Wirtschaft

Zwischen Tech-Euphorie und Entfremdung: Austins rasanter Aufstieg

Austins boomende Tech-Industrie lässt die Metropolregion im US-Bundesstaat Texas rasant wachsen. Doch viele Einheimische können sich die texanische Metropole kaum noch leisten.

Seit jeher ist Austin ein bunter Fleck auf der Landkarte eines größtenteils erzkonservativen Bundesstaats. Keep Austin Weird lautet das inoffizielle Motto der demokratisch regierten Stadt am Colorado River. Austin ist nicht nur die Hauptstadt von Texas, sondern auch die selbst ernannte Welt-Hauptstadt der Livemusik: an über 250 verschiedenen Orten in der Stadt geben Musikerinnen und Musiker täglich Konzerte. Sogar der Flughafen begrüßt und verabschiedet Reisende mit Livemusik.

Gleichzeitig machen ein unternehmerfreundliches Steuersystem, ein innovatives wissenschaftliches Umfeld und die hohe Lebensqualität Austin ebenso attraktiv für Tech-Giganten und ihre Mitarbeitenden. Ausdruck dessen ist auch das alljährliche Technik-Spektakel South by Southwest (SXSW), das in dieser Woche wieder stattfindet. 

Seit jeher ist Austin ein bunter Fleck auf der Landkarte eines größtenteils erzkonservativen Bundesstaats. Keep Austin Weird lautet das inoffizielle Motto der demokratisch regierten Stadt am Colorado River. Austin ist nicht nur die Hauptstadt von Texas, sondern auch die selbst ernannte Welt-Hauptstadt der Livemusik: an über 250 verschiedenen Orten in der Stadt geben Musikerinnen und Musiker täglich Konzerte. Sogar der Flughafen begrüßt und verabschiedet Reisende mit Livemusik.

Immobilienmaklerin Julia Stielow hat in den letzten drei Jahren einen enormen Zuzug erlebt – insbesondere aus Kalifornien. “Die Konkurrenz um Häuser war riesig, es wurde sich mit Summen von 50.000 bis 100.000 Dollar überboten, um den Zuschlag zu bekommen”, sagt die gebürtige Hamburgerin, die seit 1997 als Maklerin in Austin arbeitet. Einige Nachbarschaften erlebten während der Corona-Pandemie einen außergewöhnlichen Wertanstieg von bis zu 25 Prozent jährlich. “Das ist irrsinnig hoch und auch beängstigend für die Leute, die diese Preise bezahlt haben”, sagt Stielow mit Blick auf das steigende Zinsniveau.

Beste Voraussetzungen für Tech-Erfolg

Dass Austins wirtschaftlicher Fokus auf der Tech-Industrie liegt, ist keinesfalls neu: Bereits Mitte der 1980er-Jahre wurde Austin zum führenden Entwicklungszentrum für Computerchips auserkoren. Zeitgleich hatte der an der Universität Austin eingeschriebene Student Michael Dell eine revolutionäre Geschäftsidee. Er, gerade mal 19 Jahre alt, brach sein Studium ab und gründete eine Firma, die auf den Direktvertrieb von Computer setzte. Aus der Ein-Mann-Firma wurde ein Weltkonzern – Dell. Für Austins Tech-Branche sowas wie eine Initialzündung. Die Softwareschmiede Oracle und der IT-Konzern HPE verlegten vor zwei Jahren ihre Konzernzentralen nach Texas, auch Tesla zog aus dem Silicon Valley nach Austin, genau wie Tesla-Chef Elon Musk . Vor einem Jahr eröffnete der E-Auto-Pionier dort auch eine neue Fabrik. Zudem plant Musk einem Bericht des Wall Street Journal zufolge am Rande von Austin eine eigene Stadt zu bauen namens Texas Utopia

Robert Hebner leitet das Zentrum für Elektromechanik der University of Texas at Austin und sieht in der damaligen Zusammenarbeit von Staat, Stadt, Universität und lokaler Unternehmen den entscheidenden Grundstein für Austins heutige Entwicklung. “Alle haben damals an einem Strang gezogen, um Austin erfolgreich zu machen”, sagt Hebner. Ein weiteres Plus: die Universität ist unter den staatlichen Einrichtungen eine der renommiertesten des Landes und liefert der Branche zuverlässig junge und extrem gut ausgebildete Arbeitskräfte.

Austins grüne Oasen sowie die generelle Offenheit und Toleranz der Stadt taten laut Robert Hebner dann ihr übriges. “Egal ob Cowboys oder Hippies, man hat auf Konzerten die gleichen Lieder gesungen und da waren natürlich auch die Computerfreaks aus Kalifornien oder New York willkommen”, sagt der Tech-Experte.

Doch der jüngste Boom hat seinen Preis: Austins Infrastruktur ächzt unter dem stetigen Zuzug, die Lebenshaltungskosten explodieren. Nicht nur rund um die Büros von Google, Apple oder Dell Technologies im Zentrum, auch im Süden der Stadt, wo seit jeher besonders viele Musik- und Kunstschaffende leben, sind die Mieten und Häuserpreise stark gestiegen.

Ein kleines Haus, das 2004 für 94.000 US-Dollar verkauft wurde, ist laut Stielow heute 875.000 Dollar wert. Ein Einfamilienhaus im Zentrum war 2010 etwa 180.000 Dollar wert, heute sind es 1,3 Millionen. Obwohl Hausbesitzer dieser Wertanstieg vermeintlich freuen sollte, haben viele Probleme: Denn mit dem Wert steigt auch die zu entrichtende Grundsteuer. Bei einem 800.000-Dollar-Haus sind das jedes Jahr 16.000 Dollar. Für Menschen, die 65 Jahre oder älter sind, ist der Steuersatz in Travis County (in dem Austin liegt) zwar reduziert, junge Familien oder Menschen mit geringem Einkommen fallen hier jedoch durch das Raster. Neben den Kaufpreisen sind auch Austins Mieten enorm gestiegen.

“1993 lag die Miete für ein Haus mit zwei Schlafzimmern bei 350 Dollar im Monat. Jetzt wird es für 2300 Dollar vermietet”, sagt Stielow. Hiervon besonders betroffen: die vielen Musik- und Kunstschaffenden der Stadt, die an Orten spielen, wo sich Austin noch ursprünglich anfühlt.

Das ursprüngliche Austin miterlebt und geformt hat auch Rosie Flores. Die Rockabilly- und Country-Künstlerin denkt gerne an die alten Zeiten zurück. “Es war wunderbar und inspirierend. Jede Show war ausgebucht, die Mieten waren günstig und ich konnte hier als Künstlerin so sein, wie ich wirklich war”, sagt Flores. Doch die Trends des neuen und modernen Austin bringen viele Einheimische in große Not. “Ich musste vor einigen Jahren sogar meine Gitarren verkaufen, um Rechnungen zu bezahlen und Lebensmitteln zu kaufen zu können”, erinnert sich die 72-jährige. Flores ist längst nicht die einzige Musikerin, die Sorge hat, sich das Leben in Austin nicht mehr leisten zu können.

Seit 2014 fängt der Greater Austin Music Census Stimmung, Entwicklungen und Trends der lokalen Musikszene ein. 2260 Musikschaffende und Produzenten haben an der jüngsten Erhebung teilgenommen, die Ergebnisse wurden Anfang Februar 2023 veröffentlicht. Zwar planen 89 Prozent der Befragten, auch in den nächsten drei Jahren ihren Beruf auszuüben, doch nur 64 Prozent von ihnen sehen ihre Zukunft weiterhin in Austin. Die Befragung zeigt auch: 38 Prozent aller Befragten finden nur schwer bezahlbaren Wohnraum.

Nancy Coplin kann diesen Trend bestätigen. Sie ist Teil der Organisation Housing Opportunities for Musicians and Entertainers (HOME), die seit 2013 insbesondere älteren Musikschaffenden finanziell unter die Arme greift. “Aktuell unterstützen wir in Austin 23 Musikerinnen monatlich und haben bereits 200 Notfall-Hilfen zu je 500 Dollar ausgezahlt”, sagt Coplin. Rosie Flores ist froh, von HOME unterstützt zu werden. “Ich liebe Austin nach wie vor, doch nur dank ihrer Hilfe und der Unterstützung anderer toller Künstler-Organisationen kann ich immer noch hier sein”, so Flores. Sie findet Austins Image als Welt-Hauptstadt der Live-Musik nach wie vor angebracht, der Geist von damals sei immer noch zu spüren. Ihre Forderung ist jedoch klar: Es müssen neue Wohn- und Arbeitsstrukturen geschaffen werden, um den vielen Kreativen auch weiterhin ein Leben in der Stadt ermöglichen.

Am Colorado River in Downtown starten viele Einheimische in den Tag oder genießen ihren Feierabend.
Die Immobilienmaklerin Julia Stielow beobachtet die Veränderungen in ihrer Stadt bereits seit 1997.
Die Skyline hat sich in den letzten Jahren enorm verändert - neben Apple, Tesla oder Dell Technologies hat auch Google einen Standort in Austin eröffnet.

Seit jeher ist Austin ein bunter Fleck auf der Landkarte eines größtenteils erzkonservativen Bundesstaats. Keep Austin Weird lautet das inoffizielle Motto der demokratisch regierten Stadt am Colorado River. Austin ist nicht nur die Hauptstadt von Texas, sondern auch die selbst ernannte Welt-Hauptstadt der Livemusik: an über 250 verschiedenen Orten in der Stadt geben Musikerinnen und Musiker täglich Konzerte. Sogar der Flughafen begrüßt und verabschiedet Reisende mit Livemusik.

Gleichzeitig machen ein unternehmerfreundliches Steuersystem, ein innovatives wissenschaftliches Umfeld und die hohe Lebensqualität Austin ebenso attraktiv für Tech-Giganten und ihre Mitarbeitenden. Ausdruck dessen ist auch das alljährliche Technik-Spektakel South by Southwest (SXSW), das in dieser Woche wieder stattfindet. 

Beste Voraussetzungen für Tech-Erfolg

Immobilienmaklerin Julia Stielow hat in den letzten drei Jahren einen enormen Zuzug erlebt – insbesondere aus Kalifornien. “Die Konkurrenz um Häuser war riesig, es wurde sich mit Summen von 50.000 bis 100.000 Dollar überboten, um den Zuschlag zu bekommen”, sagt die gebürtige Hamburgerin, die seit 1997 als Maklerin in Austin arbeitet. Einige Nachbarschaften erlebten während der Corona-Pandemie einen außergewöhnlichen Wertanstieg von bis zu 25 Prozent jährlich. “Das ist irrsinnig hoch und auch beängstigend für die Leute, die diese Preise bezahlt haben”, sagt Stielow mit Blick auf das steigende Zinsniveau.

Dass Austins wirtschaftlicher Fokus auf der Tech-Industrie liegt, ist keinesfalls neu: Bereits Mitte der 1980er-Jahre wurde Austin zum führenden Entwicklungszentrum für Computerchips auserkoren. Zeitgleich hatte der an der Universität Austin eingeschriebene Student Michael Dell eine revolutionäre Geschäftsidee. Er, gerade mal 19 Jahre alt, brach sein Studium ab und gründete eine Firma, die auf den Direktvertrieb von Computer setzte. Aus der Ein-Mann-Firma wurde ein Weltkonzern – Dell. Für Austins Tech-Branche sowas wie eine Initialzündung. Die Softwareschmiede Oracle und der IT-Konzern HPE verlegten vor zwei Jahren ihre Konzernzentralen nach Texas, auch Tesla zog aus dem Silicon Valley nach Austin, genau wie Tesla-Chef Elon Musk . Vor einem Jahr eröffnete der E-Auto-Pionier dort auch eine neue Fabrik. Zudem plant Musk einem Bericht des Wall Street Journal zufolge am Rande von Austin eine eigene Stadt zu bauen namens Texas Utopia

Robert Hebner leitet das Zentrum für Elektromechanik der University of Texas at Austin und sieht in der damaligen Zusammenarbeit von Staat, Stadt, Universität und lokaler Unternehmen den entscheidenden Grundstein für Austins heutige Entwicklung. “Alle haben damals an einem Strang gezogen, um Austin erfolgreich zu machen”, sagt Hebner. Ein weiteres Plus: die Universität ist unter den staatlichen Einrichtungen eine der renommiertesten des Landes und liefert der Branche zuverlässig junge und extrem gut ausgebildete Arbeitskräfte.

Austins grüne Oasen sowie die generelle Offenheit und Toleranz der Stadt taten laut Robert Hebner dann ihr übriges. “Egal ob Cowboys oder Hippies, man hat auf Konzerten die gleichen Lieder gesungen und da waren natürlich auch die Computerfreaks aus Kalifornien oder New York willkommen”, sagt der Tech-Experte.

Explodierende Preise machen Eigentum oft unmöglich

Doch der jüngste Boom hat seinen Preis: Austins Infrastruktur ächzt unter dem stetigen Zuzug, die Lebenshaltungskosten explodieren. Nicht nur rund um die Büros von Google, Apple oder Dell Technologies im Zentrum, auch im Süden der Stadt, wo seit jeher besonders viele Musik- und Kunstschaffende leben, sind die Mieten und Häuserpreise stark gestiegen.

Kunstschaffende am Existenzminimum

Ein kleines Haus, das 2004 für 94.000 US-Dollar verkauft wurde, ist laut Stielow heute 875.000 Dollar wert. Ein Einfamilienhaus im Zentrum war 2010 etwa 180.000 Dollar wert, heute sind es 1,3 Millionen. Obwohl Hausbesitzer dieser Wertanstieg vermeintlich freuen sollte, haben viele Probleme: Denn mit dem Wert steigt auch die zu entrichtende Grundsteuer. Bei einem 800.000-Dollar-Haus sind das jedes Jahr 16.000 Dollar. Für Menschen, die 65 Jahre oder älter sind, ist der Steuersatz in Travis County (in dem Austin liegt) zwar reduziert, junge Familien oder Menschen mit geringem Einkommen fallen hier jedoch durch das Raster. Neben den Kaufpreisen sind auch Austins Mieten enorm gestiegen.

“1993 lag die Miete für ein Haus mit zwei Schlafzimmern bei 350 Dollar im Monat. Jetzt wird es für 2300 Dollar vermietet”, sagt Stielow. Hiervon besonders betroffen: die vielen Musik- und Kunstschaffenden der Stadt, die an Orten spielen, wo sich Austin noch ursprünglich anfühlt.

Das ursprüngliche Austin miterlebt und geformt hat auch Rosie Flores. Die Rockabilly- und Country-Künstlerin denkt gerne an die alten Zeiten zurück. “Es war wunderbar und inspirierend. Jede Show war ausgebucht, die Mieten waren günstig und ich konnte hier als Künstlerin so sein, wie ich wirklich war”, sagt Flores. Doch die Trends des neuen und modernen Austin bringen viele Einheimische in große Not. “Ich musste vor einigen Jahren sogar meine Gitarren verkaufen, um Rechnungen zu bezahlen und Lebensmitteln zu kaufen zu können”, erinnert sich die 72-jährige. Flores ist längst nicht die einzige Musikerin, die Sorge hat, sich das Leben in Austin nicht mehr leisten zu können.

Die Liebe für Austin bleibt

Seit 2014 fängt der Greater Austin Music Census Stimmung, Entwicklungen und Trends der lokalen Musikszene ein. 2260 Musikschaffende und Produzenten haben an der jüngsten Erhebung teilgenommen, die Ergebnisse wurden Anfang Februar 2023 veröffentlicht. Zwar planen 89 Prozent der Befragten, auch in den nächsten drei Jahren ihren Beruf auszuüben, doch nur 64 Prozent von ihnen sehen ihre Zukunft weiterhin in Austin. Die Befragung zeigt auch: 38 Prozent aller Befragten finden nur schwer bezahlbaren Wohnraum.

Nancy Coplin kann diesen Trend bestätigen. Sie ist Teil der Organisation Housing Opportunities for Musicians and Entertainers (HOME), die seit 2013 insbesondere älteren Musikschaffenden finanziell unter die Arme greift. “Aktuell unterstützen wir in Austin 23 Musikerinnen monatlich und haben bereits 200 Notfall-Hilfen zu je 500 Dollar ausgezahlt”, sagt Coplin. Rosie Flores ist froh, von HOME unterstützt zu werden. “Ich liebe Austin nach wie vor, doch nur dank ihrer Hilfe und der Unterstützung anderer toller Künstler-Organisationen kann ich immer noch hier sein”, so Flores. Sie findet Austins Image als Welt-Hauptstadt der Live-Musik nach wie vor angebracht, der Geist von damals sei immer noch zu spüren. Ihre Forderung ist jedoch klar: Es müssen neue Wohn- und Arbeitsstrukturen geschaffen werden, um den vielen Kreativen auch weiterhin ein Leben in der Stadt ermöglichen.

Livemusik an jeder Ecke: In Austin tanzt man wegen des milden Klimas gerne an der frischen Luft.

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