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Italien ruft wegen hoher Migrationszahlen Notstand aus

An Italiens Küsten sind bereits in diesem Jahr etwa 31.000 Migranten angekommen. Deshalb hat die rechtsextreme Regierung einen Notstand ausgerufen. Was bedeutet er für die Geflüchteten?

Die rechtsgerichtete italienische Regierung hat wegen der steigenden Zahl der Migranten einen sechsmonatigen nationalen Notstand erklärt. Noch ist dieser nicht verabschiedet, doch es solle bereits ein Sonderbeauftragter ernannt und als Teil der Maßnahmen von Innenminister Matteo Piantedosi mit bis zu fünf Millionen Euro ausgestattet werden. 

Die aktuelle Regierung hatte noch im Wahlkampf mit dem Versprechen geworben, hart gegen die Migration vorzugehen und keine Geflüchteten mehr in Italien ankommen zu lassen. Dennoch erreichten laut Zahlen des Innenministeriums seit Beginn des Jahres 31.000 Geflüchtete das Land – fast viermal so viel wie im Vorjahreszeitraum. Entweder wurden sie dabei von italienischen Militärbooten oder Hilfsschiffen gerettet oder sie erreichten Italien ohne solche Hilfe. 

Die rechtsgerichtete italienische Regierung hat wegen der steigenden Zahl der Migranten einen sechsmonatigen nationalen Notstand erklärt. Noch ist dieser nicht verabschiedet, doch es solle bereits ein Sonderbeauftragter ernannt und als Teil der Maßnahmen von Innenminister Matteo Piantedosi mit bis zu fünf Millionen Euro ausgestattet werden. 

Obwohl die Zahl der Ankommenden im Vergleich zu den Vorjahren gestiegen ist und Aufnahmezentren wie das auf Lampedusa überlaufen sind, sei die Situation nicht mit der Lage durch den Krieg in Syrien um das Jahr 2015 zu vergleichen, sagt Valeria Carlini vom italienischen Flüchtlingsrat CIR im Gespräch mit der DW. Damals seien zwar mehr Geflüchtete nach Italien gekommen, ein Notstand wurde aber nicht ausgerufen. Die Notstands-Erklärung sei ungewöhnlich, so Carlini, zeige aber die Schwächen im Umgang mit einem mittlerweile strukturellen Phänomen, der Migration. Zuvor hatte in Italien nur die Regierung unter Berlusconi zu Beginn des Arabischen Frühlings 2011 einen Notstand ausgerufen. 

Zu viele Neuankömmlinge?

Die Sicht auf Migration als Notfall stehe im Einklang mit der Migrationspolitik der Regierung, die darauf abzielt, Nichtregierungsorganisationen, die Migranten auf See helfen, zu kriminalisieren, erläutert Carmine Conte, rechtspolitischer Analyst bei “Migration Policy Group”, einer Denkfabrik mit Sitz in Brüssel.

Die von der italienischen Regierung betriebene Polarisierung der Debatte über Migration offenbare, dass eine langfristige und umfassende Strategie für Migration fehle, die die Menschenrechte schützt und einen sicheren Zugang nach Europa ermöglicht, so Conte. Valeria Carlini hält dies hinsichtlich einer immer älter werdenden Bevölkerung für kurzsichtig. Denn auch der angespannte Arbeitsmarkt in Italien könne von der sozio-ökonomischen Integration der Migranten profitieren.

Der Notstand ermöglicht es der italienischen Regierung, bei der Verabschiedung von Gesetzen das Parlament zu umgehen. Selbst dann, wenn diese Gesetze im Widerspruch zu früheren Gesetzen stehen. Es ermöglicht der Exekutive im Falle humanitärer Katastrophen oder Naturkatastrophen, wie zum Beispiel Erdbeben, Maßnahmen leichter umzusetzen und Verfahren zu beschleunigen.

Raffaele Bifulco, Professor für Verfassungsrecht an der Universität Luiss in Rom, räumt ein, dass die Erklärung eines Notstands manchmal als letztes Mittel notwendig sei. In demokratischen Systemen sei dies jedoch immer eine “besorgniserregende Entwicklung”.

Die Opposition in Italien wird unterdessen nicht müde, darauf hinzuweisen, dass Giorgia Meloni kein Blatt vor den Mund nahm, als ein solcher Ausnahmezustand während der Corona-Pandemie verhängt wurde. Damals sprach die heutige Ministerpräsidentin sogar von “Freiheitsmord”.

Meloni erklärte, dass die Regierung mit dieser Maßnahme leichter Mittel und Hilfen freistellen kann, um neue Aufnahme-, Identifizierungs- und Rückführungszentren zu errichten und so die Fluchtbewegungen effizienter zu lenken und Rückführungsverfahren zu beschleunigen. Dazu gehört auch die Errichtung von mindestens einem Aufnahmezentrum pro Region. Gegenwärtig gibt es in ganz Italien nur neun solcher Zentren.

Bislang ist noch unklar, wohin die geplanten fünf Millionen Euro genau fließen werden. Der Bau neuer Aufnahmezentren könnte weitere Risiken sich bringen, denn die Zentren sind häufig bekannt für schlechte Bedingungen und Menschenrechtsverletzungen.

Laut Carlini reichten die fünf Millionen Euro nicht aus für das, was die Regierung nun als Notlage bezeichnet. Die Maßnahme führe lediglich zu einer notfallorientierten Verwaltung des bereits angeschlagenen Aufnahmesystems. Auch die allgemeinen Standards und Chancen auf Integration könnten schlechter werden.

Die Maßnahme ist auch vor dem Hintergrund der kürzlich in Italien verabschiedeten Gesetze zu sehen. Diese sehen vor, die Rettungsmaßnahmen für Migranten von Nichtregierungsorganisationen zu kriminalisieren. Im Parlament wird zudem eine Verordnung diskutiert, die einen besonderen Schutzstatus für Geflüchtete erheblich einschränken würde.

Conte warnt, dass die Maßnahme ähnliche Auswirkungen haben könnte wie der Erlass der Regierung Salvini im Jahr 2018. Schnelle Rückführungen, die aller Wahrscheinlichkeit nach auf unzulänglichen Beurteilungen der Asyl- und Schutzanträge basieren, sowie die verringerte Anerkennung eines Schutzstatus könnten zu mehr illegalen Einreisen und zu mehr Toten auf dem Meer führen.

Wie viele Regierungen vor ihr, hat auch Meloni mehr Solidarität von anderen EU-Mitgliedsstaaten gefordert, sowie eine bessere Koordinierung bei der Migrationspolitik.

“Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass das Problem damit nicht gelöst ist. Die Lösung ist an ein umsichtiges und verantwortungsvolles Eingreifen der Europäischen Union gebunden”, sagte der Minister für Katastrophenschutz und Meerespolitik, Nello Musumeci, zur italienischen Nachrichtenagentur ANSA.

Ob Meloni die Erklärung des Ausnahmezustands auch auf der Ebene des Europäischen Rats nutzen wird, um weitere Unterstützung von anderen EU-Länder zu fordern, sei laut den Gesprächspartnern der DW noch unklar. Einig sind sie sich jedoch darüber, dass dieser jüngste Schritt ganz dem Ziel der Regierung entspricht, Migranten die sichere Ankunft in Europa zu erschweren.

Adaptiert aus dem Englischen von Phoenix Hanzo.

Schiff mit Geflüchteten erreicht Sizilien
Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni
Blumen am Strand in Steccato di Cutro

Die rechtsgerichtete italienische Regierung hat wegen der steigenden Zahl der Migranten einen sechsmonatigen nationalen Notstand erklärt. Noch ist dieser nicht verabschiedet, doch es solle bereits ein Sonderbeauftragter ernannt und als Teil der Maßnahmen von Innenminister Matteo Piantedosi mit bis zu fünf Millionen Euro ausgestattet werden. 

Die aktuelle Regierung hatte noch im Wahlkampf mit dem Versprechen geworben, hart gegen die Migration vorzugehen und keine Geflüchteten mehr in Italien ankommen zu lassen. Dennoch erreichten laut Zahlen des Innenministeriums seit Beginn des Jahres 31.000 Geflüchtete das Land – fast viermal so viel wie im Vorjahreszeitraum. Entweder wurden sie dabei von italienischen Militärbooten oder Hilfsschiffen gerettet oder sie erreichten Italien ohne solche Hilfe. 

Zu viele Neuankömmlinge?

Obwohl die Zahl der Ankommenden im Vergleich zu den Vorjahren gestiegen ist und Aufnahmezentren wie das auf Lampedusa überlaufen sind, sei die Situation nicht mit der Lage durch den Krieg in Syrien um das Jahr 2015 zu vergleichen, sagt Valeria Carlini vom italienischen Flüchtlingsrat CIR im Gespräch mit der DW. Damals seien zwar mehr Geflüchtete nach Italien gekommen, ein Notstand wurde aber nicht ausgerufen. Die Notstands-Erklärung sei ungewöhnlich, so Carlini, zeige aber die Schwächen im Umgang mit einem mittlerweile strukturellen Phänomen, der Migration. Zuvor hatte in Italien nur die Regierung unter Berlusconi zu Beginn des Arabischen Frühlings 2011 einen Notstand ausgerufen. 

Die Sicht auf Migration als Notfall stehe im Einklang mit der Migrationspolitik der Regierung, die darauf abzielt, Nichtregierungsorganisationen, die Migranten auf See helfen, zu kriminalisieren, erläutert Carmine Conte, rechtspolitischer Analyst bei “Migration Policy Group”, einer Denkfabrik mit Sitz in Brüssel.

Die von der italienischen Regierung betriebene Polarisierung der Debatte über Migration offenbare, dass eine langfristige und umfassende Strategie für Migration fehle, die die Menschenrechte schützt und einen sicheren Zugang nach Europa ermöglicht, so Conte. Valeria Carlini hält dies hinsichtlich einer immer älter werdenden Bevölkerung für kurzsichtig. Denn auch der angespannte Arbeitsmarkt in Italien könne von der sozio-ökonomischen Integration der Migranten profitieren.

Der Notstand ermöglicht es der italienischen Regierung, bei der Verabschiedung von Gesetzen das Parlament zu umgehen. Selbst dann, wenn diese Gesetze im Widerspruch zu früheren Gesetzen stehen. Es ermöglicht der Exekutive im Falle humanitärer Katastrophen oder Naturkatastrophen, wie zum Beispiel Erdbeben, Maßnahmen leichter umzusetzen und Verfahren zu beschleunigen.

Was ist ein Notstand?

Raffaele Bifulco, Professor für Verfassungsrecht an der Universität Luiss in Rom, räumt ein, dass die Erklärung eines Notstands manchmal als letztes Mittel notwendig sei. In demokratischen Systemen sei dies jedoch immer eine “besorgniserregende Entwicklung”.

Und die Migranten?

Die Opposition in Italien wird unterdessen nicht müde, darauf hinzuweisen, dass Giorgia Meloni kein Blatt vor den Mund nahm, als ein solcher Ausnahmezustand während der Corona-Pandemie verhängt wurde. Damals sprach die heutige Ministerpräsidentin sogar von “Freiheitsmord”.

Meloni erklärte, dass die Regierung mit dieser Maßnahme leichter Mittel und Hilfen freistellen kann, um neue Aufnahme-, Identifizierungs- und Rückführungszentren zu errichten und so die Fluchtbewegungen effizienter zu lenken und Rückführungsverfahren zu beschleunigen. Dazu gehört auch die Errichtung von mindestens einem Aufnahmezentrum pro Region. Gegenwärtig gibt es in ganz Italien nur neun solcher Zentren.

Bislang ist noch unklar, wohin die geplanten fünf Millionen Euro genau fließen werden. Der Bau neuer Aufnahmezentren könnte weitere Risiken sich bringen, denn die Zentren sind häufig bekannt für schlechte Bedingungen und Menschenrechtsverletzungen.

Italien fordert europäische Beteiligung

Laut Carlini reichten die fünf Millionen Euro nicht aus für das, was die Regierung nun als Notlage bezeichnet. Die Maßnahme führe lediglich zu einer notfallorientierten Verwaltung des bereits angeschlagenen Aufnahmesystems. Auch die allgemeinen Standards und Chancen auf Integration könnten schlechter werden.

Die Maßnahme ist auch vor dem Hintergrund der kürzlich in Italien verabschiedeten Gesetze zu sehen. Diese sehen vor, die Rettungsmaßnahmen für Migranten von Nichtregierungsorganisationen zu kriminalisieren. Im Parlament wird zudem eine Verordnung diskutiert, die einen besonderen Schutzstatus für Geflüchtete erheblich einschränken würde.

Conte warnt, dass die Maßnahme ähnliche Auswirkungen haben könnte wie der Erlass der Regierung Salvini im Jahr 2018. Schnelle Rückführungen, die aller Wahrscheinlichkeit nach auf unzulänglichen Beurteilungen der Asyl- und Schutzanträge basieren, sowie die verringerte Anerkennung eines Schutzstatus könnten zu mehr illegalen Einreisen und zu mehr Toten auf dem Meer führen.

Wie viele Regierungen vor ihr, hat auch Meloni mehr Solidarität von anderen EU-Mitgliedsstaaten gefordert, sowie eine bessere Koordinierung bei der Migrationspolitik.

“Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass das Problem damit nicht gelöst ist. Die Lösung ist an ein umsichtiges und verantwortungsvolles Eingreifen der Europäischen Union gebunden”, sagte der Minister für Katastrophenschutz und Meerespolitik, Nello Musumeci, zur italienischen Nachrichtenagentur ANSA.

Ob Meloni die Erklärung des Ausnahmezustands auch auf der Ebene des Europäischen Rats nutzen wird, um weitere Unterstützung von anderen EU-Länder zu fordern, sei laut den Gesprächspartnern der DW noch unklar. Einig sind sie sich jedoch darüber, dass dieser jüngste Schritt ganz dem Ziel der Regierung entspricht, Migranten die sichere Ankunft in Europa zu erschweren.

Adaptiert aus dem Englischen von Phoenix Hanzo.

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