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Grüne und Lützerath: Verrat an den Idealen?

Lützerath-Räumung und militärische Ukraine-Unterstützung: Zumutungen für viele Mitglieder der Grünen. Werden sie zur Gefahr für die Partei? Ein Parteienforscher glaubt nicht daran.

Verraten und verkauft, vor allem von den Grünen: So fühlten sich nach dem Ende des Dörfchens Lützerath im Braunkohlerevier in Nordrhein-Westfalen nicht wenige der Klima- und Umweltschützer. Sie hatten bis zuletzt versucht, das Abbaggern des Ortes zu verhindern, der dem Braunkohletagebau weichen muss. Nach der Räumung von Lützerath  vor gut zehn Tagen sagte etwa die bekannteste Vertreterin der Klimabewegung Fridays for Future in Deutschland, Luisa Neubauer, der ARD: “Ich weiß nicht, ob die Grünen-Führung sich bewusst ist, was sie da angerichtet hat”. Viele Grünen-Mitglieder könnten sich nun abwenden. Pikant dabei: Neubauer ist selbst Mitglied der Grünen.

Tatsächlich hatten die Grüne, die im bevölkerungsreichten Bundesland Nordrhein-Westfalen mit der CDU regieren, dem Kompromiss mit dem Energiekonzern RWE zugestimmt: Fünf Dörfer werden vom Abbaggern verschont, Lützerath muss weichen. Zwar wird im Gegenzug der komplette Kohleausstieg früher als geplant kommen, 2030 bereits. Aber dennoch: Die Umweltschutz – und Klimapartei der Grünen stimmt für das Abbaggern einer Ortschaft, um die klimaschädliche Verstromung von Braunkohle zu fördern?

Verraten und verkauft, vor allem von den Grünen: So fühlten sich nach dem Ende des Dörfchens Lützerath im Braunkohlerevier in Nordrhein-Westfalen nicht wenige der Klima- und Umweltschützer. Sie hatten bis zuletzt versucht, das Abbaggern des Ortes zu verhindern, der dem Braunkohletagebau weichen muss. Nach der Räumung von Lützerath  vor gut zehn Tagen sagte etwa die bekannteste Vertreterin der Klimabewegung Fridays for Future in Deutschland, Luisa Neubauer, der ARD: “Ich weiß nicht, ob die Grünen-Führung sich bewusst ist, was sie da angerichtet hat”. Viele Grünen-Mitglieder könnten sich nun abwenden. Pikant dabei: Neubauer ist selbst Mitglied der Grünen.

Das könnte zu einer Zerreißprobe für die Partei im ganzen Land werden, meint etwa der Vorsitzende der Nachwuchsorganisation “Grüne Jugend”, Timon Dzienus. Er verweist auf die heutige Außenministerin Annalena Baerbock, die im Bundestagswahlkampf 2021 Spitzenkandidatin der Grünen war: Annalena Baerbock hat im Wahlkampf immer wieder gesagt: Diese sei die letzte Regierung, die noch Einfluss auf die Klimakrise nehmen könne.

Ein schmerzhafter Kompromiss

Damit hat sie die Messlatte für die so genannte Ampel-Regierung aus SPD, Grünen und FDP hoch gelegt. “Wenn die Ampel es nicht schafft, die Klimaziele einzuhalten und die Emissionen in allen Sektoren zu begrenzen, kann vor allem die grüne Partei großen Schaden nehmen”, sagte Dzenius der Wochenzeitung “Die Zeit”. 

Rund 2000 Mitglieder der Grünen, die meisten aus Basis-Gruppierungen, unterschrieben noch vor der Räumung einen offenen Brief. Er ging an die Wirtschaftsministerin in Nordrhein-Westfalen, Mona Neubaur, und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck, beide von den Grünen. Darin werden beide aufgefordert, die Räumung Lützeraths sofort zu stoppen. Der “ausgehandelte Deal mit dem Energiekonzern RWE droht mit den Grundsätzen unserer Partei zu brechen”, heißt es weiter. “Und nicht nur das, wir brechen damit auch mit dem Pariser Klimaabkommen, dem Ampel-Koalitionsvertrag  und dem letzten Vertrauen der Klimagerechtigkeitsbewegung.”

Klingt dramatisch. So dramatisch jedenfalls, dass Grünen-Chefin Ricarda Lang die Vereinbarung der Landesregierung mit dem Energiekonzern noch einmal öffentlich verteidigte: “Wenn wir keine Kompromisse machen würden, dann würde beim Klimaschutz einfach gar nichts passieren. Die wenigsten anderen Parteien haben daran ein ernsthaftes Interesse.”

Das sieht auch der Politikwissenschaftler Gero Neugebauer so. Er sagt im Gespräch mit der DW, auch nach schmerzhaften Entscheidungen wie im Fall Lützerath blieben die Grünen die Partei mit dem höchsten Ansehen beim Klima – und Umweltschutz in Deutschland: 

“Dieses Alleinstellungsmerkmal, das die Grünen haben, ist aber auch ein Ausweis für die Schwäche der anderen Parteien, denen es nicht gelingt, Klimapolitik zu einem wichtigen Politikgebiet zu machen.”

Ohnehin glaubt Neugebauer nicht daran, dass die Kontroverse um Lützerath der Umweltschutzpartei wirklich schadet. Die Parteiführung, die Abgeordneten und die Regierungsmitglieder seien wegen der Proteste nicht in Streit ausgebrochen, der kritischen Gruppierung innerhalb der Partei fehle es an einem prominenten Gesicht und an Unterstützung, trotz des erwähnten offenen Briefes. Tatsächlich bewegen sich die Grünen in Umfragen auch nach Lützerath innerhalb der Werte, die sie auch davor hatten, also zwischen 18 und 20 Prozent an Wählerzustimmung.

Das hat auch damit zu tun, so Neugebauer, dass nicht nur im Fall Lützerath, sondern auch bei anderen Themen wie etwa weiteren Waffenlieferungen an die Ukraine kaum Kontroversen innerhalb der Partei bekannt werden: “Es gibt die internen Konflikte, das würde ich schon noch sagen. Etwa die Frage, wer den nächste Kanzlerkandidat der Grünen werden soll.” Aber vor allem die vielen neuen, jungen Mitglieder der Partei, so Neugebauer, “erleben die Grünen als eine pragmatisch agierende Partei in staatlicher oder Regierungsverantwortung, die aber gleichzeitig noch als einzige Partei die Ziele der Umwelt  – und Klimapolitik vertritt.” Zwischen 2015 und Ende 2021 hat sich die Anzahl der Mitglieder der Grünen von rund 60000 auf nun 125000 mehr als verdoppelt, die meisten der neuen Mitglieder sind jung. Und die meisten der Umweltaktivisten wie die in Lützerath, meint Neugebauer, würden sowieso keiner Partei beitreten, weder den Grünen noch anderen.

Etwas anders sieht das der Mannheimer Politikwissenschaftler Marc Debus. Er verwies im Gespräch mit dem Rundfunksender WDR auf Kleinparteien wie die “Klimaliste”, die bei den vergangenen Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz knapp ein Prozent der Stimmen erreicht haben. “Die schaffen es zwar nicht in die Parlamente, aber sie können bei knappen Wahlen den Grünen ein paar entscheidende Prozentpunkte wegnehmen”, so Debus.

Aber auch er konstatiert: Die Kontroverse um Lützerath könnte für die Grünen sogar eine Chance sein. Nach dem Motto: Wer realpolitisch handele, zeige den Wählern, dass er bereit sei, Verantwortung zu übernehmen. “So kann man für moderat ausgerichtete Wähler attraktiv werden und dort möglicherweise Stimmen gewinnen, die man an anderer Stelle verliert.” So wie die Stimmen der Aktivisten, die in Flensburg in Schleswig-Holstein das Wahlkreisbüro von Wirtschaftsminister Robert Habeck während der Räumung in Lützerath zwischenzeitig besetzt hielten. Sie dürften in Zukunft kaum mehr zu den Wählern der Grünen gehören.

Luisa Neubauer blickt ,rechts stehend, nach oben, links von ihr steht die bekannte schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg, die sich mit der rechten Hand an den Kopf fasst. .
Die Grünen-Vorsitzende Ricarda Lang spricht auf einem Parteitag, hinter ihr erkennt man das Logo der Grünen mit der Sonnenblume.

Verraten und verkauft, vor allem von den Grünen: So fühlten sich nach dem Ende des Dörfchens Lützerath im Braunkohlerevier in Nordrhein-Westfalen nicht wenige der Klima- und Umweltschützer. Sie hatten bis zuletzt versucht, das Abbaggern des Ortes zu verhindern, der dem Braunkohletagebau weichen muss. Nach der Räumung von Lützerath  vor gut zehn Tagen sagte etwa die bekannteste Vertreterin der Klimabewegung Fridays for Future in Deutschland, Luisa Neubauer, der ARD: “Ich weiß nicht, ob die Grünen-Führung sich bewusst ist, was sie da angerichtet hat”. Viele Grünen-Mitglieder könnten sich nun abwenden. Pikant dabei: Neubauer ist selbst Mitglied der Grünen.

Tatsächlich hatten die Grüne, die im bevölkerungsreichten Bundesland Nordrhein-Westfalen mit der CDU regieren, dem Kompromiss mit dem Energiekonzern RWE zugestimmt: Fünf Dörfer werden vom Abbaggern verschont, Lützerath muss weichen. Zwar wird im Gegenzug der komplette Kohleausstieg früher als geplant kommen, 2030 bereits. Aber dennoch: Die Umweltschutz – und Klimapartei der Grünen stimmt für das Abbaggern einer Ortschaft, um die klimaschädliche Verstromung von Braunkohle zu fördern?

Ein schmerzhafter Kompromiss

Das könnte zu einer Zerreißprobe für die Partei im ganzen Land werden, meint etwa der Vorsitzende der Nachwuchsorganisation “Grüne Jugend”, Timon Dzienus. Er verweist auf die heutige Außenministerin Annalena Baerbock, die im Bundestagswahlkampf 2021 Spitzenkandidatin der Grünen war: Annalena Baerbock hat im Wahlkampf immer wieder gesagt: Diese sei die letzte Regierung, die noch Einfluss auf die Klimakrise nehmen könne.

Damit hat sie die Messlatte für die so genannte Ampel-Regierung aus SPD, Grünen und FDP hoch gelegt. “Wenn die Ampel es nicht schafft, die Klimaziele einzuhalten und die Emissionen in allen Sektoren zu begrenzen, kann vor allem die grüne Partei großen Schaden nehmen”, sagte Dzenius der Wochenzeitung “Die Zeit”. 

Rund 2000 Mitglieder der Grünen, die meisten aus Basis-Gruppierungen, unterschrieben noch vor der Räumung einen offenen Brief. Er ging an die Wirtschaftsministerin in Nordrhein-Westfalen, Mona Neubaur, und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck, beide von den Grünen. Darin werden beide aufgefordert, die Räumung Lützeraths sofort zu stoppen. Der “ausgehandelte Deal mit dem Energiekonzern RWE droht mit den Grundsätzen unserer Partei zu brechen”, heißt es weiter. “Und nicht nur das, wir brechen damit auch mit dem Pariser Klimaabkommen, dem Ampel-Koalitionsvertrag  und dem letzten Vertrauen der Klimagerechtigkeitsbewegung.”

Klingt dramatisch. So dramatisch jedenfalls, dass Grünen-Chefin Ricarda Lang die Vereinbarung der Landesregierung mit dem Energiekonzern noch einmal öffentlich verteidigte: “Wenn wir keine Kompromisse machen würden, dann würde beim Klimaschutz einfach gar nichts passieren. Die wenigsten anderen Parteien haben daran ein ernsthaftes Interesse.”

Dzenius: “Die ganze Partei kann Schaden nehmen!”

Das sieht auch der Politikwissenschaftler Gero Neugebauer so. Er sagt im Gespräch mit der DW, auch nach schmerzhaften Entscheidungen wie im Fall Lützerath blieben die Grünen die Partei mit dem höchsten Ansehen beim Klima – und Umweltschutz in Deutschland: 

Lang: “Ohne Kompromisse geht auch im Klimaschutz gar nichts.”

“Dieses Alleinstellungsmerkmal, das die Grünen haben, ist aber auch ein Ausweis für die Schwäche der anderen Parteien, denen es nicht gelingt, Klimapolitik zu einem wichtigen Politikgebiet zu machen.”

Ohnehin glaubt Neugebauer nicht daran, dass die Kontroverse um Lützerath der Umweltschutzpartei wirklich schadet. Die Parteiführung, die Abgeordneten und die Regierungsmitglieder seien wegen der Proteste nicht in Streit ausgebrochen, der kritischen Gruppierung innerhalb der Partei fehle es an einem prominenten Gesicht und an Unterstützung, trotz des erwähnten offenen Briefes. Tatsächlich bewegen sich die Grünen in Umfragen auch nach Lützerath innerhalb der Werte, die sie auch davor hatten, also zwischen 18 und 20 Prozent an Wählerzustimmung.

Das hat auch damit zu tun, so Neugebauer, dass nicht nur im Fall Lützerath, sondern auch bei anderen Themen wie etwa weiteren Waffenlieferungen an die Ukraine kaum Kontroversen innerhalb der Partei bekannt werden: “Es gibt die internen Konflikte, das würde ich schon noch sagen. Etwa die Frage, wer den nächste Kanzlerkandidat der Grünen werden soll.” Aber vor allem die vielen neuen, jungen Mitglieder der Partei, so Neugebauer, “erleben die Grünen als eine pragmatisch agierende Partei in staatlicher oder Regierungsverantwortung, die aber gleichzeitig noch als einzige Partei die Ziele der Umwelt  – und Klimapolitik vertritt.” Zwischen 2015 und Ende 2021 hat sich die Anzahl der Mitglieder der Grünen von rund 60000 auf nun 125000 mehr als verdoppelt, die meisten der neuen Mitglieder sind jung. Und die meisten der Umweltaktivisten wie die in Lützerath, meint Neugebauer, würden sowieso keiner Partei beitreten, weder den Grünen noch anderen.

Neugebauer: “Klimaschutz bleibt grünes Alleinstellungsmerkmal.”

Etwas anders sieht das der Mannheimer Politikwissenschaftler Marc Debus. Er verwies im Gespräch mit dem Rundfunksender WDR auf Kleinparteien wie die “Klimaliste”, die bei den vergangenen Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz knapp ein Prozent der Stimmen erreicht haben. “Die schaffen es zwar nicht in die Parlamente, aber sie können bei knappen Wahlen den Grünen ein paar entscheidende Prozentpunkte wegnehmen”, so Debus.

Aber auch er konstatiert: Die Kontroverse um Lützerath könnte für die Grünen sogar eine Chance sein. Nach dem Motto: Wer realpolitisch handele, zeige den Wählern, dass er bereit sei, Verantwortung zu übernehmen. “So kann man für moderat ausgerichtete Wähler attraktiv werden und dort möglicherweise Stimmen gewinnen, die man an anderer Stelle verliert.” So wie die Stimmen der Aktivisten, die in Flensburg in Schleswig-Holstein das Wahlkreisbüro von Wirtschaftsminister Robert Habeck während der Räumung in Lützerath zwischenzeitig besetzt hielten. Sie dürften in Zukunft kaum mehr zu den Wählern der Grünen gehören.

“Junge Mitglieder erwarten pragmatisches Regierungshandeln.”

Debus: “Kleinstparteien könnten den Grünen schaden”

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