Steinmeier in Polen: Gedenken und Charmeoffensive
Die deutsch-polnischen Beziehungen stecken in einer tiefen Krise. Der Bundespräsident nutzte die Einladung zum Gedenken an den Aufstand im Warschauer Ghetto für positive Diplomatie. Ob das etwas ändert, ist ungewiss.
Der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat einen guten Draht nach Polen. Seit seiner erstmaligen Wahl zum Bundespräsidenten 2017 besuchte er das Nachbarland bereits sieben Mal. Sein jüngster Besuch am Dienstag und Mittwoch dieser Woche (18./19.04.2023) ragt dabei heraus und verdient fast das Attribut historisch: Als erster deutscher Staatschef überhaupt war Steinmeier eingeladen, zum Jahrestag des Aufstands im Warschauer Ghetto auf der zentralen polnischen Gedenkfeier zu sprechen.
Der Bundespräsident nutzte die Einladung nicht nur für eine eindringliche Gedenkrede, sondern auch für eine Art Charmeoffensive an die Adresse Polens. Seine demonstrativen Freundschaftsbekundungen sollen die antideutsche Stimmung in der rechtskonservativen polnischen Regierungskoalition entschärfen.
Der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat einen guten Draht nach Polen. Seit seiner erstmaligen Wahl zum Bundespräsidenten 2017 besuchte er das Nachbarland bereits sieben Mal. Sein jüngster Besuch am Dienstag und Mittwoch dieser Woche (18./19.04.2023) ragt dabei heraus und verdient fast das Attribut historisch: Als erster deutscher Staatschef überhaupt war Steinmeier eingeladen, zum Jahrestag des Aufstands im Warschauer Ghetto auf der zentralen polnischen Gedenkfeier zu sprechen.
In seiner Rede vor dem Denkmal der Ghetto-Helden spielten die deutsch-polnischen Beziehungen denn auch eine ebenso wichtige Rolle wie die deutschen Kriegsverbrechen und das Heldentum der jüdischen Kämpfer im April und Mai 1943. Die Versöhnung mit Polen – und auch mit Israel – nannte Steinmeier ein “unendlich kostbares Geschenk”, das die Deutschen “nicht erwarten konnten und durften”. Er sprach von “tiefer Freundschaft” und betonte: “Diese Freundschaft zwischen unseren Ländern – sie ist wahrlich ein Wunderwerk.”
Wunderwerk der Versöhnung bewahren
Mit Blick in die Zukunft sagte der Bundespräsident: “Wir müssen und wir wollen das Wunderwerk der Versöhnung bewahren und in die Zukunft führen.” Und er fügte eine bemerkenswerte Aussage hinzu: “Unsere Länder, unsere liberalen Demokratien sind in den vergangenen Monaten noch enger zusammengerückt, unsere Freundschaft steht heute auf einem noch stärkeren Fundament.” Eine gewagte These angesichts der Spannungen zwischen Warschau und Berlin.
Ausgerechnet einige Stunden vor Steinmeiers Ankunft in Warschau hatte die polnische Regierung demonstrativ ihren Anspruch auf Kriegsreparationen aus Deutschland bestätigt. In einem am Dienstag gefassten Beschluss sprach sich das Kabinett von Mateusz Morawiecki für die Notwendigkeit aus, die “Fragen der Reparationen, Entschädigung und Wiedergutmachung” zu regeln.
Der Beschluss diene der Vorbereitung einer weiteren Note an die deutsche Regierung, erklärte Vize-Außenminister Arkadiusz Mularczyk. Die erste Note wurde am 3. Oktober 2022 nach Berlin geschickt. Polens Regierung schätzt die Kriegsschäden auf 6,22 Billionen Zloty (rund 1,35 Billionen Euro). Kulturminister Piotr Glinski überreichte Steinmeier die englischsprachige Fassung des Berichts über die polnischen Kriegsverluste.
“Wir akzeptieren das Bedauern des Bundespräsidenten, aber wir erwarten Reparationen”, kommentierte am Mittwochabend das regierungsnahe Online-Portal wPolityce. Die Reaktion auf den Auftritt Steinmeiers solle in der “freundlichen Übergabe der Rechnung für begangene Verbrechen” bestehen.
In einer Grundsatzrede im polnischen Parlament am vergangenen Donnerstag (13.04.2023) stellte der Chef der polnischen Diplomatie, Zbigniew Rau, das Problem der Wiedergutmachung seitens Deutschlands in den Vordergrund des polnisch-deutschen Verhältnisses. Rau warf Berlin vor, Gewinne aus der EU zu “nationalisieren” und die Verluste, die sich aus den Fehlern der deutschen Politik ergäben, zu “internationalisieren”. Die Glaubwürdigkeit der deutschen Zeitenwende machte er von der Bereitschaft Berlins abhängig, die NATO-Russland-Grundakte zu kündigen.
Die antideutschen Akzente sind zum festen Bestandteil der öffentlichen Auftritte von Politikern der Regierungskoalition der Vereinigten Rechten in Polen geworden. Den Ton gibt der Chef der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS), Jaroslaw Kaczynski, an, der vor deutschen Plänen warnt, ein “Viertes Reich” zu errichten und Polen mit Hilfe der EU “unter den deutschen Stiefel” zu zwingen. Die liberale Opposition wird als “deutsche Partei”, ihr Vorsitzender Donald Tusk als “deutscher Kollaborateur” diffamiert.
Paradoxerweise hat der russische Angriff auf die Ukraine die deutsch-polnischen Beziehungen noch weiter verschlechtert. Das Scheitern der deutschen Russland-Politik und das lange Festhalten an der Gasleitung Nord Stream 2 gaben Polens Regierung starke Argumente für die Kritik an Deutschland. Statt aber die stärkere Stellung Polens in Europa für den Abbau der Asymmetrie zwischen den beiden Staaten und für eine neue Partnerschaft zu nutzen, versucht Warschau, Berlin politisch und moralisch zu diskreditieren. “Europa braucht keine deutsche Führung”, erklärte Außenminister Rau in seiner Grundsatzrede im Parlament.
Polens Präsident Andrzej Duda – jahrelang ein gehorsamer Vollstrecker der Kaczynski-Politik – versucht seit seiner erneuten Wahl 2020 eine selbstständigere Politik zu betreiben. Es ist seine letzte Amtszeit – er hat nichts zu verlieren und denkt an eine internationale Karriere. Er blockierte unter anderem den Versuch der PiS, den regierungskritischen amerikanischen Fernsehsender TVN mundtot zu machen. Duda reiste im Dezember 2022 nach Berlin, um Steinmeier persönlich für die Übergabe eines deutschen Luftabwehrsystems Patriot zu danken – und zwar, nachdem Kaczynski den Sinn des Projekts öffentlich in Frage gestellt hatte.
In seinen Versuchen, den Dialog mit Polens Führung trotz Streitfragen aufrechtzuerhalten, setzt Steinmeier auf Duda. Beide Politiker trafen sich zuletzt im Dezember in Berlin und im Februar bei der Sicherheitskonferenz in München. Wird aber Steinmeiers Charmeoffensive zum Erfolg führen? Das ist sehr ungewiss: Der Kampf vor der polnischen Parlamentswahl im Herbst hat seine ganz eigene innere Logik, zu der auch die scharfe Abgrenzung von Deutschland gehört.
Anders als Steinmeier verhält sich die deutsche Regierung in dieser beginnenden Phase des heißen Wahlkampfs äußerst vorsichtig und abwartend. “Schadensbegrenzung” ist ein Stichwort, das man aus Regierungskreisen in Berlin derzeit häufig hört. Die Regierungskontakte wurden auf das notwendige Mindestmaß reduziert. Bundeskanzler Olaf Scholz ließ sich schon seit Dezember 2021 zu keinem offiziellen Besuch mehr im Nachbarland blicken. Die letzten deutsch-polnischen Regierungskonsultationen fanden 2018 statt, obwohl sie laut Vertrag “mindestens einmal im Jahr” abgehalten werden sollen. Ein Nachholen ist in diesem Jahr nicht geplant. Wie soll es aber weitergehen mit Deutschland und Polen, wenn PiS nach der Herbst-Wahl an der Macht bleibt? Auf diese Frage hat auch Steinmeiers jetziger Besuch keine Antwort geben können.
Der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat einen guten Draht nach Polen. Seit seiner erstmaligen Wahl zum Bundespräsidenten 2017 besuchte er das Nachbarland bereits sieben Mal. Sein jüngster Besuch am Dienstag und Mittwoch dieser Woche (18./19.04.2023) ragt dabei heraus und verdient fast das Attribut historisch: Als erster deutscher Staatschef überhaupt war Steinmeier eingeladen, zum Jahrestag des Aufstands im Warschauer Ghetto auf der zentralen polnischen Gedenkfeier zu sprechen.
Der Bundespräsident nutzte die Einladung nicht nur für eine eindringliche Gedenkrede, sondern auch für eine Art Charmeoffensive an die Adresse Polens. Seine demonstrativen Freundschaftsbekundungen sollen die antideutsche Stimmung in der rechtskonservativen polnischen Regierungskoalition entschärfen.
Wunderwerk der Versöhnung bewahren
In seiner Rede vor dem Denkmal der Ghetto-Helden spielten die deutsch-polnischen Beziehungen denn auch eine ebenso wichtige Rolle wie die deutschen Kriegsverbrechen und das Heldentum der jüdischen Kämpfer im April und Mai 1943. Die Versöhnung mit Polen – und auch mit Israel – nannte Steinmeier ein “unendlich kostbares Geschenk”, das die Deutschen “nicht erwarten konnten und durften”. Er sprach von “tiefer Freundschaft” und betonte: “Diese Freundschaft zwischen unseren Ländern – sie ist wahrlich ein Wunderwerk.”
Mit Blick in die Zukunft sagte der Bundespräsident: “Wir müssen und wir wollen das Wunderwerk der Versöhnung bewahren und in die Zukunft führen.” Und er fügte eine bemerkenswerte Aussage hinzu: “Unsere Länder, unsere liberalen Demokratien sind in den vergangenen Monaten noch enger zusammengerückt, unsere Freundschaft steht heute auf einem noch stärkeren Fundament.” Eine gewagte These angesichts der Spannungen zwischen Warschau und Berlin.
Ausgerechnet einige Stunden vor Steinmeiers Ankunft in Warschau hatte die polnische Regierung demonstrativ ihren Anspruch auf Kriegsreparationen aus Deutschland bestätigt. In einem am Dienstag gefassten Beschluss sprach sich das Kabinett von Mateusz Morawiecki für die Notwendigkeit aus, die “Fragen der Reparationen, Entschädigung und Wiedergutmachung” zu regeln.
Der Beschluss diene der Vorbereitung einer weiteren Note an die deutsche Regierung, erklärte Vize-Außenminister Arkadiusz Mularczyk. Die erste Note wurde am 3. Oktober 2022 nach Berlin geschickt. Polens Regierung schätzt die Kriegsschäden auf 6,22 Billionen Zloty (rund 1,35 Billionen Euro). Kulturminister Piotr Glinski überreichte Steinmeier die englischsprachige Fassung des Berichts über die polnischen Kriegsverluste.
Bedauern gut, Reparationen besser
“Wir akzeptieren das Bedauern des Bundespräsidenten, aber wir erwarten Reparationen”, kommentierte am Mittwochabend das regierungsnahe Online-Portal wPolityce. Die Reaktion auf den Auftritt Steinmeiers solle in der “freundlichen Übergabe der Rechnung für begangene Verbrechen” bestehen.
Opposition als “deutsche Partei” diffamiert
In einer Grundsatzrede im polnischen Parlament am vergangenen Donnerstag (13.04.2023) stellte der Chef der polnischen Diplomatie, Zbigniew Rau, das Problem der Wiedergutmachung seitens Deutschlands in den Vordergrund des polnisch-deutschen Verhältnisses. Rau warf Berlin vor, Gewinne aus der EU zu “nationalisieren” und die Verluste, die sich aus den Fehlern der deutschen Politik ergäben, zu “internationalisieren”. Die Glaubwürdigkeit der deutschen Zeitenwende machte er von der Bereitschaft Berlins abhängig, die NATO-Russland-Grundakte zu kündigen.
Die antideutschen Akzente sind zum festen Bestandteil der öffentlichen Auftritte von Politikern der Regierungskoalition der Vereinigten Rechten in Polen geworden. Den Ton gibt der Chef der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS), Jaroslaw Kaczynski, an, der vor deutschen Plänen warnt, ein “Viertes Reich” zu errichten und Polen mit Hilfe der EU “unter den deutschen Stiefel” zu zwingen. Die liberale Opposition wird als “deutsche Partei”, ihr Vorsitzender Donald Tusk als “deutscher Kollaborateur” diffamiert.
Paradoxerweise hat der russische Angriff auf die Ukraine die deutsch-polnischen Beziehungen noch weiter verschlechtert. Das Scheitern der deutschen Russland-Politik und das lange Festhalten an der Gasleitung Nord Stream 2 gaben Polens Regierung starke Argumente für die Kritik an Deutschland. Statt aber die stärkere Stellung Polens in Europa für den Abbau der Asymmetrie zwischen den beiden Staaten und für eine neue Partnerschaft zu nutzen, versucht Warschau, Berlin politisch und moralisch zu diskreditieren. “Europa braucht keine deutsche Führung”, erklärte Außenminister Rau in seiner Grundsatzrede im Parlament.
Duda versucht mehr Selbständigkeit
Polens Präsident Andrzej Duda – jahrelang ein gehorsamer Vollstrecker der Kaczynski-Politik – versucht seit seiner erneuten Wahl 2020 eine selbstständigere Politik zu betreiben. Es ist seine letzte Amtszeit – er hat nichts zu verlieren und denkt an eine internationale Karriere. Er blockierte unter anderem den Versuch der PiS, den regierungskritischen amerikanischen Fernsehsender TVN mundtot zu machen. Duda reiste im Dezember 2022 nach Berlin, um Steinmeier persönlich für die Übergabe eines deutschen Luftabwehrsystems Patriot zu danken – und zwar, nachdem Kaczynski den Sinn des Projekts öffentlich in Frage gestellt hatte.
In seinen Versuchen, den Dialog mit Polens Führung trotz Streitfragen aufrechtzuerhalten, setzt Steinmeier auf Duda. Beide Politiker trafen sich zuletzt im Dezember in Berlin und im Februar bei der Sicherheitskonferenz in München. Wird aber Steinmeiers Charmeoffensive zum Erfolg führen? Das ist sehr ungewiss: Der Kampf vor der polnischen Parlamentswahl im Herbst hat seine ganz eigene innere Logik, zu der auch die scharfe Abgrenzung von Deutschland gehört.
Anders als Steinmeier verhält sich die deutsche Regierung in dieser beginnenden Phase des heißen Wahlkampfs äußerst vorsichtig und abwartend. “Schadensbegrenzung” ist ein Stichwort, das man aus Regierungskreisen in Berlin derzeit häufig hört. Die Regierungskontakte wurden auf das notwendige Mindestmaß reduziert. Bundeskanzler Olaf Scholz ließ sich schon seit Dezember 2021 zu keinem offiziellen Besuch mehr im Nachbarland blicken. Die letzten deutsch-polnischen Regierungskonsultationen fanden 2018 statt, obwohl sie laut Vertrag “mindestens einmal im Jahr” abgehalten werden sollen. Ein Nachholen ist in diesem Jahr nicht geplant. Wie soll es aber weitergehen mit Deutschland und Polen, wenn PiS nach der Herbst-Wahl an der Macht bleibt? Auf diese Frage hat auch Steinmeiers jetziger Besuch keine Antwort geben können.