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Kalabrische ’Ndrangheta: Milliardenschwer und verschwiegen

Europas größte Mafiaorganisation ist seit langem im Visier der Behörden. Am Mittwoch wurden mehr als 100 Haftbefehle gegen mutmaßliche Mafia-Mitglieder in ganz Europa vollstreckt. Doch die Justiz steht vor Problemen.

Die europaweite Großrazzia in Italien, Deutschland, Frankreich und zahlreichen anderen EU-Staaten am Mittwoch richtete sich vor allem gegen die kalabrische Mafia-Organisation ‘Ndrangheta und ihre Unterstützer. Dabei wurden Vermögenswerte in Millionenhöhe beschlagnahmt. Die grenzüberschreitende “Operation Eureka” zählt zu den bislang größten internationalen Aktionen gegen die Mafia.

Die Ermittlungen liefen über mehr als vier Jahre unter strengster Geheimhaltung. Dabei ist es den Sicherheitsbehörden offenbar auch gelungen, bei Gesprächen über angeblich abhörsichere Krypto-Handys der Kriminellen mitzulauschen. Eine besondere Rolle soll dabei die Polizei in Bayern gespielt haben.

Die europaweite Großrazzia in Italien, Deutschland, Frankreich und zahlreichen anderen EU-Staaten am Mittwoch richtete sich vor allem gegen die kalabrische Mafia-Organisation ‘Ndrangheta und ihre Unterstützer. Dabei wurden Vermögenswerte in Millionenhöhe beschlagnahmt. Die grenzüberschreitende “Operation Eureka” zählt zu den bislang größten internationalen Aktionen gegen die Mafia.

Die ‘Ndrangheta gilt als mächtigste Mafiaorganisation Europas und hat mit einem geschätzten “Jahresumsatz” von mehr als 50 Milliarden Euro die sizilianische Cosa Nostra schon lange in den Schatten gestellt. Ihre Einnahmen erzielt die Mafia vor allem aus dem Drogenhandel, der Erpressung von Geschäftsleuten und der Geldwäsche. Aber auch an Prostitution, Menschenhandel, der illegalen Müllentsorgung und dem verbotenen Glücksspiel bereichert sie sich.

Gegen wen richten sich die Razzien?

Die ‘Ndrangheta ist in rund 160 Familienclans organisiert, die jeweils ein bestimmtes Territorium kontrollieren. Die Clans wiederum sind in lokalen Zellen mit 40 bis 50 Mitgliedern unterteilt. Zu den aktuell lukrativsten Geschäften gehört der Kokainschmuggel von Südamerika nach Europa, von wo aus das Rauschgift offenbar auch in weitere Weltregionen verschifft wird. Die italienische Polizei schätzt, dass die ‘Ndrangheta zwischen 60 und 80 Prozent des europäischen Kokainmarktes beherrscht.

Die ‘Ndrangheta hat ihren Ursprung im kalabrischen Bergdorf San Luca, von wo auch die Mehrzahl der Verdächtigen der aktuellen Razzia stammt. Der Ort mit seinen gut 3400 Einwohnern gilt als “geistiges Zentrum” der Mafia-Organisation.

Eine zentrale Führung der ‘Ndrangheta gibt es nicht, die Familienclans sind lose miteinander verbunden. Italienischen Ermittlern gelang es 2014 erstmals, ein geheimes Aufnahmeritual zu filmen, das sich an religiösen Strukturen orientiert. Dabei sprechen die Teilnehmer rituelle Formeln nach und schwören Treue und das für die Mafia typische Schweigegelübde, die Omertà. Die ‘Ndrangheta selbst bezeichnet sich als “santa società”, als “heilige Gesellschaft”.

Deutschland ist seit Jahrzehnten ein wichtiger Rückzugsraum für die ‘Ndrangheta. In der Vergangenheit war der Fahndungsdruck auf die organisierte Kriminalität in Deutschland geringer als in der Mafia-Heimat Italien. Die Polizei schätzt die Zahl der ‘Ndrangheta-Mitglieder in Deutschland auf 300 bis 400. Gegen mehr als 30 mutmaßliche Mitglieder wurden im Zuge der Razzien Haftbefehle vollstreckt – europaweit ist von mehr als 130 Festnahmen die Rede.

Deutschland ist aber auch ein wichtiger Markt für die Organisierte Kriminalität. Die Geschäfte in Deutschland werden von Kalabrien aus gesteuert, aber deutsche Ermittler gehen davon aus, dass die ‘Ndrangheta mit der Crimine di Germania in Deutschland über ein eigenes Kontrollorgan verfügt, das bei Streitigkeiten zwischen den Familienclans vermittelt. In anderen EU-Staaten gibt es eine vergleichbare Institution offenbar nicht.

Die Geschäfte und Machtkämpfe der ‘Ndrangheta finden in der Regel im Verborgenen statt. Doch 2007 machte eine Familienfehde in Deutschland weltweit Schlagzeilen, in deren Folge vor einer Pizzeria in Duisburg sechs Männer erschossen wurden. Opfer und Täter stammten aus San Luca. Giovanni Strangio, Drahtzieher und Schütze des Mafiamordes, wurde knapp vier Jahre später zu lebenslanger Haft verurteilt.

Ermittlungserfolge in Italien und im europäischen Ausland mündeten vor zwei Jahren in einen großen Mafia-Prozess in Lamezia Terme in Kalabrien. Es ist das größte Verfahren gegen die Mafia seit den “maxi processi” Mitte der 1980er Jahre gegen die sizilianische Cosa Nostra. Angeklagt in dem “Jahrhundert-Prozess” sind mehr als 400 Personen – über 900 Zeugen werden gehört. Der Aufwand ist groß. Den Angeklagten müssen kriminelle Machenschaften oder konkrete Hilfestellung für die Clans nachgewiesen werden – ein bloßer Kontakt zur Mafia reicht heute auch in Italien nicht mehr für eine Verurteilung aus.

In den vergangenen Jahren ist der Druck auf die organisierte Kriminalität auch in Deutschland gestiegen. Professionelle Beobachter wie der Journalist David Schraven, der 2017 einen Bestseller über die Mafia in Deutschland geschrieben hat, kritisieren jedoch die langwierigen Verfahren und die vergleichsweise milden Urteile hierzulande: “Die Strafen, die in Deutschland angedroht werden, sind lächerlich gering. Sie sind nicht abschreckend”, so Schraven in einem DW-Interview vor einiger Zeit.

Dennoch gab es kürzlich ein bemerkenswertes Urteil, das seit diesem Februar rechtskräftig ist. Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik wurde ein Angeklagter wegen Unterstützung der ‘Ndrangheta in Deutschland zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt. Möglich wurde das Verfahren auch durch eine Reform des Paragrafen 129 im Strafgesetzbuch aus dem Jahr 2017. Seitdem ist es in Deutschland für den Staat leichter, Personen wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen ausländischen Vereinigung zu belangen.

Aktuell läuft in Düsseldorf ein weiterer Prozess mit Bezug zur ‘Ndrangheta: Vor Gericht stehen 14 Männer, die ebenfalls Mitglieder der kalabrischen Mafia sein sollen.

Großeinsatz gegen Mafia in Europa | Italien San Luca
Italien San Luca
Italien Mafia-Prozess in Lamezia Terme

Die europaweite Großrazzia in Italien, Deutschland, Frankreich und zahlreichen anderen EU-Staaten am Mittwoch richtete sich vor allem gegen die kalabrische Mafia-Organisation ‘Ndrangheta und ihre Unterstützer. Dabei wurden Vermögenswerte in Millionenhöhe beschlagnahmt. Die grenzüberschreitende “Operation Eureka” zählt zu den bislang größten internationalen Aktionen gegen die Mafia.

Die Ermittlungen liefen über mehr als vier Jahre unter strengster Geheimhaltung. Dabei ist es den Sicherheitsbehörden offenbar auch gelungen, bei Gesprächen über angeblich abhörsichere Krypto-Handys der Kriminellen mitzulauschen. Eine besondere Rolle soll dabei die Polizei in Bayern gespielt haben.

Gegen wen richten sich die Razzien?

Die ‘Ndrangheta gilt als mächtigste Mafiaorganisation Europas und hat mit einem geschätzten “Jahresumsatz” von mehr als 50 Milliarden Euro die sizilianische Cosa Nostra schon lange in den Schatten gestellt. Ihre Einnahmen erzielt die Mafia vor allem aus dem Drogenhandel, der Erpressung von Geschäftsleuten und der Geldwäsche. Aber auch an Prostitution, Menschenhandel, der illegalen Müllentsorgung und dem verbotenen Glücksspiel bereichert sie sich.

Die ‘Ndrangheta ist in rund 160 Familienclans organisiert, die jeweils ein bestimmtes Territorium kontrollieren. Die Clans wiederum sind in lokalen Zellen mit 40 bis 50 Mitgliedern unterteilt. Zu den aktuell lukrativsten Geschäften gehört der Kokainschmuggel von Südamerika nach Europa, von wo aus das Rauschgift offenbar auch in weitere Weltregionen verschifft wird. Die italienische Polizei schätzt, dass die ‘Ndrangheta zwischen 60 und 80 Prozent des europäischen Kokainmarktes beherrscht.

Die ‘Ndrangheta hat ihren Ursprung im kalabrischen Bergdorf San Luca, von wo auch die Mehrzahl der Verdächtigen der aktuellen Razzia stammt. Der Ort mit seinen gut 3400 Einwohnern gilt als “geistiges Zentrum” der Mafia-Organisation.

Eine zentrale Führung der ‘Ndrangheta gibt es nicht, die Familienclans sind lose miteinander verbunden. Italienischen Ermittlern gelang es 2014 erstmals, ein geheimes Aufnahmeritual zu filmen, das sich an religiösen Strukturen orientiert. Dabei sprechen die Teilnehmer rituelle Formeln nach und schwören Treue und das für die Mafia typische Schweigegelübde, die Omertà. Die ‘Ndrangheta selbst bezeichnet sich als “santa società”, als “heilige Gesellschaft”.

Welchen Einfluss hat die ‘Ndrangheta?

Deutschland ist seit Jahrzehnten ein wichtiger Rückzugsraum für die ‘Ndrangheta. In der Vergangenheit war der Fahndungsdruck auf die organisierte Kriminalität in Deutschland geringer als in der Mafia-Heimat Italien. Die Polizei schätzt die Zahl der ‘Ndrangheta-Mitglieder in Deutschland auf 300 bis 400. Gegen mehr als 30 mutmaßliche Mitglieder wurden im Zuge der Razzien Haftbefehle vollstreckt – europaweit ist von mehr als 130 Festnahmen die Rede.

Woher kommt die ‘Ndrangheta?

Deutschland ist aber auch ein wichtiger Markt für die Organisierte Kriminalität. Die Geschäfte in Deutschland werden von Kalabrien aus gesteuert, aber deutsche Ermittler gehen davon aus, dass die ‘Ndrangheta mit der Crimine di Germania in Deutschland über ein eigenes Kontrollorgan verfügt, das bei Streitigkeiten zwischen den Familienclans vermittelt. In anderen EU-Staaten gibt es eine vergleichbare Institution offenbar nicht.

Die Geschäfte und Machtkämpfe der ‘Ndrangheta finden in der Regel im Verborgenen statt. Doch 2007 machte eine Familienfehde in Deutschland weltweit Schlagzeilen, in deren Folge vor einer Pizzeria in Duisburg sechs Männer erschossen wurden. Opfer und Täter stammten aus San Luca. Giovanni Strangio, Drahtzieher und Schütze des Mafiamordes, wurde knapp vier Jahre später zu lebenslanger Haft verurteilt.

Ermittlungserfolge in Italien und im europäischen Ausland mündeten vor zwei Jahren in einen großen Mafia-Prozess in Lamezia Terme in Kalabrien. Es ist das größte Verfahren gegen die Mafia seit den “maxi processi” Mitte der 1980er Jahre gegen die sizilianische Cosa Nostra. Angeklagt in dem “Jahrhundert-Prozess” sind mehr als 400 Personen – über 900 Zeugen werden gehört. Der Aufwand ist groß. Den Angeklagten müssen kriminelle Machenschaften oder konkrete Hilfestellung für die Clans nachgewiesen werden – ein bloßer Kontakt zur Mafia reicht heute auch in Italien nicht mehr für eine Verurteilung aus.

Welche Rolle spielt Deutschland?

In den vergangenen Jahren ist der Druck auf die organisierte Kriminalität auch in Deutschland gestiegen. Professionelle Beobachter wie der Journalist David Schraven, der 2017 einen Bestseller über die Mafia in Deutschland geschrieben hat, kritisieren jedoch die langwierigen Verfahren und die vergleichsweise milden Urteile hierzulande: “Die Strafen, die in Deutschland angedroht werden, sind lächerlich gering. Sie sind nicht abschreckend”, so Schraven in einem DW-Interview vor einiger Zeit.

Dennoch gab es kürzlich ein bemerkenswertes Urteil, das seit diesem Februar rechtskräftig ist. Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik wurde ein Angeklagter wegen Unterstützung der ‘Ndrangheta in Deutschland zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt. Möglich wurde das Verfahren auch durch eine Reform des Paragrafen 129 im Strafgesetzbuch aus dem Jahr 2017. Seitdem ist es in Deutschland für den Staat leichter, Personen wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen ausländischen Vereinigung zu belangen.

Wie erfolgreich sind die Ermittlungen?

Aktuell läuft in Düsseldorf ein weiterer Prozess mit Bezug zur ‘Ndrangheta: Vor Gericht stehen 14 Männer, die ebenfalls Mitglieder der kalabrischen Mafia sein sollen.

Wie geht die Justiz in Deutschland mit der Mafia um?

Deutschland Düsseldorf | Mafia-Prozess

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