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Polen-Ungarn: Die schmutzige Scheidung

Polen und Ungarn rückten unter ihren rechtsnationalen Führern Kaczynski und Orban besonders eng zusammen. Doch die Putin-Treue der ungarischen Regierung hat die als unerschütterlich geltende Freundschaft beendet.

Im Frühjahr 2022 bekam die ungarische Botschaft in Warschau ungewöhnliche Post: ein Paket, das höchst unangenehm roch. Beim Öffnen stellte sich heraus, dass es Exkremente enthielt. Ob tierische oder menschliche, blieb unklar.

Über den bislang nicht-öffentlichen Vorfall berichtete kürzlich das Budapester Investigativportal Direkt36 in einem langen Artikel über die Beziehungen zwischen Polen und Ungarn. Das Paket war nicht die einzige derartige Nachricht, die in dieser Zeit, wenige Wochen nach Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine, bei der ungarischen Botschaft in Warschau ankam.

Im Frühjahr 2022 bekam die ungarische Botschaft in Warschau ungewöhnliche Post: ein Paket, das höchst unangenehm roch. Beim Öffnen stellte sich heraus, dass es Exkremente enthielt. Ob tierische oder menschliche, blieb unklar.

Wegen der prorussischen Haltung der ungarischen Regierung wurde das Botschaftsgebäude im März 2022 mit roten Farbbeuteln beworfen. Wochen später hängten wütende Demonstranten Protesttransparente am Botschaftszaun auf, die Ungarns Premier Viktor Orban und den russischen Präsidenten Wladimir Putin beim Anstoßen mit erdölgefüllten Gläsern zeigten.

Muss Orban zum Augenarzt?

Und bis heute kann man auf der Facebook-Seite der ungarischen Botschaft in Warschau unter vielen Postings negative polnische Kommentare lesen. Der Tenor: Wut wegen der Putin-freundlichen Haltung Orbans.

Auch aus polnischen Regierungskreisen kamen nach Kriegsbeginn Kommentare an die Adresse Ungarns, die bis dahin undenkbar erschienen. So etwa sagte Jaroslaw Kaczynski, Chef der Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) und Polens starker Mann, im Frühjahr 2022 in einem Interview, wenn Orban russische Kriegsverbrechen in der Ukraine nicht sehen wolle, müsse er zum Augenarzt.

Eigentlich sind Polen und Ungarn einander historisch tief verbunden. Die gemeinsame Geschichte reicht von dynastischen Verbindungen im Mittelalter über die Freiheitskämpfe im 19. Jahrhundert bis zu den antikommunistischen Aufständen 1956 in Budapest und Posen. Doch inzwischen herrscht Eiszeit zwischen den beiden Ländern. Mehr noch: Die bislang als unzerrüttbar geltende polnisch-ungarische Freundschaft ist an ein Ende gekommen. Es ist keine Scheidung im Guten – und sie scheint endgültig zu sein. Denn der ungarische Flirt mit Putin wird wohl für lange Zeit ein Dorn im polnischen Auge bleiben.

Der Tropfen, der für Polen das Fass zum Überlaufen brachte, waren Aussagen des ungarischen Generalstabschefs Gabor Böröndi in einem TV-Interview Anfang Mai. Im Zusammenhang mit Aussagen über Russlands Krieg gegen die Ukraine bezeichnete Böröndi Hitlers Überfall auf Polen als “deutsch-polnischen Krieg, der als lokaler Krieg begann”. Die “Eskalation”, so Böröndi, habe “nicht rechtzeitig durch einen Friedensprozess eingedämmt” werden können, was dann zum Zweiten Weltkrieg geführt habe.

Die haarsträubenden Aussagen zogen scharfe diplomatische Reaktionen aus Warschau nach sich. Die ungarische Regierung musste sich entschuldigen. Doch es war nur der bisher schwerste diplomatische Eklat zwischen beiden Ländern, längst nicht der einzige.

“Die Wege Polens und Ungarns haben sich getrennt”, verkündete Polens Regierungschef Mateusz Morawiecki bereits Ende Juli 2022. Er reagierte damit auf eine Äußerung von Orban, der gesagt hatte: “Die Ungarn betrachten den Krieg als eine Auseinandersetzung zwischen zwei slawischen Nationen, während die Polen sich als eine Seite des Konfliktes verstehen.” Seitdem wurden die meisten Formen der Zusammenarbeit auf Eis gelegt.

Die ungarische Regierung unterzeichnete neue Verträge über Gaslieferungen aus Russland, während Polen auf die russischen Importe ganz verzichtete. Warschau ärgerte sich über die zögerliche Haltung Budapests bei den EU-Beschlüssen über Sanktionen gegen Russland und bei der NATO-Aufnahme Schwedens, die vom ungarischen Parlament noch immer nicht ratifiziert wurde. Auch die Haltung der ungarischen Regierung, dass der Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs gegen Wladimir Putin, falls er nach Ungarn kommt, dort nicht vollstreckt wird, stieß in Polen auf völliges Unverständnis.

Dabei betrachteten Polens Rechte Viktor Orban lange Zeit als ihr Vorbild. Jaroslaw Kaczynski und seine politischen Weggenossen sahen die Wahlerfolge der Orban-Partei Fidesz, die seit 2010 vier Wahlen jeweils mit Zwei-Drittel-Mehrheit gewann, neidvoll und bewundernd. “Ich bin tief überzeugt, dass wir eines Tages Budapest in Warschau haben werden”, tröstete sich Kaczynski 2011 nach der Wahlniederlage gegen seinen liberalen Herausforderer Donald Tusk.

Nachdem Kaczynskis PiS im Herbst 2015 in Polen die Macht übernommen hatte, schien die Achse Budapest-Warschau perfekt zu sein. Beide Regierungen unterstützten sich gegenseitig, um die Strafmaßnahmen der Europäischen Union zu verhindern. Beide widersetzten sich mit Erfolg der Aufnahme von Flüchtlingen, vor allem aus islamischen Staaten, und blockierten eine europäische Lösung der Migrationskrise.

Die PiS kopierte fleißig die ungarischen Maßnahmen, die Orban die politische Kontrolle über das Land brachten. Wie in Ungarn wurde in Polen das Verfassungsgericht mit eigenen Leuten besetzt und später das gesamte Justizsystem umgekrempelt. Kaczynski verwandelte die öffentlich-rechtlichen Medien in das Sprachrohr seiner Partei. Die rechtskonservativen Eliten beider Staaten verstanden sich als Vorreiter einer illiberalen Gegenrevolution – eine christlich-nationale Alternative zum liberalen und “verfaulten” Westen.

Doch in Warschau musste man auch erkennen, dass Orbans Loyalität machtpolitische Grenzen hat. Polen wollte 2017 verhindern, dass der heutige Oppositionsführer im Land, Donald Tusk, erneut zum Vorsitzenden des Europäischen Rates gewählt wird. Bei der Abstimmung in Brüssel erlitt die polnische Regierung eine krachende Niederlage: 27 Regierungschefs, darunter Orban, stimmten für Tusk – bei einer – der polnischen – Gegenstimme.

Prorussische Sympathien, aus denen Orban seit der Annexion der Krim keinen Hehl machte, wurden von der PiS lange heruntergespielt. Noch im Dezember 2021, als die amerikanischen Geheimdienste bereits vor dem russischen Angriff konkret warnten, organisierte Kaczynski in Warschau ein Gipfeltreffen der rechtskonservativen Parteien. Unter den Teilnehmern befanden sich ausgewiesene Putin-Freunde – neben Orban auch Marine Le Pen vom französischen Rassemblement National und Santiago Abascal, der Chef der spanischen Rechtspartei VOX.

Es war das wohl größte Zugeständnis, das Kaczynski um der Freundschaft mit Orban willen zu machen bereit war. Nur zwei Monate später begann mit dem Beginn des russischen Krieges gegen die Ukraine der aus heutiger Sicht unweigerlich erscheinende Bruch zwischen Polen und Ungarn. Es bleibt abzuwarten, inwieweit sich beide Länder in der EU unterstützen werden, wenn es um die Rechtsstaatsverfahren geht, die Brüssel gegen Warschau und Budapest angestrengt hat. Eines steht jedoch fest: Wirklich freundschaftlich dürfte das Verhältnis beider Länder erst wieder werden, wenn Viktor Orban und sein Regime Geschichte sind.

Polen ungarische Botschafft in Warschau
Der russische Präsident Wladimir Putin und der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban prosten sich am 1.2.2022 im Kreml mit Weingläsern zu. Das Bild wurde während der Corona-Pandemie aufgenommen. Darum stehen beide Politiker weit voneinander entfernt an zwe Enden eines Teppichs.
Der ukrainische Präsident Selenskyj schüttelt bei einem Besuch in Warschau am 5.4.2023 die Hand des polnischen Ministerpräsidenten Morawiecki

Im Frühjahr 2022 bekam die ungarische Botschaft in Warschau ungewöhnliche Post: ein Paket, das höchst unangenehm roch. Beim Öffnen stellte sich heraus, dass es Exkremente enthielt. Ob tierische oder menschliche, blieb unklar.

Über den bislang nicht-öffentlichen Vorfall berichtete kürzlich das Budapester Investigativportal Direkt36 in einem langen Artikel über die Beziehungen zwischen Polen und Ungarn. Das Paket war nicht die einzige derartige Nachricht, die in dieser Zeit, wenige Wochen nach Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine, bei der ungarischen Botschaft in Warschau ankam.

Muss Orban zum Augenarzt?

Wegen der prorussischen Haltung der ungarischen Regierung wurde das Botschaftsgebäude im März 2022 mit roten Farbbeuteln beworfen. Wochen später hängten wütende Demonstranten Protesttransparente am Botschaftszaun auf, die Ungarns Premier Viktor Orban und den russischen Präsidenten Wladimir Putin beim Anstoßen mit erdölgefüllten Gläsern zeigten.

Und bis heute kann man auf der Facebook-Seite der ungarischen Botschaft in Warschau unter vielen Postings negative polnische Kommentare lesen. Der Tenor: Wut wegen der Putin-freundlichen Haltung Orbans.

Auch aus polnischen Regierungskreisen kamen nach Kriegsbeginn Kommentare an die Adresse Ungarns, die bis dahin undenkbar erschienen. So etwa sagte Jaroslaw Kaczynski, Chef der Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) und Polens starker Mann, im Frühjahr 2022 in einem Interview, wenn Orban russische Kriegsverbrechen in der Ukraine nicht sehen wolle, müsse er zum Augenarzt.

Eigentlich sind Polen und Ungarn einander historisch tief verbunden. Die gemeinsame Geschichte reicht von dynastischen Verbindungen im Mittelalter über die Freiheitskämpfe im 19. Jahrhundert bis zu den antikommunistischen Aufständen 1956 in Budapest und Posen. Doch inzwischen herrscht Eiszeit zwischen den beiden Ländern. Mehr noch: Die bislang als unzerrüttbar geltende polnisch-ungarische Freundschaft ist an ein Ende gekommen. Es ist keine Scheidung im Guten – und sie scheint endgültig zu sein. Denn der ungarische Flirt mit Putin wird wohl für lange Zeit ein Dorn im polnischen Auge bleiben.

Haarsträubendes Interview

Der Tropfen, der für Polen das Fass zum Überlaufen brachte, waren Aussagen des ungarischen Generalstabschefs Gabor Böröndi in einem TV-Interview Anfang Mai. Im Zusammenhang mit Aussagen über Russlands Krieg gegen die Ukraine bezeichnete Böröndi Hitlers Überfall auf Polen als “deutsch-polnischen Krieg, der als lokaler Krieg begann”. Die “Eskalation”, so Böröndi, habe “nicht rechtzeitig durch einen Friedensprozess eingedämmt” werden können, was dann zum Zweiten Weltkrieg geführt habe.

Getrennte Wege

Die haarsträubenden Aussagen zogen scharfe diplomatische Reaktionen aus Warschau nach sich. Die ungarische Regierung musste sich entschuldigen. Doch es war nur der bisher schwerste diplomatische Eklat zwischen beiden Ländern, längst nicht der einzige.

“Die Wege Polens und Ungarns haben sich getrennt”, verkündete Polens Regierungschef Mateusz Morawiecki bereits Ende Juli 2022. Er reagierte damit auf eine Äußerung von Orban, der gesagt hatte: “Die Ungarn betrachten den Krieg als eine Auseinandersetzung zwischen zwei slawischen Nationen, während die Polen sich als eine Seite des Konfliktes verstehen.” Seitdem wurden die meisten Formen der Zusammenarbeit auf Eis gelegt.

Die ungarische Regierung unterzeichnete neue Verträge über Gaslieferungen aus Russland, während Polen auf die russischen Importe ganz verzichtete. Warschau ärgerte sich über die zögerliche Haltung Budapests bei den EU-Beschlüssen über Sanktionen gegen Russland und bei der NATO-Aufnahme Schwedens, die vom ungarischen Parlament noch immer nicht ratifiziert wurde. Auch die Haltung der ungarischen Regierung, dass der Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs gegen Wladimir Putin, falls er nach Ungarn kommt, dort nicht vollstreckt wird, stieß in Polen auf völliges Unverständnis.

Einst war Orban Vorbild

Dabei betrachteten Polens Rechte Viktor Orban lange Zeit als ihr Vorbild. Jaroslaw Kaczynski und seine politischen Weggenossen sahen die Wahlerfolge der Orban-Partei Fidesz, die seit 2010 vier Wahlen jeweils mit Zwei-Drittel-Mehrheit gewann, neidvoll und bewundernd. “Ich bin tief überzeugt, dass wir eines Tages Budapest in Warschau haben werden”, tröstete sich Kaczynski 2011 nach der Wahlniederlage gegen seinen liberalen Herausforderer Donald Tusk.

Nachdem Kaczynskis PiS im Herbst 2015 in Polen die Macht übernommen hatte, schien die Achse Budapest-Warschau perfekt zu sein. Beide Regierungen unterstützten sich gegenseitig, um die Strafmaßnahmen der Europäischen Union zu verhindern. Beide widersetzten sich mit Erfolg der Aufnahme von Flüchtlingen, vor allem aus islamischen Staaten, und blockierten eine europäische Lösung der Migrationskrise.

Grenzen der Loyalität

Die PiS kopierte fleißig die ungarischen Maßnahmen, die Orban die politische Kontrolle über das Land brachten. Wie in Ungarn wurde in Polen das Verfassungsgericht mit eigenen Leuten besetzt und später das gesamte Justizsystem umgekrempelt. Kaczynski verwandelte die öffentlich-rechtlichen Medien in das Sprachrohr seiner Partei. Die rechtskonservativen Eliten beider Staaten verstanden sich als Vorreiter einer illiberalen Gegenrevolution – eine christlich-nationale Alternative zum liberalen und “verfaulten” Westen.

Freundschaft wohl erst wieder nach Orban

Doch in Warschau musste man auch erkennen, dass Orbans Loyalität machtpolitische Grenzen hat. Polen wollte 2017 verhindern, dass der heutige Oppositionsführer im Land, Donald Tusk, erneut zum Vorsitzenden des Europäischen Rates gewählt wird. Bei der Abstimmung in Brüssel erlitt die polnische Regierung eine krachende Niederlage: 27 Regierungschefs, darunter Orban, stimmten für Tusk – bei einer – der polnischen – Gegenstimme.

Rosenmontagszug in Düsseldorf im Februar 2018: Große Puppen von Polens Kaczynski und Ungarns Orban tragen zwischen sich Hammer und Sichel, auf denen steht: Rechte Diktaturen.

Prorussische Sympathien, aus denen Orban seit der Annexion der Krim keinen Hehl machte, wurden von der PiS lange heruntergespielt. Noch im Dezember 2021, als die amerikanischen Geheimdienste bereits vor dem russischen Angriff konkret warnten, organisierte Kaczynski in Warschau ein Gipfeltreffen der rechtskonservativen Parteien. Unter den Teilnehmern befanden sich ausgewiesene Putin-Freunde – neben Orban auch Marine Le Pen vom französischen Rassemblement National und Santiago Abascal, der Chef der spanischen Rechtspartei VOX.

Es war das wohl größte Zugeständnis, das Kaczynski um der Freundschaft mit Orban willen zu machen bereit war. Nur zwei Monate später begann mit dem Beginn des russischen Krieges gegen die Ukraine der aus heutiger Sicht unweigerlich erscheinende Bruch zwischen Polen und Ungarn. Es bleibt abzuwarten, inwieweit sich beide Länder in der EU unterstützen werden, wenn es um die Rechtsstaatsverfahren geht, die Brüssel gegen Warschau und Budapest angestrengt hat. Eines steht jedoch fest: Wirklich freundschaftlich dürfte das Verhältnis beider Länder erst wieder werden, wenn Viktor Orban und sein Regime Geschichte sind.

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