Mittelamerika und der Kampf gegen die Bandenkriminalität
Nach El Salvador haben nun auch Honduras und Jamaika den Ausnahmezustand erklärt, um mit größerer Härte gegen kriminelle Banden vorgehen zu können. Eine populäre, aber kurzsichtige Strategie, wie die Geschichte zeigt.
Acht Mal hat das Parlament von El Salvador den Ausnahmezustand im Auftrag von Präsident Nayib Bukele bereits verlängert. Ausgerufen hatte es ihn Ende März nach einer Welle der Gewalt, auf deren Höhepunkt an einem einzigen Tag 62 Menschen ermordet wurden – in einem Land von der Größe Hessens, in dem etwa fünf Millionen Menschen leben.
Die Regierung beschuldigt die Maras, kriminelle “Jugendbanden” wie Barrio 18 und Mara Salvatrucha (MS13), die ihren Ursprung im Milieu der salvadorianischen Bürgerkriegsflüchtlinge von Los Angeles haben. Mittlerweile soll die Polizei fast 60.000 “Terroristen” verhaftet haben – also vornehmlich junge, teils minderjährige Männer aus sozial benachteiligten Vierteln.
Acht Mal hat das Parlament von El Salvador den Ausnahmezustand im Auftrag von Präsident Nayib Bukele bereits verlängert. Ausgerufen hatte es ihn Ende März nach einer Welle der Gewalt, auf deren Höhepunkt an einem einzigen Tag 62 Menschen ermordet wurden – in einem Land von der Größe Hessens, in dem etwa fünf Millionen Menschen leben.
Die Regierung brüstet sich damit, Menschenrechtsorganisationen schlagen Alarm und warnen vor Bukeles autokratischem Führungsstil: “Willkürliche Verhaftungen, Verstöße gegen Vorschriften, zig Fälle von Folter und Misshandlung, es sind sogar Menschen durch staatliches Handeln ums Leben gekommen”, zählt Erika Guevara Rosas auf, die Leiterin der Amerika-Sektion von Amnesty International.
10.000 Sicherheitskräfte umstellen eine Stadt
Der bisherige Höhepunkt in El Salvador: Am vergangenen Wochenende “umzingelten” laut einem Tweet von Präsident Bukele 8500 Soldaten und 1500 Polizisten die “gesamte” Stadt Soyapango im Speckgürtel der Hauptstadt San Salvador mit rund 260.000 Einwohnern. Bereits im Oktober hatten der Zeitung “El Salvador” zufolge 2000 Soldaten das 12.000-Einwohner-Bergdorf Comasagua besetzt, nachdem mutmaßlich eine Gang einen Farmer ermordet hatte, der Schutzgeldzahlungen verweigert hatte.
“Wir sehen solche Aktionen seit Jahrzehnten in verschiedenen Ländern der Region”, ordnet Sabine Kurtenbach, Expertin für Gewalt und Jugendkriminalität vom Hamburger GIGA-Institut für Lateinamerika-Studien, das Vorgehen ein. Ebenso wisse man aus vielen Ländern Lateinamerikas, dass die Sicherheitsprobleme auf diese Weise – wenn überhaupt – nur kurzzeitig gelöst zu sein scheinen, danach aber sehr schnell wieder offen zutage träten.
In Comasagua, berichtet “El Salvador”, hätten die Einwohner nur wenige Wochen nach der Großrazzia mit 40 Festnahmen wieder über Erpressung geklagt. Zwei salvadorianische Sicherheitsexperten erklären das in der Zeitung damit, dass die Polizei es mangels passender Konzepte nicht schaffe, das Gewaltmonopol des Staates dauerhaft zu verteidigen.
Sabine Kurtenbach sieht das Problem viel früher: “Solange die extreme Ungleichheit und die Perspektivlosigkeit bleibt, werden solche Gangs Zulauf von jungen Männern erhalten.”
Immer wieder haben lateinamerikanische Regierungen den Kampf gegen Bandenkriminalität militarisiert. Und praktisch immer haben sie damit eine Gewaltspirale in Gang gesetzt – sei es in brasilianischen Favelas 2007 nach dem Zuschlag für die Fußball-WM 2014 oder im mexikanischen “Krieg gegen die Drogen” ab 2006. Die Mordrate hat sich in beiden Ländern seither mehr als verdoppelt und die Kartelle sind vermutlich mächtiger denn je.
Dennoch nutzen immer wieder Regierungen die Politik der harten Hand, um sich zu profilieren, sagt Kurtenbach: “Man will der Bevölkerung zeigen: ‘Wir sind da für euch, wir unternehmen etwas gegen die Gewalt.'”
Und allzu häufig gelingt das auch: Obwohl in den vergangenen achteinhalb Monaten in El Salvador etwa jeder zehnte Mann zwischen 15 und 25 ohne Haftbefehl festgenommen wurde, genießt Präsident Bukele offenbar eine geradezu überwältigende Popularität: Mehr als 75 Prozent der Befragten gaben in einer kürzlichen Umfrage an, dass sie den Ausnahmezustand befürworten, neun von zehn sagen, die Kriminalität sei zurückgegangen. In einer anderen Umfrage befürworteten 70 Prozent Bukeles Wiederwahl, obwohl die Verfassung das verbietet.
Das sind verlockende Aussichten, von denen sich offenbar auch andere Regierungen angesprochen fühlen. Am Dienstag verhängte die Präsidentin von Honduras Xiomara Castro den Ausnahmezustand über die Hauptstadt Tegucigalpa und die Millionenstadt San Pedro Sula. Auch dort sind Barrio 18 und MS-13 die dominierenden Gangs. Castros erklärtes Ziel: Sicherheit im öffentlichen Raum herstellen.
Noch am Dienstag äußerte José Marinero, Präsident der Stiftung Demokratie, Transparenz und Gerechtigkeit in San Salvador, im Gespräch mit der DW die Vermutung, dass Honduras nicht das einzige Land sein werde, das dem Beispiel El Salvadors folgen werde: “Es deutet auf einen regionalen Trend hin, angestachelt durch die politische Dividende, die Bukele mit dieser repressiven Gangart erzielt.”
Er sollte Recht behalten: Schon einen Tag später verhängte Jamaika den Ausnahmezustand über neun seiner 14 Landkreise. Obwohl die Insel zu den wohlhabenderen Staaten der Karibik gehört, leidet sie unter einer der höchsten Mordraten der westlichen Hemisphäre.
Dauerhaft zu verbessern sei die Sicherheitslage eigentlich nur durch Stärkung rechtstaatlicher Strukturen, wirtschaftliche Perspektiven aus der Armut für die breite Bevölkerung sowie eine Wiedereingliederung der Tausenden von Bandenmitgliedern. “Auch wenn nicht alles perfekt läuft: In dieser Hinsicht gibt Kolumbien derzeit ein Hoffnung-nährendes Beispiel”, meint Sabine Kurtenbach unter Verweis auf den Friedensschluss mit der FARC-Guerilla und die aktuellen Bemühungen der Demobilisierung mit unterschiedlichen Gruppen.
Zeitungsrecherchen zufolge hatte auch Nayib Bukele in El Salvador zu Beginn seiner Präsidentschaft mit Straßengangs verhandelt. Doch dieser Burgfrieden reichte nur bis kurz nach der Parlamentswahl 2021, die dem Präsidenten eine Dreiviertel-Mehrheit unter den Abgeordneten brachte. Das Problem, meint Kurtenbach, sei: “Die Gewaltakteure und auch die politischen Eliten haben beide ökonomische Interessen am Status quo.”
Acht Mal hat das Parlament von El Salvador den Ausnahmezustand im Auftrag von Präsident Nayib Bukele bereits verlängert. Ausgerufen hatte es ihn Ende März nach einer Welle der Gewalt, auf deren Höhepunkt an einem einzigen Tag 62 Menschen ermordet wurden – in einem Land von der Größe Hessens, in dem etwa fünf Millionen Menschen leben.
Die Regierung beschuldigt die Maras, kriminelle “Jugendbanden” wie Barrio 18 und Mara Salvatrucha (MS13), die ihren Ursprung im Milieu der salvadorianischen Bürgerkriegsflüchtlinge von Los Angeles haben. Mittlerweile soll die Polizei fast 60.000 “Terroristen” verhaftet haben – also vornehmlich junge, teils minderjährige Männer aus sozial benachteiligten Vierteln.
10.000 Sicherheitskräfte umstellen eine Stadt
Die Regierung brüstet sich damit, Menschenrechtsorganisationen schlagen Alarm und warnen vor Bukeles autokratischem Führungsstil: “Willkürliche Verhaftungen, Verstöße gegen Vorschriften, zig Fälle von Folter und Misshandlung, es sind sogar Menschen durch staatliches Handeln ums Leben gekommen”, zählt Erika Guevara Rosas auf, die Leiterin der Amerika-Sektion von Amnesty International.
Der bisherige Höhepunkt in El Salvador: Am vergangenen Wochenende “umzingelten” laut einem Tweet von Präsident Bukele 8500 Soldaten und 1500 Polizisten die “gesamte” Stadt Soyapango im Speckgürtel der Hauptstadt San Salvador mit rund 260.000 Einwohnern. Bereits im Oktober hatten der Zeitung “El Salvador” zufolge 2000 Soldaten das 12.000-Einwohner-Bergdorf Comasagua besetzt, nachdem mutmaßlich eine Gang einen Farmer ermordet hatte, der Schutzgeldzahlungen verweigert hatte.
“Wir sehen solche Aktionen seit Jahrzehnten in verschiedenen Ländern der Region”, ordnet Sabine Kurtenbach, Expertin für Gewalt und Jugendkriminalität vom Hamburger GIGA-Institut für Lateinamerika-Studien, das Vorgehen ein. Ebenso wisse man aus vielen Ländern Lateinamerikas, dass die Sicherheitsprobleme auf diese Weise – wenn überhaupt – nur kurzzeitig gelöst zu sein scheinen, danach aber sehr schnell wieder offen zutage träten.
In Comasagua, berichtet “El Salvador”, hätten die Einwohner nur wenige Wochen nach der Großrazzia mit 40 Festnahmen wieder über Erpressung geklagt. Zwei salvadorianische Sicherheitsexperten erklären das in der Zeitung damit, dass die Polizei es mangels passender Konzepte nicht schaffe, das Gewaltmonopol des Staates dauerhaft zu verteidigen.
Kurzfristige Erfolge lösen Sicherheitsprobleme nicht
Sabine Kurtenbach sieht das Problem viel früher: “Solange die extreme Ungleichheit und die Perspektivlosigkeit bleibt, werden solche Gangs Zulauf von jungen Männern erhalten.”
Politik der harten Hand verfängt immer wieder
Immer wieder haben lateinamerikanische Regierungen den Kampf gegen Bandenkriminalität militarisiert. Und praktisch immer haben sie damit eine Gewaltspirale in Gang gesetzt – sei es in brasilianischen Favelas 2007 nach dem Zuschlag für die Fußball-WM 2014 oder im mexikanischen “Krieg gegen die Drogen” ab 2006. Die Mordrate hat sich in beiden Ländern seither mehr als verdoppelt und die Kartelle sind vermutlich mächtiger denn je.
Dennoch nutzen immer wieder Regierungen die Politik der harten Hand, um sich zu profilieren, sagt Kurtenbach: “Man will der Bevölkerung zeigen: ‘Wir sind da für euch, wir unternehmen etwas gegen die Gewalt.'”
Und allzu häufig gelingt das auch: Obwohl in den vergangenen achteinhalb Monaten in El Salvador etwa jeder zehnte Mann zwischen 15 und 25 ohne Haftbefehl festgenommen wurde, genießt Präsident Bukele offenbar eine geradezu überwältigende Popularität: Mehr als 75 Prozent der Befragten gaben in einer kürzlichen Umfrage an, dass sie den Ausnahmezustand befürworten, neun von zehn sagen, die Kriminalität sei zurückgegangen. In einer anderen Umfrage befürworteten 70 Prozent Bukeles Wiederwahl, obwohl die Verfassung das verbietet.
Ausnahmezustand in Mittelamerika: Beispiel macht Schule
Das sind verlockende Aussichten, von denen sich offenbar auch andere Regierungen angesprochen fühlen. Am Dienstag verhängte die Präsidentin von Honduras Xiomara Castro den Ausnahmezustand über die Hauptstadt Tegucigalpa und die Millionenstadt San Pedro Sula. Auch dort sind Barrio 18 und MS-13 die dominierenden Gangs. Castros erklärtes Ziel: Sicherheit im öffentlichen Raum herstellen.
Noch am Dienstag äußerte José Marinero, Präsident der Stiftung Demokratie, Transparenz und Gerechtigkeit in San Salvador, im Gespräch mit der DW die Vermutung, dass Honduras nicht das einzige Land sein werde, das dem Beispiel El Salvadors folgen werde: “Es deutet auf einen regionalen Trend hin, angestachelt durch die politische Dividende, die Bukele mit dieser repressiven Gangart erzielt.”
Sozialer Ausgleich, Rechtstaatlichkeit und Wiedereingliederung
Er sollte Recht behalten: Schon einen Tag später verhängte Jamaika den Ausnahmezustand über neun seiner 14 Landkreise. Obwohl die Insel zu den wohlhabenderen Staaten der Karibik gehört, leidet sie unter einer der höchsten Mordraten der westlichen Hemisphäre.
Dauerhaft zu verbessern sei die Sicherheitslage eigentlich nur durch Stärkung rechtstaatlicher Strukturen, wirtschaftliche Perspektiven aus der Armut für die breite Bevölkerung sowie eine Wiedereingliederung der Tausenden von Bandenmitgliedern. “Auch wenn nicht alles perfekt läuft: In dieser Hinsicht gibt Kolumbien derzeit ein Hoffnung-nährendes Beispiel”, meint Sabine Kurtenbach unter Verweis auf den Friedensschluss mit der FARC-Guerilla und die aktuellen Bemühungen der Demobilisierung mit unterschiedlichen Gruppen.
Zeitungsrecherchen zufolge hatte auch Nayib Bukele in El Salvador zu Beginn seiner Präsidentschaft mit Straßengangs verhandelt. Doch dieser Burgfrieden reichte nur bis kurz nach der Parlamentswahl 2021, die dem Präsidenten eine Dreiviertel-Mehrheit unter den Abgeordneten brachte. Das Problem, meint Kurtenbach, sei: “Die Gewaltakteure und auch die politischen Eliten haben beide ökonomische Interessen am Status quo.”