Kultur

Ingeborg-Bachmann-Preis: vielfältig wie nie

Die Konkurrenten um den renommierten Preis müssen im Fernsehen einen 25 Minuten langen deutschen Text vorlesen, um die Jury zu überzeugen. Auch einige Nicht-Muttersprachler sind mit von der Partie.

Das Fest der deutschsprachigen Literatur, bei dem der hochdotierte Ingeborg-Bachmann-Preis verliehen wird, findet nach zwei Jahren Pandemie wieder vor Ort im österreichischen Klagenfurt statt. Von dort aus wird das prestigeträchtige Literaturfest außerdem live im Fernsehen übertragen. 

14 Autorinnen und Autoren streiten um den mit 25.000 Euro dotierte Preis für deutschsprachige Literatur. Besonders augenfällig: Nicht alle sind mit der deutschen Sprache aufgewachsen. Usama Al Shamani stammt aus dem Irak und floh 2002 im Erwachsenenalter in die Schweiz, als er wegen eines regimekritischen Theaterstücks ins Visier der irakischen Polizei geriet. Inzwischen ist er Literaturkritiker beim öffentlich-rechtlichen Schweizer Fernsehsender SFR.

Das Fest der deutschsprachigen Literatur, bei dem der hochdotierte Ingeborg-Bachmann-Preis verliehen wird, findet nach zwei Jahren Pandemie wieder vor Ort im österreichischen Klagenfurt statt. Von dort aus wird das prestigeträchtige Literaturfest außerdem live im Fernsehen übertragen. 

Der Dichter Alexandru Bulucz verbrachte seine Kindheit in Rumänien und wanderte im Alter von 13 Jahren mit seiner Familie nach Deutschland aus. Auch die slowenische Romanautorin Anna Marwan nimmt mit einem deutschsprachigen Text am Wettbewerb teil, sie studierte Literaturwissenschaft und Komparatistik in Ljubljana und Wien und publiziert auf Deutsch und auf Slowenisch.  

Begehrter Ingeborg-Bachmann-Preis

“Es ist nicht die Herkunft, die literarische Qualität entscheidet”, sagte Jury-Vorsitzende Insa Wilke der Nachrichtenagentur dpa. Sie wirbt dafür, den deutschen Literaturbetrieb zu öffnen. Eine größere Vielfalt an Perspektiven halte die Literatur in Bewegung und führe “zu anderen Geschichten und auch zu neuen literarischen Mitteln”.

In den letzten Jahren gewannen bereits Autoren unterschiedlichster Herkunft den begehrten Ingeborg-Bachmann-Preis. Die in Berlin lebende britische Schriftstellerin Sharon Dodua Otoo wurde im Jahr 2016 für ihre erste auf Deutsch verfasste Kurzgeschichte zur Siegerin gekürzt. Im vergangenen Jahr gewann die in Teheran geborene Autorin Nava Ebrahimi, die sich in ihrem Text mit der Fluchtgeschichte eines schwulen Tänzers befasste.

Das spiegelt eine Veränderung im deutschen Literaturbetrieb wider: Autoren und Autorinnen wie Abbas Khider, Saša Stanišić oder Sharon Dodua Otoo, deren Muttersprache nicht Deutsch ist, erfahren mehr Aufmerksamkeit. Deutsche Literatur ist nicht mehr nur eine Domäne deutscher Muttersprachler.  

Mit dem Ingeborg-Bachmann-Preis hatten deutschsprachige Autorinnen und Autoren bereits ihren ersten eigenwilligen Talentwettbewerb, als an Castingshows im Fernsehen noch gar nicht zu denken war.

Nun ist die Veranstaltung, die seit 1977 alljährlich im österreichischen Klagenfurt gastiert, keine schrille Show mit Topmodels, schiefem Gesang oder Tanzeinlagen, sondern eine auf den ersten Blick eher trockene Angelegenheit. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer lesen 25 Minuten lang einen ihrer unveröffentlichten Texte. Die gesamte Lesung wird fürs Fernsehen in Echtzeit gefilmt – ohne Spezialeffekte, Schnittbilder oder dramatische Tonspur.

Die Autorinnen und Autoren sitzen dabei vor den Jurorinnen und Juroren an einem Tisch – gewöhnlich vor einem Live-Publikum.

Wie in den TV-Castingshows reagieren die Jurymitglieder direkt nach dem “Auftritt” auf den jeweiligen Text. Doch statt ihre Meinung in ein oder zwei knappen Sätzen zusammenzufassen, beschäftigen auch sie sich rund 25 weitere Minuten mit dem Inhalt des Textes.

Im Zeitalter von TikTok und Trends wie Bookstagram wirkt der dreitägige Lesemarathon wie aus der Zeit gefallen. Im deutschsprachigen Literaturbetrieb ist er aber nach wie vor ein bedeutendes Event.

Um den Wettbewerb über ein Nischenpublikum hinaus sexy zu machen, schrieb die Münchner “Abendzeitung” mal von einem “Deluxe-Tinder der Verlagsbranche”. Die Hoffnung, sich durch einen Auftritt einen Vertrag mit einem Buchverlag zu ergattern, ist nicht unbegründet: Katja Petrowskaja oder Emine Sevgi Özdamar erlangten nach dem Wettbewerb dank englischsprachige Übersetzungen ihrer Texte internationale Bekanntheit.

Und auch das Preisgeld ist spektakulär. Insgesamt werden bei diesjährigen Festival Preisgelder in Höhe von 62.500 Euro vergeben.

Benannt wurde der Preis nach der österreichischen Dichterin und Autorin Ingeborg Bachmann, die 1926 in Klagenfurt, dem Austragungsort des Festivals, geboren wurde. Als eine der Avantgarde-Koryphäen der literarischen Nachkriegsszene setzte sich Bachmann in Lyrik und Prosa mit Themen wie der Emanzipation der Frau, Imperialismus und Faschismus auseinander; ebenso berühmt wurden ihre Essays und öffentlichen Reden, die sich mit der Rolle von Schriftstellerinnen und Schriftstellern und der Literatur auseinandersetzten.

Ihr Mythos wurde durch ihren frühen und mysteriösen Tod noch verstärkt. Im September 1973 war Bachmann in ihrer Wohnung in Rom mit einer brennenden Zigarette eingeschlafen. Als ihre schweren Verletzungen im Krankenhaus behandelt wurden, starb sie an tödlichen Entzugserscheinungen. Die Ärzte wussten nicht, dass sie stark von Beruhigungsmitteln abhängig war.

Zu ihrem Ruhm trug auch bei, dass sie der geschätzten Gruppe 47 angehörte, einem einflussreichen literarischen Zirkel, dessen informelle Treffen der Vorläufer des Festivals der deutschsprachigen Literatur waren.

Zu diesen Treffen wurden vielversprechende Autorinnen und Autoren eingeladen, um aus noch unveröffentlichten Manuskripten zu lesen und anschließend ein Kritikergespräch zu führen. Mit Meilensteinen wie Günter Grass’ “Die Blechtrommel”, die aus dem Treffen hervorgingen, wurde die Gruppe zu einer der maßgeblichen literarischen Institutionen der Bundesrepublik Deutschland.

Auch Marcel Reich-Ranicki (1920-2013), ein prominenter Kritiker von Bachmann und später als “Literaturpapst” bekannt, gehörte der Jury des Ingeborg-Bachmann-Preises an. Seine emotionalen und messerscharfen Einschätzungen prägten den Ton der Diskussionen. Reich-Ranicki verfügte, dass die Autorinnen und Autoren auf die Kritik der Jury nicht antworten durften und die teils demütigenden Kommentare schweigend entgegennehmen mussten.

Das erste Opfer war Karin Struck (1947-2006), deren Text Reich-Ranicki im Eröffnungsjahr 1977 verriss: “Wen interessiert es, was Frauen denken, was sie fühlen, während sie menstruieren? Das ist keine Literatur, sondern ein Verbrechen.” Unter Tränen verließ die Autorin das TV-Studio.

Wegen solcher Ausbrüche heißt es häufig, in Klagenfurt versammele sich die literarische Sadomaso-Szene – auch wenn die Jury heute deutlich sachlicher urteilt als zu Reich-Ranickis Zeiten.

Die Autorin Nava Ebrahimi schaut in die Kamera
Die Autorin Sharon Dodua Otoo lächelt in die Kamera.
Ingeborg Bachmann

Das Fest der deutschsprachigen Literatur, bei dem der hochdotierte Ingeborg-Bachmann-Preis verliehen wird, findet nach zwei Jahren Pandemie wieder vor Ort im österreichischen Klagenfurt statt. Von dort aus wird das prestigeträchtige Literaturfest außerdem live im Fernsehen übertragen. 

14 Autorinnen und Autoren streiten um den mit 25.000 Euro dotierte Preis für deutschsprachige Literatur. Besonders augenfällig: Nicht alle sind mit der deutschen Sprache aufgewachsen. Usama Al Shamani stammt aus dem Irak und floh 2002 im Erwachsenenalter in die Schweiz, als er wegen eines regimekritischen Theaterstücks ins Visier der irakischen Polizei geriet. Inzwischen ist er Literaturkritiker beim öffentlich-rechtlichen Schweizer Fernsehsender SFR.

Begehrter Ingeborg-Bachmann-Preis

Der Dichter Alexandru Bulucz verbrachte seine Kindheit in Rumänien und wanderte im Alter von 13 Jahren mit seiner Familie nach Deutschland aus. Auch die slowenische Romanautorin Anna Marwan nimmt mit einem deutschsprachigen Text am Wettbewerb teil, sie studierte Literaturwissenschaft und Komparatistik in Ljubljana und Wien und publiziert auf Deutsch und auf Slowenisch.  

“Es ist nicht die Herkunft, die literarische Qualität entscheidet”, sagte Jury-Vorsitzende Insa Wilke der Nachrichtenagentur dpa. Sie wirbt dafür, den deutschen Literaturbetrieb zu öffnen. Eine größere Vielfalt an Perspektiven halte die Literatur in Bewegung und führe “zu anderen Geschichten und auch zu neuen literarischen Mitteln”.

In den letzten Jahren gewannen bereits Autoren unterschiedlichster Herkunft den begehrten Ingeborg-Bachmann-Preis. Die in Berlin lebende britische Schriftstellerin Sharon Dodua Otoo wurde im Jahr 2016 für ihre erste auf Deutsch verfasste Kurzgeschichte zur Siegerin gekürzt. Im vergangenen Jahr gewann die in Teheran geborene Autorin Nava Ebrahimi, die sich in ihrem Text mit der Fluchtgeschichte eines schwulen Tänzers befasste.

Das spiegelt eine Veränderung im deutschen Literaturbetrieb wider: Autoren und Autorinnen wie Abbas Khider, Saša Stanišić oder Sharon Dodua Otoo, deren Muttersprache nicht Deutsch ist, erfahren mehr Aufmerksamkeit. Deutsche Literatur ist nicht mehr nur eine Domäne deutscher Muttersprachler.  

Ein eigenwilliger Wettbewerb

Mit dem Ingeborg-Bachmann-Preis hatten deutschsprachige Autorinnen und Autoren bereits ihren ersten eigenwilligen Talentwettbewerb, als an Castingshows im Fernsehen noch gar nicht zu denken war.

Dating der Verlagsbranche

Nun ist die Veranstaltung, die seit 1977 alljährlich im österreichischen Klagenfurt gastiert, keine schrille Show mit Topmodels, schiefem Gesang oder Tanzeinlagen, sondern eine auf den ersten Blick eher trockene Angelegenheit. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer lesen 25 Minuten lang einen ihrer unveröffentlichten Texte. Die gesamte Lesung wird fürs Fernsehen in Echtzeit gefilmt – ohne Spezialeffekte, Schnittbilder oder dramatische Tonspur.

Die Autorinnen und Autoren sitzen dabei vor den Jurorinnen und Juroren an einem Tisch – gewöhnlich vor einem Live-Publikum.

Wie in den TV-Castingshows reagieren die Jurymitglieder direkt nach dem “Auftritt” auf den jeweiligen Text. Doch statt ihre Meinung in ein oder zwei knappen Sätzen zusammenzufassen, beschäftigen auch sie sich rund 25 weitere Minuten mit dem Inhalt des Textes.

Ingeborg Bachmann, Superstar

Im Zeitalter von TikTok und Trends wie Bookstagram wirkt der dreitägige Lesemarathon wie aus der Zeit gefallen. Im deutschsprachigen Literaturbetrieb ist er aber nach wie vor ein bedeutendes Event.

Um den Wettbewerb über ein Nischenpublikum hinaus sexy zu machen, schrieb die Münchner “Abendzeitung” mal von einem “Deluxe-Tinder der Verlagsbranche”. Die Hoffnung, sich durch einen Auftritt einen Vertrag mit einem Buchverlag zu ergattern, ist nicht unbegründet: Katja Petrowskaja oder Emine Sevgi Özdamar erlangten nach dem Wettbewerb dank englischsprachige Übersetzungen ihrer Texte internationale Bekanntheit.

Mitglied der Gruppe 47

Und auch das Preisgeld ist spektakulär. Insgesamt werden bei diesjährigen Festival Preisgelder in Höhe von 62.500 Euro vergeben.

Verriss von Reich-Ranicki

Benannt wurde der Preis nach der österreichischen Dichterin und Autorin Ingeborg Bachmann, die 1926 in Klagenfurt, dem Austragungsort des Festivals, geboren wurde. Als eine der Avantgarde-Koryphäen der literarischen Nachkriegsszene setzte sich Bachmann in Lyrik und Prosa mit Themen wie der Emanzipation der Frau, Imperialismus und Faschismus auseinander; ebenso berühmt wurden ihre Essays und öffentlichen Reden, die sich mit der Rolle von Schriftstellerinnen und Schriftstellern und der Literatur auseinandersetzten.

Paul Celan und Ingeborg Bachmann sitzen an einem Esstisch und unterhalten sich, Celan hält eine Zigarette in der Hand.

Ihr Mythos wurde durch ihren frühen und mysteriösen Tod noch verstärkt. Im September 1973 war Bachmann in ihrer Wohnung in Rom mit einer brennenden Zigarette eingeschlafen. Als ihre schweren Verletzungen im Krankenhaus behandelt wurden, starb sie an tödlichen Entzugserscheinungen. Die Ärzte wussten nicht, dass sie stark von Beruhigungsmitteln abhängig war.

Zu ihrem Ruhm trug auch bei, dass sie der geschätzten Gruppe 47 angehörte, einem einflussreichen literarischen Zirkel, dessen informelle Treffen der Vorläufer des Festivals der deutschsprachigen Literatur waren.

Zu diesen Treffen wurden vielversprechende Autorinnen und Autoren eingeladen, um aus noch unveröffentlichten Manuskripten zu lesen und anschließend ein Kritikergespräch zu führen. Mit Meilensteinen wie Günter Grass’ “Die Blechtrommel”, die aus dem Treffen hervorgingen, wurde die Gruppe zu einer der maßgeblichen literarischen Institutionen der Bundesrepublik Deutschland.

Auch Marcel Reich-Ranicki (1920-2013), ein prominenter Kritiker von Bachmann und später als “Literaturpapst” bekannt, gehörte der Jury des Ingeborg-Bachmann-Preises an. Seine emotionalen und messerscharfen Einschätzungen prägten den Ton der Diskussionen. Reich-Ranicki verfügte, dass die Autorinnen und Autoren auf die Kritik der Jury nicht antworten durften und die teils demütigenden Kommentare schweigend entgegennehmen mussten.

Das erste Opfer war Karin Struck (1947-2006), deren Text Reich-Ranicki im Eröffnungsjahr 1977 verriss: “Wen interessiert es, was Frauen denken, was sie fühlen, während sie menstruieren? Das ist keine Literatur, sondern ein Verbrechen.” Unter Tränen verließ die Autorin das TV-Studio.

Wegen solcher Ausbrüche heißt es häufig, in Klagenfurt versammele sich die literarische Sadomaso-Szene – auch wenn die Jury heute deutlich sachlicher urteilt als zu Reich-Ranickis Zeiten.

Seit seinen Anfängen war das Festival als TV-Format für den öffentlich-rechtlichen ORF konzipiert. Im Jahr 2013 verkündete der Sender, dass das Festival aufgrund von Budgetkürzungen nicht mehr stattfinden würde. Die Folge waren wütende Proteste, bis sich Sponsoren fanden, die den Wettbewerb am Leben hielten.

Im Laufe der Jahre haben einige Autorinnen und Autoren versucht, mit ihren Lesungen für Schlagzeilen über den Literaturbetrieb hinaus zu sorgen. Im Jahr 1983 schlitzte sich der deutsche Autor Rainald Goetz mit einer Rasierklinge die Stirn auf, als er die Worte “Ihr könnt’s mein Hirn haben” las – und machte weiter, während das Blut über sein Gesicht lief und auf seinen Text tropfte.

Im Laufe der Jahre haben einige Autorinnen und Autoren versucht, mit ihren Lesungen für Schlagzeilen über den Literaturbetrieb hinaus zu sorgen. Im Jahr 1983 schlitzte sich der deutsche Autor Rainald Goetz mit einer Rasierklinge die Stirn auf, als er die Worte “Ihr könnt’s mein Hirn haben” las – und machte weiter, während das Blut über sein Gesicht lief und auf seinen Text tropfte.

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