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Bosnien und Herzegowina: EU-Kandidat dank Geopolitik

Bosnien und Herzegowina wartet seit vielen Jahren darauf, EU-Beitrittskandidat zu werden. Nun gab die EU grünes Licht – aus geopolitischen Gründen. Was sagen deutsche Politiker dazu?

In der europäischen Politik spielt Bosnien und Herzegowina schon seit langem kaum mehr eine Rolle. Die Schrecken des Bosnien-Krieges und der Völkermord von Srebrenica sind weitgehend vergessen und verblasst. Das Land befindet sich in einem politischen Dauerstillstand, die ethno-nationalen Politkartelle der drei Volksgruppen Bosniaken, Serben und Kroaten verhindern nahezu alle Reformen, die Menschen verlassen das Land in Scharen. An eine europäische Integration, wie sie der gesamten Westbalkan-Region vor zwei Jahrzehnten in Aussicht gestellt wurde, war unter diesen Umständen nicht zu denken.

Doch nun ist Bosnien und Herzegowina plötzlich EU-Kandidat. Bei ihrem Gipfeltreffen in Brüssel beschlossen die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union, dem Land den Status eines Beitrittskandidaten zu verleihen – sechs Jahre nachdem Bosnien und Herzegowina die Mitgliedschaft in der Europäischen Union beantragt, aber keine der damals geforderten Reformen vollständig umgesetzt hat.

In der europäischen Politik spielt Bosnien und Herzegowina schon seit langem kaum mehr eine Rolle. Die Schrecken des Bosnien-Krieges und der Völkermord von Srebrenica sind weitgehend vergessen und verblasst. Das Land befindet sich in einem politischen Dauerstillstand, die ethno-nationalen Politkartelle der drei Volksgruppen Bosniaken, Serben und Kroaten verhindern nahezu alle Reformen, die Menschen verlassen das Land in Scharen. An eine europäische Integration, wie sie der gesamten Westbalkan-Region vor zwei Jahrzehnten in Aussicht gestellt wurde, war unter diesen Umständen nicht zu denken.

Dennoch bewerten deutsche Politiker den Schritt der EU ausnahmslos positiv. Auf Anfragen der DW betonen sie, dies sei ein “sehr positives Signal für die Menschen in Bosnien und Herzegowina” und ein Schritt, der “schon vor langer Zeit hätte getan werden sollen”. Die DW sandte Fragen unter anderem an Boris Mijatovic (Grüne), Adis Ahmetovic und Jasmina Hostert (SPD) sowie Thomas Hacker (FDP) – vier Politiker, die sich besonders mit der Region befassen.

Geopolitische Gründe

Dabei ist keiner der Befragten der Ansicht, dass die Gewährung des Kandidatenstatus das Ergebnis von Fortschritten in der institutionellen oder demokratischen Entwicklung in Bosnien und Herzegowina sind. Als Grund sehen sie vor allem die geopolitische Dimension und die Sorge um Stabilität und Sicherheit in Europa.

“Der völkerrechtswidrige Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine hat in der Nachbarschafts- und Erweiterungspolitik der Europäischen Union neue Dynamiken ausgelöst, die es ohne den Krieg in diesem Tempo nicht gegeben hätte”, sagt Thomas Hacker, FDP-Berichterstatter für die Westbalkanländer, der DW. Er fügt hinzu: “Zu dieser Dynamik gehört ohne Zweifel auch der Kandidatenstatus für Bosnien und Herzegowina.”

Dem stimmt auch der Grünen-Politiker Boris Mijatovic zu, Sprecher seiner Fraktion für Menschenrechte und humanitäre Hilfe: “Wir haben es mit einer ernsten geopolitischen Situation zu tun, die durch den Angriffskrieg der Russischen Föderation gegen den souveränen Nachbarn Ukraine entstanden ist und verschärft wurde”, sagt er der DW. Wenn die EU ihr Versprechen einer Beitrittsperspektive für den Westbalkan nicht einlöse, werde diese Lücke von anderen Staaten und ihren Initiativen gefüllt, “nämlich von Russland, China oder auch anderen”.

Der Westbalkan solle “als geopolitisch wichtige Region betrachtet und die Integration in die EU entschieden weiter vorangetrieben” werden, betont auch der sozialdemokratische Bundestagsabgeordnete Adis Ahmetovic. Der russische und chinesische Einfluss dürfe nicht noch stärker und der Westbalkan zu keinem weiteren Einfallstor für einen nächsten großen europäischen Konflikt werden, warnt der SPD-Politiker.

Gleichzeitig, so betonen die DW-Gesprächspartner, könne die Verleihung des Kandidatenstatus an Bosnien und Herzegowina einen wesentlichen Anreiz für die Weiterentwicklung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in dem Westbalkan-Land darstellen.

“Die politische Führung des Landes sollte diese Entscheidung jetzt nutzen, um notwendige Reformen zügig umzusetzen”, betont der Liberale Thomas Hacker. “Der Kandidatenstatus sollte Anlass für noch stärkere Anstrengungen sein.”  

Darauf hofft auch der Hohe Repräsentant in Bosnien und Herzegowina, der deutsche Politiker Christian Schmidt. In einer Stellungnahme für die DW schreibt er: “Dies ist eine einmalige Gelegenheit für Bosnien und Herzegowina. Der Kandidatenstatus ist ein entscheidender Schritt zur Annäherung an die EU und in eine Zukunft des Landes als Mitglied der EU-Familie.” Doch der CSU-Politiker hat auch mahnende Worte an die Adresse des frisch-gebackenen Beitrittskandidaten: “Bosnien und Herzegowina muss sein Versprechen einlösen, ein sicherer und prosperierender Vielvölkerstaat für alle seine Einwohner zu sein. Und es muss beweisen, dass es politische und wirtschaftliche Dysfunktionalität überwinden und eine dringend notwendige Reformagenda umsetzen kann.”

Schmidt glaubt, dass die jüngsten Wahlen nach vielen Jahren der Blockaden zu einer Verschiebung in der politischen Szene des Landes geführt haben, und er verspricht ein stärkeres Engagement der EU im Land.

Auch die SPD-Bundestagsabgeordnete Jasmina Hostert ist überzeugt, dass sich die EU dem jüngsten Beitrittskandidaten stärker zuwenden muss: “Die Anstrengungen bei Reformen werden wahrgenommen, die EU unterstützt Bosnien und Herzegowina bei der Bewältigung der Krisen, die wir in Europa haben”, sagt die Politikerin. Nun sei es wichtig, die Worte in Taten umzusetzen. “Nach 20 Jahren Perspektive ist es nun Zeit für mehr als einen Ausblick.”

Bürger und Soldaten kauern sich schutzsuchend hin während der Belagerung Sarajevos im Jahr 1992
Thomas Hacker I Bundestagsabgeordneter FDP
Ukraine - Zerstörung in Kharkiv nach russischem Luftangriff

In der europäischen Politik spielt Bosnien und Herzegowina schon seit langem kaum mehr eine Rolle. Die Schrecken des Bosnien-Krieges und der Völkermord von Srebrenica sind weitgehend vergessen und verblasst. Das Land befindet sich in einem politischen Dauerstillstand, die ethno-nationalen Politkartelle der drei Volksgruppen Bosniaken, Serben und Kroaten verhindern nahezu alle Reformen, die Menschen verlassen das Land in Scharen. An eine europäische Integration, wie sie der gesamten Westbalkan-Region vor zwei Jahrzehnten in Aussicht gestellt wurde, war unter diesen Umständen nicht zu denken.

Doch nun ist Bosnien und Herzegowina plötzlich EU-Kandidat. Bei ihrem Gipfeltreffen in Brüssel beschlossen die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union, dem Land den Status eines Beitrittskandidaten zu verleihen – sechs Jahre nachdem Bosnien und Herzegowina die Mitgliedschaft in der Europäischen Union beantragt, aber keine der damals geforderten Reformen vollständig umgesetzt hat.

Geopolitische Gründe

Dennoch bewerten deutsche Politiker den Schritt der EU ausnahmslos positiv. Auf Anfragen der DW betonen sie, dies sei ein “sehr positives Signal für die Menschen in Bosnien und Herzegowina” und ein Schritt, der “schon vor langer Zeit hätte getan werden sollen”. Die DW sandte Fragen unter anderem an Boris Mijatovic (Grüne), Adis Ahmetovic und Jasmina Hostert (SPD) sowie Thomas Hacker (FDP) – vier Politiker, die sich besonders mit der Region befassen.

Dabei ist keiner der Befragten der Ansicht, dass die Gewährung des Kandidatenstatus das Ergebnis von Fortschritten in der institutionellen oder demokratischen Entwicklung in Bosnien und Herzegowina sind. Als Grund sehen sie vor allem die geopolitische Dimension und die Sorge um Stabilität und Sicherheit in Europa.

“Der völkerrechtswidrige Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine hat in der Nachbarschafts- und Erweiterungspolitik der Europäischen Union neue Dynamiken ausgelöst, die es ohne den Krieg in diesem Tempo nicht gegeben hätte”, sagt Thomas Hacker, FDP-Berichterstatter für die Westbalkanländer, der DW. Er fügt hinzu: “Zu dieser Dynamik gehört ohne Zweifel auch der Kandidatenstatus für Bosnien und Herzegowina.”

Dem stimmt auch der Grünen-Politiker Boris Mijatovic zu, Sprecher seiner Fraktion für Menschenrechte und humanitäre Hilfe: “Wir haben es mit einer ernsten geopolitischen Situation zu tun, die durch den Angriffskrieg der Russischen Föderation gegen den souveränen Nachbarn Ukraine entstanden ist und verschärft wurde”, sagt er der DW. Wenn die EU ihr Versprechen einer Beitrittsperspektive für den Westbalkan nicht einlöse, werde diese Lücke von anderen Staaten und ihren Initiativen gefüllt, “nämlich von Russland, China oder auch anderen”.

Kein Einfallstor für weiteren großen Konflikt

Der Westbalkan solle “als geopolitisch wichtige Region betrachtet und die Integration in die EU entschieden weiter vorangetrieben” werden, betont auch der sozialdemokratische Bundestagsabgeordnete Adis Ahmetovic. Der russische und chinesische Einfluss dürfe nicht noch stärker und der Westbalkan zu keinem weiteren Einfallstor für einen nächsten großen europäischen Konflikt werden, warnt der SPD-Politiker.

Ein Ansporn für die Innenpolitik

Gleichzeitig, so betonen die DW-Gesprächspartner, könne die Verleihung des Kandidatenstatus an Bosnien und Herzegowina einen wesentlichen Anreiz für die Weiterentwicklung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in dem Westbalkan-Land darstellen.

“Die politische Führung des Landes sollte diese Entscheidung jetzt nutzen, um notwendige Reformen zügig umzusetzen”, betont der Liberale Thomas Hacker. “Der Kandidatenstatus sollte Anlass für noch stärkere Anstrengungen sein.”  

Darauf hofft auch der Hohe Repräsentant in Bosnien und Herzegowina, der deutsche Politiker Christian Schmidt. In einer Stellungnahme für die DW schreibt er: “Dies ist eine einmalige Gelegenheit für Bosnien und Herzegowina. Der Kandidatenstatus ist ein entscheidender Schritt zur Annäherung an die EU und in eine Zukunft des Landes als Mitglied der EU-Familie.” Doch der CSU-Politiker hat auch mahnende Worte an die Adresse des frisch-gebackenen Beitrittskandidaten: “Bosnien und Herzegowina muss sein Versprechen einlösen, ein sicherer und prosperierender Vielvölkerstaat für alle seine Einwohner zu sein. Und es muss beweisen, dass es politische und wirtschaftliche Dysfunktionalität überwinden und eine dringend notwendige Reformagenda umsetzen kann.”

Mehr als nur ein Ausblick

Schmidt glaubt, dass die jüngsten Wahlen nach vielen Jahren der Blockaden zu einer Verschiebung in der politischen Szene des Landes geführt haben, und er verspricht ein stärkeres Engagement der EU im Land.

Auch die SPD-Bundestagsabgeordnete Jasmina Hostert ist überzeugt, dass sich die EU dem jüngsten Beitrittskandidaten stärker zuwenden muss: “Die Anstrengungen bei Reformen werden wahrgenommen, die EU unterstützt Bosnien und Herzegowina bei der Bewältigung der Krisen, die wir in Europa haben”, sagt die Politikerin. Nun sei es wichtig, die Worte in Taten umzusetzen. “Nach 20 Jahren Perspektive ist es nun Zeit für mehr als einen Ausblick.”

Interview I Christian Schmidt

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