EU und USA wollen den Konflikt zwischen Kosovo und Serbien endlich lösen
Ende Februar stimmten Belgrad und Pristina nach EU-Aussagen einem Kompromissvorschlag zu, an dem Brüssel und Washington seit Monaten gearbeitet hatten. Ein Durchbruch im Dauerkonflikt um Kosovo – oder die nächste Pleite?
Russlands Präsident Waldimir Putin hat den Dauerstreit zwischen Serbien und dessen Ex-Provinz Kosovo immer wieder als Blaupause für seine Attacke auf die Ukraine genutzt. Der Westen habe erlaubt, dass sich das fast nur noch von Albanern bewohnte Kosovo vor 15 Jahren von Serbien abgespalten habe. Daher müsse er jetzt zulassen, dass sich Russland historisch zu ihm gehörende Gebiete wie die Krim oder die Ostukraine zurückhole, so Putin. Angesichts dessen beeilt sich der Westen nun, den Kosovokonflikt nach Jahrzehnten endlich zu befrieden, um dem Kreml-Herrscher ein Scheinargument aus der Hand zu nehmen.
Das Resultat der westlichen Anstrengungen war der deutsch-französische Kompromissvorschlag vom November 2022, der Ende Februar 2023 als EU-Position veröffentlicht wurde. Die Essenz des elf Punkte umfassenden Vermittlungspapiers: Beide Seiten erkennen ihre nationalen Dokumente und Symbole gegenseitig an. Serbien gibt die Blockade einer Mitgliedschaft Kosovos in internationalen Organisationen einschließlich der Vereinten Nationen auf. Kosovo ermöglicht seinerseits die Gründung eines seit zehn Jahren umstrittenen “Gemeindeverbandes” für die serbische Minderheit und garantiert einen besonderen Schutz der vielen mittelalterlichen serbisch-orthodoxen Kirchen und Klöster im Land.
Russlands Präsident Waldimir Putin hat den Dauerstreit zwischen Serbien und dessen Ex-Provinz Kosovo immer wieder als Blaupause für seine Attacke auf die Ukraine genutzt. Der Westen habe erlaubt, dass sich das fast nur noch von Albanern bewohnte Kosovo vor 15 Jahren von Serbien abgespalten habe. Daher müsse er jetzt zulassen, dass sich Russland historisch zu ihm gehörende Gebiete wie die Krim oder die Ostukraine zurückhole, so Putin. Angesichts dessen beeilt sich der Westen nun, den Kosovokonflikt nach Jahrzehnten endlich zu befrieden, um dem Kreml-Herrscher ein Scheinargument aus der Hand zu nehmen.
Borrells Durchbruch
Auch die USA unterstützen den Vorschlag. Spitzendiplomaten aus Brüssel und Washington pilgern seit Wochen in die Hauptstädte Belgrad und Pristina, um Serbien und Kosovo zur Annahme der Vorschläge zu bewegen. Und wenn man den Medienberichten aus den beiden Westbalkanländern glauben darf, drohten die westlichen Abgesandten mit politischer und wirtschaftlicher Isolation, sollte ihr neuester Vorstoß – wie schon so oft in der Vergangenheit – wieder abgelehnt werden.
Am 27. Februar 2023 kam es zum Showdown in Brüssel: Serbiens Präsident Aleksandar Vucic und Kosovo-Regierungschef Albin Kurti saßen sich, moderiert von EU-Vermittlern, gegenüber. Zum Abschluss verkündete Brüssels Außenbeauftragter Josep Borrell einen Durchbruch: Beide Parteien hätten das EU-Vermittlungspapier akzeptiert. Damit sei die Tür offen für die endgültige Beilegung dieses europäischen Dauerkonflikts.
Doch nach der Rückkehr aus Brüssel war in Belgrad und Pristina von angeblichen Zusagen im EU-Hauptquartier nichts zu hören. Serbien werde niemals eine Mitgliedschaft Kosovos in den UN erlauben, versicherte Präsident Vucic. Premier Kurti schwor im Parlament in Pristina, ein serbischer Gemeindeverband mit Autonomie und Selbstverwaltung komme ebenso wenig infrage wie ein besonderer Schutz für serbische Kulturschätze.
Das Verhalten Kurtis und Vucics ist weder überraschend noch verwunderlich, denn Kosovo und Serbien vertreten in der Kosovo-Frage Positionen, die nicht einmal ansatzweise vereinbar sind. Ähnlich wie Palästinenser und Israelis im Nahen Osten beanspruchen zwei Völker ein und dasselbe Gebiet. “Kosovo ist das Herz Serbiens”, argumentiert Belgrad mit Verweis auf historische Bauten und mittelalterliche Schlachtfelder. Die Albaner sehen sich als autochthones Volk in Kosovo – und sie stellen dort seit Zeiten die absolute Mehrheit der Bevölkerung.
Was noch wichtiger ist: Vor allem in Serbien ist die Kosovofrage seit Jahrzehnten das wichtigste Thema aller politischen Kräfte. So nutzte der später vom Jugoslawien-Tribunal als Kriegsverbrecher angeklagte serbische Präsident Slobodan Milosevic den Kosovokonflikt für seinen politischen Aufstieg. Später ließ der demokratische Politiker Vojislav Kostunica den Anspruch Serbiens auf Kosovo in der serbischen Verfassung verankern. Auch Serbiens bisher letzter demokratischer Präsident Boris Tadic machte die Kosovo-Frage zum Zentrum seiner politischen Agenda. Was Wunder, dass sie auch für Präsident Vucic die Basis seiner Herrschaft ist.
Da der Westen nach eigener Darstellung Serbiens Staatschef für einen Kompromiss mit den Kosovo-Albanern braucht, enthält sich Brüssel jeder auch noch so leisen Kritik an Vucics zunehmend autoritärem Herrschaftssystem. Dessen Kernpunkte sind die Ausschaltung aller unabhängigen staatlichen Institutionen, die Instrumentalisierung der Justiz, die Zensur der Medien und die Dominanz des Wirtschaftssystems durch treue Gefolgsleute.
“Die Mythen der Vergangenheit und vor allem der Mythos, Kosovo sei heiliges serbisches Land, dient nur dazu, dass wir nicht über das Heute nachdenken”, kritisiert der serbische Journalist Milojko Pantic. Und der oppositionelle Kolumnist Dejan Ilic weiß: “Vucic flüchtet seit Jahren vor jeder Verpflichtung, lebt von der Krise und kreiert verschiedene Spektakel, damit keines der Probleme Serbiens gelöst wird”. Daraus folge: “Wenn er die Kosovokrise löst, wird er nicht mehr gebraucht.”
Ähnliches ist auch auf der Seite Kosovos zu beobachten. Regierungschef Kurti war schon als Studentenführer und Oppositionspolitiker angetreten, um für sein Land die Unabhängigkeit von und Gleichberechtigung mit Serbien durchzusetzen. Für diese Haltung saß er jahrelang in serbischen Gefängnissen, sie ist ganz offensichtlich seine politische Mission.
Am 18. März 2023 werden sich Vucic und Kurti erneut unter EU-Vermittlung treffen, diesmal im nordmazedonischen Ohrid. Dann müssten beide Parteien bekennen, ob sie wirklich – wie von Brüssel behauptet – ihre roten Linien aufgeben wollen. Wie das gehen soll, bleibt vorerst ein Geheimnis. Vucic etwa müsste grünes Licht für die Mitgliedschaft Kosovos in allen internationalen Organisationen geben – und doch einen UN-Beitritt Pristinas verhindern.
Kurti müsste den Verband Serbischer Gemeinden ermöglichen – obwohl er gegen jede institutionelle und territoriale Form dieser Assoziation Front macht und den Minderheitenschutz nur auf einzelne Menschen beschränken will. Und beim von Belgrad angestrebten besonderem Schutz serbischer Klöster und Kirchen ätzt die Opposition in Kosovo bereits, man werde in Zukunft seinen Pass zeigen müssen, um diese Kulturgüter zu besuchen.
Angesichts dieser Gemengelage ist offensichtlich die hohe diplomatische Kunst gefragt, Unvereinbares zu vereinbaren. Nach den Erfahrungen des vergangenen Jahrzehnts mit westlicher Balkanpolitik ist zu befürchten, dass es einmal mehr einen Kompromiss geben wird, in dem sich alle wiederfinden können – der aber an den eigentlichen Problemen nichts ändert.
Russlands Präsident Waldimir Putin hat den Dauerstreit zwischen Serbien und dessen Ex-Provinz Kosovo immer wieder als Blaupause für seine Attacke auf die Ukraine genutzt. Der Westen habe erlaubt, dass sich das fast nur noch von Albanern bewohnte Kosovo vor 15 Jahren von Serbien abgespalten habe. Daher müsse er jetzt zulassen, dass sich Russland historisch zu ihm gehörende Gebiete wie die Krim oder die Ostukraine zurückhole, so Putin. Angesichts dessen beeilt sich der Westen nun, den Kosovokonflikt nach Jahrzehnten endlich zu befrieden, um dem Kreml-Herrscher ein Scheinargument aus der Hand zu nehmen.
Das Resultat der westlichen Anstrengungen war der deutsch-französische Kompromissvorschlag vom November 2022, der Ende Februar 2023 als EU-Position veröffentlicht wurde. Die Essenz des elf Punkte umfassenden Vermittlungspapiers: Beide Seiten erkennen ihre nationalen Dokumente und Symbole gegenseitig an. Serbien gibt die Blockade einer Mitgliedschaft Kosovos in internationalen Organisationen einschließlich der Vereinten Nationen auf. Kosovo ermöglicht seinerseits die Gründung eines seit zehn Jahren umstrittenen “Gemeindeverbandes” für die serbische Minderheit und garantiert einen besonderen Schutz der vielen mittelalterlichen serbisch-orthodoxen Kirchen und Klöster im Land.
Borrells Durchbruch
Auch die USA unterstützen den Vorschlag. Spitzendiplomaten aus Brüssel und Washington pilgern seit Wochen in die Hauptstädte Belgrad und Pristina, um Serbien und Kosovo zur Annahme der Vorschläge zu bewegen. Und wenn man den Medienberichten aus den beiden Westbalkanländern glauben darf, drohten die westlichen Abgesandten mit politischer und wirtschaftlicher Isolation, sollte ihr neuester Vorstoß – wie schon so oft in der Vergangenheit – wieder abgelehnt werden.
Am 27. Februar 2023 kam es zum Showdown in Brüssel: Serbiens Präsident Aleksandar Vucic und Kosovo-Regierungschef Albin Kurti saßen sich, moderiert von EU-Vermittlern, gegenüber. Zum Abschluss verkündete Brüssels Außenbeauftragter Josep Borrell einen Durchbruch: Beide Parteien hätten das EU-Vermittlungspapier akzeptiert. Damit sei die Tür offen für die endgültige Beilegung dieses europäischen Dauerkonflikts.
Doch nach der Rückkehr aus Brüssel war in Belgrad und Pristina von angeblichen Zusagen im EU-Hauptquartier nichts zu hören. Serbien werde niemals eine Mitgliedschaft Kosovos in den UN erlauben, versicherte Präsident Vucic. Premier Kurti schwor im Parlament in Pristina, ein serbischer Gemeindeverband mit Autonomie und Selbstverwaltung komme ebenso wenig infrage wie ein besonderer Schutz für serbische Kulturschätze.
Albanische und serbische Positionen schließen einander aus
Das Verhalten Kurtis und Vucics ist weder überraschend noch verwunderlich, denn Kosovo und Serbien vertreten in der Kosovo-Frage Positionen, die nicht einmal ansatzweise vereinbar sind. Ähnlich wie Palästinenser und Israelis im Nahen Osten beanspruchen zwei Völker ein und dasselbe Gebiet. “Kosovo ist das Herz Serbiens”, argumentiert Belgrad mit Verweis auf historische Bauten und mittelalterliche Schlachtfelder. Die Albaner sehen sich als autochthones Volk in Kosovo – und sie stellen dort seit Zeiten die absolute Mehrheit der Bevölkerung.
Keine westliche Kritik an Vucic
Was noch wichtiger ist: Vor allem in Serbien ist die Kosovofrage seit Jahrzehnten das wichtigste Thema aller politischen Kräfte. So nutzte der später vom Jugoslawien-Tribunal als Kriegsverbrecher angeklagte serbische Präsident Slobodan Milosevic den Kosovokonflikt für seinen politischen Aufstieg. Später ließ der demokratische Politiker Vojislav Kostunica den Anspruch Serbiens auf Kosovo in der serbischen Verfassung verankern. Auch Serbiens bisher letzter demokratischer Präsident Boris Tadic machte die Kosovo-Frage zum Zentrum seiner politischen Agenda. Was Wunder, dass sie auch für Präsident Vucic die Basis seiner Herrschaft ist.
Da der Westen nach eigener Darstellung Serbiens Staatschef für einen Kompromiss mit den Kosovo-Albanern braucht, enthält sich Brüssel jeder auch noch so leisen Kritik an Vucics zunehmend autoritärem Herrschaftssystem. Dessen Kernpunkte sind die Ausschaltung aller unabhängigen staatlichen Institutionen, die Instrumentalisierung der Justiz, die Zensur der Medien und die Dominanz des Wirtschaftssystems durch treue Gefolgsleute.
“Die Mythen der Vergangenheit und vor allem der Mythos, Kosovo sei heiliges serbisches Land, dient nur dazu, dass wir nicht über das Heute nachdenken”, kritisiert der serbische Journalist Milojko Pantic. Und der oppositionelle Kolumnist Dejan Ilic weiß: “Vucic flüchtet seit Jahren vor jeder Verpflichtung, lebt von der Krise und kreiert verschiedene Spektakel, damit keines der Probleme Serbiens gelöst wird”. Daraus folge: “Wenn er die Kosovokrise löst, wird er nicht mehr gebraucht.”
Showdown in Ohrid
Ähnliches ist auch auf der Seite Kosovos zu beobachten. Regierungschef Kurti war schon als Studentenführer und Oppositionspolitiker angetreten, um für sein Land die Unabhängigkeit von und Gleichberechtigung mit Serbien durchzusetzen. Für diese Haltung saß er jahrelang in serbischen Gefängnissen, sie ist ganz offensichtlich seine politische Mission.
Am 18. März 2023 werden sich Vucic und Kurti erneut unter EU-Vermittlung treffen, diesmal im nordmazedonischen Ohrid. Dann müssten beide Parteien bekennen, ob sie wirklich – wie von Brüssel behauptet – ihre roten Linien aufgeben wollen. Wie das gehen soll, bleibt vorerst ein Geheimnis. Vucic etwa müsste grünes Licht für die Mitgliedschaft Kosovos in allen internationalen Organisationen geben – und doch einen UN-Beitritt Pristinas verhindern.
Kurti müsste den Verband Serbischer Gemeinden ermöglichen – obwohl er gegen jede institutionelle und territoriale Form dieser Assoziation Front macht und den Minderheitenschutz nur auf einzelne Menschen beschränken will. Und beim von Belgrad angestrebten besonderem Schutz serbischer Klöster und Kirchen ätzt die Opposition in Kosovo bereits, man werde in Zukunft seinen Pass zeigen müssen, um diese Kulturgüter zu besuchen.
Angesichts dieser Gemengelage ist offensichtlich die hohe diplomatische Kunst gefragt, Unvereinbares zu vereinbaren. Nach den Erfahrungen des vergangenen Jahrzehnts mit westlicher Balkanpolitik ist zu befürchten, dass es einmal mehr einen Kompromiss geben wird, in dem sich alle wiederfinden können – der aber an den eigentlichen Problemen nichts ändert.