Uzupis: Künstlerischer Kleinstaat im Herzen von Vilnius
Die selbsternannte Republik Uzupis könnte man für einen Scherz halten, doch ihre Gründung in der litauischen Hauptstadt Vilnius hat einen ernsten Hintergrund. DW-Reporterin Heidi Fuller-Love auf Entdeckungstour.
“Litauen war das erste Land, das 1990 seine Unabhängigkeit von der Sowjetunion erklärte. Wenige Jahre später riefen wir ebenfalls unsere Unabhängigkeit aus”, erzählt mir Vilija Dovydėnaitė. Sie ist die einzige offiziell anerkannte Touristenführerin Uzupis, einer selbsternannten Republik im Herzen der litauischen Hauptstadt Vilnius. Auf nicht einmal einem Quadratkilometer leben in diesem Stadtviertel rund 7000 Menschen.
Der Name Uzupis bedeutet übrigens so viel wie “jenseits des Flusses,” sagt Dovydėnaitė, als wir eine kleine Brücke über den Vilnelė queren, um die Mikrorepublik zu erreichen. Sie deutet auf die Bronzestatue einer Meerjungfrau und warnt verschmitzt: “Vorsicht, wenn Du ihr in die Augen schaust, wirst Du diese Republik nie wieder verlassen.”
“Litauen war das erste Land, das 1990 seine Unabhängigkeit von der Sowjetunion erklärte. Wenige Jahre später riefen wir ebenfalls unsere Unabhängigkeit aus”, erzählt mir Vilija Dovydėnaitė. Sie ist die einzige offiziell anerkannte Touristenführerin Uzupis, einer selbsternannten Republik im Herzen der litauischen Hauptstadt Vilnius. Auf nicht einmal einem Quadratkilometer leben in diesem Stadtviertel rund 7000 Menschen.
Nach Ende des Zweiten Weltkriegs verfiel das Stadtviertel zusehends. Leerstehende Häuser wurden besetzt oder als Bordelle genutzt. Lange hatte die Gegend einen zweifelhaften Ruf. “Zunächst zogen wegen der günstigen Mieten viele Künstler in das Viertel”, erzählt Dovydėnaitė.
Neuanfang nach Niedergang der Sowjetunion
Saulius Paukstys war einer derjenigen, der nach Litauens Unabhängigkeit für die allmähliche Wiederbelebung des Viertels sorgte. Eines Tages ersetzte er eine lokale Leninstatue mit einer Büste des Avantgarde-Rockers Frank Zappa, obwohl dieser noch nie einen Fuß in das Land gesetzt hatte. Ein symbolischer Neuanfang war gemacht. Zwei Jahre später, am 1. April 1997, rief Paukstys gemeinsam mit Filmemacher Roman Lileikis die Unabhängigkeit Uzupis aus. Ihre Vision: Einen Zwergstaat erschaffen, in dem jeder Mensch frei von gesellschaftlichen Konventionen leben kann. Damals wie heute dient Lileikis als Präsident der Mikrorepublik. “Die Unabhängigkeitserklärung Uzupis war ein absurder Akt, doch zugleich ein guter Stresstest für unsere noch junge Demokratie”, sagt Dovydėnaitė rückblickend.
Uzupis hat nicht nur ein Staatsoberhaupt, sondern auch eine eigene Verfassung, Währung und vier Nationalflaggen – eine für jede Jahreszeit.
Damals war das Leben hart für litauische Künstler, so Dovydėnaitė. Doch die Gründungsmitglieder der jungen Künstlerrepublik “suchten nach neuen Formen des Zusammenlebens in diesen schweren, post-sowjetischen Zeiten.”
Nach anfänglichem Widerstand Litauens Regierender gegen den Fantasiestaat änderten sie allmählich ihre Meinung und akzeptierten das autonome Gebilde im Herzen der Hauptstadt. Ein international anerkannter Staat ist Uzupis allerdings bis heute nicht.
Lange Zeit war das Viertel weitgehend von Vilnius abgeschnitten. Erst im 16. Jahrhundert wurde eine Brücke über die Vilnia errichtet, welche die Gegend direkt mit dem Rest der Stadt verband. Heute ist von dieser einstigen Randlage nichts mehr zu spüren, finden sich in Uzupis doch mittlerweile Designer-Boutiquen, stylische Cafés und kunstvoll dekorierte Hinterhöfe. “Ironischerweise ist dieses Viertel das zweitteuerste von Vilnius, nach der Altstadt”, bemerkt Dovydėnaitė. “Heutzutage könnte kein klammer Künstler mehr das Geld aufbringen, hier eine Wohnung zu kaufen.”
Wir statten dem Uzupis Art Incubator einen Besuch ab, dem ersten seiner Art im Baltikum. Künstler aus aller Welt strömen hier her, um ihrer Kreativität freien Lauf zu lassen. Später ziehen wir weiter zu einer langen Wand, an der mehrere Metallplaketten angebracht sind. Auf ihnen steht übersetzt in rund 50 verschiedene Sprachen die Verfassung des Zwergstaates. Seine 41 kuriosen Artikel regeln das Miteinander in Uzupis. Sie legen beispielweise fest, dass Katzen nicht verpflichtet sind “ihren Hausherrn zu lieben,” diesem in schweren Momenten aber dennoch “beistehen” müssen. Auch garantiert die Verfassung ein Recht auf Skepsis: “Jeder Mensch hat das Recht zu zweifeln, ist jedoch hierzu nicht verpflichtet.”
“Die Verfassung klingt witzig, doch im richtigen Kontext betrachtet ergeben die Artikel durchaus Sinn”, sagt Dovydėnaitė. “Im Mittelpunkt steht nach 70 Jahren sowjetischer Unterdrückung das eigenständige Denken und die Meinungsfreiheit. Man könnte diese Verfassung als erstes schriftliches Menschenrechtspostulat des post-sowjetischen Litauens betrachten.”
Neben dieser Sehenswürdigkeit gibt es noch viel weiteres in Uzupis zu entdecken. Ein Abstecher in das populäre Viertel empfiehlt sich besonders im April. Am ersten Tag des Monats, dem Unabhängigkeitstag von Uzupis, werden Besucher von ureigenen Grenzbeamten empfangen. Einen einzigartigen Passstempel gibt es zur Feier des Tages inklusive. Am 1. April fließt außerdem Bier aus einem ehemaligen Wasserspender im Zentrum des Viertels, zudem gibt es an allen Ecken und Enden Kunst zu bestaunen.
Seitdem Russland einen Angriffskrieg gegen die Ukraine führt, hat sich insbesondere in Uzupis starker Widerstand gegen das Blutvergießen formiert. Viele Einwohner haben Anti-Kriegs-Demos im Stadtgebiet organsiert, um Solidarität mit der Ukraine zu bekunden.
Neringa Rekašiūtė gehört zu den Aktivisten, die sich maßgeblich an den Protestaktionen beteiligen. Eine davon, “Swimming Through”, inszenierte sie außerhalb des russischen Botschaftsgebäudes in Vilnius.
“Wir färbten den Teich gegenüber des Gebäudes mit roter Farbe, dann schwamm Rūta Meilutytė, eine Profiathlethin, hindurch. “Ich wollte damit zeigen, dass die Russen Blut an ihren Händen haben. Zugleich wollte ich einen Hoffnungsschimmer aufzeigen: Rūta Meilutytė schwimmt durch das Blut in die Freiheit.”
Wie sie fühlen viele in Uzupis und ganz Vilnius mit den Ukrainern, denn sie befürchten, der Krieg könnte auch sie selbst treffen.
“Litauen war das erste Land, das 1990 seine Unabhängigkeit von der Sowjetunion erklärte. Wenige Jahre später riefen wir ebenfalls unsere Unabhängigkeit aus”, erzählt mir Vilija Dovydėnaitė. Sie ist die einzige offiziell anerkannte Touristenführerin Uzupis, einer selbsternannten Republik im Herzen der litauischen Hauptstadt Vilnius. Auf nicht einmal einem Quadratkilometer leben in diesem Stadtviertel rund 7000 Menschen.
Der Name Uzupis bedeutet übrigens so viel wie “jenseits des Flusses,” sagt Dovydėnaitė, als wir eine kleine Brücke über den Vilnelė queren, um die Mikrorepublik zu erreichen. Sie deutet auf die Bronzestatue einer Meerjungfrau und warnt verschmitzt: “Vorsicht, wenn Du ihr in die Augen schaust, wirst Du diese Republik nie wieder verlassen.”
Neuanfang nach Niedergang der Sowjetunion
Nach Ende des Zweiten Weltkriegs verfiel das Stadtviertel zusehends. Leerstehende Häuser wurden besetzt oder als Bordelle genutzt. Lange hatte die Gegend einen zweifelhaften Ruf. “Zunächst zogen wegen der günstigen Mieten viele Künstler in das Viertel”, erzählt Dovydėnaitė.
Saulius Paukstys war einer derjenigen, der nach Litauens Unabhängigkeit für die allmähliche Wiederbelebung des Viertels sorgte. Eines Tages ersetzte er eine lokale Leninstatue mit einer Büste des Avantgarde-Rockers Frank Zappa, obwohl dieser noch nie einen Fuß in das Land gesetzt hatte. Ein symbolischer Neuanfang war gemacht. Zwei Jahre später, am 1. April 1997, rief Paukstys gemeinsam mit Filmemacher Roman Lileikis die Unabhängigkeit Uzupis aus. Ihre Vision: Einen Zwergstaat erschaffen, in dem jeder Mensch frei von gesellschaftlichen Konventionen leben kann. Damals wie heute dient Lileikis als Präsident der Mikrorepublik. “Die Unabhängigkeitserklärung Uzupis war ein absurder Akt, doch zugleich ein guter Stresstest für unsere noch junge Demokratie”, sagt Dovydėnaitė rückblickend.
Uzupis hat nicht nur ein Staatsoberhaupt, sondern auch eine eigene Verfassung, Währung und vier Nationalflaggen – eine für jede Jahreszeit.
Damals war das Leben hart für litauische Künstler, so Dovydėnaitė. Doch die Gründungsmitglieder der jungen Künstlerrepublik “suchten nach neuen Formen des Zusammenlebens in diesen schweren, post-sowjetischen Zeiten.”
Gefragtes Szeneviertel
Nach anfänglichem Widerstand Litauens Regierender gegen den Fantasiestaat änderten sie allmählich ihre Meinung und akzeptierten das autonome Gebilde im Herzen der Hauptstadt. Ein international anerkannter Staat ist Uzupis allerdings bis heute nicht.
Ein Touristenmagnet
Lange Zeit war das Viertel weitgehend von Vilnius abgeschnitten. Erst im 16. Jahrhundert wurde eine Brücke über die Vilnia errichtet, welche die Gegend direkt mit dem Rest der Stadt verband. Heute ist von dieser einstigen Randlage nichts mehr zu spüren, finden sich in Uzupis doch mittlerweile Designer-Boutiquen, stylische Cafés und kunstvoll dekorierte Hinterhöfe. “Ironischerweise ist dieses Viertel das zweitteuerste von Vilnius, nach der Altstadt”, bemerkt Dovydėnaitė. “Heutzutage könnte kein klammer Künstler mehr das Geld aufbringen, hier eine Wohnung zu kaufen.”
Wir statten dem Uzupis Art Incubator einen Besuch ab, dem ersten seiner Art im Baltikum. Künstler aus aller Welt strömen hier her, um ihrer Kreativität freien Lauf zu lassen. Später ziehen wir weiter zu einer langen Wand, an der mehrere Metallplaketten angebracht sind. Auf ihnen steht übersetzt in rund 50 verschiedene Sprachen die Verfassung des Zwergstaates. Seine 41 kuriosen Artikel regeln das Miteinander in Uzupis. Sie legen beispielweise fest, dass Katzen nicht verpflichtet sind “ihren Hausherrn zu lieben,” diesem in schweren Momenten aber dennoch “beistehen” müssen. Auch garantiert die Verfassung ein Recht auf Skepsis: “Jeder Mensch hat das Recht zu zweifeln, ist jedoch hierzu nicht verpflichtet.”
“Die Verfassung klingt witzig, doch im richtigen Kontext betrachtet ergeben die Artikel durchaus Sinn”, sagt Dovydėnaitė. “Im Mittelpunkt steht nach 70 Jahren sowjetischer Unterdrückung das eigenständige Denken und die Meinungsfreiheit. Man könnte diese Verfassung als erstes schriftliches Menschenrechtspostulat des post-sowjetischen Litauens betrachten.”
Widerspenstige Freigeister
Neben dieser Sehenswürdigkeit gibt es noch viel weiteres in Uzupis zu entdecken. Ein Abstecher in das populäre Viertel empfiehlt sich besonders im April. Am ersten Tag des Monats, dem Unabhängigkeitstag von Uzupis, werden Besucher von ureigenen Grenzbeamten empfangen. Einen einzigartigen Passstempel gibt es zur Feier des Tages inklusive. Am 1. April fließt außerdem Bier aus einem ehemaligen Wasserspender im Zentrum des Viertels, zudem gibt es an allen Ecken und Enden Kunst zu bestaunen.
Seitdem Russland einen Angriffskrieg gegen die Ukraine führt, hat sich insbesondere in Uzupis starker Widerstand gegen das Blutvergießen formiert. Viele Einwohner haben Anti-Kriegs-Demos im Stadtgebiet organsiert, um Solidarität mit der Ukraine zu bekunden.
Neringa Rekašiūtė gehört zu den Aktivisten, die sich maßgeblich an den Protestaktionen beteiligen. Eine davon, “Swimming Through”, inszenierte sie außerhalb des russischen Botschaftsgebäudes in Vilnius.
“Wir färbten den Teich gegenüber des Gebäudes mit roter Farbe, dann schwamm Rūta Meilutytė, eine Profiathlethin, hindurch. “Ich wollte damit zeigen, dass die Russen Blut an ihren Händen haben. Zugleich wollte ich einen Hoffnungsschimmer aufzeigen: Rūta Meilutytė schwimmt durch das Blut in die Freiheit.”
Wie sie fühlen viele in Uzupis und ganz Vilnius mit den Ukrainern, denn sie befürchten, der Krieg könnte auch sie selbst treffen.