Meinung: Kühlen Kopf bewahren beim EU-Beitritt der Ukraine
Ein schrittweiser Reformprozess parallel zum Wiederaufbau – so stellt sich die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen die EU-Perspektive der Ukraine vor. Anders geht es auch gar nicht, meint Barbara Wesel.
Solidarität ist ein schönes, ein großes und politisch wichtiges Gefühl. Und großzügige, warmherzige Solidarität mit der Ukraine ist das Gebot der Stunde. Eine Entscheidung über den Beitritt zur Europäischen Union aber sollte mit dem Verstand getroffen werden, unabhängig von der Hitze solidarischer Emotion.
Bevor an neue Mitgliedsländer überhaupt zu denken ist, müssen innerhalb der EU ein paar dringende Arbeiten erledigt werden. Dazu gehört die Abschaffung der leidigen Einstimmigkeit. Das unerträgliche Gezerre um das Ölembargo gegen Russland, wo Ungarn gerade wieder sein Erpressungspotential maximal ausnutzt, zeigt, dass es so nicht weiter geht.
Solidarität ist ein schönes, ein großes und politisch wichtiges Gefühl. Und großzügige, warmherzige Solidarität mit der Ukraine ist das Gebot der Stunde. Eine Entscheidung über den Beitritt zur Europäischen Union aber sollte mit dem Verstand getroffen werden, unabhängig von der Hitze solidarischer Emotion.
Die qualifizierte Mehrheit der Mitgliedsländer muss endlich über ihren Schatten springen und darauf vertrauen, dass die Welt nicht untergeht, wenn ein Land mal überstimmt wird. Es bleibt nichts anderes übrig, als auf die demokratische Mehrheitsvernunft der Europäer zu setzen.
Was zunächst die EU dringend braucht
Und dann müssen endlich die Strafen für solche Länder angewandt werden, die beharrlich und in erkennbar anti-europäischer Absicht gegen die Regeln verstoßen. Das sollte sich allein auf Grundwerte und -rechte beschränken. Aber die Mehrheit der Mitgliedsländer muss endlich die Angst davor überwinden, ein Mitglied auf die Strafbank zu setzen und ihm das Stimmrecht zu entziehen.
Dies sollte immer Mittel der letzten Wahl sein und eine Ausnahme bleiben. Aber ohne diese Sanktion bleibt die EU zahnlos angesichts ihrer Gegner im Inneren. Die institutionelle und wirtschaftliche Solidarität in Europa ist eine Menge wert, und wir müssen darauf achten, dass sie nicht von unsolidarischen Mitgliedsländern gegen die Mehrheit gewendet wird.
Es ist wichtig, die Ukraine politisch zu ermutigen und ihr ein handfestes Signal in Richtung Europa zu geben. Ob man die alte Idee vom Europa der zwei Geschwindigkeiten wieder hervorholt, eine Art Vorzimmer für Beitrittskandidaten einrichtet, wie der französische Präsident jüngst anregte oder eine geopolitische Vereinigung gründet, wie sie Ratspräsident Michel aktuell ins Spiel bringt – jedenfalls sollte so eine Anbindung Kandidatenländern das Gefühl geben, dass sie gehört werden, Vorteile genießen und Teil der weiteren Familie sind.
Der nächste Schritt aber, der tatsächliche EU-Beitritt, ist ein so kostbares Gut, dass man damit gar nicht vorsichtig genug sein kann. Die Europäische Union entwickelt sich unter dem Druck der Ereignisse immer mehr zu einem politischen Bündnis. Die alte wirtschaftsbasierte Ordnung ist zwar noch wichtig, aber sicherheits- und geopolitische Erwägungen spielen eine immer größere Rolle. Wenn die EU aber ein globaler Player sein sein will, muss sie ihre innere Verfasstheit schützen. Und ein großes Land wie die Ukraine könnte die delikate europäische Balance leicht zu Fall bringen.
Nach der großen Beitrittswelle der Mittelost- und Südosteuropäer haben wir erlebt, wie schwierig die Zusammenarbeit mit Ländern ist, die eigentlich noch nicht reif für die EU-Mitgliedschaft waren. Wir haben gesehen, dass der Transformationsprozess von einer autoritären in eine demokratische Regierungsform viel länger dauert als erhofft – und dass Rückfälle möglich sind.
Deswegen ist der Plan vernünftig, den Ursula von der Leyen jetzt für die Ukraine entworfen hat: Nach Ende des Krieges, wenn vor allem die EU viele Milliarden für den Wiederaufbau des Landes wird aufbringen müssen, sollte dieser mit einem parallelen Reformprozess verbunden werden. Eine unabhängige Justiz, eine funktionierende Polizei, stabile Institutionen als Gegengewicht zur Politik, Bildung und Gesundheit auf europäischem Niveau, eine starke Zivilgesellschaft – das alles gehört zu den Grundbedingungen für eine Mitgliedschaft in der EU.
Man darf nicht blauäugig sein. Auf die pro-westliche, demokratische Selenskyj-Regierung könnte in ein paar Jahren auch wieder ein nationalistisches Regime folgen. Die Europäer aber müssen sicher sein, dass ein solcher Rückfall nicht in ihren Reihen stattfindet. Die Ukraine ist ein riesiges Land mit großem Potenzial, aber ebenso großem Rückstand bei der demokratischen Entwicklung. Beim Kampf gegen Korruption und organisierte Kriminalität war Kiew vor dem Krieg längst nicht so weit, wie Brüssel das seit langem fordert.
Ein langsamer Aufnahmeprozess mit überprüfbaren Reformschritten ist im Interesse beider Seiten. Die Ukraine würde am Ende als gefestigter demokratischer Staat dastehen, eingebunden in westliche Strukturen. Und die EU wäre um ein wertvolles Mitgliedsland reicher. So viel Geduld und Einsicht sollte Kiew auch in seiner gegenwärtigen Not aufbringen – ein verkürztes Verfahren als politische Symbolhandlung könnte nämlich auch die EU ins Unglück stürzen.
Solidarität ist ein schönes, ein großes und politisch wichtiges Gefühl. Und großzügige, warmherzige Solidarität mit der Ukraine ist das Gebot der Stunde. Eine Entscheidung über den Beitritt zur Europäischen Union aber sollte mit dem Verstand getroffen werden, unabhängig von der Hitze solidarischer Emotion.
Bevor an neue Mitgliedsländer überhaupt zu denken ist, müssen innerhalb der EU ein paar dringende Arbeiten erledigt werden. Dazu gehört die Abschaffung der leidigen Einstimmigkeit. Das unerträgliche Gezerre um das Ölembargo gegen Russland, wo Ungarn gerade wieder sein Erpressungspotential maximal ausnutzt, zeigt, dass es so nicht weiter geht.
Was zunächst die EU dringend braucht
Die qualifizierte Mehrheit der Mitgliedsländer muss endlich über ihren Schatten springen und darauf vertrauen, dass die Welt nicht untergeht, wenn ein Land mal überstimmt wird. Es bleibt nichts anderes übrig, als auf die demokratische Mehrheitsvernunft der Europäer zu setzen.
Und dann müssen endlich die Strafen für solche Länder angewandt werden, die beharrlich und in erkennbar anti-europäischer Absicht gegen die Regeln verstoßen. Das sollte sich allein auf Grundwerte und -rechte beschränken. Aber die Mehrheit der Mitgliedsländer muss endlich die Angst davor überwinden, ein Mitglied auf die Strafbank zu setzen und ihm das Stimmrecht zu entziehen.
Dies sollte immer Mittel der letzten Wahl sein und eine Ausnahme bleiben. Aber ohne diese Sanktion bleibt die EU zahnlos angesichts ihrer Gegner im Inneren. Die institutionelle und wirtschaftliche Solidarität in Europa ist eine Menge wert, und wir müssen darauf achten, dass sie nicht von unsolidarischen Mitgliedsländern gegen die Mehrheit gewendet wird.
Es ist wichtig, die Ukraine politisch zu ermutigen und ihr ein handfestes Signal in Richtung Europa zu geben. Ob man die alte Idee vom Europa der zwei Geschwindigkeiten wieder hervorholt, eine Art Vorzimmer für Beitrittskandidaten einrichtet, wie der französische Präsident jüngst anregte oder eine geopolitische Vereinigung gründet, wie sie Ratspräsident Michel aktuell ins Spiel bringt – jedenfalls sollte so eine Anbindung Kandidatenländern das Gefühl geben, dass sie gehört werden, Vorteile genießen und Teil der weiteren Familie sind.
Ein Signal an die Ukraine ist richtig
Der nächste Schritt aber, der tatsächliche EU-Beitritt, ist ein so kostbares Gut, dass man damit gar nicht vorsichtig genug sein kann. Die Europäische Union entwickelt sich unter dem Druck der Ereignisse immer mehr zu einem politischen Bündnis. Die alte wirtschaftsbasierte Ordnung ist zwar noch wichtig, aber sicherheits- und geopolitische Erwägungen spielen eine immer größere Rolle. Wenn die EU aber ein globaler Player sein sein will, muss sie ihre innere Verfasstheit schützen. Und ein großes Land wie die Ukraine könnte die delikate europäische Balance leicht zu Fall bringen.
Die EU ist gebranntes Kind
Nach der großen Beitrittswelle der Mittelost- und Südosteuropäer haben wir erlebt, wie schwierig die Zusammenarbeit mit Ländern ist, die eigentlich noch nicht reif für die EU-Mitgliedschaft waren. Wir haben gesehen, dass der Transformationsprozess von einer autoritären in eine demokratische Regierungsform viel länger dauert als erhofft – und dass Rückfälle möglich sind.
Deswegen ist der Plan vernünftig, den Ursula von der Leyen jetzt für die Ukraine entworfen hat: Nach Ende des Krieges, wenn vor allem die EU viele Milliarden für den Wiederaufbau des Landes wird aufbringen müssen, sollte dieser mit einem parallelen Reformprozess verbunden werden. Eine unabhängige Justiz, eine funktionierende Polizei, stabile Institutionen als Gegengewicht zur Politik, Bildung und Gesundheit auf europäischem Niveau, eine starke Zivilgesellschaft – das alles gehört zu den Grundbedingungen für eine Mitgliedschaft in der EU.
Man darf nicht blauäugig sein. Auf die pro-westliche, demokratische Selenskyj-Regierung könnte in ein paar Jahren auch wieder ein nationalistisches Regime folgen. Die Europäer aber müssen sicher sein, dass ein solcher Rückfall nicht in ihren Reihen stattfindet. Die Ukraine ist ein riesiges Land mit großem Potenzial, aber ebenso großem Rückstand bei der demokratischen Entwicklung. Beim Kampf gegen Korruption und organisierte Kriminalität war Kiew vor dem Krieg längst nicht so weit, wie Brüssel das seit langem fordert.
Geduld, um nicht das Ganze zu gefährden
Ein langsamer Aufnahmeprozess mit überprüfbaren Reformschritten ist im Interesse beider Seiten. Die Ukraine würde am Ende als gefestigter demokratischer Staat dastehen, eingebunden in westliche Strukturen. Und die EU wäre um ein wertvolles Mitgliedsland reicher. So viel Geduld und Einsicht sollte Kiew auch in seiner gegenwärtigen Not aufbringen – ein verkürztes Verfahren als politische Symbolhandlung könnte nämlich auch die EU ins Unglück stürzen.