Yad-Vashem-Leiter Dayan: “Wenn ihr Antisemitismus seht, handelt sofort”
Dani Dayan leitet die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem. Nun reist er erstmals in seinem Leben nach Deutschland. Im DW-Interview blickt er auf diese besondere Reise – und auf den Kampf gegen Antisemitismus.
“Antisemitismus erstarkt, leider, auf der ganzen Welt”, sagt Dani Dayan. Seit knapp eineinhalb Jahren ist der 67-Jährige Vorsitzender von Yad Vashem, der wichtigsten Holocaust-Gedenkstätte der Welt, gelegen auf dem Berg des Gedenkens in Jerusalem. Der weltweit wachsende Judenhass, sagt Dayan im Interview der Deutschen Welle, veranlasse ihn zu einer Mahnung an jeden Staatschef: “Wenn ihr Antisemitismus seht, handelt sofort. Wartet nicht ab. Wenn man wartet, wird der Antisemitismus überdimensionale, monströse Ausmaße annehmen. Dann wird es unmöglich sein, ihn zu stoppen.”
Am 22. Januar kommt Dayan nach Deutschland – zum ersten Mal in seinem Leben. Ein langer Weg – nicht nur, weil Dayan 1955 in Argentinien geboren wurde und aufwuchs, bis seine Familie 1971 nach Israel übersiedelte. In Israel stieg er später auf zu einem der führenden politischen Köpfe der israelischen Siedlerbewegung im besetzten Westjordanland. Seine politische Vergangenheit spiele jetzt keine Rolle mehr, so Dayan. Seit seiner Ernennung zum Leiter von Yad Vashem errichtete Dayan nach eigenem Bekunden “einen Schutzwall” zwischen dem Gedenken und der Politik. Seine jetzige Mission sei ihm “heilig”.
“Antisemitismus erstarkt, leider, auf der ganzen Welt”, sagt Dani Dayan. Seit knapp eineinhalb Jahren ist der 67-Jährige Vorsitzender von Yad Vashem, der wichtigsten Holocaust-Gedenkstätte der Welt, gelegen auf dem Berg des Gedenkens in Jerusalem. Der weltweit wachsende Judenhass, sagt Dayan im Interview der Deutschen Welle, veranlasse ihn zu einer Mahnung an jeden Staatschef: “Wenn ihr Antisemitismus seht, handelt sofort. Wartet nicht ab. Wenn man wartet, wird der Antisemitismus überdimensionale, monströse Ausmaße annehmen. Dann wird es unmöglich sein, ihn zu stoppen.”
Dayan schwor sich als “sehr junger” Mensch, nie nach Deutschland zu reisen, in das Land der Täter. “Das hatte damals nichts mit Hass oder so zu tun”, sagt er im Interview mit DW-Korrespondentin Rebecca Ritters. “Ich wollte damit den sechs Millionen ermordeten Juden meinen Respekt zollen.”
Wehret den Anfängen
Im DW-Interview stellt Dayan der Gegenwart die 1930er-Jahre gegenüber und macht die Unterschiede deutlich. Damals erstarkte in Deutschland die nationalsozialistische Bewegung um Adolf Hitler, aus dem Rassenwahn der Nationalsozialisten resultierte der Massenmord an den europäischen Juden. Die Situation sei heute nicht so wie damals, “wir sind weit davon entfernt”, sagt Dayan. Aber anders als die Menschen vor 80 Jahren wisse man heute, was sich aus gefährlichen Anfängen entwickeln könne, was “passieren kann”.
Die Generation damals habe vielleicht nicht für möglich gehalten, dass jemand, der Bücher verbrenne oder Synagogen anzünde, auch Menschen verbrennen werde. Für heute gelte: “Wir wissen, dass es soweit kommen kann, dass Menschen verbrannt werden.” Deshalb seien wir heute so sehr in der Verantwortung, Antisemitismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit zu bekämpfen.
Mit seinem nun anstehenden Besuch folgt Dayan einer Einladung der deutschen Bundestagspräsidentin Bärbel Bas. Im April 2022 besuchte die Sozialdemokratin Israel. Als erste hochrangige Repräsentantin aus Deutschland nahm sie in der Knesset, dem israelischen Parlament, an der Zeremonie zum jährlichen Holocaust-Gedenken teil, bei der die Namen von Opfern verlesen werden. Und die aus Duisburg stammende Bas besuchte Yad Vashem. Dort überreichte ihr Dani Dayan eine Forschungsarbeit über eine aus ihrer Heimatstadt stammende Jüdin, Irma Nathan, die die Nazis 1942 ermordet hatten.
Bas lud daraufhin Dayan, der doch nie nach Deutschland reisen wollte, ein, im Vorfeld des diesjährigen Gedenktages an die Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar im Bundestag in Berlin eine Ausstellung zu eröffnen. Nun sprechen Dayan und Bas am 24. Januar im Paul-Löbe-Haus, einem der zentralen Bundestagsbauten neben dem Reichstag, zum Auftakt der Schau “Sechzehn Objekte – Siebzig Jahre Yad Vashem”. Die Ausstellung zeigt 16 Gegenstände aus der Sammlung von Yad Vashem, Zeugnisse gelebten Alltags von Jüdinnen und Juden, die Deutschland verlassen mussten oder von den Nazis ermordet wurden: Kinderspielzeug, ein Chanukka-Leuchter, ein Tagebuch, auch ein Klavier. 16 Objekte aus den 16 deutschen Bundesländern, die Geschichte und verlorene Lebensgeschichten gegenwärtig machen.
Die Gedenkstätte Yad Vashem, deren Einrichtung vor knapp 70 Jahren, im August 1953, beschlossen wurde, hält auch mit solchen Objekten die Erinnerung wach. Dieses ewige Gedenken spiegelt sich in dem hebräischen Namen “Yad Vashem” wider, der dem Buch des Propheten Jesaja in der Bibel entlehnt ist und im Deutschen “Ein Ort und ein Name” heißt. “Einige der Gegenstände, die wir hier haben, treiben jedem, der ein menschliches Wesen ist, die Tränen in die Augen”, sagt Dayan im Interview.
Heute wird die Zahl der Zeitzeugen des Holocaust immer geringer. Nur noch wenige hochbetagte Menschen können jüngeren Generationen davon berichten. Dayan schaut voraus auf die Zeit, in der es keine Überlebenden mehr geben wird: “Wenn dieser Zeitpunkt eintritt, werden die Verharmloser und Holocaust-Leugner auf dem Vormarsch sein. Sie glauben, dass dann ihre große Stunde gekommen ist”, sagt er. Deshalb seien das Erinnern und der Kampf gegen Judenhass ein “Wettrennen gegen die Zeit”.
Dayan sieht gerade das Gedenken an die Shoa als “sehr wirkungsvolles Instrument im Kampf gegen Antisemitismus”. Yad Vashem versuche “nicht, Antisemiten umzuerziehen. Wir versuchen, anständigen Menschen (…) etwas beizubringen, um sich gegen Antisemitismus zu stellen.”
Der Yad-Vashem-Chef erläutert dies an zwei Beispielen, zwei US-Prominenten, die in den vergangenen Monaten mit umstrittenen Aussagen auffielen. Der Rapper Kanye West (45), der sich wiederholt vehement judenfeindlich äußerte und dabei auf gängige Klischees zurückgriff, sei “eindeutig ein Antisemit”, sagt Dayan. “Ihn würde ich nicht nach Yad Vashem einladen, weil es Zeitverschwendung wäre.” Dagegen würde er die Schauspielerin Whoopi Goldberg (67) durchaus einladen, die die Shoa als Konflikt zwischen zwei weißen Gruppen bewertet hatte, der nichts mit Rassenhass zu tun hätte. “Das ist Unsinn”, sagt Dayan. “Das ist nicht antisemitisch. Es ist Unwissen.” Goldberg kenne schlicht “die Tatsache nicht, dass die Nazis – zu Recht oder Unrecht – Juden als Rasse ansahen.”
Bei seiner ersten Reise nach Deutschland wird Dayan zwei Tage in Berlin verbringen. Geplant ist, dass er neben der Bundestagspräsidentin unter anderen auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Bundeskanzler Olaf Scholz trifft, außerdem Bundesfinanzminister Christian Lindner, führende Grüne und Unions-Fraktionschef Friedrich Merz. Dayan wird das Denkmal für die ermordeten Juden Europas in der Mitte Berlins besuchen und das Jüdische Museum. Außerdem wird er Mitgliedern der Jüdischen Gemeinde Berlin begegnen. Noch am Abend nach der Ausstellungseröffnung reist er weiter nach New York.
Es gehe darum, “die Flamme des Gedenkens an den Holocaust am Leben” zu halten, ergänzt Dayan noch und umschreibt damit auch seine Arbeit. So etwas dürfe sich nie wiederholen. Dieses schreckliche Ereignis des 20. Jahrhunderts dürfe “niemals wieder” passieren, nicht dem jüdischen Volk und keinem anderen Volk.
“Antisemitismus erstarkt, leider, auf der ganzen Welt”, sagt Dani Dayan. Seit knapp eineinhalb Jahren ist der 67-Jährige Vorsitzender von Yad Vashem, der wichtigsten Holocaust-Gedenkstätte der Welt, gelegen auf dem Berg des Gedenkens in Jerusalem. Der weltweit wachsende Judenhass, sagt Dayan im Interview der Deutschen Welle, veranlasse ihn zu einer Mahnung an jeden Staatschef: “Wenn ihr Antisemitismus seht, handelt sofort. Wartet nicht ab. Wenn man wartet, wird der Antisemitismus überdimensionale, monströse Ausmaße annehmen. Dann wird es unmöglich sein, ihn zu stoppen.”
Am 22. Januar kommt Dayan nach Deutschland – zum ersten Mal in seinem Leben. Ein langer Weg – nicht nur, weil Dayan 1955 in Argentinien geboren wurde und aufwuchs, bis seine Familie 1971 nach Israel übersiedelte. In Israel stieg er später auf zu einem der führenden politischen Köpfe der israelischen Siedlerbewegung im besetzten Westjordanland. Seine politische Vergangenheit spiele jetzt keine Rolle mehr, so Dayan. Seit seiner Ernennung zum Leiter von Yad Vashem errichtete Dayan nach eigenem Bekunden “einen Schutzwall” zwischen dem Gedenken und der Politik. Seine jetzige Mission sei ihm “heilig”.
Wehret den Anfängen
Dayan schwor sich als “sehr junger” Mensch, nie nach Deutschland zu reisen, in das Land der Täter. “Das hatte damals nichts mit Hass oder so zu tun”, sagt er im Interview mit DW-Korrespondentin Rebecca Ritters. “Ich wollte damit den sechs Millionen ermordeten Juden meinen Respekt zollen.”
Im DW-Interview stellt Dayan der Gegenwart die 1930er-Jahre gegenüber und macht die Unterschiede deutlich. Damals erstarkte in Deutschland die nationalsozialistische Bewegung um Adolf Hitler, aus dem Rassenwahn der Nationalsozialisten resultierte der Massenmord an den europäischen Juden. Die Situation sei heute nicht so wie damals, “wir sind weit davon entfernt”, sagt Dayan. Aber anders als die Menschen vor 80 Jahren wisse man heute, was sich aus gefährlichen Anfängen entwickeln könne, was “passieren kann”.
Die Generation damals habe vielleicht nicht für möglich gehalten, dass jemand, der Bücher verbrenne oder Synagogen anzünde, auch Menschen verbrennen werde. Für heute gelte: “Wir wissen, dass es soweit kommen kann, dass Menschen verbrannt werden.” Deshalb seien wir heute so sehr in der Verantwortung, Antisemitismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit zu bekämpfen.
Mit seinem nun anstehenden Besuch folgt Dayan einer Einladung der deutschen Bundestagspräsidentin Bärbel Bas. Im April 2022 besuchte die Sozialdemokratin Israel. Als erste hochrangige Repräsentantin aus Deutschland nahm sie in der Knesset, dem israelischen Parlament, an der Zeremonie zum jährlichen Holocaust-Gedenken teil, bei der die Namen von Opfern verlesen werden. Und die aus Duisburg stammende Bas besuchte Yad Vashem. Dort überreichte ihr Dani Dayan eine Forschungsarbeit über eine aus ihrer Heimatstadt stammende Jüdin, Irma Nathan, die die Nazis 1942 ermordet hatten.
Erste Begegnung in Yad Vashem
Bas lud daraufhin Dayan, der doch nie nach Deutschland reisen wollte, ein, im Vorfeld des diesjährigen Gedenktages an die Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar im Bundestag in Berlin eine Ausstellung zu eröffnen. Nun sprechen Dayan und Bas am 24. Januar im Paul-Löbe-Haus, einem der zentralen Bundestagsbauten neben dem Reichstag, zum Auftakt der Schau “Sechzehn Objekte – Siebzig Jahre Yad Vashem”. Die Ausstellung zeigt 16 Gegenstände aus der Sammlung von Yad Vashem, Zeugnisse gelebten Alltags von Jüdinnen und Juden, die Deutschland verlassen mussten oder von den Nazis ermordet wurden: Kinderspielzeug, ein Chanukka-Leuchter, ein Tagebuch, auch ein Klavier. 16 Objekte aus den 16 deutschen Bundesländern, die Geschichte und verlorene Lebensgeschichten gegenwärtig machen.
Eine Ausstellung im Bundestag
Die Gedenkstätte Yad Vashem, deren Einrichtung vor knapp 70 Jahren, im August 1953, beschlossen wurde, hält auch mit solchen Objekten die Erinnerung wach. Dieses ewige Gedenken spiegelt sich in dem hebräischen Namen “Yad Vashem” wider, der dem Buch des Propheten Jesaja in der Bibel entlehnt ist und im Deutschen “Ein Ort und ein Name” heißt. “Einige der Gegenstände, die wir hier haben, treiben jedem, der ein menschliches Wesen ist, die Tränen in die Augen”, sagt Dayan im Interview.
Heute wird die Zahl der Zeitzeugen des Holocaust immer geringer. Nur noch wenige hochbetagte Menschen können jüngeren Generationen davon berichten. Dayan schaut voraus auf die Zeit, in der es keine Überlebenden mehr geben wird: “Wenn dieser Zeitpunkt eintritt, werden die Verharmloser und Holocaust-Leugner auf dem Vormarsch sein. Sie glauben, dass dann ihre große Stunde gekommen ist”, sagt er. Deshalb seien das Erinnern und der Kampf gegen Judenhass ein “Wettrennen gegen die Zeit”.
Dayan sieht gerade das Gedenken an die Shoa als “sehr wirkungsvolles Instrument im Kampf gegen Antisemitismus”. Yad Vashem versuche “nicht, Antisemiten umzuerziehen. Wir versuchen, anständigen Menschen (…) etwas beizubringen, um sich gegen Antisemitismus zu stellen.”
“Wettrennen gegen die Zeit”
Der Yad-Vashem-Chef erläutert dies an zwei Beispielen, zwei US-Prominenten, die in den vergangenen Monaten mit umstrittenen Aussagen auffielen. Der Rapper Kanye West (45), der sich wiederholt vehement judenfeindlich äußerte und dabei auf gängige Klischees zurückgriff, sei “eindeutig ein Antisemit”, sagt Dayan. “Ihn würde ich nicht nach Yad Vashem einladen, weil es Zeitverschwendung wäre.” Dagegen würde er die Schauspielerin Whoopi Goldberg (67) durchaus einladen, die die Shoa als Konflikt zwischen zwei weißen Gruppen bewertet hatte, der nichts mit Rassenhass zu tun hätte. “Das ist Unsinn”, sagt Dayan. “Das ist nicht antisemitisch. Es ist Unwissen.” Goldberg kenne schlicht “die Tatsache nicht, dass die Nazis – zu Recht oder Unrecht – Juden als Rasse ansahen.”
Bei seiner ersten Reise nach Deutschland wird Dayan zwei Tage in Berlin verbringen. Geplant ist, dass er neben der Bundestagspräsidentin unter anderen auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Bundeskanzler Olaf Scholz trifft, außerdem Bundesfinanzminister Christian Lindner, führende Grüne und Unions-Fraktionschef Friedrich Merz. Dayan wird das Denkmal für die ermordeten Juden Europas in der Mitte Berlins besuchen und das Jüdische Museum. Außerdem wird er Mitgliedern der Jüdischen Gemeinde Berlin begegnen. Noch am Abend nach der Ausstellungseröffnung reist er weiter nach New York.
Hohe Begegnungen in Berlin geplant
Es gehe darum, “die Flamme des Gedenkens an den Holocaust am Leben” zu halten, ergänzt Dayan noch und umschreibt damit auch seine Arbeit. So etwas dürfe sich nie wiederholen. Dieses schreckliche Ereignis des 20. Jahrhunderts dürfe “niemals wieder” passieren, nicht dem jüdischen Volk und keinem anderen Volk.