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Polen: Meldepflicht für Schwangerschaften macht Frauen Angst

Eine umstrittene Idee des Gesundheitsministeriums verunsichert die Frauen in Polen. Dient die geplante Meldepflicht für Schwangerschaften der Gesundheit der Patientinnen oder der Kontrolle über Abtreibungen?

Polens Gesetzgebung zur Abtreibung gehört bereits zu den strengsten in der Europäischen Union. Nun könnte sie indirekt noch weiter verschärft werden – durch ein Melderegister für Schwangere. Anfang Juni unterzeichnete der polnische Gesundheitsminister Adam Niedzielski eine Verordnung, mit der das Medizinische Informationssystem (SIM) um einige Daten, darunter um die Angabe, ob die erfasste Person schwanger ist, erweitert wurde.

Der erste Entwurf dazu war in der Öffentlichkeit bereits im vergangenen Herbst aufgetaucht. Schon damals regte sich dagegen heftiger Widerstand. Kontrolle und Zwang seien eine ideologische Obsession der Regierungspartei PiS (Recht und Gerechtigkeit), kritisierte der Chef der oppositionellen Bürgerplattform (PO), Donald Tusk, die damaligen Pläne.

Polens Gesetzgebung zur Abtreibung gehört bereits zu den strengsten in der Europäischen Union. Nun könnte sie indirekt noch weiter verschärft werden – durch ein Melderegister für Schwangere. Anfang Juni unterzeichnete der polnische Gesundheitsminister Adam Niedzielski eine Verordnung, mit der das Medizinische Informationssystem (SIM) um einige Daten, darunter um die Angabe, ob die erfasste Person schwanger ist, erweitert wurde.

Sein Parteikollege, der Vorsitzende des Oberhauses (Senat), Tomasz Grodzki, fragte sich, ob die Zahl der Schwangerschaften mit der Zahl der Geburten abgeglichen werden solle, um illegale Abtreibungen zu verfolgen. Nach solcherlei Kritik verschwand der Entwurf zunächst in der Schublade.

Polens Rechte gibt nicht auf

Doch die seit 2015 in Polen regierende Vereinigte Rechte – eine Koalition aus PiS und der Partei Solidarisches Polen (SP) – hat die Idee nicht abgeschrieben. Dafür ist der Einfluss der katholischen Kirche auf die Regierung zu groß. Die Kirche hat wesentlich dazu beigetragen, Polens Abtreibungsrecht zu den schärfsten in Europa zu machen. Ein Schwangerschaftsabbruch ist nur dann erlaubt, wenn die Gesundheit oder das Leben der Frau bedroht sind oder die Schwangerschaft Folge einer Vergewaltigung ist.

Zwei Wochen nach der Unterschrift des Ministers soll die neue Vorschrift in Kraft treten. Vorerst ist die Übermittlung der Daten fakultativ. Zum 1.10.2022 wird sie dann obligatorisch.

Bei der Debatte im Parlament am Donnerstag (9.06.2022) verteidigte der stellvertretende Gesundheitsminister Waldemar Kraska das Vorhaben. “Wir schaffen kein Register der Schwangerschaften. Wir wollen nur, dass die Mediziner möglichst breiten Zugang zu Daten jedes einzelnen Patienten haben, um ihm die beste medizinische Hilfe zu leisten und eventuelle Schäden zu vermeiden”, erläuterte er im polnischen Unterhaus, dem Sejm. Er warf der Opposition “Verbreitung von Lügen” vor.

“Ich muss wohl den Ärzten in dieser Kammer nicht erklären, wie wichtig die Information ist, ob die Kranke schwanger oder nicht schwanger ist”, fügte Kraska hinzu. Er betonte, dass das Register um weitere Daten erweitert worden sei, nämlich um Informationen über Implantate, Blutgruppe und Allergien.

Der Pressesprecher des Ministeriums, Wojciech Andrusiewicz, argumentierte, das Meldesystem sei auf eine Empfehlung der Europäischen Kommission entstanden. Es solle helfen, den Erkrankten auf Auslandsreisen besseren Schutz zu gewähren.

Die Debatte im Sejm hatte die Fraktion der Partei Lewica (Linke) beantragt. Ihre Vertreterin Agnieszka Dziemianowicz-Bak sagte, das Melderegister sei ein “Instrument, das man entweder zu einem guten oder einem schlechten Zweck einsetzen kann”. In den Händen einer Macht, die den Frauen das Leben zur Hölle gemacht, das Recht auf legale Abtreibung eingeschränkt und die Verhütung in Notfällen verweigert habe, könne sich dieses Instrument als brandgefährlich erweisen, warnte die Abgeordnete.

Barbara Nowacka von der Bürgerplattform (PO) verwies darauf, dass junge Polinnen aus Angst vor der Staatsmacht keine Kinder mehr bekommen wollten. Das Melderegister ist ihrer Meinung nach “ein Instrument der Einschüchterung”. Tatsächlich sinkt die Geburtenrate in Polen trotz großangelegter Sozialprogramme kontinuierlich. Im Februar 2022 kamen nur 23.000 Kinder zur Welt – die wenigsten in einem Monat seit dem Zweiten Weltkrieg.

In einem normalen Land, sagte Michal Gramatyka von der Oppositionspartei Polen 2050, wäre ein solches elektronisches Register eine gute Idee, nicht jedoch in Polen. Er verwies auf die ständig wachsenden Kompetenzen der polnischen Kontrollbehörden. “Wie sollen wir glauben, dass nur die Ärzte Zugang zu diesen Daten haben werden?”, fragte er rhetorisch.

Die linksliberale Gazeta Wyborcza versucht unterdessen, die Frauen zu beruhigen. In der Donnerstagsausgabe der Zeitung (9.06.2022) macht die Kommentatorin Katarzyna Wezyk darauf aufmerksam, dass auch nach dem Inkrafttreten der neuen Vorschrift einer Frau etwa im Falle einer spontanen oder auch künstlichen Schwangerschaftsunterbrechung nach geltendem Recht keine Strafe droht. “Wenn dieses Register als ein Druckmittel konzipiert wurde, dann hat dieses Instrument keine Zähne”, schreibt Wezyk und stellt fest: “Trotz der Bemühungen von Anti-Choice-Organisationen ist Polen noch immer kein zweites El Salvador.” In dem mittelamerikanischen Land kann eine Frau, die ihr Kind verliert, mit bis zu 30 Jahren Gefängnis bestraft werden. Davon ist Polen weit entfernt: Nach derzeitiger Rechtslage gehen Frauen, die illegal abgetrieben haben, straffrei aus. Haftstrafen bis zu drei Jahren sind nur für Personen vorgesehen, die eine rechtswidrige Abtreibung durchgeführt, dabei geholfen oder die Frau dazu überredet haben.

Donald Tusk übernimmt Führung der größten polnischen Oppositionspartei
Polen LUBLIN Proteste gegen Abtreibungsgesetz
Waldemar Kraska

Polens Gesetzgebung zur Abtreibung gehört bereits zu den strengsten in der Europäischen Union. Nun könnte sie indirekt noch weiter verschärft werden – durch ein Melderegister für Schwangere. Anfang Juni unterzeichnete der polnische Gesundheitsminister Adam Niedzielski eine Verordnung, mit der das Medizinische Informationssystem (SIM) um einige Daten, darunter um die Angabe, ob die erfasste Person schwanger ist, erweitert wurde.

Der erste Entwurf dazu war in der Öffentlichkeit bereits im vergangenen Herbst aufgetaucht. Schon damals regte sich dagegen heftiger Widerstand. Kontrolle und Zwang seien eine ideologische Obsession der Regierungspartei PiS (Recht und Gerechtigkeit), kritisierte der Chef der oppositionellen Bürgerplattform (PO), Donald Tusk, die damaligen Pläne.

Polens Rechte gibt nicht auf

Sein Parteikollege, der Vorsitzende des Oberhauses (Senat), Tomasz Grodzki, fragte sich, ob die Zahl der Schwangerschaften mit der Zahl der Geburten abgeglichen werden solle, um illegale Abtreibungen zu verfolgen. Nach solcherlei Kritik verschwand der Entwurf zunächst in der Schublade.

Doch die seit 2015 in Polen regierende Vereinigte Rechte – eine Koalition aus PiS und der Partei Solidarisches Polen (SP) – hat die Idee nicht abgeschrieben. Dafür ist der Einfluss der katholischen Kirche auf die Regierung zu groß. Die Kirche hat wesentlich dazu beigetragen, Polens Abtreibungsrecht zu den schärfsten in Europa zu machen. Ein Schwangerschaftsabbruch ist nur dann erlaubt, wenn die Gesundheit oder das Leben der Frau bedroht sind oder die Schwangerschaft Folge einer Vergewaltigung ist.

Zwei Wochen nach der Unterschrift des Ministers soll die neue Vorschrift in Kraft treten. Vorerst ist die Übermittlung der Daten fakultativ. Zum 1.10.2022 wird sie dann obligatorisch.

Bei der Debatte im Parlament am Donnerstag (9.06.2022) verteidigte der stellvertretende Gesundheitsminister Waldemar Kraska das Vorhaben. “Wir schaffen kein Register der Schwangerschaften. Wir wollen nur, dass die Mediziner möglichst breiten Zugang zu Daten jedes einzelnen Patienten haben, um ihm die beste medizinische Hilfe zu leisten und eventuelle Schäden zu vermeiden”, erläuterte er im polnischen Unterhaus, dem Sejm. Er warf der Opposition “Verbreitung von Lügen” vor.

Alles für das Wohl der Frauen

“Ich muss wohl den Ärzten in dieser Kammer nicht erklären, wie wichtig die Information ist, ob die Kranke schwanger oder nicht schwanger ist”, fügte Kraska hinzu. Er betonte, dass das Register um weitere Daten erweitert worden sei, nämlich um Informationen über Implantate, Blutgruppe und Allergien.

Opposition misstraut der Regierung

Der Pressesprecher des Ministeriums, Wojciech Andrusiewicz, argumentierte, das Meldesystem sei auf eine Empfehlung der Europäischen Kommission entstanden. Es solle helfen, den Erkrankten auf Auslandsreisen besseren Schutz zu gewähren.

Die Debatte im Sejm hatte die Fraktion der Partei Lewica (Linke) beantragt. Ihre Vertreterin Agnieszka Dziemianowicz-Bak sagte, das Melderegister sei ein “Instrument, das man entweder zu einem guten oder einem schlechten Zweck einsetzen kann”. In den Händen einer Macht, die den Frauen das Leben zur Hölle gemacht, das Recht auf legale Abtreibung eingeschränkt und die Verhütung in Notfällen verweigert habe, könne sich dieses Instrument als brandgefährlich erweisen, warnte die Abgeordnete.

Barbara Nowacka von der Bürgerplattform (PO) verwies darauf, dass junge Polinnen aus Angst vor der Staatsmacht keine Kinder mehr bekommen wollten. Das Melderegister ist ihrer Meinung nach “ein Instrument der Einschüchterung”. Tatsächlich sinkt die Geburtenrate in Polen trotz großangelegter Sozialprogramme kontinuierlich. Im Februar 2022 kamen nur 23.000 Kinder zur Welt – die wenigsten in einem Monat seit dem Zweiten Weltkrieg.

Kein zweites El Salvador

In einem normalen Land, sagte Michal Gramatyka von der Oppositionspartei Polen 2050, wäre ein solches elektronisches Register eine gute Idee, nicht jedoch in Polen. Er verwies auf die ständig wachsenden Kompetenzen der polnischen Kontrollbehörden. “Wie sollen wir glauben, dass nur die Ärzte Zugang zu diesen Daten haben werden?”, fragte er rhetorisch.

Die linksliberale Gazeta Wyborcza versucht unterdessen, die Frauen zu beruhigen. In der Donnerstagsausgabe der Zeitung (9.06.2022) macht die Kommentatorin Katarzyna Wezyk darauf aufmerksam, dass auch nach dem Inkrafttreten der neuen Vorschrift einer Frau etwa im Falle einer spontanen oder auch künstlichen Schwangerschaftsunterbrechung nach geltendem Recht keine Strafe droht. “Wenn dieses Register als ein Druckmittel konzipiert wurde, dann hat dieses Instrument keine Zähne”, schreibt Wezyk und stellt fest: “Trotz der Bemühungen von Anti-Choice-Organisationen ist Polen noch immer kein zweites El Salvador.” In dem mittelamerikanischen Land kann eine Frau, die ihr Kind verliert, mit bis zu 30 Jahren Gefängnis bestraft werden. Davon ist Polen weit entfernt: Nach derzeitiger Rechtslage gehen Frauen, die illegal abgetrieben haben, straffrei aus. Haftstrafen bis zu drei Jahren sind nur für Personen vorgesehen, die eine rechtswidrige Abtreibung durchgeführt, dabei geholfen oder die Frau dazu überredet haben.

Polen Weltfrauentag in Warschau, Demonstration

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