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“Ende der Todesstrafe im Iran ist möglich”

Die iranische Führung will mit angedrohten und vollstreckten Todesstrafen die Protestwelle beenden. Aber durch die Aufmerksamkeit und Kritik aus In- und Ausland wird das schwieriger.

Bislang hat der iranische Staat im Abstand von einer Woche zwei Todesurteile gegen Teilnehmer an den Protesten vollstreckt, die inzwischen im vierten Monat in verschiedenen Landesteilen und wechselnder Intensität stattfinden. Es handelt sich um zwei Männer Anfang 20, Mohsen Schekari   und Madschidresa Rahnaward. Während Rahnaward dem Revolutionsgericht zufolge zwei Angehörige der Sicherheitskräfte mit einem Messer getötet und vier weitere verletzt haben soll, habe Schekari ein Mitglied der Bassidsch-Miliz mit einem Messer verletzt und eine Straße blockiert.

Beide Männern wurden wegen des im iranischen Strafrecht verankerten “Krieges gegen Gott” (“Moharebeh“) unmittelbar nach ihrer Verhaftung verurteilt. Unter diesem Straftatbestand kann, ebenso wie unter der sogenannten “Verdorbenheit auf Erden”, jegliche Bedrohung der öffentlichen Ordnung zusammengefasst werden, sei es mit dem Einsatz einer konkreten Waffe oder ohne. Bei der “Verdorbenheit” reicht auch schon die “Verbreitung von Lügen” aus. Entscheidend ist, dass die beiden Straftatbestände eine rasche Verurteilung und Verhängung der Todesstrafe durch die Revolutionsgerichte ermöglichen.

Bislang hat der iranische Staat im Abstand von einer Woche zwei Todesurteile gegen Teilnehmer an den Protesten vollstreckt, die inzwischen im vierten Monat in verschiedenen Landesteilen und wechselnder Intensität stattfinden. Es handelt sich um zwei Männer Anfang 20, Mohsen Schekari   und Madschidresa Rahnaward. Während Rahnaward dem Revolutionsgericht zufolge zwei Angehörige der Sicherheitskräfte mit einem Messer getötet und vier weitere verletzt haben soll, habe Schekari ein Mitglied der Bassidsch-Miliz mit einem Messer verletzt und eine Straße blockiert.

Im Fall von Mohsen Schekari reichte das Halten eines Messers in der Öffentlichkeit aus, ihn zum Tode zu verurteilen, da er damit “Furcht in der Bevölkerung” erregt habe, sagt Mahmood Resa Amiry-Moghaddam, Gründer und Sprecher der in Oslo ansässigen NGO Iran Human Rights. Er erinnert an einen Fall, der die krasse Willkür solcher Urteile beleuchtet: Vor einigen Jahren habe ein Mitglied des engeren Kreises von Religionsführer Chamenei nach einem Verkehrsunfall mit einer Pistole auf ein Auto geschossen. Das Gericht ließ jedoch alle Anklagepunkte gegen den Schützen fallen.

Revolutionsgerichte und Herrschaftssicherung

An der Institution der Revolutionsgerichte wird im Iran Kritik geübt, wie die “Frankfurter Allgemeine Zeitung” berichtet. Demnach haben die jüngsten Todesurteile eine Diskussion ausgelöst, weshalb es 43 Jahre nach der Revolution noch immer Revolutionsgerichte gibt. Sie seien illegal und müssten abgeschafft werden, so die Forderung von Rechtsanwälten. Dieser Forderung habe der Chef der iranischen Justiz, Gholam-Hossein Edschei, eine Absage erteilt. “Bereits 1980 hatten einige die Existenz der Revolutionsgerichte kritisiert, da es nach dem Sieg der Revolution keinen Bedarf mehr für sie gebe. Die Zeit hat aber gezeigt, wie wirksam und lebenswichtig sie für die Revolution sind”, zitiert die FAZ den Justizchef.

Die iranische Justiz soll derzeit rund 80 Festgenommene des “Krieges gegen Gott” bzw. der “Verdorbenheit auf Erden” beschuldigen, wie aus Dokumenten der Agentur Fars-News hervorgeht, die von einer iranischen Hacker-Gruppe erbeutet wurden. Laut diesen Dokumenten, so die Zeitung “Le Monde”, hatte sich die ultrakonservative Parlamentsfraktion “Rat der Koalitionskräfte der islamischen Revolution” noch vor der Hinrichtung der beiden jungen Männer für eine möglichst große Ausweitung der Zahl von Todesurteilen ausgesprochen.

Laut Amnesty International befanden sich Mitte Dezember mindestes 26 Inhaftierte im Zusammenhang mit den Protesten unter großer Gefahr, hingerichtet zu werden.

Die “Financial Times” zitiert einen namentlich nicht genannten Insider mit naher Kenntnis des Sicherheitsapparats mit den Worten: “Wir müssen diese Krise lösen, die Bewegung darf sich nicht ausbreiten. Einigen der Demonstranten wird die Hölle gezeigt werden, aber sie werden nicht hineingestoßen (d.h. hingerichtet – FT) Aber solche, die Sicherheitskräfte getötet haben, werden definitiv hingerichtet.” Etwa 500 getöteten Demonstranten stehen nach Angaben der Organisation “Human Rights Activists in Iran” bislang 60 getötete Angehörige der Sicherheitskräfte gegenüber.  

 
Wie die bisherigen Todesurteile und Hinrichtungen zeigen, wird allerdings nicht unterschieden, ob die Angeklagten tatsächlich Sicherheitskräfte getötet haben, oder nur an einer Veranstaltung oder Demonstration beteiligt waren, in deren Zuge Sicherheitskräfte verletzt wurden oder ums Leben kamen, noch wird auf mögliche Notwehr oder Hilfeleistung eingegangen. Dass mögliche Geständnisse unter Folter erzwungen wurden, sei für die Richter irrelevant, sagt Amiry-Moghaddam.

An diesem Vorgehen gibt es auch in systemnahen Kreisen im Iran inzwischen Kritik. “Ebenso wie die internationalen Stimmen, die sich für die zum Tode Verurteilten einsetzen, können auch kritische Stimmen im Iran die politischen Kosten für die Exekutionen erhöhen”, sagt Menschenrechtsaktivist Amiry-Moghaddam: Kritik und Aufmerksamkeit aus dem In- und Ausland könnten Wut und Proteste nach weiteren Exekutionen anfachen, was das Gegenteil der von der Führung erwünschten Wirkung sei, nämlich die Einschüchterung der echten Wandel fordernden Bevölkerung.

Etwas komme hinzu: Die internationale Aufmerksamkeit mache es für Menschen im Iran weniger gefährlich, sich für die zum Tode Verurteilten einzusetzen. Das Kalkül des Staates, möglichst wenig bekannte Gegner “ohne Gesicht” hinzurichten, wie im Falle von Mohsen Schekari, werde so unterlaufen.   

Diese Strategie habe in den 80er-Jahren  funktioniert, als Tausende Demonstranten und politische Gegner von eben jenen Kräften hingerichtet wurden, die auch heute regieren, sagt Amiry-Moghaddam. Allerdings gebe es heute einen großen Unterschied: “Damals hatte das Regime die Unterstützung eines beträchtlichen Teils der Gesellschaft. Diese Unterstützung hat es heute nicht mehr. Die jetzt Protestierenden kommen teilweise sogar aus Kreisen, die traditionell die stärkste Unterstützung für die Herrschenden bilden.”

Und etwas anderes habe sich auch gewandelt, sagt Amiry-Moghaddam: Die Einstellung zur Todesstrafe generell. “Als die Organisation HRI 2005 mit ihrer Arbeit begann, war die Todesstrafe kein großes Thema in der Bevölkerung, insbesondere bei nicht-politischen Fällen. Aber eine Umfrage von 2020, an der 20.000 Personen im Iran teilnahmen, sprachen sich über 70 Prozent entweder für eine gänzliche Abschaffung der Todesstrafe oder für ihre ausschließliche Anwendung bei speziellen Fällen wie Völkermord aus.” Im Iran gebe es heute wahrscheinlich die größte Strömung für eine Abschaffung der Todesstrafe im Nahen Osten und in Westasien. “Nach diesem Regime kann der Iran das erste Land in der Region werden, das die Todesstrafe abschafft”, so die Hoffnung des Sprechers von Iran Human Rights. 

 

Mohsen Shekari, das erste Hinrichtungsopfer der Proteste
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Bislang hat der iranische Staat im Abstand von einer Woche zwei Todesurteile gegen Teilnehmer an den Protesten vollstreckt, die inzwischen im vierten Monat in verschiedenen Landesteilen und wechselnder Intensität stattfinden. Es handelt sich um zwei Männer Anfang 20, Mohsen Schekari   und Madschidresa Rahnaward. Während Rahnaward dem Revolutionsgericht zufolge zwei Angehörige der Sicherheitskräfte mit einem Messer getötet und vier weitere verletzt haben soll, habe Schekari ein Mitglied der Bassidsch-Miliz mit einem Messer verletzt und eine Straße blockiert.

Beide Männern wurden wegen des im iranischen Strafrecht verankerten “Krieges gegen Gott” (“Moharebeh“) unmittelbar nach ihrer Verhaftung verurteilt. Unter diesem Straftatbestand kann, ebenso wie unter der sogenannten “Verdorbenheit auf Erden”, jegliche Bedrohung der öffentlichen Ordnung zusammengefasst werden, sei es mit dem Einsatz einer konkreten Waffe oder ohne. Bei der “Verdorbenheit” reicht auch schon die “Verbreitung von Lügen” aus. Entscheidend ist, dass die beiden Straftatbestände eine rasche Verurteilung und Verhängung der Todesstrafe durch die Revolutionsgerichte ermöglichen.

Revolutionsgerichte und Herrschaftssicherung

Im Fall von Mohsen Schekari reichte das Halten eines Messers in der Öffentlichkeit aus, ihn zum Tode zu verurteilen, da er damit “Furcht in der Bevölkerung” erregt habe, sagt Mahmood Resa Amiry-Moghaddam, Gründer und Sprecher der in Oslo ansässigen NGO Iran Human Rights. Er erinnert an einen Fall, der die krasse Willkür solcher Urteile beleuchtet: Vor einigen Jahren habe ein Mitglied des engeren Kreises von Religionsführer Chamenei nach einem Verkehrsunfall mit einer Pistole auf ein Auto geschossen. Das Gericht ließ jedoch alle Anklagepunkte gegen den Schützen fallen.

An der Institution der Revolutionsgerichte wird im Iran Kritik geübt, wie die “Frankfurter Allgemeine Zeitung” berichtet. Demnach haben die jüngsten Todesurteile eine Diskussion ausgelöst, weshalb es 43 Jahre nach der Revolution noch immer Revolutionsgerichte gibt. Sie seien illegal und müssten abgeschafft werden, so die Forderung von Rechtsanwälten. Dieser Forderung habe der Chef der iranischen Justiz, Gholam-Hossein Edschei, eine Absage erteilt. “Bereits 1980 hatten einige die Existenz der Revolutionsgerichte kritisiert, da es nach dem Sieg der Revolution keinen Bedarf mehr für sie gebe. Die Zeit hat aber gezeigt, wie wirksam und lebenswichtig sie für die Revolution sind”, zitiert die FAZ den Justizchef.

Die iranische Justiz soll derzeit rund 80 Festgenommene des “Krieges gegen Gott” bzw. der “Verdorbenheit auf Erden” beschuldigen, wie aus Dokumenten der Agentur Fars-News hervorgeht, die von einer iranischen Hacker-Gruppe erbeutet wurden. Laut diesen Dokumenten, so die Zeitung “Le Monde”, hatte sich die ultrakonservative Parlamentsfraktion “Rat der Koalitionskräfte der islamischen Revolution” noch vor der Hinrichtung der beiden jungen Männer für eine möglichst große Ausweitung der Zahl von Todesurteilen ausgesprochen.

Laut Amnesty International befanden sich Mitte Dezember mindestes 26 Inhaftierte im Zusammenhang mit den Protesten unter großer Gefahr, hingerichtet zu werden.

Reaktion des Sicherheitsapparats

Die “Financial Times” zitiert einen namentlich nicht genannten Insider mit naher Kenntnis des Sicherheitsapparats mit den Worten: “Wir müssen diese Krise lösen, die Bewegung darf sich nicht ausbreiten. Einigen der Demonstranten wird die Hölle gezeigt werden, aber sie werden nicht hineingestoßen (d.h. hingerichtet – FT) Aber solche, die Sicherheitskräfte getötet haben, werden definitiv hingerichtet.” Etwa 500 getöteten Demonstranten stehen nach Angaben der Organisation “Human Rights Activists in Iran” bislang 60 getötete Angehörige der Sicherheitskräfte gegenüber.  

Strategie der Führung unter Druck

 
Wie die bisherigen Todesurteile und Hinrichtungen zeigen, wird allerdings nicht unterschieden, ob die Angeklagten tatsächlich Sicherheitskräfte getötet haben, oder nur an einer Veranstaltung oder Demonstration beteiligt waren, in deren Zuge Sicherheitskräfte verletzt wurden oder ums Leben kamen, noch wird auf mögliche Notwehr oder Hilfeleistung eingegangen. Dass mögliche Geständnisse unter Folter erzwungen wurden, sei für die Richter irrelevant, sagt Amiry-Moghaddam.

An diesem Vorgehen gibt es auch in systemnahen Kreisen im Iran inzwischen Kritik. “Ebenso wie die internationalen Stimmen, die sich für die zum Tode Verurteilten einsetzen, können auch kritische Stimmen im Iran die politischen Kosten für die Exekutionen erhöhen”, sagt Menschenrechtsaktivist Amiry-Moghaddam: Kritik und Aufmerksamkeit aus dem In- und Ausland könnten Wut und Proteste nach weiteren Exekutionen anfachen, was das Gegenteil der von der Führung erwünschten Wirkung sei, nämlich die Einschüchterung der echten Wandel fordernden Bevölkerung.

Etwas komme hinzu: Die internationale Aufmerksamkeit mache es für Menschen im Iran weniger gefährlich, sich für die zum Tode Verurteilten einzusetzen. Das Kalkül des Staates, möglichst wenig bekannte Gegner “ohne Gesicht” hinzurichten, wie im Falle von Mohsen Schekari, werde so unterlaufen.   

Diese Strategie habe in den 80er-Jahren  funktioniert, als Tausende Demonstranten und politische Gegner von eben jenen Kräften hingerichtet wurden, die auch heute regieren, sagt Amiry-Moghaddam. Allerdings gebe es heute einen großen Unterschied: “Damals hatte das Regime die Unterstützung eines beträchtlichen Teils der Gesellschaft. Diese Unterstützung hat es heute nicht mehr. Die jetzt Protestierenden kommen teilweise sogar aus Kreisen, die traditionell die stärkste Unterstützung für die Herrschenden bilden.”

Und etwas anderes habe sich auch gewandelt, sagt Amiry-Moghaddam: Die Einstellung zur Todesstrafe generell. “Als die Organisation HRI 2005 mit ihrer Arbeit begann, war die Todesstrafe kein großes Thema in der Bevölkerung, insbesondere bei nicht-politischen Fällen. Aber eine Umfrage von 2020, an der 20.000 Personen im Iran teilnahmen, sprachen sich über 70 Prozent entweder für eine gänzliche Abschaffung der Todesstrafe oder für ihre ausschließliche Anwendung bei speziellen Fällen wie Völkermord aus.” Im Iran gebe es heute wahrscheinlich die größte Strömung für eine Abschaffung der Todesstrafe im Nahen Osten und in Westasien. “Nach diesem Regime kann der Iran das erste Land in der Region werden, das die Todesstrafe abschafft”, so die Hoffnung des Sprechers von Iran Human Rights. 

 

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