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Saudi-Arabien: Frauen starten durch

Das saudische Reformprogramm “Vision 2030” beschleunigt den wirtschaftlichen Aufstieg von Frauen. Unternehmerinnen sind in zahlreichen Branchen erfolgreich. An der brutalen Verfolgung Andersdenkender ändert das nichts.

Saudische Frauen haben in dieser Woche den Weg ganz nach oben geschafft, im wahrsten Sinne des Wortes: Die 34-jährige Krebsforscherin Rayyanah Barnawi tauschte ihren Arbeitsplatz in Riads hochspezialisierter King-Faisal-Klinik gegen ein mobiles Labor in der Internationalen Raumstation ISS.

Dort wird die Astronautin zehn Tage lang wissenschaftlich arbeiten und über die ISS-Funkstelle die Fragen von saudischen Kindern und Jugendlichen beantworten. Sie hat bereits Tweets aus dem All gepostet und in Selfies ihrem Publikum auf der Erde gezeigt, dass sie die Ohrringe ihrer Großmutter trägt.

Saudische Frauen haben in dieser Woche den Weg ganz nach oben geschafft, im wahrsten Sinne des Wortes: Die 34-jährige Krebsforscherin Rayyanah Barnawi tauschte ihren Arbeitsplatz in Riads hochspezialisierter King-Faisal-Klinik gegen ein mobiles Labor in der Internationalen Raumstation ISS.

Barnawis Aufenthalt im Weltraum illustriert, wie sehr sich die Situation saudischer Frauen verändert hat. Bis Juni 2018 durften sie nicht einmal ans Steuer eines Autos und waren von etlichen Jobs ausgeschlossen.

Modernisierung ohne Menschenrechte

Seit 2016 versucht Kronprinz Mohammed bin Salman, kurz MBS, das Land gesellschaftlich und wirtschaftlich zu modernisieren. “Vision 2030” nennt er sein Reformvorhaben.

Menschenrechtsorganisationen weisen allerdings darauf hin, dass diese Reformen die Situation von politisch Andersdenkenden und Menschenrechtsaktivisten keineswegs verbessert haben. Nach ihren Schätzungen sind hunderte Kritiker zu extrem hohen Haftstrafen oder der Todesstrafe verurteilt worden.

Für Frauen im Allgemeinen hat sich die Lage jedoch massiv verbessert. 2019 wurde die männliche Vormundschaft abgeschafft. Frauen erhielten das Recht, alleine zu leben, einen Reisepass zu beantragen und ein Geschäft zu eröffnen, ohne dass ein Vormund wie Vater, Ehemann oder Bruder zustimmen musste.

Das macht einen wesentlichen Unterschied, sagt Marriam Mossali, Gründerin und Geschäftsführerin von Niche Arabia, einer Kommunikations- und Marketingagentur für Luxusprodukte. “Saudische Frauen hatten immer Ehrgeiz, auch wenn wir ihn unter dem Schleier der Anonymität verbergen mussten, bevor ‘Vision 2030’ uns ins Rampenlicht rückte”, betont sie gegenüber der DW. “Wir waren in Vorständen, aber auf den Websites der Unternehmen gab es niemals Fotos von uns. Wir haben in Unternehmen investiert, aber wir waren nicht das Gesicht unserer Marke. Das hat sich nun geändert.”

Marriam Mossali ist begeistert von Rayyannah Barnawis Reise in den Weltraum. “Das wird einen Dominoeffekt haben”, prophezeit sie. “Es wird Mädchen beeindrucken, dass Frauen ins All fliegen, dass sie Finanzinstituten vorstehen oder sogar Botschafterinnen werden. Diese Mädchen werden nicht mehr denken, dass sie das nicht schaffen können.”

Den spürbaren Wandel betont auch Sebastian Sons, Wissenschaftler am deutschen Thinktank CARPO. “Riad ist völlig anders als vor sechs Jahren”, sagt er über die Hauptstadt Saudi-Arabiens. Es sei jetzt wie überall auf der Welt: Frauen säßen am Laptop in Cafés, die allen Geschlechtern offenstünden, und es gebe viele erfolgreiche Frauen in Führungspositionen.

Für diese Entwicklung gibt es zwei weitere wesentliche Gründe, erklärt die Französin Julie Barbier-Leblan, die vom “Forbes”-Magazin 2022 in die Top 20-Liste der Frauen in der Tech-Branche in der arabischen Welt aufgenommen wurde. “Die meisten Frauen werden enorm von ihren Familien unterstützt”, sagt sie gegenüber der DW. “Und es gibt die Saudisierung.”

Die ersten Gesetze zur sogenannten Saudisierung reichen bis in die 1970er Jahre zurück und sollten ausländische durch einheimische Arbeitskräfte ersetzen. Mittlerweile sei Saudisierung ein Schwerpunkt des ‘Vision-2030’-Reformvorhabens, erklärt Sebastian Sons. Es gebe eine Quote für saudische Beschäftigte und wenn die nicht erfüllt werde, müssten Unternehmen ein Bußgeld zahlen.

Das hat jetzt offenbar die Beschäftigung von Frauen angekurbelt. Laut der staatlichen Statistikbehörde GASTAT ist die Arbeitslosenquote saudischer Frauen innerhalb des vergangenen halben Jahres von 20,5 Prozent auf 15,4 Prozent gefallen.

Doch obgleich mehr Frauen erwerbstätig sind, verdienen sie weiterhin weniger als Männer. Einem Bericht der in Europa ansässigen saudischen Menschenrechtsorganisation ESOHR zufolge schwankte die Differenz 2022 zwischen vier Prozent im öffentlichen Sektor und 36 Prozent in Privatunternehmen, obgleich die Arbeitsgesetze eigentlich geschlechtsspezifische Diskriminierung bei Gehältern verbieten.

Saudi-Arabien sollte Reformen in Betracht ziehen, die die juristische Gleichstellung von Frauen verbessern, schlussfolgerte jüngst ein Bericht der Weltbank mit dem Titel “Frauen, Wirtschaft und Recht”. Konkret gehe es um “Beschränkungen im Zusammenhang mit Heirat, Gesetze, die sich auf die Arbeit von Müttern auswirken, und geschlechtsspezifische Unterschiede bei Besitz und Erbe”.

Die Unternehmerin Maha Shirah hat in den vergangenen fünf bis sieben Jahren beobachtet, dass mehr Frauen ihre eigenen Firmen gründen. “Die Veränderungen ab 2016 haben Unternehmerinnen auf eine sehr positive Art beeinflusst”, sagt die Gründerin von SheWorks, der ersten saudischen Arbeitsumgebung für Frauen, gegenüber der DW. Sie ist überzeugt, dass eine ganze weibliche Generation von den neuen Möglichkeiten profitiert – sie selber eingeschlossen.

Maha Shirah will SheWorks in ein Gründungszentrum für saudische Unternehmerinnen verwandeln. “Ich habe das Gefühl, meinem Ehrgeiz sind keine Grenzen gesetzt”, strahlt sie. “Die Leute sind bereit für einen Wandel, die Bevölkerung ist jung und begierig zu lernen.”

Dieser Artikel wurde aus dem Englischen adaptiert.

Saudi-Arabien: Eine Frau sitzt am Steuer eines PKW, rechts daneben auf der Straße filmt sie eine andere Frau mit dem Smartphone, danaben steht ein Mann

Saudische Frauen haben in dieser Woche den Weg ganz nach oben geschafft, im wahrsten Sinne des Wortes: Die 34-jährige Krebsforscherin Rayyanah Barnawi tauschte ihren Arbeitsplatz in Riads hochspezialisierter King-Faisal-Klinik gegen ein mobiles Labor in der Internationalen Raumstation ISS.

Dort wird die Astronautin zehn Tage lang wissenschaftlich arbeiten und über die ISS-Funkstelle die Fragen von saudischen Kindern und Jugendlichen beantworten. Sie hat bereits Tweets aus dem All gepostet und in Selfies ihrem Publikum auf der Erde gezeigt, dass sie die Ohrringe ihrer Großmutter trägt.

Modernisierung ohne Menschenrechte

Barnawis Aufenthalt im Weltraum illustriert, wie sehr sich die Situation saudischer Frauen verändert hat. Bis Juni 2018 durften sie nicht einmal ans Steuer eines Autos und waren von etlichen Jobs ausgeschlossen.

Seit 2016 versucht Kronprinz Mohammed bin Salman, kurz MBS, das Land gesellschaftlich und wirtschaftlich zu modernisieren. “Vision 2030” nennt er sein Reformvorhaben.

Menschenrechtsorganisationen weisen allerdings darauf hin, dass diese Reformen die Situation von politisch Andersdenkenden und Menschenrechtsaktivisten keineswegs verbessert haben. Nach ihren Schätzungen sind hunderte Kritiker zu extrem hohen Haftstrafen oder der Todesstrafe verurteilt worden.

Für Frauen im Allgemeinen hat sich die Lage jedoch massiv verbessert. 2019 wurde die männliche Vormundschaft abgeschafft. Frauen erhielten das Recht, alleine zu leben, einen Reisepass zu beantragen und ein Geschäft zu eröffnen, ohne dass ein Vormund wie Vater, Ehemann oder Bruder zustimmen musste.

Saudisierung kommt Frauen zugute

Das macht einen wesentlichen Unterschied, sagt Marriam Mossali, Gründerin und Geschäftsführerin von Niche Arabia, einer Kommunikations- und Marketingagentur für Luxusprodukte. “Saudische Frauen hatten immer Ehrgeiz, auch wenn wir ihn unter dem Schleier der Anonymität verbergen mussten, bevor ‘Vision 2030’ uns ins Rampenlicht rückte”, betont sie gegenüber der DW. “Wir waren in Vorständen, aber auf den Websites der Unternehmen gab es niemals Fotos von uns. Wir haben in Unternehmen investiert, aber wir waren nicht das Gesicht unserer Marke. Das hat sich nun geändert.”

Der Gender-Pay-Gap klafft weiter

Marriam Mossali ist begeistert von Rayyannah Barnawis Reise in den Weltraum. “Das wird einen Dominoeffekt haben”, prophezeit sie. “Es wird Mädchen beeindrucken, dass Frauen ins All fliegen, dass sie Finanzinstituten vorstehen oder sogar Botschafterinnen werden. Diese Mädchen werden nicht mehr denken, dass sie das nicht schaffen können.”

Den spürbaren Wandel betont auch Sebastian Sons, Wissenschaftler am deutschen Thinktank CARPO. “Riad ist völlig anders als vor sechs Jahren”, sagt er über die Hauptstadt Saudi-Arabiens. Es sei jetzt wie überall auf der Welt: Frauen säßen am Laptop in Cafés, die allen Geschlechtern offenstünden, und es gebe viele erfolgreiche Frauen in Führungspositionen.

Für diese Entwicklung gibt es zwei weitere wesentliche Gründe, erklärt die Französin Julie Barbier-Leblan, die vom “Forbes”-Magazin 2022 in die Top 20-Liste der Frauen in der Tech-Branche in der arabischen Welt aufgenommen wurde. “Die meisten Frauen werden enorm von ihren Familien unterstützt”, sagt sie gegenüber der DW. “Und es gibt die Saudisierung.”

Weibliche Orte für Frauenförderung

Die ersten Gesetze zur sogenannten Saudisierung reichen bis in die 1970er Jahre zurück und sollten ausländische durch einheimische Arbeitskräfte ersetzen. Mittlerweile sei Saudisierung ein Schwerpunkt des ‘Vision-2030’-Reformvorhabens, erklärt Sebastian Sons. Es gebe eine Quote für saudische Beschäftigte und wenn die nicht erfüllt werde, müssten Unternehmen ein Bußgeld zahlen.

Das hat jetzt offenbar die Beschäftigung von Frauen angekurbelt. Laut der staatlichen Statistikbehörde GASTAT ist die Arbeitslosenquote saudischer Frauen innerhalb des vergangenen halben Jahres von 20,5 Prozent auf 15,4 Prozent gefallen.

Doch obgleich mehr Frauen erwerbstätig sind, verdienen sie weiterhin weniger als Männer. Einem Bericht der in Europa ansässigen saudischen Menschenrechtsorganisation ESOHR zufolge schwankte die Differenz 2022 zwischen vier Prozent im öffentlichen Sektor und 36 Prozent in Privatunternehmen, obgleich die Arbeitsgesetze eigentlich geschlechtsspezifische Diskriminierung bei Gehältern verbieten.

Saudi-Arabien sollte Reformen in Betracht ziehen, die die juristische Gleichstellung von Frauen verbessern, schlussfolgerte jüngst ein Bericht der Weltbank mit dem Titel “Frauen, Wirtschaft und Recht”. Konkret gehe es um “Beschränkungen im Zusammenhang mit Heirat, Gesetze, die sich auf die Arbeit von Müttern auswirken, und geschlechtsspezifische Unterschiede bei Besitz und Erbe”.

Die Unternehmerin Maha Shirah hat in den vergangenen fünf bis sieben Jahren beobachtet, dass mehr Frauen ihre eigenen Firmen gründen. “Die Veränderungen ab 2016 haben Unternehmerinnen auf eine sehr positive Art beeinflusst”, sagt die Gründerin von SheWorks, der ersten saudischen Arbeitsumgebung für Frauen, gegenüber der DW. Sie ist überzeugt, dass eine ganze weibliche Generation von den neuen Möglichkeiten profitiert – sie selber eingeschlossen.

Maha Shirah will SheWorks in ein Gründungszentrum für saudische Unternehmerinnen verwandeln. “Ich habe das Gefühl, meinem Ehrgeiz sind keine Grenzen gesetzt”, strahlt sie. “Die Leute sind bereit für einen Wandel, die Bevölkerung ist jung und begierig zu lernen.”

Dieser Artikel wurde aus dem Englischen adaptiert.

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