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Alltag im Krieg: Wie Menschen in Bachmut ausharren

Von den einst 73.000 Einwohnern im ukrainischen Bachmut harren rund 8000 weiter in der Stadt aus. Freiwillige Helfer und Militärs bieten ihnen die Evakuierung an. Warum bleiben sie also? Alexandra Induchowa war vor Ort.

Alle paar Minuten pfeifen Geschosse durch die Luft und explodieren irgendwo in der Nähe. Kein Mensch ist zu sehen auf den Straßen von Bachmut . Nur Jewgenij Tkatschew und weitere Freiwillige der Hilfsorganisation “Proliska” sind unterwegs, um Bewohner mit Lebensmitteln und Hygieneartikeln zu versorgen.

Der westliche Teil der umkämpften Stadt im Donbass ist kaum wiederzuerkennen. Von vielen Häusern sind nur noch Haufen aus Ziegelsteinen übrig. In Hochhäusern klaffen Löcher. Reste von Werbetafeln und beschädigte Ampeln hängen über Straßen und Bürgersteige, auf denen umgekippte und ausgebrannte Autos liegen. Die meisten Scheiben sind zersplittert, die Fensteröffnungen notdürftig verdeckt. Kaputte Türen schlagen im Wind immer wieder auf und zu.

Alle paar Minuten pfeifen Geschosse durch die Luft und explodieren irgendwo in der Nähe. Kein Mensch ist zu sehen auf den Straßen von Bachmut . Nur Jewgenij Tkatschew und weitere Freiwillige der Hilfsorganisation “Proliska” sind unterwegs, um Bewohner mit Lebensmitteln und Hygieneartikeln zu versorgen.

“Natürlich ist es gefährlich. Aber was soll man tun? Die Menschen brauchen Hilfe, weil die Geschäfte hier nicht mehr öffnen und nicht jeder Geld hat”, sagt Jewgenij und steigt aus dem Auto. Er hat in einem Hof gehalten, der von mehreren Wohnhäusern umgeben ist. Viele Fenster sind geborsten. Ein Mann versucht gerade, eines davon mit Folie abzudecken. Dann ertönen ganz in der Nähe Explosionen. Der Mann geht in Deckung, doch schon ein paar Sekunden später arbeitet er weiter.

Bachmut: humanitäre Hilfe unter Geschossen 

Einige Menschen nähern sich dem Auto der Freiwilligen. Jewgenij lockt mit Rufen “Humanitäre Hilfe! Humanitäre Hilfe!” weitere Bewohner aus ihren Häusern. Wie Anwohnerin Nina haben alle haben ihre Personalausweise dabei, denn sie müssen beim Erhalt der Hilfe ein Formular mit persönlichen Daten ausfüllen und unterschreiben.

Plötzlich fliegt erneut etwas mit lautem Pfeifen knapp über die Dächer der Häuser hinweg und explodiert ganz in der Nähe. Doch die Menschen ducken sich nicht einmal, sie füllen weiterhin die Papiere aus. Ein Mann wundert sich lediglich, das sei irgendein neues Geräusch gewesen. Nina sagt: “Wir sind schon ganz verschiedene Pfeiftöne und Explosionen gewöhnt.”

Um Bachmut tobt eine Zermürbungsschlacht zwischen russischen Angreifern und ukrainischen Verteidigern. Die Frontlinie rückt immer näher an die Stadt heran. Seit mehreren Monaten gibt es hier keinen Strom, kein Trinkwasser und kein Gas. Menschen verwenden meist Kerzen, um Powerbanks und Batterien zu schonen.

Nina erzählt, dass es Dieselgeneratoren gebe, die die rund 100 Bewohner in ihrer Nachbarschaft vom ukrainischen Militär und von Freiwilligen erhalten hätten. Sie würden aber nur zeitweise eingeschaltet, um viele Telefone gleichzeitig aufzuladen oder mal eine Maschine Wäsche zu waschen. “Um Benzin für die Generatoren zu sparen, waschen die Menschen ihre Wäsche meist per Hand, wie früher unsere Großeltern”, sagt Nina. Die nächste Tankstelle sei im rund zwölf Kilometer entfernten Nachbarort Tschassiw Jar. “Wir fahren mit dem Auto dorthin, das ja auch Benzin braucht. Auch deshalb sparen wir Energie.”

Auch Trinkwasser bekommen die Verbliebenen entweder vom ukrainischen Militär oder von Helfern. Oder sie suchen selbst in Innenhöfen von Privathäusern nach Brunnen. Essen kochen sie auf selbstgebauten Grills auf der Straße oder auf gusseisernen Öfen. Vor zwei Wohnhäusern hacken Männer Holz. Einer von ihnen, der 35-jährige Dmytro, bringt es in die Wohnung, in der ein kranker Familienangehöriger liegt. “Wir haben in der Wohnung Öfen aufgestellt und heizen mit Brennholz. Man kann darauf einen Topf oder eine Bratpfanne stellen und Essen zubereiten”, sagt er. Vom Hof ​​aus sieht man, dass aus mehreren Fenstern Rohre ragen, aus denen Rauch aufsteigt.

Wegen kranker oder alter Mitmenschen, die nicht evakuiert werden können oder wollen, bleiben ganze Familien in Bachmut. Ein Mann nähert sich mit seiner jugendlichen Tochter. Die Teenagerin scheut den Kontakt mit den Journalisten und verbirgt ihr Gesicht. Ihr Vater sagt: “Wir können unsere sehr kranke Großmutter nicht in Bachmut allein lassen.” Das Mädchen ist das einzige Kind, das hier zu sehen ist. Vom Sommer bis in den September letzten Jahres wurden fast alle Kinder aus Bachmut evakuiert.

Bereits im vergangenen Frühjahr, als sich die Front der Stadt näherte, räumten viele Bewohner von Bachmut ihre Keller aus und stellten dort teils selbstgebaute Möbel auf. Kommunikationsverbindungen gebe es von dort kaum, sagt Nina und geht vor. Ein dunkler Korridor führt zu den “Zimmern”. Erst dort angekommen schaltet Nina ihre Taschenlampe ein. An den Betonwänden stehen Regale mit Tee und Grütze. Die sechs Betten sind ordentlich gemacht. Es ist warm, denn in der Ecke steht ein Ofen, auf dem Wasser gekocht wird. Die anwesenden Frauen bieten Tee an. 

Eine Belüftung gibt es im Keller nicht, also gehen die Menschen oft zur Eingangstür, um frische Luft zu schnappen. Nachts versuchten sie deshalb, weniger Kerzen zu verwenden, erzählen die Menschen. Tagsüber hielten sie sich meist in ihren Wohnungen auf. Aber da der Beschuss nachts anhalte, gingen sie zum Schlafen meistens in ihre “Bunker”, wie Nina sie nennt: “Vor einer Rakete kann uns dieser Keller allerdings nicht retten.”

Den Menschen ist bewusst, dass die ziemlich gefährlich leben. Gleichzeitig betonen sie aber, dass sie zu einer “Kapitulation oder Evakuierung” nicht bereit seien.

“Die Einwohner von Bachmut wissen längst, was Krieg und Beschuss bedeuten”, sagt Mykyta und fügt hinzu: “Die Menschen hier sind von diesem Krieg nicht zu sehr schockiert.” Der junge Mann erinnert daran, dass die Kampfhandlungen im Donbass lange vor Beginn der großangelegten russischen Invasion in der Ukraine am 24. Februar 2022 begannen. Seit dem Jahr 2014 habe immer wieder einmal “etwas in der Stadt eingeschlagen”. Mykyta sagt, er könne seine Eltern nicht verlassen. Sie würden zu sehr an ihrem Haus hängen, um einer Evakuierung zuzustimmen. Er könne nur hoffen, dass “die Streitkräfte der Ukraine den Feind aus der Stadt vertreiben.”

Auch Nina hat die Hoffnung noch nicht aufgegeben. Ihre Töchter seien “nach Europa” geflohen, aber sie selbst wolle vorerst mit ihrem Mann in Bachmut bleiben. “Ich bleibe hier, solange die ukrainische Armee hier ist”, betont sie. Doch das Ehepaar ist sich einig, dass Zivilisten evakuiert werden sollten, sollte sich die Situation weiter verschlechtern. Man solle dem ukrainischen Militär nicht im Wege stehen, wenn sich der Feind hinter Wohnhäusern verschanzt, sagen sie.

Adaption aus dem Russischen: Markian Ostaptschuk

Ein Kameramann filmt die Helfer und Anwohner die Hilfe annahmen vor einem schwarzen Pickup

Freiwillige bringen unermüdlich Hilfsgüter nach Bachmut

Alle paar Minuten pfeifen Geschosse durch die Luft und explodieren irgendwo in der Nähe. Kein Mensch ist zu sehen auf den Straßen von Bachmut . Nur Jewgenij Tkatschew und weitere Freiwillige der Hilfsorganisation “Proliska” sind unterwegs, um Bewohner mit Lebensmitteln und Hygieneartikeln zu versorgen.

Der westliche Teil der umkämpften Stadt im Donbass ist kaum wiederzuerkennen. Von vielen Häusern sind nur noch Haufen aus Ziegelsteinen übrig. In Hochhäusern klaffen Löcher. Reste von Werbetafeln und beschädigte Ampeln hängen über Straßen und Bürgersteige, auf denen umgekippte und ausgebrannte Autos liegen. Die meisten Scheiben sind zersplittert, die Fensteröffnungen notdürftig verdeckt. Kaputte Türen schlagen im Wind immer wieder auf und zu.

Bachmut: humanitäre Hilfe unter Geschossen 

“Natürlich ist es gefährlich. Aber was soll man tun? Die Menschen brauchen Hilfe, weil die Geschäfte hier nicht mehr öffnen und nicht jeder Geld hat”, sagt Jewgenij und steigt aus dem Auto. Er hat in einem Hof gehalten, der von mehreren Wohnhäusern umgeben ist. Viele Fenster sind geborsten. Ein Mann versucht gerade, eines davon mit Folie abzudecken. Dann ertönen ganz in der Nähe Explosionen. Der Mann geht in Deckung, doch schon ein paar Sekunden später arbeitet er weiter.

Einige Menschen nähern sich dem Auto der Freiwilligen. Jewgenij lockt mit Rufen “Humanitäre Hilfe! Humanitäre Hilfe!” weitere Bewohner aus ihren Häusern. Wie Anwohnerin Nina haben alle haben ihre Personalausweise dabei, denn sie müssen beim Erhalt der Hilfe ein Formular mit persönlichen Daten ausfüllen und unterschreiben.

Plötzlich fliegt erneut etwas mit lautem Pfeifen knapp über die Dächer der Häuser hinweg und explodiert ganz in der Nähe. Doch die Menschen ducken sich nicht einmal, sie füllen weiterhin die Papiere aus. Ein Mann wundert sich lediglich, das sei irgendein neues Geräusch gewesen. Nina sagt: “Wir sind schon ganz verschiedene Pfeiftöne und Explosionen gewöhnt.”

Um Bachmut tobt eine Zermürbungsschlacht zwischen russischen Angreifern und ukrainischen Verteidigern. Die Frontlinie rückt immer näher an die Stadt heran. Seit mehreren Monaten gibt es hier keinen Strom, kein Trinkwasser und kein Gas. Menschen verwenden meist Kerzen, um Powerbanks und Batterien zu schonen.

Kein Strom, kein Wasser, kein Gas

Nina erzählt, dass es Dieselgeneratoren gebe, die die rund 100 Bewohner in ihrer Nachbarschaft vom ukrainischen Militär und von Freiwilligen erhalten hätten. Sie würden aber nur zeitweise eingeschaltet, um viele Telefone gleichzeitig aufzuladen oder mal eine Maschine Wäsche zu waschen. “Um Benzin für die Generatoren zu sparen, waschen die Menschen ihre Wäsche meist per Hand, wie früher unsere Großeltern”, sagt Nina. Die nächste Tankstelle sei im rund zwölf Kilometer entfernten Nachbarort Tschassiw Jar. “Wir fahren mit dem Auto dorthin, das ja auch Benzin braucht. Auch deshalb sparen wir Energie.”

Leben in Bachmut – ein Leben im Keller

Auch Trinkwasser bekommen die Verbliebenen entweder vom ukrainischen Militär oder von Helfern. Oder sie suchen selbst in Innenhöfen von Privathäusern nach Brunnen. Essen kochen sie auf selbstgebauten Grills auf der Straße oder auf gusseisernen Öfen. Vor zwei Wohnhäusern hacken Männer Holz. Einer von ihnen, der 35-jährige Dmytro, bringt es in die Wohnung, in der ein kranker Familienangehöriger liegt. “Wir haben in der Wohnung Öfen aufgestellt und heizen mit Brennholz. Man kann darauf einen Topf oder eine Bratpfanne stellen und Essen zubereiten”, sagt er. Vom Hof ​​aus sieht man, dass aus mehreren Fenstern Rohre ragen, aus denen Rauch aufsteigt.

Wegen kranker oder alter Mitmenschen, die nicht evakuiert werden können oder wollen, bleiben ganze Familien in Bachmut. Ein Mann nähert sich mit seiner jugendlichen Tochter. Die Teenagerin scheut den Kontakt mit den Journalisten und verbirgt ihr Gesicht. Ihr Vater sagt: “Wir können unsere sehr kranke Großmutter nicht in Bachmut allein lassen.” Das Mädchen ist das einzige Kind, das hier zu sehen ist. Vom Sommer bis in den September letzten Jahres wurden fast alle Kinder aus Bachmut evakuiert.

“Die Einwohner von Bachmut wissen längst, was Krieg bedeutet”

Bereits im vergangenen Frühjahr, als sich die Front der Stadt näherte, räumten viele Bewohner von Bachmut ihre Keller aus und stellten dort teils selbstgebaute Möbel auf. Kommunikationsverbindungen gebe es von dort kaum, sagt Nina und geht vor. Ein dunkler Korridor führt zu den “Zimmern”. Erst dort angekommen schaltet Nina ihre Taschenlampe ein. An den Betonwänden stehen Regale mit Tee und Grütze. Die sechs Betten sind ordentlich gemacht. Es ist warm, denn in der Ecke steht ein Ofen, auf dem Wasser gekocht wird. Die anwesenden Frauen bieten Tee an. 

Eine Belüftung gibt es im Keller nicht, also gehen die Menschen oft zur Eingangstür, um frische Luft zu schnappen. Nachts versuchten sie deshalb, weniger Kerzen zu verwenden, erzählen die Menschen. Tagsüber hielten sie sich meist in ihren Wohnungen auf. Aber da der Beschuss nachts anhalte, gingen sie zum Schlafen meistens in ihre “Bunker”, wie Nina sie nennt: “Vor einer Rakete kann uns dieser Keller allerdings nicht retten.”

Den Menschen ist bewusst, dass die ziemlich gefährlich leben. Gleichzeitig betonen sie aber, dass sie zu einer “Kapitulation oder Evakuierung” nicht bereit seien.

“Die Einwohner von Bachmut wissen längst, was Krieg und Beschuss bedeuten”, sagt Mykyta und fügt hinzu: “Die Menschen hier sind von diesem Krieg nicht zu sehr schockiert.” Der junge Mann erinnert daran, dass die Kampfhandlungen im Donbass lange vor Beginn der großangelegten russischen Invasion in der Ukraine am 24. Februar 2022 begannen. Seit dem Jahr 2014 habe immer wieder einmal “etwas in der Stadt eingeschlagen”. Mykyta sagt, er könne seine Eltern nicht verlassen. Sie würden zu sehr an ihrem Haus hängen, um einer Evakuierung zuzustimmen. Er könne nur hoffen, dass “die Streitkräfte der Ukraine den Feind aus der Stadt vertreiben.”

Ein älteres Paar sitzt auf Betten in einem Raum aus rohem Beton an einem Tisch mit und trinkt Tee

Auch Nina hat die Hoffnung noch nicht aufgegeben. Ihre Töchter seien “nach Europa” geflohen, aber sie selbst wolle vorerst mit ihrem Mann in Bachmut bleiben. “Ich bleibe hier, solange die ukrainische Armee hier ist”, betont sie. Doch das Ehepaar ist sich einig, dass Zivilisten evakuiert werden sollten, sollte sich die Situation weiter verschlechtern. Man solle dem ukrainischen Militär nicht im Wege stehen, wenn sich der Feind hinter Wohnhäusern verschanzt, sagen sie.

Adaption aus dem Russischen: Markian Ostaptschuk

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