Spaniens Finanzkultur verhindert Startup-Boom
Zwar werden im Land mehr Tech-Unternehmen gegründet, aber seit vielen Jahren traut sich niemand mehr an die Börse. Die Spanier investieren lieber in Steine statt in Aktien. Hypotheken sind keine Hürden.
Die Raumfahrt- und IT-Expertin Mónica Martínez Walter erscheint nicht wie Königin Letizia von Spanien in den Blättern der spanischen Klatschzeitschriften. Dabei könnte sie Top-Influencerin für junge Spanierinnen sein. Die Doktorin der Physik hat in Deutschland studiert und leitet heute GMV, einen der wenigen Ferraris der spanischen Tech-Wirtschaft.
Weil Martínez Walter jedoch die Scheinwerfer meidet, auch die an der Börse, kennt der Durchschnitts-Spanier weder sie noch ihr Unternehmen, obwohl die Gruppe inzwischen mehr als 3000 Menschen beschäftigt und händeringend Ingenieurinnen sucht. Ihre Geschichte ist perfekt geeignet für einen erfolgreichen Börsengang, aber die Eigentümerin will die Kontrolle nicht aus der Hand geben.
Die Raumfahrt- und IT-Expertin Mónica Martínez Walter erscheint nicht wie Königin Letizia von Spanien in den Blättern der spanischen Klatschzeitschriften. Dabei könnte sie Top-Influencerin für junge Spanierinnen sein. Die Doktorin der Physik hat in Deutschland studiert und leitet heute GMV, einen der wenigen Ferraris der spanischen Tech-Wirtschaft.
Das hat sie gemein mit anderen Familienunternehmen des Landes wie dem umsatzstarken Kaufhaus El Corte Inglés oder der erfolgreichen Supermarktkette Mercadona, aber auch mit immer neuen vielversprechenden Tech-Startups (siehe Grafik). Weil der spanische Börsenbetreiber Bolsas y mercados españoles (BME) schon vor der Pandemie jahrelang schwächelte, übernahm die Schweizer SIX Gruppe 2020 dort das Ruder. Aber geändert hat das nicht viel.
Angst verhindert viele Börsengänge in Spanien
“Viele Unternehmer haben Angst vor der Transparenz, die ein Börsenauftritt voraussetzt und Spanier investieren traditionell lieber in Immobilien als in Aktien. Das ist wie eine Katze, die sich in den Schwanz beißt”, erklärt Juan Carlos Higueras von der Madrider EAE Business School. Spanische Anleger seien zudem traumatisiert von den Krisen der vergangenen Jahre: “Telefónica war mal rund 30 Euro pro Aktie wert und galt als sichere Anlage galt. Jetzt liegt der Preis nur noch bei 3,50 Euro.”
2011 dann der Zusammenbruch des börsennotierten Kreditinstituts Bankia: “Viele Rentner haben mit den Aktien ihre kompletten Ersparnisse verloren”, berichtet Higueras. Kein Wunder, dass viele die Börse meiden, selbst die steuerlich begünstigten privaten Pensionspläne sind nicht mehr angesagt. Das alles spiegelt sich wider im Ibex-35. 2007 lag der spanische Referenzindex noch bei 15.000 Punkten, derzeit kommt er nicht mal auf 8000. Zum Vergleich: Der Deutsche Aktienindex DAX hat im gleichen Zeitraum über 100 Prozent zugelegt.
Während 2017 noch sechs spanische Firmen den Schritt aufs Madrider Parkett wagten, waren es ein Jahr später nur noch fünf, während es in Deutschland 16 waren. 2021 stehen dort 12 sogenannten IPOs nur drei in Spanien gegenüber. In diesem Jahr hat der Marmor-Verarbeiter Cosentino aus Andalusien seinen Börsengang angekündigt: “Aber das machen sie nur, weil sie in den USA stark sind und es dort ein Vorteil ist, börsennotiert zu sein” sagt Higueras, der glaubt, dass grundsätzliche Problem in Spanien sei, dass das Geld aufgrund einer geringen Risikobereitschaft, anders als in den USA, nicht schnell genug zirkuliere.
GMV-Chefin Martínez Walter konzentriert sich trotz ihrer Liebe zu den USA lieber auf ihre Forschungserfolge als auf Aktienkurse und Ruhm, obwohl ihre Geschichte Stoff für einen Hollywoodfilm bieten würde: Im Jahr 1980 gründete ihr Vater, der Flugzeugingenieur Juan José Martínez García, an der Madrider Universität Escuela de Ingenieros Aeronáuticos eine Arbeitsgruppe mit dem Namen Grupo Mecánica del Vuelo (Gruppe Flugmechanik). Gelernt hatte der Wissenschaftler sein Handwerk unter anderem in den 1960er Jahren bei der Hamburger Flugzeugbau GmbH.
In der Garage seines Madrider Hauses entstand 1984 das Spin-off GMV, das schon früh im Auftrag der Europäischen Raumfahrtagentur ESA in Darmstadt arbeitete und inzwischen Filialen in der ganzen Welt hat. Als ihr Vater 2001 plötzlich stirbt, muss die damals 30-jährige Wissenschaftlerin als einziges Kind aus der Ehe mit einer Deutschen ein hochinnovatives Unternehmen lenken, von dem damals schon 400 Familien abhingen – eine enorme Verantwortung.
Während die Finanzierung über die Börse oder via Investoren für das inzwischen auch im Bereich Telemedizin und Verkehrsüberwachung tätige Unternehmen eine Rolle spielte, sind IPOs nach Ansicht des Präsidenten der Madrider Börsenaufsicht CNMV, Rodrigo Buenaventura, jedoch sehr wichtig, um als Land wirtschaftlich nicht zu abhängig von Banken und einflussreichen Investorengruppen zu werden.
“Spaniens Wirtschaft und Beschäftigung wird primär von kleinen Firmen mit weniger als 50 Mitarbeitern getragen. Wir brauchen einen soliden Mittelstand, dafür ist auch eine diverse Finanzkultur notwendig.” Spaniens börsennotierte Unternehmen locken die Aktionäre mit sehr attraktiven Dividenden, weil die Kursentwicklung nicht attraktiv genug ist für viele Anleger. Und obwohl einige Unternehmen wie der Modekonzern Inditex oder der Telekommunikationsdienstleister Cellnex weltweite Referenzunternehmen sind, liegen die Aktien im Fünf-Jahres-Rückblick im Minus.
Als der sozialdemokratische Premier Pedro Sánchez 2018 antrat, wollte er aus seinem Land eine “Startup-Nation” machen. Das Bruttoinlandsprodukt seines Landes wuchs im vergangenen Jahr zwar über fünf Prozent, aber seine ambitionierten Pläne fielen der Weltwirtschaftslage und einer veralteten Finanzkultur zum Opfer.
Spanier investierten traditionell lieber in Steine statt in Aktien: “Da haben sie was in der Hand. Das ist so in unserer DNA”, argumentiert Higueras. Zwar gibt es bei der Madrider Börse einen Alternativmarkt, das BME Growth Segment, wo die Aktien von über 130 kleineren Firmen mit erleichterten Zugangskriterien gehandelt werden und es jedes Jahr Neuzugänge gibt.
Aber auf dem regulären Markt, wo derzeit 121 Firmen gelistet sind, tut sich weiterhin nicht viel, was nach Ansicht von Börsenaufsichtschef Buenaventura nicht daran liegt, dass IPOs in Spanien komplizierter oder teurer sind als anderswo. Er hofft, dass der europäische ‘Listing Act’, der durch einfachere Zugangskriterien der Stimulierung von Börsengängen dienen soll, während der spanischen EU-Präsidentschaft ab diesem Sommer an Farbe gewinnt: “Ich animiere alle, darüber zu sprechen.”
GMV-Eigentümerin Martínez Walter, die sich im Labor sicherer fühlt als auf jeder Art von Parkett, wird er dafür allerdings nicht gewinnen können.
Die Raumfahrt- und IT-Expertin Mónica Martínez Walter erscheint nicht wie Königin Letizia von Spanien in den Blättern der spanischen Klatschzeitschriften. Dabei könnte sie Top-Influencerin für junge Spanierinnen sein. Die Doktorin der Physik hat in Deutschland studiert und leitet heute GMV, einen der wenigen Ferraris der spanischen Tech-Wirtschaft.
Weil Martínez Walter jedoch die Scheinwerfer meidet, auch die an der Börse, kennt der Durchschnitts-Spanier weder sie noch ihr Unternehmen, obwohl die Gruppe inzwischen mehr als 3000 Menschen beschäftigt und händeringend Ingenieurinnen sucht. Ihre Geschichte ist perfekt geeignet für einen erfolgreichen Börsengang, aber die Eigentümerin will die Kontrolle nicht aus der Hand geben.
Angst verhindert viele Börsengänge in Spanien
Das hat sie gemein mit anderen Familienunternehmen des Landes wie dem umsatzstarken Kaufhaus El Corte Inglés oder der erfolgreichen Supermarktkette Mercadona, aber auch mit immer neuen vielversprechenden Tech-Startups (siehe Grafik). Weil der spanische Börsenbetreiber Bolsas y mercados españoles (BME) schon vor der Pandemie jahrelang schwächelte, übernahm die Schweizer SIX Gruppe 2020 dort das Ruder. Aber geändert hat das nicht viel.
“Viele Unternehmer haben Angst vor der Transparenz, die ein Börsenauftritt voraussetzt und Spanier investieren traditionell lieber in Immobilien als in Aktien. Das ist wie eine Katze, die sich in den Schwanz beißt”, erklärt Juan Carlos Higueras von der Madrider EAE Business School. Spanische Anleger seien zudem traumatisiert von den Krisen der vergangenen Jahre: “Telefónica war mal rund 30 Euro pro Aktie wert und galt als sichere Anlage galt. Jetzt liegt der Preis nur noch bei 3,50 Euro.”
2011 dann der Zusammenbruch des börsennotierten Kreditinstituts Bankia: “Viele Rentner haben mit den Aktien ihre kompletten Ersparnisse verloren”, berichtet Higueras. Kein Wunder, dass viele die Börse meiden, selbst die steuerlich begünstigten privaten Pensionspläne sind nicht mehr angesagt. Das alles spiegelt sich wider im Ibex-35. 2007 lag der spanische Referenzindex noch bei 15.000 Punkten, derzeit kommt er nicht mal auf 8000. Zum Vergleich: Der Deutsche Aktienindex DAX hat im gleichen Zeitraum über 100 Prozent zugelegt.
Während 2017 noch sechs spanische Firmen den Schritt aufs Madrider Parkett wagten, waren es ein Jahr später nur noch fünf, während es in Deutschland 16 waren. 2021 stehen dort 12 sogenannten IPOs nur drei in Spanien gegenüber. In diesem Jahr hat der Marmor-Verarbeiter Cosentino aus Andalusien seinen Börsengang angekündigt: “Aber das machen sie nur, weil sie in den USA stark sind und es dort ein Vorteil ist, börsennotiert zu sein” sagt Higueras, der glaubt, dass grundsätzliche Problem in Spanien sei, dass das Geld aufgrund einer geringen Risikobereitschaft, anders als in den USA, nicht schnell genug zirkuliere.
Spaniens Unternehmen locken mit Dividenden
GMV-Chefin Martínez Walter konzentriert sich trotz ihrer Liebe zu den USA lieber auf ihre Forschungserfolge als auf Aktienkurse und Ruhm, obwohl ihre Geschichte Stoff für einen Hollywoodfilm bieten würde: Im Jahr 1980 gründete ihr Vater, der Flugzeugingenieur Juan José Martínez García, an der Madrider Universität Escuela de Ingenieros Aeronáuticos eine Arbeitsgruppe mit dem Namen Grupo Mecánica del Vuelo (Gruppe Flugmechanik). Gelernt hatte der Wissenschaftler sein Handwerk unter anderem in den 1960er Jahren bei der Hamburger Flugzeugbau GmbH.
Das Trauma der Internetblase und der Finanzkrise
In der Garage seines Madrider Hauses entstand 1984 das Spin-off GMV, das schon früh im Auftrag der Europäischen Raumfahrtagentur ESA in Darmstadt arbeitete und inzwischen Filialen in der ganzen Welt hat. Als ihr Vater 2001 plötzlich stirbt, muss die damals 30-jährige Wissenschaftlerin als einziges Kind aus der Ehe mit einer Deutschen ein hochinnovatives Unternehmen lenken, von dem damals schon 400 Familien abhingen – eine enorme Verantwortung.
Während die Finanzierung über die Börse oder via Investoren für das inzwischen auch im Bereich Telemedizin und Verkehrsüberwachung tätige Unternehmen eine Rolle spielte, sind IPOs nach Ansicht des Präsidenten der Madrider Börsenaufsicht CNMV, Rodrigo Buenaventura, jedoch sehr wichtig, um als Land wirtschaftlich nicht zu abhängig von Banken und einflussreichen Investorengruppen zu werden.
“Spaniens Wirtschaft und Beschäftigung wird primär von kleinen Firmen mit weniger als 50 Mitarbeitern getragen. Wir brauchen einen soliden Mittelstand, dafür ist auch eine diverse Finanzkultur notwendig.” Spaniens börsennotierte Unternehmen locken die Aktionäre mit sehr attraktiven Dividenden, weil die Kursentwicklung nicht attraktiv genug ist für viele Anleger. Und obwohl einige Unternehmen wie der Modekonzern Inditex oder der Telekommunikationsdienstleister Cellnex weltweite Referenzunternehmen sind, liegen die Aktien im Fünf-Jahres-Rückblick im Minus.
Als der sozialdemokratische Premier Pedro Sánchez 2018 antrat, wollte er aus seinem Land eine “Startup-Nation” machen. Das Bruttoinlandsprodukt seines Landes wuchs im vergangenen Jahr zwar über fünf Prozent, aber seine ambitionierten Pläne fielen der Weltwirtschaftslage und einer veralteten Finanzkultur zum Opfer.
Spanier investierten traditionell lieber in Steine statt in Aktien: “Da haben sie was in der Hand. Das ist so in unserer DNA”, argumentiert Higueras. Zwar gibt es bei der Madrider Börse einen Alternativmarkt, das BME Growth Segment, wo die Aktien von über 130 kleineren Firmen mit erleichterten Zugangskriterien gehandelt werden und es jedes Jahr Neuzugänge gibt.
Aber auf dem regulären Markt, wo derzeit 121 Firmen gelistet sind, tut sich weiterhin nicht viel, was nach Ansicht von Börsenaufsichtschef Buenaventura nicht daran liegt, dass IPOs in Spanien komplizierter oder teurer sind als anderswo. Er hofft, dass der europäische ‘Listing Act’, der durch einfachere Zugangskriterien der Stimulierung von Börsengängen dienen soll, während der spanischen EU-Präsidentschaft ab diesem Sommer an Farbe gewinnt: “Ich animiere alle, darüber zu sprechen.”
GMV-Eigentümerin Martínez Walter, die sich im Labor sicherer fühlt als auf jeder Art von Parkett, wird er dafür allerdings nicht gewinnen können.