Innenstädte: Was tun gegen Verödung und Aussterben?
Energiekrise und Corona beschleunigen den Absturz vieler Innenstädte. Experten raten, Zentrum neu zu denken – als sozialen Treffpunkt. Konsum finde online statt.
“Zu vermieten. Provisionsfrei”, steht am Schaufenster vieler Läden der Kaiserpassage, einer mit Glas überdachten Einkaufsmeile in der Bonner Innenstadt. Fast gespenstisch leer ist es in den grau gefliesten, von Licht durchfluteten Gängen. Kaum ein Passant verirrt sich hierher, wo einst lebendige Geschäfte waren.
“Zu mir kommt auch kein Mensch aus der Fußgängerzone spontan vorbei”, sagt Torger Brunken, dessen Laden “Cigar Embassy” einer der wenigen ist. Auf zwei Etagen bietet er kistenweise Rauchwaren, die man auch vor Ort in grünen Loungesesseln entzünden kann.
“Zu vermieten. Provisionsfrei”, steht am Schaufenster vieler Läden der Kaiserpassage, einer mit Glas überdachten Einkaufsmeile in der Bonner Innenstadt. Fast gespenstisch leer ist es in den grau gefliesten, von Licht durchfluteten Gängen. Kaum ein Passant verirrt sich hierher, wo einst lebendige Geschäfte waren.
Seinen Nachbarn sind Pandemie und steigende Preise zum Verhängnis geworden, aber vor allem die vielen Onlineshops.
Angst vor “weiterer Verödung”
“Der Einzelhandel tut sich schwer, es sei denn, man findet eine echte Nische und bietet guten Service an”, meint Brunken. “Hier gegenüber ist ein Kinderschuhladen, der super läuft. Bei mir gibt es nur Zigarren, keine Pfeifen, Schischa oder Lotterie-Scheine. Also kommen Leute, die Zigarren mögen, sehr gezielt hierhin.” Eine Zigarre könne man schließlich online nicht riechen.
Laut Experten ist es schlecht bestellt um die deutschen Innenstädte – wenn sie ausschließlich als Einkaufsmeilen gedacht sind. Die Münchener Kaufingerstraße oder die Frankfurter Zeil werden wohl überleben. Solche Straßen in den Metropolen gelten als Touristenmagnete und zählen zehn- bis fünfzehntausend Passanten pro Stunde. Die Einkaufsmeilen der kleineren Innenstädte hingegen haben es schwer.
Viele deutsche Städte bangen gerade um Erhalt oder Übernahme der Galeria-Kaufhof-Filialen. Der einstige Riese unter den Warenhausketten erklärte jüngst erneut Insolvenz, und plant, ein Drittel bis die Hälfte seiner 131 Geschäfte zu schließen. Ohne solche großen Anker, die Menschen in die Zentren locken, drohe vielen Innenstädten “weitere Verödung”, so hört man aus dem Deutschen Städtetag.
Mittlerweile hat Buero.de, ein Onlinehändler für Bürobedarf, Interesse an 47 Karstadt-Kaufhäusern samt Mitarbeitern angemeldet. Doch Experten bezweifeln, dass die Rettung großer Warenhäuser den Niedergang der Innenstädte aufhält.
“Man versucht immer, die Schließung der Kaufhäuser hinauszuzögern und den Status quo zu bewahren. Und doch sind große Warenhäuser seit Jahrzehnten ein Auslaufmodell”, sagt Marion Klemme, zuständig für Stadtentwicklung im Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR). “Menschen sind traurig, wenn ein Kaufhaus schließt. Aber letztendlich kauft man dort eher selten ein, eventuell ein Paar Socken pro Jahr.”
Wenn Klemme in Fernsehen-Reportagen spricht, geht sie manchmal mit Kamerateams nach Troisdorf. Die Stadt mit knapp 75.000 Einwohnern unweit von Bonn bietet eine eindrückliche Kulisse: “Die Handelsflächen in der Fußgängerzone wurden einst überdimensioniert gebaut. Heute dominiert dort Leerstand. Es ist einfach trostlos”, sagt Klemme der DW.
Solche Innenstädte sind für viele Händler ein Schreckgespenst. Laut einer aktuellen Erhebung des EHI Retail Institutes aus Köln glauben 27 Prozent der Händler, dass die Toplagen in Großstädten an Bedeutung verlieren. Für die Stadtkerne der kleineren Orte sehen 30 Prozent der Händler schwarz. Und ganze zwei Drittel nennen Shopping-Malls als Verlierer.
Laut dieser Umfrage sind nur sogenannte Fachmarktzentren ein sicherer Hafen, jene Großgeschäfte also, die etwas abseits liegen, dafür aber eine große Auswahl und günstige Preise bieten.
Der Grund liegt auf die Hand: im letzten Jahr knackte der Online- und Versandhandel in Deutschland die magische Marke von 100 Milliarden Euro. Ein Wachstum von 19 Prozent.
“Corona samt Lockdown, und jetzt Inflation und Energiekrise haben nur den Wandel beschleunigt, der schon länger im Gange ist, jetzt aber auch durch Medieninteresse sichtbarer wird”, sagt Marion Klemme. “Online kann man individueller und bunter kaufen. Der klassische Handel hat somit ein Problem und doch muss es nicht zum Problem der Innenstädte werden – es kann auch eine Chance sein.”
Diese Chance sieht auch Thomas Krüger, der sich mit Stadtplanung bei der HafenCity Universität Hamburg beschäftigt. Die Innenstädte, so der Professor, seien seit Jahrzehnten keine Orte für Menschen – sondern für Konsumenten.
“Sie sind globalisiert und langweilig, beliebige Läden sind austauschbar geworden”, sagt Krüger der DW. “Mancherorts kann man höchstens etwas im Stehen essen. Kinder sind dort gar nicht vorgesehen, auch Alte, Junge oder verschiedene kulturelle Gruppen nicht – nur der Konsument ist gefragt.”
In Gesprächen mit Experten fällt immer wieder der Begriff “Dritter Ort”, der den amerikanischen Soziologen Ray Oldenburg berühmt machte. In seinem Buch “The Great Good Place” von 1989 hebt Oldenburg die Bedeutung sozialer Treffpunkte hervor: Cafés, Buchhandlungen oder auch Friseursalons. Jener Orte also, wo man sich spontan begegnet und austauscht, und die “neutral” sind, im Unterschied zum eigenem Haus oder Arbeitsplatz.
“Das sollte der Weg für europäische Innenstädte sein”, sagt Krüger. “Sie sollten Orte sein, wo man sich gerne mit Freunden trifft. Und eventuell dann nebenbei etwas kauft.”
Marion Klemme vom BBSR spricht von “konsumfreien Angeboten” – die Stadtkerne sollten auch Menschen anziehen, die kein Geld fürs Shoppen haben. “Es braucht mehr Platz für Kultur, Bildung, Spielplätze, grüne Flächen, wo man sich gerne aufhält, auch wenn man nur eine Kugel Eis kauft.”
Menschen mögen zunehmend online einkaufen, und sonst viel Zeit in der digitalen Welt verbringen – Begegnung brauchten sie aber immer noch. “Und sie lieben eigentlich ihre Innenstädte. Die Stadtfeste sind immer bestens besucht, auch das Konzept der Markthallen geht total auf”, meint Klemme.
Auch wenn sich gerade viele Bürgermeister und Bürgermeisterinnen Sorgen machen – schließlich hängen zahlreiche Jobs von den konsumorientierten Innenstädten ab – schauen viele Experten deshalb voller Hoffnung in die Zukunft. Auch Torger Brunken, der Zigarrenspezialist aus Bonn, glaubt, dass es nur besser werden kann. “Schließlich brauchen wir keine Handyläden an jeder zweiten Ecke. Ich hoffe auf smarte Konzepte, sodass es sich für viele Menschen wirklich lohnt, in die Innenstadt zu kommen.”
“Zu vermieten. Provisionsfrei”, steht am Schaufenster vieler Läden der Kaiserpassage, einer mit Glas überdachten Einkaufsmeile in der Bonner Innenstadt. Fast gespenstisch leer ist es in den grau gefliesten, von Licht durchfluteten Gängen. Kaum ein Passant verirrt sich hierher, wo einst lebendige Geschäfte waren.
“Zu mir kommt auch kein Mensch aus der Fußgängerzone spontan vorbei”, sagt Torger Brunken, dessen Laden “Cigar Embassy” einer der wenigen ist. Auf zwei Etagen bietet er kistenweise Rauchwaren, die man auch vor Ort in grünen Loungesesseln entzünden kann.
Angst vor “weiterer Verödung”
Seinen Nachbarn sind Pandemie und steigende Preise zum Verhängnis geworden, aber vor allem die vielen Onlineshops.
“Der Einzelhandel tut sich schwer, es sei denn, man findet eine echte Nische und bietet guten Service an”, meint Brunken. “Hier gegenüber ist ein Kinderschuhladen, der super läuft. Bei mir gibt es nur Zigarren, keine Pfeifen, Schischa oder Lotterie-Scheine. Also kommen Leute, die Zigarren mögen, sehr gezielt hierhin.” Eine Zigarre könne man schließlich online nicht riechen.
Laut Experten ist es schlecht bestellt um die deutschen Innenstädte – wenn sie ausschließlich als Einkaufsmeilen gedacht sind. Die Münchener Kaufingerstraße oder die Frankfurter Zeil werden wohl überleben. Solche Straßen in den Metropolen gelten als Touristenmagnete und zählen zehn- bis fünfzehntausend Passanten pro Stunde. Die Einkaufsmeilen der kleineren Innenstädte hingegen haben es schwer.
Viele deutsche Städte bangen gerade um Erhalt oder Übernahme der Galeria-Kaufhof-Filialen. Der einstige Riese unter den Warenhausketten erklärte jüngst erneut Insolvenz, und plant, ein Drittel bis die Hälfte seiner 131 Geschäfte zu schließen. Ohne solche großen Anker, die Menschen in die Zentren locken, drohe vielen Innenstädten “weitere Verödung”, so hört man aus dem Deutschen Städtetag.
Krisen als Katalysator
Mittlerweile hat Buero.de, ein Onlinehändler für Bürobedarf, Interesse an 47 Karstadt-Kaufhäusern samt Mitarbeitern angemeldet. Doch Experten bezweifeln, dass die Rettung großer Warenhäuser den Niedergang der Innenstädte aufhält.
Orte der Begegnung
“Man versucht immer, die Schließung der Kaufhäuser hinauszuzögern und den Status quo zu bewahren. Und doch sind große Warenhäuser seit Jahrzehnten ein Auslaufmodell”, sagt Marion Klemme, zuständig für Stadtentwicklung im Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR). “Menschen sind traurig, wenn ein Kaufhaus schließt. Aber letztendlich kauft man dort eher selten ein, eventuell ein Paar Socken pro Jahr.”
Wenn Klemme in Fernsehen-Reportagen spricht, geht sie manchmal mit Kamerateams nach Troisdorf. Die Stadt mit knapp 75.000 Einwohnern unweit von Bonn bietet eine eindrückliche Kulisse: “Die Handelsflächen in der Fußgängerzone wurden einst überdimensioniert gebaut. Heute dominiert dort Leerstand. Es ist einfach trostlos”, sagt Klemme der DW.
Solche Innenstädte sind für viele Händler ein Schreckgespenst. Laut einer aktuellen Erhebung des EHI Retail Institutes aus Köln glauben 27 Prozent der Händler, dass die Toplagen in Großstädten an Bedeutung verlieren. Für die Stadtkerne der kleineren Orte sehen 30 Prozent der Händler schwarz. Und ganze zwei Drittel nennen Shopping-Malls als Verlierer.
Laut dieser Umfrage sind nur sogenannte Fachmarktzentren ein sicherer Hafen, jene Großgeschäfte also, die etwas abseits liegen, dafür aber eine große Auswahl und günstige Preise bieten.
Der Grund liegt auf die Hand: im letzten Jahr knackte der Online- und Versandhandel in Deutschland die magische Marke von 100 Milliarden Euro. Ein Wachstum von 19 Prozent.
“Corona samt Lockdown, und jetzt Inflation und Energiekrise haben nur den Wandel beschleunigt, der schon länger im Gange ist, jetzt aber auch durch Medieninteresse sichtbarer wird”, sagt Marion Klemme. “Online kann man individueller und bunter kaufen. Der klassische Handel hat somit ein Problem und doch muss es nicht zum Problem der Innenstädte werden – es kann auch eine Chance sein.”
Diese Chance sieht auch Thomas Krüger, der sich mit Stadtplanung bei der HafenCity Universität Hamburg beschäftigt. Die Innenstädte, so der Professor, seien seit Jahrzehnten keine Orte für Menschen – sondern für Konsumenten.
“Sie sind globalisiert und langweilig, beliebige Läden sind austauschbar geworden”, sagt Krüger der DW. “Mancherorts kann man höchstens etwas im Stehen essen. Kinder sind dort gar nicht vorgesehen, auch Alte, Junge oder verschiedene kulturelle Gruppen nicht – nur der Konsument ist gefragt.”
In Gesprächen mit Experten fällt immer wieder der Begriff “Dritter Ort”, der den amerikanischen Soziologen Ray Oldenburg berühmt machte. In seinem Buch “The Great Good Place” von 1989 hebt Oldenburg die Bedeutung sozialer Treffpunkte hervor: Cafés, Buchhandlungen oder auch Friseursalons. Jener Orte also, wo man sich spontan begegnet und austauscht, und die “neutral” sind, im Unterschied zum eigenem Haus oder Arbeitsplatz.
“Das sollte der Weg für europäische Innenstädte sein”, sagt Krüger. “Sie sollten Orte sein, wo man sich gerne mit Freunden trifft. Und eventuell dann nebenbei etwas kauft.”
Marion Klemme vom BBSR spricht von “konsumfreien Angeboten” – die Stadtkerne sollten auch Menschen anziehen, die kein Geld fürs Shoppen haben. “Es braucht mehr Platz für Kultur, Bildung, Spielplätze, grüne Flächen, wo man sich gerne aufhält, auch wenn man nur eine Kugel Eis kauft.”
Menschen mögen zunehmend online einkaufen, und sonst viel Zeit in der digitalen Welt verbringen – Begegnung brauchten sie aber immer noch. “Und sie lieben eigentlich ihre Innenstädte. Die Stadtfeste sind immer bestens besucht, auch das Konzept der Markthallen geht total auf”, meint Klemme.
Auch wenn sich gerade viele Bürgermeister und Bürgermeisterinnen Sorgen machen – schließlich hängen zahlreiche Jobs von den konsumorientierten Innenstädten ab – schauen viele Experten deshalb voller Hoffnung in die Zukunft. Auch Torger Brunken, der Zigarrenspezialist aus Bonn, glaubt, dass es nur besser werden kann. “Schließlich brauchen wir keine Handyläden an jeder zweiten Ecke. Ich hoffe auf smarte Konzepte, sodass es sich für viele Menschen wirklich lohnt, in die Innenstadt zu kommen.”