40 Jahre Michael Jacksons “Thriller” – Achterbahn der Gefühle
Ein Album, das Musikgeschichte geschrieben hat, ein “King of Pop”, der aus dem Pop-Himmel verstoßen wurde. DW-Redakteurin Silke Wünsch erinnert sich – mit Begeisterung und etwas Unbehagen.
Heutzutage über Michael Jackson zu schreiben, ist nicht einfach. Einerseits ist da dieser unfassbar talentierte Sänger und Tänzer, der die Popmusik in eine andere Dimension gehoben hat. Andererseits ein Mann, der beschuldigt wird, Kinder sexuell missbraucht zu haben.
Über seine Karriere muss ich hier nicht mehr sprechen, darüber ist genug geschrieben worden. Über die Anschuldigungen, die sich nach dem Dokumentarfilm “Leaving Neverland” (2019) mehr als verhärtet haben, möchte ich ebenfalls kein Wort verlieren, die werden für immer an Michael Jackson haften bleiben.
Heutzutage über Michael Jackson zu schreiben, ist nicht einfach. Einerseits ist da dieser unfassbar talentierte Sänger und Tänzer, der die Popmusik in eine andere Dimension gehoben hat. Andererseits ein Mann, der beschuldigt wird, Kinder sexuell missbraucht zu haben.
Ich schreibe hier über ein Musikalbum, das vor 40 Jahren veröffentlicht wurde, das Rekorde gebrochen und Schallmauern durchbrochen hat, das sich bis heute über 100 Millionen Mal verkauft hat – und das heute mit spitzen Fingern angefasst wird, im Radio, in Clubs oder auf Partys.
Musikgeschichte, die nicht weitergeht
Ich schreibe über einen Mann, der meine musikalische Jugend mitgeprägt hat, dessen Musik und Kunst mich beeindruckt hat und von dessen mutmaßlichen Taten die Öffentlichkeit damals noch nichts wusste.
“Thriller”, Jacksons sechstes Studioalbum, erschien am 30. November 1982. Auf dem Cover: Michael Jackson im weißen Anzug. Seine Hautfarbe ist noch Schwarz, aber irgendwie hat er sich schon verändert gegenüber dem Cover seiner letzten Platte “Off The Wall” von 1979. Ist das Gesicht schmaler? Hat er was mit seinen Wangenknochen machen lassen, mit seinen Lippen? Seine Afrolocken jedenfalls sind kürzer und gegelt, wie es in den 1980ern üblich war.
Ich war schon von “Off The Wall” angetan gewesen, von der innovativen Kraft der Songs und des Produzenten Quincy Jones. Den hatte ich als Jazz- und Jazzrock-Fan schon lange bewundert – und dann hatte er plötzlich ein Pop-Album produziert, das so glasklar klang, so rhythmisch und dynamisch, so tanzbar war, dass ich diese Platte rauf und runter gehört habe. Und nun also kam “Thriller”, ebenfalls von Quincy Jones produziert.
Die erste Singleauskoppelung war für mich erst mal recht unspannend – eine wirklich kitschig butterweiche Schnulze, die er zusammen mit Paul McCartney dahinträllerte – “The Girl Is Mine”. Wenige Monate zuvor hatte McCartney zusammen mit Stevie Wonder eine ähnliche Schmonzette hervorgebracht. Mit so etwas konnte mich das “Thriller”-Album noch nicht in den Plattenladen locken.
Als nächstes aber kam “Billie Jean”. Was für ein Sound! Ein Schlagzeug, das einfach nur durch den Song marschiert – und ein pumpender Bass. Synthetische Keyboard-Sounds, eine knackige Gitarre, die nichts macht außer Rhythmus, und an den Disco-Sound der 1970er erinnernde Streicher. Darüber Michael Jackson singend, juchzend, Geräusche ausstoßend.
Im dazugehörigen Musikvideo schlendert und tanzt Jackson durch eine nächtliche Stadt. Alles, was er berührt, wird zu Licht. Es gab noch kein MTV, geschweige denn YouTube. Wir in Deutschland hatten die Musikshow “Formel 1”, im Vorabendprogramm. Dort wurde der Clip gezeigt, immer und immer wieder.
Beeindruckender als das Video ist Jacksons Auftritt zum 25-jährigen Jubiläum des Motown-Plattenlabels. Er steht vor seinem Mikrofonständer, in Glitzerjacke, mit Hut und weißem Glitzerhandschuh und weißen Glitzersocken.
Mit den ersten Takten von “Billie Jean” beginnt er, sich zu bewegen, ruckartig, fast übernatürlich. Er wirkt wie ein Zauberwesen, das Publikum kreischt. Gegen Ende des Songs gibt es eine Instrumentalstrecke. Und hier passiert es: Michael Jackson scheint plötzlich über dem Boden zu schweben, bewegt jedoch seine Füße. Der aberwitzige Tanzschritt – der “Moonwalk” – schlägt ein wie ein Meteorit.
Natürlich stand “Thriller” nun in meinem Plattenschrank. Das war kein Pop-Album, kein Soul oder Funk, das war etwas ganz Neues. Elektronisch – und elektrisierend. Und ich freute mich über die vielen großen Namen jener Zeit, die sich, obwohl sie selber erfolgreich waren, als Studiomusiker die Klinken in die Hände gegeben und auch bei “Thriller” mitgemacht hatten: Steve und Jeff Porcaro sowie Steve Lukather von Toto, Soulsänger James Ingram, Paul McCartney, Eddie Van Halen, Greg Phillinganes, Michaels Schwestern La Toya und Janet, um nur wenige zu nennen.
Jackson hat viele der Songs auf dem Album geschrieben – drei Lieder auf “Thriller” aber stammen vom damals hoch angesehenen Komponisten Rod Temperton. Auch der Titelsong. Und der sollte alles vorherige noch in den Schatten stellen.
In den Kinos war gerade “American Werewolf” gelaufen, eine Horrorkomödie von Regisseur John Landis. Landis konnte nicht nur Horror, sondern er konnte auch Musikfilm – das hatte er zuvor mit den “Blues Brothers” bewiesen. Er sollte das Musikvideo zur Single “Thriller” drehen.
Und Landis schöpfte aus dem Vollen. Er verwandelte den Popstar mit damals noch spektakulären Techniken in einen Werwolf, später im Video steigen Zombies aus ihren Gräbern, und plötzlich wird auch Jackson zum Untoten und führt die Truppe zuckend und tanzend an. Die Tanzszene ist Kult – bis heute.
Kult ist auch die Stimme von Schauspieler Vincent Price, der sich genüsslich über kriechende Kreaturen und fauligen Todesgestank auslässt und uns am Ende des Videos mit einem teuflischen Lachen verabschiedet. Der Clip wird fast 14 Minuten lang und erscheint 1983 – es ist ein Kurzfilm, mit raffinierten Wendungen und allem, was das Popcornkino jener Jahre brauchte.
Problem: Wir in Deutschland konnten das Video nicht einfach so sehen. Wegen der Gruselszenen durfte es erst nach 22 Uhr gezeigt werden. Die Redaktion von “Formel 1” brachte eine Sonderausgabe heraus, quasi in der Nacht.
Und so hockten wir vor der verheißungsvollen Sondersendung und mussten, bis sie endlich das Video zeigten, lange Hintergrundberichte und Gequatsche ertragen. Immerhin, wer das Warten heil überstanden hatte, nicht von Eltern erwischt worden war und auch nicht vor lauter Zombie-Angst hatte weggucken müssen, gehörte am nächsten Tag in der Schule zu den Coolen.
Zwei Mal habe ich Michael Jackson live gesehen. Und konnte mich überzeugen, dass alle legendären Tanzszenen aus den Musikvideos echt waren. Auch das langsame nach vorne Lehnen mit dem ganzen Körper, das Jackson und seine Mittänzer beim Song “Smooth Criminal” performten – bis heute frage ich mich, wie sie für diese Figur so dermaßen die Schwerkraft aufheben konnten.
Michael Jacksons Tod 2009 war ein Schock. Aber auch der Lauf der Dinge: Popstars sterben wie jeder andere, wir mussten uns schon von vielen Idolen viel zu früh verabschieden. Doch das, was nach Jacksons Tod kam, war für mich fast noch schlimmer. Michael Jackson hatte sich bereits zu Lebzeiten eigenhändig demontiert und war für meinen Eindruck mehr und mehr selbst zum Zombie geworden. Seine immer irrwitzigeren Operationen, seine Marotten, die Szene, wo er sein Baby aus dem Fenster seines Hotelzimmers hielt, haben selbst mich verstört. Die Missbrauchsvorwürfe schließlich wollte ich zunächst schwerlich wahrhaben, bedeuteten sie doch die Zerstörung eines meiner Idole.
Heutzutage über Michael Jackson zu schreiben, ist nicht einfach. Einerseits ist da dieser unfassbar talentierte Sänger und Tänzer, der die Popmusik in eine andere Dimension gehoben hat. Andererseits ein Mann, der beschuldigt wird, Kinder sexuell missbraucht zu haben.
Über seine Karriere muss ich hier nicht mehr sprechen, darüber ist genug geschrieben worden. Über die Anschuldigungen, die sich nach dem Dokumentarfilm “Leaving Neverland” (2019) mehr als verhärtet haben, möchte ich ebenfalls kein Wort verlieren, die werden für immer an Michael Jackson haften bleiben.
Musikgeschichte, die nicht weitergeht
Ich schreibe hier über ein Musikalbum, das vor 40 Jahren veröffentlicht wurde, das Rekorde gebrochen und Schallmauern durchbrochen hat, das sich bis heute über 100 Millionen Mal verkauft hat – und das heute mit spitzen Fingern angefasst wird, im Radio, in Clubs oder auf Partys.
Ich schreibe über einen Mann, der meine musikalische Jugend mitgeprägt hat, dessen Musik und Kunst mich beeindruckt hat und von dessen mutmaßlichen Taten die Öffentlichkeit damals noch nichts wusste.
“Thriller”, Jacksons sechstes Studioalbum, erschien am 30. November 1982. Auf dem Cover: Michael Jackson im weißen Anzug. Seine Hautfarbe ist noch Schwarz, aber irgendwie hat er sich schon verändert gegenüber dem Cover seiner letzten Platte “Off The Wall” von 1979. Ist das Gesicht schmaler? Hat er was mit seinen Wangenknochen machen lassen, mit seinen Lippen? Seine Afrolocken jedenfalls sind kürzer und gegelt, wie es in den 1980ern üblich war.
Ich war schon von “Off The Wall” angetan gewesen, von der innovativen Kraft der Songs und des Produzenten Quincy Jones. Den hatte ich als Jazz- und Jazzrock-Fan schon lange bewundert – und dann hatte er plötzlich ein Pop-Album produziert, das so glasklar klang, so rhythmisch und dynamisch, so tanzbar war, dass ich diese Platte rauf und runter gehört habe. Und nun also kam “Thriller”, ebenfalls von Quincy Jones produziert.
“Billie Jean” pumpt sich ins Ohr
Die erste Singleauskoppelung war für mich erst mal recht unspannend – eine wirklich kitschig butterweiche Schnulze, die er zusammen mit Paul McCartney dahinträllerte – “The Girl Is Mine”. Wenige Monate zuvor hatte McCartney zusammen mit Stevie Wonder eine ähnliche Schmonzette hervorgebracht. Mit so etwas konnte mich das “Thriller”-Album noch nicht in den Plattenladen locken.
Als der “Moonwalk” auf die Erde kam
Als nächstes aber kam “Billie Jean”. Was für ein Sound! Ein Schlagzeug, das einfach nur durch den Song marschiert – und ein pumpender Bass. Synthetische Keyboard-Sounds, eine knackige Gitarre, die nichts macht außer Rhythmus, und an den Disco-Sound der 1970er erinnernde Streicher. Darüber Michael Jackson singend, juchzend, Geräusche ausstoßend.
Im dazugehörigen Musikvideo schlendert und tanzt Jackson durch eine nächtliche Stadt. Alles, was er berührt, wird zu Licht. Es gab noch kein MTV, geschweige denn YouTube. Wir in Deutschland hatten die Musikshow “Formel 1”, im Vorabendprogramm. Dort wurde der Clip gezeigt, immer und immer wieder.
Beeindruckender als das Video ist Jacksons Auftritt zum 25-jährigen Jubiläum des Motown-Plattenlabels. Er steht vor seinem Mikrofonständer, in Glitzerjacke, mit Hut und weißem Glitzerhandschuh und weißen Glitzersocken.
“Thriller” setzte neue Maßstäbe
Mit den ersten Takten von “Billie Jean” beginnt er, sich zu bewegen, ruckartig, fast übernatürlich. Er wirkt wie ein Zauberwesen, das Publikum kreischt. Gegen Ende des Songs gibt es eine Instrumentalstrecke. Und hier passiert es: Michael Jackson scheint plötzlich über dem Boden zu schweben, bewegt jedoch seine Füße. Der aberwitzige Tanzschritt – der “Moonwalk” – schlägt ein wie ein Meteorit.
Natürlich stand “Thriller” nun in meinem Plattenschrank. Das war kein Pop-Album, kein Soul oder Funk, das war etwas ganz Neues. Elektronisch – und elektrisierend. Und ich freute mich über die vielen großen Namen jener Zeit, die sich, obwohl sie selber erfolgreich waren, als Studiomusiker die Klinken in die Hände gegeben und auch bei “Thriller” mitgemacht hatten: Steve und Jeff Porcaro sowie Steve Lukather von Toto, Soulsänger James Ingram, Paul McCartney, Eddie Van Halen, Greg Phillinganes, Michaels Schwestern La Toya und Janet, um nur wenige zu nennen.
Nächtliche “Thriller”-Sessions vorm Fernseher
Jackson hat viele der Songs auf dem Album geschrieben – drei Lieder auf “Thriller” aber stammen vom damals hoch angesehenen Komponisten Rod Temperton. Auch der Titelsong. Und der sollte alles vorherige noch in den Schatten stellen.
Person versus Musik
In den Kinos war gerade “American Werewolf” gelaufen, eine Horrorkomödie von Regisseur John Landis. Landis konnte nicht nur Horror, sondern er konnte auch Musikfilm – das hatte er zuvor mit den “Blues Brothers” bewiesen. Er sollte das Musikvideo zur Single “Thriller” drehen.
Und Landis schöpfte aus dem Vollen. Er verwandelte den Popstar mit damals noch spektakulären Techniken in einen Werwolf, später im Video steigen Zombies aus ihren Gräbern, und plötzlich wird auch Jackson zum Untoten und führt die Truppe zuckend und tanzend an. Die Tanzszene ist Kult – bis heute.
Kult ist auch die Stimme von Schauspieler Vincent Price, der sich genüsslich über kriechende Kreaturen und fauligen Todesgestank auslässt und uns am Ende des Videos mit einem teuflischen Lachen verabschiedet. Der Clip wird fast 14 Minuten lang und erscheint 1983 – es ist ein Kurzfilm, mit raffinierten Wendungen und allem, was das Popcornkino jener Jahre brauchte.
Problem: Wir in Deutschland konnten das Video nicht einfach so sehen. Wegen der Gruselszenen durfte es erst nach 22 Uhr gezeigt werden. Die Redaktion von “Formel 1” brachte eine Sonderausgabe heraus, quasi in der Nacht.
Und so hockten wir vor der verheißungsvollen Sondersendung und mussten, bis sie endlich das Video zeigten, lange Hintergrundberichte und Gequatsche ertragen. Immerhin, wer das Warten heil überstanden hatte, nicht von Eltern erwischt worden war und auch nicht vor lauter Zombie-Angst hatte weggucken müssen, gehörte am nächsten Tag in der Schule zu den Coolen.
Zwei Mal habe ich Michael Jackson live gesehen. Und konnte mich überzeugen, dass alle legendären Tanzszenen aus den Musikvideos echt waren. Auch das langsame nach vorne Lehnen mit dem ganzen Körper, das Jackson und seine Mittänzer beim Song “Smooth Criminal” performten – bis heute frage ich mich, wie sie für diese Figur so dermaßen die Schwerkraft aufheben konnten.
Michael Jacksons Tod 2009 war ein Schock. Aber auch der Lauf der Dinge: Popstars sterben wie jeder andere, wir mussten uns schon von vielen Idolen viel zu früh verabschieden. Doch das, was nach Jacksons Tod kam, war für mich fast noch schlimmer. Michael Jackson hatte sich bereits zu Lebzeiten eigenhändig demontiert und war für meinen Eindruck mehr und mehr selbst zum Zombie geworden. Seine immer irrwitzigeren Operationen, seine Marotten, die Szene, wo er sein Baby aus dem Fenster seines Hotelzimmers hielt, haben selbst mich verstört. Die Missbrauchsvorwürfe schließlich wollte ich zunächst schwerlich wahrhaben, bedeuteten sie doch die Zerstörung eines meiner Idole.
Blende ich all dies aus – dann bleibt für mich ein Mann mit einer großen musikalischen und künstlerischen Gabe übrig, der Anfang der 1980er-Jahre mit dem Album “Thriller” Musikgeschichte geschrieben hat.
Nun erscheint “Thriller” zum 40-jährigen Jubiläum in einer Sonderedition. Darauf sind unter anderem auch Remixe, die 2008 zum 25-Jährigen erschienen sind und zahlreiche weitere Bonustracks.
Nun erscheint “Thriller” zum 40-jährigen Jubiläum in einer Sonderedition. Darauf sind unter anderem auch Remixe, die 2008 zum 25-Jährigen erschienen sind und zahlreiche weitere Bonustracks.