xi betonte Scholz die Wechselseitigkeit der Beziehungen, aber er erwähnte nicht, was passieren würde, falls ein deutsches Unternehmen versuchte, eine Beteiligung an einem chinesischen Hafen zu erwerben. China schließt so etwas aus.
Deutschlands Verbündete waren wütend, weil die Bundesregierung eine engere Anbindung an ein autokratisches Regime unterstützt. Schließlich ist es erst wenige Monate her, dass Deutschland nach der russischen Invasion der Ukraine plötzlich völlig exponiert dastand, nachdem es Moskau jahrelang umworben hatte, um in den Genuss preiswerter Energie aus Russland zu kommen. Befreundete Staaten wie Frankreich und die USA waren frustriert von dem, was sie als deutschen Alleingang wahrnahmen, der das Wohlergehen der deutschen Wirtschaft scheinbar vor die umfassenderen EU-Interessen stellt.
Auch viele Deutsche sind skeptisch. Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Infratest dimap sind fast 70 Prozent der Befragten enttäuscht vom Verkauf eines Teils des Hamburger Hafens und fast die Hälfte würden die Beziehungen zu China zurückschrauben.
Oberflächlich betrachtet hat sich Scholz’ Besuch von anderen unterschieden. Er hat politisch offener geredet als Angela Merkel das als Bundeskanzlerin jemals getan hat. Er hat Chinas stillschweigende Billigung der russischen Invasion in der Ukraine ebenso kritisiert wie die Unterdrückung der Uiguren in der Provinz Xinjiang, und er forderte von Peking Zurückhaltung gegenüber Taiwan. Menschenrechte anzusprechen stelle nicht die innerstaatliche Souveränität in Frage, sagte Scholz mit Blick darauf, dass Chinas auf westliche Kommentare zu seiner erschreckenden Menschenrechtsbilanz üblicherweise antwortet: “Kümmert Euch um Eure eigenen Angelegenheiten!”
In anderer Hinsicht allerdings war Scholz’ Visite eine direkte Rückkehr zu den Tagen von Angela Merkel und “Wandel durch Handel”. Wie Merkel hat Scholz eine Delegation von Wirtschaftsbossen angeführt. Er hat unter anderem die Erlaubnis erwirkt, dass mRNA-Impfstoffe des Unternehmens BioNTech für Ausländer in China zugelassen werden, wenn auch nicht für chinesische Staatsbürger.
Es gibt vermehrt Forderungen, die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Deutschland und China wiederherzustellen. Corona-Lockdowns, schwacher Konsum und ein dahinsiechender Immobilienmarkt haben die Investitionschancen in China getrübt. Die Wirtschaft wächst so langsam wie seit vier Jahrzehnten nicht mehr.
Die Nachricht, dass Xi Jinping seine Macht gefestigt, eine nie dagewesene dritte Amtszeit als Staats- und Parteichef angetreten und seine Spezies in Schlüsselpositionen gebracht hat, ließ den Yuan auf das niedrigste Niveau seit 14 Jahren fallen. Reform und Öffnung sind in China nur noch hohle Worte.
Die sozialen Medien waren in den vergangenen Tagen voll von Bildern tausender Arbeiter, die die weltgrößte iPhone-Fabrik verließen, Foxconn im chinesischen Zhengzhou, um der Corona-Quarantäne zu entgehen. Pandemiearbeiter in Schutzanzügen, die wie “Star Wars”-Sturmtruppen aussahen, und maskierte Polizisten versuchten erfolglos, sie zu stoppen.
Was wäre passiert, wenn hier BMW- oder Adidas-Beschäftigte mit den Füßen abgestimmt hätten? Wie hätten es deutsche Unternehmen verteidigt, dass Mitarbeiter am Verlassen des Arbeitsplatzes gehindert werden? Wie hätten sie den Aktionären erklärt, dass Xi Jinpings aggressive Null-COVID-Politik, die das Wirtschaftswachstum abwürgt, die Lieferkette beeinträchtigt?
Es setzt sich immer mehr die Überzeugung durch, dass es China egal ist, was der Westen denkt – möglicherweise mit Ausnahme der USA. Und Wall Street und den Finanzmärkten ist es auch weitgehend egal. Kapitalistische Banker haben nicht Eiligeres zu tun, als Xis Neustart des “Sozialismus chinesischer Prägung” zu begrüßen.
So lange Deutschland wirtschaftlich so abhängig von China ist, sind seine Bemühungen, Reform zu ermutigen, zum Scheitern verurteilt.
Adaption aus dem Englischen: Beate Hinrichs
Bundeskanzler Olaf Scholz‘ Besuch in China illustriert Deutschlands Abhängigkeiten. Einheimische Industriekonzerne wie BASF, Siemens und Volkswagen sind ebenso von China abhängig geworden wie Deutschland von russischem Gas – mit verheerenden Folgen. Obwohl der weltweite Handel in den vergangenen drei Jahren durch die Corona-Pandemie abgenommen hat, scheinen deutsche Unternehmen keine Anstrengungen unternommen zu haben, sich anderswo umzuschauen.
Das IFO-Institut für Wirtschaftsforschung fand kürzlich heraus, dass fast die Hälfte deutscher Industriebetriebe sich im Wesentlichen auf Beiträge aus China verlassen. Von den Direktinvestitionen der EU in China in den vergangenen vier Jahren entfallen 43 Prozent auf deutsche Firmen. Chinas Handel mit Deutschland umfasste 2021 insgesamt 245 Milliarden Euro – ein Anstieg von 15 Prozent seit dem Vorjahr.
Die Schlüsselszene: Cosco und der Hamburger Hafen
Kurz nachdem Olaf Scholz Chinas Präsident Xi Jinping und Premier Li Keqiang getroffen hatte, gab es den entscheidenden Moment der Kanzlervisite in Peking – übrigens der erste Besuch eines westlichen Regierungschefs seit Beginn der Corona-Pandemie.
Ende Oktober hatte Scholz den Verkauf von knapp 25 Prozent eines Terminals des Hamburger Hafens an die chinesische Staatsrederei Cosco durchgesetzt – gegen den Widerstand der Geheimdienste, seiner Koalitionspartner und sechs seiner Minister. Auf die Frage von Reportern, ob die chinesische Führung sein Durchboxen des Cosco-Deals begrüßt habe, schnappte Scholz: “Ich hab’s nicht angesprochen und andere sind auch nicht darauf zurückgekommen.” Nach dem Treffen mit Xi betonte Scholz die Wechselseitigkeit der Beziehungen, aber er erwähnte nicht, was passieren würde, falls ein deutsches Unternehmen versuchte, eine Beteiligung an einem chinesischen Hafen zu erwerben. China schließt so etwas aus.
Deutschlands Verbündete waren wütend, weil die Bundesregierung eine engere Anbindung an ein autokratisches Regime unterstützt. Schließlich ist es erst wenige Monate her, dass Deutschland nach der russischen Invasion der Ukraine plötzlich völlig exponiert dastand, nachdem es Moskau jahrelang umworben hatte, um in den Genuss preiswerter Energie aus Russland zu kommen. Befreundete Staaten wie Frankreich und die USA waren frustriert von dem, was sie als deutschen Alleingang wahrnahmen, der das Wohlergehen der deutschen Wirtschaft scheinbar vor die umfassenderen EU-Interessen stellt.
Auch viele Deutsche sind skeptisch. Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Infratest dimap sind fast 70 Prozent der Befragten enttäuscht vom Verkauf eines Teils des Hamburger Hafens und fast die Hälfte würden die Beziehungen zu China zurückschrauben.
“Wandel durch Handel” – wie zu Merkels Zeiten
Oberflächlich betrachtet hat sich Scholz’ Besuch von anderen unterschieden. Er hat politisch offener geredet als Angela Merkel das als Bundeskanzlerin jemals getan hat. Er hat Chinas stillschweigende Billigung der russischen Invasion in der Ukraine ebenso kritisiert wie die Unterdrückung der Uiguren in der Provinz Xinjiang, und er forderte von Peking Zurückhaltung gegenüber Taiwan. Menschenrechte anzusprechen stelle nicht die innerstaatliche Souveränität in Frage, sagte Scholz mit Blick darauf, dass Chinas auf westliche Kommentare zu seiner erschreckenden Menschenrechtsbilanz üblicherweise antwortet: “Kümmert Euch um Eure eigenen Angelegenheiten!”
Deutsch-chinesische Beziehungen: Zurück auf Anfang
In anderer Hinsicht allerdings war Scholz’ Visite eine direkte Rückkehr zu den Tagen von Angela Merkel und “Wandel durch Handel”. Wie Merkel hat Scholz eine Delegation von Wirtschaftsbossen angeführt. Er hat unter anderem die Erlaubnis erwirkt, dass mRNA-Impfstoffe des Unternehmens BioNTech für Ausländer in China zugelassen werden, wenn auch nicht für chinesische Staatsbürger.
Es gibt vermehrt Forderungen, die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Deutschland und China wiederherzustellen. Corona-Lockdowns, schwacher Konsum und ein dahinsiechender Immobilienmarkt haben die Investitionschancen in China getrübt. Die Wirtschaft wächst so langsam wie seit vier Jahrzehnten nicht mehr.
Die Nachricht, dass Xi Jinping seine Macht gefestigt, eine nie dagewesene dritte Amtszeit als Staats- und Parteichef angetreten und seine Spezies in Schlüsselpositionen gebracht hat, ließ den Yuan auf das niedrigste Niveau seit 14 Jahren fallen. Reform und Öffnung sind in China nur noch hohle Worte.
Was kümmert’s China
Die sozialen Medien waren in den vergangenen Tagen voll von Bildern tausender Arbeiter, die die weltgrößte iPhone-Fabrik verließen, Foxconn im chinesischen Zhengzhou, um der Corona-Quarantäne zu entgehen. Pandemiearbeiter in Schutzanzügen, die wie “Star Wars”-Sturmtruppen aussahen, und maskierte Polizisten versuchten erfolglos, sie zu stoppen.
Was wäre passiert, wenn hier BMW- oder Adidas-Beschäftigte mit den Füßen abgestimmt hätten? Wie hätten es deutsche Unternehmen verteidigt, dass Mitarbeiter am Verlassen des Arbeitsplatzes gehindert werden? Wie hätten sie den Aktionären erklärt, dass Xi Jinpings aggressive Null-COVID-Politik, die das Wirtschaftswachstum abwürgt, die Lieferkette beeinträchtigt?
Es setzt sich immer mehr die Überzeugung durch, dass es China egal ist, was der Westen denkt – möglicherweise mit Ausnahme der USA. Und Wall Street und den Finanzmärkten ist es auch weitgehend egal. Kapitalistische Banker haben nicht Eiligeres zu tun, als Xis Neustart des “Sozialismus chinesischer Prägung” zu begrüßen.
So lange Deutschland wirtschaftlich so abhängig von China ist, sind seine Bemühungen, Reform zu ermutigen, zum Scheitern verurteilt.
Adaption aus dem Englischen: Beate Hinrichs