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Vor der Stichwahl in der Türkei: Die Hoffnung stirbt zuletzt

Das Wahlergebnis vom 14. Mai ist für Anhänger der Opposition mehr als ernüchternd. Ein Sieg von Erdogans Herausforderer Kilicdaroglu scheint in weiter Ferne. Eindrücke von Erkan Arikan aus der Türkei.

Auch einige Tage nach den Wahlen in der Türkei sind viele, die auf einen Sieg Kemal Kilicdaroglus gehofft haben, noch immer paralysiert. Wochenlang lag der Präsidentschaftskandidat der Opposition laut Umfragen immer in Führung. Doch dann kam alles anders.

“Ich habe den Meinungsforschungsinstituten nie geglaubt. Die manipulieren alle”, sagt Taxifahrer Ferhat aus Ankara. Der 48-jährige ist ein frommer Mann, der fünfmal am Tag betet, und sich zu Staatsgründer Atatürk bekennt. “Die Islamisten rund um Erdogan haben das Land vereinnahmt. Sie haben das Land ausgesaugt. Die Lehren von Mustafa Kemal Atatürk sind fast verschwunden”, ergänzt er. In seiner Stimme ist eine tiefe Wehmut zu hören.

Auch einige Tage nach den Wahlen in der Türkei sind viele, die auf einen Sieg Kemal Kilicdaroglus gehofft haben, noch immer paralysiert. Wochenlang lag der Präsidentschaftskandidat der Opposition laut Umfragen immer in Führung. Doch dann kam alles anders.

Edip ist knapp 50. In einem vornehmen Hotel in der türkischen Hauptstadt Ankara arbeitet er als sogenannter Bell-Boy: Er begrüßt die Gäste an der Tür und fährt ihre Fahrzeuge in die Hotelgarage. “Ich brauche noch ein paar Jahre bis zur Rente. Doch das ist in weiter Ferne, denn ich glaube nicht, dass die wirtschaftliche Lage, sollte Erdogan am 28. Mai die Stichwahl gewinnen, besser wird. Ich werde weiter arbeiten müssen. Was bleibt mir anderes übrig”. So wie Edip denken viele in der Türkei.

“Die Hoffnung stirbt zuletzt”

Sercan, ein 29-jähriger großgewachsener Mann mit Brille, ist Trainee in einem Hotel. Mit seinem abgeschlossenen Studium als Verwaltungswirt würde er gerne in den gehobenen Beamtendienst, doch er bekomme keine Anstellung, erzählt er. Er ist einfach traurig. “Mir fehlen schlichtweg die gewissen ‘Beziehungen’, die mich weiterbringen können”, flüstert er. Der überqualifizierte junge Mann gibt sich zufrieden, überhaupt einen Job gefunden zu haben. “Wir verdienen knapp über dem Mindestlohn”, verrät er leise. Ohne die zusätzlichen Gratifikationen des Hotels würde er nicht über die Runden kommen, so Sercan. Für den zweiten Wahlgang am 28. Mai wünscht er sich einen Sieg Kilicdaroglus, auch wenn dessen Chancen immer geringer werden. Sercan hat eine Freundin, will Pläne für die Zukunft machen, lächelt und sagt: “Die Hoffnung stirbt zuletzt, das gibt mir Zuversicht.”

Ortswechsel. Istanbul. Eine große Gruppe von Touristen flüchten in den Großen Basar in der Altstadt. Es regnet so stark, dass der Boden das Wasser kaum aufnehmen kann. Die Abwasserabflüsse sind völlig überfordert. Im Eingang des Basars sitzt Hüseyin vor einem Laden. Seit mehr als 30 Jahren arbeitet er hier. Mit zwölf Jahren hat er bei seinem Onkel angefangen, der Taschenimitate von Luxusmarken verkaufte. Hüseyin ist Kurde und ein großer Anhänger des ehemaligen Co-Vorsitzenden der prokurdischen HDP Selahattin Demirtas, der seit sieben Jahren hinter Gittern ist. “Wem ich meine Stimme gegeben habe? Natürlich dem Bündnis ‘Grüne Linkspartei’. Alle anderen kannst du vergessen. Der Wahlzettel für den Präsidentschaftskandidaten? Da habe ich den Stimmzettel leer abgegeben.” Hüseyin ist enttäuscht. Kilicdaroglu sei ein schwacher Politiker. Im zweiten Wahlgang sollte Erdogan gewinnen, fügt er überraschend hinzu. “Erdogan bringt uns wenigstens die Touristen her. Alles andere ist zu unsicher.”

Seine Kollegin Hacer dagegen unterstützt die Opposition. “Das ist immer das gleiche mit Hüseyin, er will es nicht wahrhaben, dass gerade die Nationalisten die Oberhand haben im Parlament. Und Erdogan… dem darf man nicht trauen”, sagt Hacer und sie gibt offen zu, die CHP und Kilicdaroglu gewählt zu haben. 

Zwei junge Journalisten, die ihren Namen und auch das Medienhaus nicht nennen wollen, für das sie arbeiten, sitzen in einer Patisserie und essen Baklava und trinken Tee. “Vor den Wahlen waren sich alle so sicher, dass Erdogan verliert, dass sogar bei uns im Haus gemunkelt wurde, welcher Abteilungsleiter gehen wird. Doch jetzt sitzen alle noch fester im Sattel”, erzählen sie leise. Auch wenn sie sich bedeckt halten, ist es offensichtlich, dass beide für ein regierungsnahes Medium tätig sind. Sie gehören zu so genannten “Mitläufern”, die sonst nirgendwo eine Arbeit bekommen würden. Und so versuchen sie mit ihren Beiträgen eher nicht zu sehr aufzufallen. “Mir tut Erdogan eigentlich sehr leid. Der Mann ist krank. Deswegen denke ich nicht, dass er noch autokratischer wird”, sagt der eine der beiden. Sein Freund will sich auf diese Einschätzung nicht verlassen. Eins ist aber eindeutig: Beide gehen davon aus, dass Erdogan im zweiten Wahlgang das Rennen machen wird. “Viele von Kilicdaroglus Anhängern werden bestimmt nicht wählen gehen. Das spielt dann natürlich Erdogan in die Hände”, glaubt der eine der Journalisten.

Die kommenden Tage werden zeigen, ob Kilicdaroglu die Nichtwähler und die Unentschlossenen bei der Stichwahl am 28. Mai an die Urne bringen kann. Noch sind sie voller Hoffnung, denn sie stirbt ja bekanntlich zuletzt.

Der türkische Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu nach der Präsidentschaftswahl bei einer Rede
Zwei Männer spielen vor dem Eingang von Geschäften ein Brettspiel im Bazar in Istanbul, Türkei

Auch einige Tage nach den Wahlen in der Türkei sind viele, die auf einen Sieg Kemal Kilicdaroglus gehofft haben, noch immer paralysiert. Wochenlang lag der Präsidentschaftskandidat der Opposition laut Umfragen immer in Führung. Doch dann kam alles anders.

“Ich habe den Meinungsforschungsinstituten nie geglaubt. Die manipulieren alle”, sagt Taxifahrer Ferhat aus Ankara. Der 48-jährige ist ein frommer Mann, der fünfmal am Tag betet, und sich zu Staatsgründer Atatürk bekennt. “Die Islamisten rund um Erdogan haben das Land vereinnahmt. Sie haben das Land ausgesaugt. Die Lehren von Mustafa Kemal Atatürk sind fast verschwunden”, ergänzt er. In seiner Stimme ist eine tiefe Wehmut zu hören.

“Die Hoffnung stirbt zuletzt”

Edip ist knapp 50. In einem vornehmen Hotel in der türkischen Hauptstadt Ankara arbeitet er als sogenannter Bell-Boy: Er begrüßt die Gäste an der Tür und fährt ihre Fahrzeuge in die Hotelgarage. “Ich brauche noch ein paar Jahre bis zur Rente. Doch das ist in weiter Ferne, denn ich glaube nicht, dass die wirtschaftliche Lage, sollte Erdogan am 28. Mai die Stichwahl gewinnen, besser wird. Ich werde weiter arbeiten müssen. Was bleibt mir anderes übrig”. So wie Edip denken viele in der Türkei.

Sercan, ein 29-jähriger großgewachsener Mann mit Brille, ist Trainee in einem Hotel. Mit seinem abgeschlossenen Studium als Verwaltungswirt würde er gerne in den gehobenen Beamtendienst, doch er bekomme keine Anstellung, erzählt er. Er ist einfach traurig. “Mir fehlen schlichtweg die gewissen ‘Beziehungen’, die mich weiterbringen können”, flüstert er. Der überqualifizierte junge Mann gibt sich zufrieden, überhaupt einen Job gefunden zu haben. “Wir verdienen knapp über dem Mindestlohn”, verrät er leise. Ohne die zusätzlichen Gratifikationen des Hotels würde er nicht über die Runden kommen, so Sercan. Für den zweiten Wahlgang am 28. Mai wünscht er sich einen Sieg Kilicdaroglus, auch wenn dessen Chancen immer geringer werden. Sercan hat eine Freundin, will Pläne für die Zukunft machen, lächelt und sagt: “Die Hoffnung stirbt zuletzt, das gibt mir Zuversicht.”

Ortswechsel. Istanbul. Eine große Gruppe von Touristen flüchten in den Großen Basar in der Altstadt. Es regnet so stark, dass der Boden das Wasser kaum aufnehmen kann. Die Abwasserabflüsse sind völlig überfordert. Im Eingang des Basars sitzt Hüseyin vor einem Laden. Seit mehr als 30 Jahren arbeitet er hier. Mit zwölf Jahren hat er bei seinem Onkel angefangen, der Taschenimitate von Luxusmarken verkaufte. Hüseyin ist Kurde und ein großer Anhänger des ehemaligen Co-Vorsitzenden der prokurdischen HDP Selahattin Demirtas, der seit sieben Jahren hinter Gittern ist. “Wem ich meine Stimme gegeben habe? Natürlich dem Bündnis ‘Grüne Linkspartei’. Alle anderen kannst du vergessen. Der Wahlzettel für den Präsidentschaftskandidaten? Da habe ich den Stimmzettel leer abgegeben.” Hüseyin ist enttäuscht. Kilicdaroglu sei ein schwacher Politiker. Im zweiten Wahlgang sollte Erdogan gewinnen, fügt er überraschend hinzu. “Erdogan bringt uns wenigstens die Touristen her. Alles andere ist zu unsicher.”

Seine Kollegin Hacer dagegen unterstützt die Opposition. “Das ist immer das gleiche mit Hüseyin, er will es nicht wahrhaben, dass gerade die Nationalisten die Oberhand haben im Parlament. Und Erdogan… dem darf man nicht trauen”, sagt Hacer und sie gibt offen zu, die CHP und Kilicdaroglu gewählt zu haben. 

“Erdogan sollte bleiben – alles andere ist zu unsicher”

Zwei junge Journalisten, die ihren Namen und auch das Medienhaus nicht nennen wollen, für das sie arbeiten, sitzen in einer Patisserie und essen Baklava und trinken Tee. “Vor den Wahlen waren sich alle so sicher, dass Erdogan verliert, dass sogar bei uns im Haus gemunkelt wurde, welcher Abteilungsleiter gehen wird. Doch jetzt sitzen alle noch fester im Sattel”, erzählen sie leise. Auch wenn sie sich bedeckt halten, ist es offensichtlich, dass beide für ein regierungsnahes Medium tätig sind. Sie gehören zu so genannten “Mitläufern”, die sonst nirgendwo eine Arbeit bekommen würden. Und so versuchen sie mit ihren Beiträgen eher nicht zu sehr aufzufallen. “Mir tut Erdogan eigentlich sehr leid. Der Mann ist krank. Deswegen denke ich nicht, dass er noch autokratischer wird”, sagt der eine der beiden. Sein Freund will sich auf diese Einschätzung nicht verlassen. Eins ist aber eindeutig: Beide gehen davon aus, dass Erdogan im zweiten Wahlgang das Rennen machen wird. “Viele von Kilicdaroglus Anhängern werden bestimmt nicht wählen gehen. Das spielt dann natürlich Erdogan in die Hände”, glaubt der eine der Journalisten.

“Am Anfang wird alles noch beim Alten bleiben”

Die kommenden Tage werden zeigen, ob Kilicdaroglu die Nichtwähler und die Unentschlossenen bei der Stichwahl am 28. Mai an die Urne bringen kann. Noch sind sie voller Hoffnung, denn sie stirbt ja bekanntlich zuletzt.

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