Griechenland: Revoluzzer Alexis gegen Harvard-Kyriakos
Bei der Parlamentswahl in Griechenland kämpfen der rechte Ministerpräsident Mitsotakis und der linke Oppositionsführer Tsipras um die Macht. Sie verkörpern zwei entgegengesetzte politische Modelle.
Am Fuße der Akropolis ist Politik eine Familienangelegenheit. In kaum einem anderen europäischen Land sind Polit-Clans so dominant wie in Griechenland. Die altehrwürdige Familie Karamanlis hat am längsten regiert und das konservative Lager in Hellas entscheidend geprägt. Eine gefühlte Ewigkeit an der Macht blieb auch ihr sozialistischer Gegenentwurf, die Familie Papandreou. Später durfte die Mitsotakis-Dynastie Verantwortung übernehmen. Politisch eher in die Mitte gerückt, wird sie oft als die “heilige Familie” bezeichnet, da sie scheinbar überall schaltet und waltet.
Aktueller Stand vor der Parlamentswahl: Kyriakos Mitsotakis, Sohn des früheren Ministerpräsidenten Konstantin Mitsotakis, führt seit 2019 die Regierungsgeschäfte. Seine Schwester, Ex-Außenministerin Dora Bakoyannis, sitzt im Parlament für die konservative Regierungspartei Nea Dimokratia (ND). Ihr Sohn, Kostas Bakoyannis, ist Bürgermeister der griechischen Hauptstadt Athen. Der frühere ND-Abgeordnete Kyriakos Virvidakis, ein Cousin von Mitsotakis, ist in der Kommunalpolitik aktiv. Grigoris Dimitriadis, ein Neffe von Mitsotakis, leitete bis vor kurzem das Büro des Ministerpräsidenten, musste aber wegen einer noch ungeklärten Abhöraffäre zurücktreten.
Am Fuße der Akropolis ist Politik eine Familienangelegenheit. In kaum einem anderen europäischen Land sind Polit-Clans so dominant wie in Griechenland. Die altehrwürdige Familie Karamanlis hat am längsten regiert und das konservative Lager in Hellas entscheidend geprägt. Eine gefühlte Ewigkeit an der Macht blieb auch ihr sozialistischer Gegenentwurf, die Familie Papandreou. Später durfte die Mitsotakis-Dynastie Verantwortung übernehmen. Politisch eher in die Mitte gerückt, wird sie oft als die “heilige Familie” bezeichnet, da sie scheinbar überall schaltet und waltet.
Lange Zeit hatte Kyriakos Mitsotakis mit Politik nichts am Hut. Lieber studierte er an den amerikanischen Eliteuniversitäten Stanford und Harvard, sammelte Berufserfahrung beim Beratungsunternehmen McKinsey und perfektionierte sein Business-Englisch. In Griechenland arbeitete er als Bankenberater und Chef eines Private-Equity-Fonds, mit 45 Jahren wurde er Minister für Verwaltungsreform und E-Government. “Schaut auf meinen Lebenslauf, nicht auf meinen Namen”, sagte er im Wahlkampf.
Keine innerparteilichen Dialoge
“Mitsotakis wurde mit 40 Prozent der Stimmen zum Ministerpräsidenten gewählt. Es war eine demokratische Entscheidung, und das bezweifelt auch niemand”, sagt der Athener Politberater und Schriftsteller Levteris Koussoulis der DW. Allerdings: Mitsotakis sei immer noch Vorsitzender einer Partei, die feudale Strukturen aufweise und Auseinandersetzungen um Personen oder Inhalte kaum zulasse, meint Koussoulis. Qualifizierte Leute und frische Gesichter könnten sich nur dann zur Wahl stellen, wenn die innerparteilichen Regeln dies auch zuließen. Das sei leider nicht der Fall, klagt der Politexperte: “Parteiämter werden vererbt oder vergeben, ein innerparteilicher Dialog findet praktisch nicht statt. Das gilt übrigens für alle politischen Kräfte in Griechenland.”
Koussoulis spricht von einer “Feudaldemokratie” mit veralteten Strukturen, die Neues oft im Keim ersticke. Innerparteiliche Demokratie sei ein Fremdbegriff. Selbst eine theoretische Debatte über Veränderungen sei oft unerwünscht. Der Politexperte ist sich sicher: “Während der Amtszeit von Mitsotakis, also in den vergangenen vier Jahren, habe ich kaum einen Beitrag oder ein Interview gesehen, in dem ein Regierungspolitiker einen eigenen Vorschlag unterbreitet, irgendetwas, was man besser oder anders hätte machen können.”
Alexis Tsipras hat keine eigene Polit-Dynastie gegründet. Das liegt in der Natur der Sache, da seine Linkspartei SYRIZA bisher nur vier Jahre lang regiert hat: von 2015 bis 2019, auf dem Höhepunkt der griechischen Schuldenkrise. So wie auch im Wahlkampf 2015 gibt sich der 48-Jährige heute als der neue, unverbrauchte Kopf in der Athener Politik. Ob er damit Erfolg hat, bleibt abzuwarten.
“Vor vier Jahren hat diese Trumpfkarte Wirkung gezeigt, aber heute ist die Situation eine ganz andere”, erklärt Koussoulis. Tsipras habe bereits vier Regierungsjahre und eine Koalition mit einer rechtspopulistischen Partei hinter sich und könne deshalb nicht behaupten, er sei völlig neu in der Athener Politik. Immerhin sei es ihm schon einmal gelungen, aus eigener Kraft an die Macht zu kommen, ohne Unterstützung alteingesessener Polit-Dynastien. Das verschaffe ihm Sympathien. Und: “Viele Jungwähler fühlen sich zur Linkspartei hingezogen, allein schon wegen ihrer Ich-bin-dagegen-Einstellung”, sagt der Politexperte.
Bereits mit 16 Jahren wurde Alexis Tsipras in der breiten Öffentlichkeit als Protestheld wahrgenommen. In den frühen neunziger Jahren führte er landesweite Schülerproteste an, verlangte mehr Geld für staatliche Schulen, verteidigte in einem Fernsehinterview sogar das “Recht auf Schuleschwänzen”. Die Proteste markierten den Anfang vom Ende für den damaligen Ministerpräsidenten Konstantin Mitsotakis – den Vater des heutigen Regierungschefs Kyriakos Mitsotakis. Daraufhin fühlte sich Tsipras zu Höherem berufen.
Seine große Stunde kam 2006, als die reformkommunistische “Koalition der Linken und des Fortschritts”, ein Vorgänger der heutigen SYRIZA-Partei, den einstigen Protestanführer zum Kandidaten für die Bürgermeisterwahl in Athen kürte. Auf Anhieb holte Tsipras 10,5 Prozent der Stimmen. Erstmals war die Linke drittstärkste Kraft in der griechischen Hauptstadt. Seitdem ging es für ihn ständig aufwärts. Nun hofft Tsipras, dass er von den Wählern eine zweite Chance bekommt, um seine linke Agenda umzusetzen. Aber er formuliert das anders: “Wir wollen keine zweite, sondern eigentlich eine erste Chance bekommen, um unser Programm durchzusetzen – ohne Sparauflagen der Gläubiger und der Troika”, erklärte er bei seinem jüngsten Besuch in Berlin Ende April 2023.
Am Fuße der Akropolis ist Politik eine Familienangelegenheit. In kaum einem anderen europäischen Land sind Polit-Clans so dominant wie in Griechenland. Die altehrwürdige Familie Karamanlis hat am längsten regiert und das konservative Lager in Hellas entscheidend geprägt. Eine gefühlte Ewigkeit an der Macht blieb auch ihr sozialistischer Gegenentwurf, die Familie Papandreou. Später durfte die Mitsotakis-Dynastie Verantwortung übernehmen. Politisch eher in die Mitte gerückt, wird sie oft als die “heilige Familie” bezeichnet, da sie scheinbar überall schaltet und waltet.
Aktueller Stand vor der Parlamentswahl: Kyriakos Mitsotakis, Sohn des früheren Ministerpräsidenten Konstantin Mitsotakis, führt seit 2019 die Regierungsgeschäfte. Seine Schwester, Ex-Außenministerin Dora Bakoyannis, sitzt im Parlament für die konservative Regierungspartei Nea Dimokratia (ND). Ihr Sohn, Kostas Bakoyannis, ist Bürgermeister der griechischen Hauptstadt Athen. Der frühere ND-Abgeordnete Kyriakos Virvidakis, ein Cousin von Mitsotakis, ist in der Kommunalpolitik aktiv. Grigoris Dimitriadis, ein Neffe von Mitsotakis, leitete bis vor kurzem das Büro des Ministerpräsidenten, musste aber wegen einer noch ungeklärten Abhöraffäre zurücktreten.
Keine innerparteilichen Dialoge
Lange Zeit hatte Kyriakos Mitsotakis mit Politik nichts am Hut. Lieber studierte er an den amerikanischen Eliteuniversitäten Stanford und Harvard, sammelte Berufserfahrung beim Beratungsunternehmen McKinsey und perfektionierte sein Business-Englisch. In Griechenland arbeitete er als Bankenberater und Chef eines Private-Equity-Fonds, mit 45 Jahren wurde er Minister für Verwaltungsreform und E-Government. “Schaut auf meinen Lebenslauf, nicht auf meinen Namen”, sagte er im Wahlkampf.
“Mitsotakis wurde mit 40 Prozent der Stimmen zum Ministerpräsidenten gewählt. Es war eine demokratische Entscheidung, und das bezweifelt auch niemand”, sagt der Athener Politberater und Schriftsteller Levteris Koussoulis der DW. Allerdings: Mitsotakis sei immer noch Vorsitzender einer Partei, die feudale Strukturen aufweise und Auseinandersetzungen um Personen oder Inhalte kaum zulasse, meint Koussoulis. Qualifizierte Leute und frische Gesichter könnten sich nur dann zur Wahl stellen, wenn die innerparteilichen Regeln dies auch zuließen. Das sei leider nicht der Fall, klagt der Politexperte: “Parteiämter werden vererbt oder vergeben, ein innerparteilicher Dialog findet praktisch nicht statt. Das gilt übrigens für alle politischen Kräfte in Griechenland.”
Koussoulis spricht von einer “Feudaldemokratie” mit veralteten Strukturen, die Neues oft im Keim ersticke. Innerparteiliche Demokratie sei ein Fremdbegriff. Selbst eine theoretische Debatte über Veränderungen sei oft unerwünscht. Der Politexperte ist sich sicher: “Während der Amtszeit von Mitsotakis, also in den vergangenen vier Jahren, habe ich kaum einen Beitrag oder ein Interview gesehen, in dem ein Regierungspolitiker einen eigenen Vorschlag unterbreitet, irgendetwas, was man besser oder anders hätte machen können.”
Alexis Tsipras hat keine eigene Polit-Dynastie gegründet. Das liegt in der Natur der Sache, da seine Linkspartei SYRIZA bisher nur vier Jahre lang regiert hat: von 2015 bis 2019, auf dem Höhepunkt der griechischen Schuldenkrise. So wie auch im Wahlkampf 2015 gibt sich der 48-Jährige heute als der neue, unverbrauchte Kopf in der Athener Politik. Ob er damit Erfolg hat, bleibt abzuwarten.
“Feudale Demokratie” in Hellas
“Vor vier Jahren hat diese Trumpfkarte Wirkung gezeigt, aber heute ist die Situation eine ganz andere”, erklärt Koussoulis. Tsipras habe bereits vier Regierungsjahre und eine Koalition mit einer rechtspopulistischen Partei hinter sich und könne deshalb nicht behaupten, er sei völlig neu in der Athener Politik. Immerhin sei es ihm schon einmal gelungen, aus eigener Kraft an die Macht zu kommen, ohne Unterstützung alteingesessener Polit-Dynastien. Das verschaffe ihm Sympathien. Und: “Viele Jungwähler fühlen sich zur Linkspartei hingezogen, allein schon wegen ihrer Ich-bin-dagegen-Einstellung”, sagt der Politexperte.
Zweite Chance für Tsipras?
Bereits mit 16 Jahren wurde Alexis Tsipras in der breiten Öffentlichkeit als Protestheld wahrgenommen. In den frühen neunziger Jahren führte er landesweite Schülerproteste an, verlangte mehr Geld für staatliche Schulen, verteidigte in einem Fernsehinterview sogar das “Recht auf Schuleschwänzen”. Die Proteste markierten den Anfang vom Ende für den damaligen Ministerpräsidenten Konstantin Mitsotakis – den Vater des heutigen Regierungschefs Kyriakos Mitsotakis. Daraufhin fühlte sich Tsipras zu Höherem berufen.
Seine große Stunde kam 2006, als die reformkommunistische “Koalition der Linken und des Fortschritts”, ein Vorgänger der heutigen SYRIZA-Partei, den einstigen Protestanführer zum Kandidaten für die Bürgermeisterwahl in Athen kürte. Auf Anhieb holte Tsipras 10,5 Prozent der Stimmen. Erstmals war die Linke drittstärkste Kraft in der griechischen Hauptstadt. Seitdem ging es für ihn ständig aufwärts. Nun hofft Tsipras, dass er von den Wählern eine zweite Chance bekommt, um seine linke Agenda umzusetzen. Aber er formuliert das anders: “Wir wollen keine zweite, sondern eigentlich eine erste Chance bekommen, um unser Programm durchzusetzen – ohne Sparauflagen der Gläubiger und der Troika”, erklärte er bei seinem jüngsten Besuch in Berlin Ende April 2023.