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Ukraine: Film zeigt das schwierige Leben von Kindern im Krieg

Wie leben Kinder in einem Heim in der Ostukraine? Der dänische Dokumentarfilmer Simon Lereng Wilmont konnte einige von ihnen begleiten. DW hat mit ihm über seine Arbeit gesprochen.

Nur wenige Tage vor dem erneuten massiven russischen Raketenangriff auf die Ukraine am 10. Oktober war der dänische Dokumentarfilmer Simon Lereng Wilmont zur ukrainischen Premiere seines neuesten Films “A House Made of Splinters” (Haus aus Splittern) nach Kiew gereist.

Keiner konnte ahnen, dass die Kiewerinnen und Kiewer bald wieder in den U-Bahn-Stationen Schutz suchen würden. Wilmont freute sich, die Protagonisten seines Films bei der Vorführung wiederzutreffen und das Projekt mit ihnen zu teilen.

Nur wenige Tage vor dem erneuten massiven russischen Raketenangriff auf die Ukraine am 10. Oktober war der dänische Dokumentarfilmer Simon Lereng Wilmont zur ukrainischen Premiere seines neuesten Films “A House Made of Splinters” (Haus aus Splittern) nach Kiew gereist.

Ein Jahr lang, 2019-2020, hatten der Filmemacher und sein Team in Lyssytschansk, einer strategisch wichtigen Stadt im Gebiet Luhansk in der Ostukraine, gedreht. Die Stadt ist seit 2014 von dem Konflikt betroffen, wurde aber im Sommer 2022 auch zum Zentrum militärischer Kämpfe.

‘Spirale sozialer Probleme’

Aber in dem Dokumentarfilm spielen die Kämpfe keine Rolle. Porträtiert werden Kinder in einem provisorischen Kinderheim, dem Lysychansk Center. Ihr Schicksal ist dennoch untrennbar mit dem Krieg verbunden, manche haben Angehörige verloren, andere leben getrennt von ihren alkoholkranken Eltern, oder von Vätern und Müttern die unter posttraumatischen Belastungsstörungen leiden.

“Offensichtlich gab es in dieser Region schon vor dem Kriegsausbruch 2014 soziale Probleme, aber da der Krieg so viele Jahre lang sozusagen vor ihrer Haustür stattfand, waren die Kräfte ziemlich aufgezehrt”, meint Simon Lereng Wilmont im Gespräch mit der DW. Er fügte hinzu, dass Arbeitslosigkeit und fehlende staatliche Unterstützung zu einer Spirale sozialer Probleme geführt hätten – die “eher unsichtbaren, aber nicht weniger einschneidenden Folgen”, wenn Zivilgesellschaft und Krieg sich so nah kämen.

“A House Made of Splinters” zeigt das Leben einiger Kinder im Lysychansk Center. Hier sind sie bis zu neun Monate lang untergebracht, während sie auf gerichtliche Sorgerechtsentscheidungen warten.

Die Kinder schließen Freundschaften im Heim, sie warten – allerdings oft vergeblich – auf den Besuch der Eltern. Sie warten, dass jemand über ihr Schicksal entscheidet. Sie spielen mit den anderen Kindern im Heim, und der Zuschauer ahnt, dass sie trotz ihres jungen Alters bereits viel zu viel über Drogenmissbrauch und häusliche Gewalt wissen.

Die Frauen, die das Kinderheim leiten, suchen langfristige Lösungen für die Kinder. Mit viel Glück findet sich vielleicht ein Verwandter, der sie aufnimmt, oder eine Pflegefamilie. Alle anderen landen unweigerlich im überlasteten staatlichen Waisenhaus.

Am 24. Februar, dem Tag des russischen Einmarsches in die Ukraine, reagierte die Zivilverwaltung umgehend und brachte alle Kinder aus dem Heim und dem staatlichen Waisenhaus von Lyssytschansk im Westen in Sicherheit; einige fanden später sogar in anderen europäischen Ländern Zuflucht, berichtet Wilmont.

Seitdem haben Bombenangriffe der Region schwer zugesetzt. Mitarbeiter des Kinderheims hätten ihm bei der Kiewer Filmpremiere erzählt, berichtet Wilmont, dass eine Rakete im Dach des Heims eingeschlagen sei, aber nicht explodierte. “Sie blieb einfach so in der Decke stecken”, sagt Wilmont und fügt hinzu, das sei doch “eine zutreffende Beschreibung der aktuellen Situation.”

Bereits im Film “The Distant Barking of Dogs” (2017) erzählte Wilmont eine Geschichte aus der Perspektive eines Kindes. Er begleitete ein Jahr lang während des Krieges im Donbass einen 10-jährigen Jungen und seine Großmutter, die direkt an der Front lebten. Der Dokumentarfilm wurde für einen Oscar nominiert und gewann unter anderem einen Peabody Award.

“A House Made of Splinters” läuft auf verschiedenen Festivals in ganz Europa, und wurde bereits mit dem Politiken:Dox Award beim Internationalen Dokumentarfilmfestival in Kopenhagen ausgezeichnet. Der Film steht auch auf der Shortlist für den besten Dokumentarfilm beim Europäischen Filmpreis.

Wilmont zögert allerdings, für ein weiteres Projekt über den Krieg in die Ukraine zurückzukehren. Seine erfahrenen ukrainischen Filmemacher-Kollegen könnten dieses besondere Kapitel ihrer eigenen Geschichte besser erzählen als er, sagt er. Im Moment versuche er, für seine zwei Dokumentarfilme eine Öffentlichkeit zu schaffen, um “die Welt dazu zu bringen, die Ereignisse in der Ukraine zur Kenntnis zu nahmen”.

“House Made of Splinters” könnte direkte Auswirkungen auf die Politik des Landes haben. Bei der Premiere in Kiew saß auch die Ombudsfrau für Kinderrechte und Kinderangelegenheiten in der Ukraine im Zuschauerraum. Die Geschichte habe sie sehr berührt, sagte sie dem Filmemacher, und schlug vor, eine Vorführung für den ukrainischen Präsidenten und einige seiner Berater zu organisieren. Für Wilmont fühlt sich das wie ein sehr konkreter Erfolg an.

Der Film, so der Regisseur, spreche eine Reihe wichtiger Aspekte an, die beim Wiederaufbau der Ukraine in Betracht gezogen werden könnten, z. B. die Einrichtung kleinerer Pflegeheime statt der unpersönlichen staatlichen Waisenhäuser und den Aufbau von Behandlungszentren zur Alkoholismus-Bekämpfung.

Das werde aber nur geschehen, so der Filmemacher, “wenn sie die Russen rausgeworfen haben”.

Save the Children präsentiert “A House Made of Splinters” in der Reihe Human Rights Film Festival am 14. Oktober auf dem Filmfest Osnabrück und am 15. Oktober auf dem Human Rights Film Festival Berlin. Der Dokumentarfilm ist bis zum 31. Oktober auch als Stream auf der Plattform des Berliner Festivals verfügbar.

Dieser Artikel wurde von Dagmar Breitenbach aus dem Englischen übersetzt.

Regisseur Simon Lereng Wilmont

Nur wenige Tage vor dem erneuten massiven russischen Raketenangriff auf die Ukraine am 10. Oktober war der dänische Dokumentarfilmer Simon Lereng Wilmont zur ukrainischen Premiere seines neuesten Films “A House Made of Splinters” (Haus aus Splittern) nach Kiew gereist.

Keiner konnte ahnen, dass die Kiewerinnen und Kiewer bald wieder in den U-Bahn-Stationen Schutz suchen würden. Wilmont freute sich, die Protagonisten seines Films bei der Vorführung wiederzutreffen und das Projekt mit ihnen zu teilen.

‘Spirale sozialer Probleme’

Ein Jahr lang, 2019-2020, hatten der Filmemacher und sein Team in Lyssytschansk, einer strategisch wichtigen Stadt im Gebiet Luhansk in der Ostukraine, gedreht. Die Stadt ist seit 2014 von dem Konflikt betroffen, wurde aber im Sommer 2022 auch zum Zentrum militärischer Kämpfe.

Aber in dem Dokumentarfilm spielen die Kämpfe keine Rolle. Porträtiert werden Kinder in einem provisorischen Kinderheim, dem Lysychansk Center. Ihr Schicksal ist dennoch untrennbar mit dem Krieg verbunden, manche haben Angehörige verloren, andere leben getrennt von ihren alkoholkranken Eltern, oder von Vätern und Müttern die unter posttraumatischen Belastungsstörungen leiden.

“Offensichtlich gab es in dieser Region schon vor dem Kriegsausbruch 2014 soziale Probleme, aber da der Krieg so viele Jahre lang sozusagen vor ihrer Haustür stattfand, waren die Kräfte ziemlich aufgezehrt”, meint Simon Lereng Wilmont im Gespräch mit der DW. Er fügte hinzu, dass Arbeitslosigkeit und fehlende staatliche Unterstützung zu einer Spirale sozialer Probleme geführt hätten – die “eher unsichtbaren, aber nicht weniger einschneidenden Folgen”, wenn Zivilgesellschaft und Krieg sich so nah kämen.

“A House Made of Splinters” zeigt das Leben einiger Kinder im Lysychansk Center. Hier sind sie bis zu neun Monate lang untergebracht, während sie auf gerichtliche Sorgerechtsentscheidungen warten.

Rakete steckt im Dach

Die Kinder schließen Freundschaften im Heim, sie warten – allerdings oft vergeblich – auf den Besuch der Eltern. Sie warten, dass jemand über ihr Schicksal entscheidet. Sie spielen mit den anderen Kindern im Heim, und der Zuschauer ahnt, dass sie trotz ihres jungen Alters bereits viel zu viel über Drogenmissbrauch und häusliche Gewalt wissen.

Preisgekrönte Werke

Die Frauen, die das Kinderheim leiten, suchen langfristige Lösungen für die Kinder. Mit viel Glück findet sich vielleicht ein Verwandter, der sie aufnimmt, oder eine Pflegefamilie. Alle anderen landen unweigerlich im überlasteten staatlichen Waisenhaus.

Am 24. Februar, dem Tag des russischen Einmarsches in die Ukraine, reagierte die Zivilverwaltung umgehend und brachte alle Kinder aus dem Heim und dem staatlichen Waisenhaus von Lyssytschansk im Westen in Sicherheit; einige fanden später sogar in anderen europäischen Ländern Zuflucht, berichtet Wilmont.

Seitdem haben Bombenangriffe der Region schwer zugesetzt. Mitarbeiter des Kinderheims hätten ihm bei der Kiewer Filmpremiere erzählt, berichtet Wilmont, dass eine Rakete im Dach des Heims eingeschlagen sei, aber nicht explodierte. “Sie blieb einfach so in der Decke stecken”, sagt Wilmont und fügt hinzu, das sei doch “eine zutreffende Beschreibung der aktuellen Situation.”

Vorführung für Selenskyj

Bereits im Film “The Distant Barking of Dogs” (2017) erzählte Wilmont eine Geschichte aus der Perspektive eines Kindes. Er begleitete ein Jahr lang während des Krieges im Donbass einen 10-jährigen Jungen und seine Großmutter, die direkt an der Front lebten. Der Dokumentarfilm wurde für einen Oscar nominiert und gewann unter anderem einen Peabody Award.

“A House Made of Splinters” läuft auf verschiedenen Festivals in ganz Europa, und wurde bereits mit dem Politiken:Dox Award beim Internationalen Dokumentarfilmfestival in Kopenhagen ausgezeichnet. Der Film steht auch auf der Shortlist für den besten Dokumentarfilm beim Europäischen Filmpreis.

Wilmont zögert allerdings, für ein weiteres Projekt über den Krieg in die Ukraine zurückzukehren. Seine erfahrenen ukrainischen Filmemacher-Kollegen könnten dieses besondere Kapitel ihrer eigenen Geschichte besser erzählen als er, sagt er. Im Moment versuche er, für seine zwei Dokumentarfilme eine Öffentlichkeit zu schaffen, um “die Welt dazu zu bringen, die Ereignisse in der Ukraine zur Kenntnis zu nahmen”.

“House Made of Splinters” könnte direkte Auswirkungen auf die Politik des Landes haben. Bei der Premiere in Kiew saß auch die Ombudsfrau für Kinderrechte und Kinderangelegenheiten in der Ukraine im Zuschauerraum. Die Geschichte habe sie sehr berührt, sagte sie dem Filmemacher, und schlug vor, eine Vorführung für den ukrainischen Präsidenten und einige seiner Berater zu organisieren. Für Wilmont fühlt sich das wie ein sehr konkreter Erfolg an.

Der Film, so der Regisseur, spreche eine Reihe wichtiger Aspekte an, die beim Wiederaufbau der Ukraine in Betracht gezogen werden könnten, z. B. die Einrichtung kleinerer Pflegeheime statt der unpersönlichen staatlichen Waisenhäuser und den Aufbau von Behandlungszentren zur Alkoholismus-Bekämpfung.

Das werde aber nur geschehen, so der Filmemacher, “wenn sie die Russen rausgeworfen haben”.

Save the Children präsentiert “A House Made of Splinters” in der Reihe Human Rights Film Festival am 14. Oktober auf dem Filmfest Osnabrück und am 15. Oktober auf dem Human Rights Film Festival Berlin. Der Dokumentarfilm ist bis zum 31. Oktober auch als Stream auf der Plattform des Berliner Festivals verfügbar.

Dieser Artikel wurde von Dagmar Breitenbach aus dem Englischen übersetzt.

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