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Jesiden im Irak: Hohe Erwartungen an Deutschland

Im Januar erkannte der Bundestag die Verbrechen an den Jesiden im Irak als Völkermord an. Nun besuchte der Religions- und Weltanschauungsbeauftragte der Bundesregierung die Region – und berichtet von anhaltendem Leid.

Für knapp eine Woche hat der Religions- und Weltanschauungsbeauftragte der Bundesregierung, Frank Schwabe, den Irak besucht. Dabei hat er die Lage der Jesidinnen und Jesiden sowie anderer religiöser Minderheiten in den Blick genommen. Bei Gesprächen in Bagdad, Erbil und Dohuk und einem Besuch im Sindschar, dem Hauptsiedlungsgebiet der Jesiden im Irak, ging es um den Wiederaufbau. Aber auch um die Perspektive der Wiederansiedlung Geflüchteter. Jetzt ist er zurückgekehrt und äußert sich im Interview mit der Deutschen Welle. “Die Lage bleibt schwierig”, sagt er. “Es droht weiterhin, dass Religionen, die seit Jahrhunderten oder Jahrtausenden in der Region verwurzelt waren, marginalisiert werden oder gar verschwinden.”

Deutsche Welle: Herr Schwabe, im Januar hat der Bundestag die Verbrechen an den Jesidinnen und Jesiden als Völkermord eingestuft. Spielt diese Haltung der deutschen Politik vor Ort eine Rolle?

Für knapp eine Woche hat der Religions- und Weltanschauungsbeauftragte der Bundesregierung, Frank Schwabe, den Irak besucht. Dabei hat er die Lage der Jesidinnen und Jesiden sowie anderer religiöser Minderheiten in den Blick genommen. Bei Gesprächen in Bagdad, Erbil und Dohuk und einem Besuch im Sindschar, dem Hauptsiedlungsgebiet der Jesiden im Irak, ging es um den Wiederaufbau. Aber auch um die Perspektive der Wiederansiedlung Geflüchteter. Jetzt ist er zurückgekehrt und äußert sich im Interview mit der Deutschen Welle. “Die Lage bleibt schwierig”, sagt er. “Es droht weiterhin, dass Religionen, die seit Jahrhunderten oder Jahrtausenden in der Region verwurzelt waren, marginalisiert werden oder gar verschwinden.”

Frank Schwabe: Alle Gesprächspartner haben sich auf diesen Beschluss des Bundestags bezogen. Deutschland wird im ganzen Irak und insbesondere in der Region Kurdistan-Irak hoch geschätzt. Der Beschluss hat ein enormes Echo im Irak gefunden. Auch durch die rund 200.000 Jesidinnen und Jesiden in Deutschland kommt uns eine besondere Verantwortung zu. Es ist eine Mischung aus Dankbarkeit, aber auch eine hohe Erwartung. Wir haben die Möglichkeit einer sehr gestaltenden Außen- und Entwicklungspolitik. Deshalb bleiben wir über das bisherige Engagement hinaus weiter aktiv und wollen die 20 Forderungen des Bundestagsbeschlusses in die Tat umsetzen.

DW: Der Völkermord begann Anfang August 2014. Aber immer noch sind viele Jesidinnen und Jesiden ohne jedes Wissen um den Verbleib Ihrer Angehörigen. Inwiefern dauert das Leid der Menschen im Irak, gerade im Sindschar-Gebirge, noch an?

Schwabe: Deutschland unterstützt Projekte, die sich der Aufgabe widmen, Licht in den Verbleib von Vermissten zu bringen. Dort werden Fälle dokumentiert. Um den Angehörigen zu helfen, aber auch um eine Strafverfolgung betreiben zu können. Ansonsten sind hunderttausende Jesidinnen und Jesiden weiterhin vertrieben. Wie auch viele Chrstinnen und Christen und andere religiöse Minderheiten wie die Mandäer. Deutlich über 100.000 Jesidinnen und Jesiden leben weiterhin in Camps. Die meisten seit mittlerweile neun Jahren ohne wirkliche Perspektive. Viele jesidische Frauen leben immer noch bei ihren Peinigern. Weil sie nicht wissen, wohin sie sollen.

DW: Sehen Sie eine konkrete Rückkehrperspektive für Menschen, die in den Nordirak zurückkehren wollen?

Schwabe: Das Gebiet der Region Kurdistan-Irak ist im Grunde relativ sicher und entwickelt sich wirtschaftlich gut. Riesige Einnahmen durch den Ölverkauf machen das möglich. Man kann aber nicht generalisieren. Es gibt Gegenden, die im Spiel der unterschiedlichen Milizen nicht sicher sind. Und es gibt einen grundsätzlich hohen Druck auf religiöse und ethnische Minderheiten. Für das Gebiet rund um Sindschar braucht es eine Sicherheitsperspektive unter Einigung der irakischen Zentralregierung und der nordirakischen Regionalregierung. Deutschland kann dabei gemeinsam mit anderen Staaten eine begleitende Rolle spielen.

DW: Im Irak lebten einst neben einer muslimischen Mehrheit aus Schiiten und Sunniten auch Jesiden und Christen unterschiedlicher Kirchen. Sehr bewusst hat Papst Franziskus diese multireligiöse Struktur angesprochen, als er 2021 den Irak besuchte. Ist von dieser Vielfalt noch irgendetwas zu spüren?

Schwabe: Die Religionen, auch in der Vielfalt christlicher Kirchen, sind noch vorhanden. Aber die Zahl der Angehörigen der Religionen und religiös-ethnischen Gemeinschaften ist in kurzer Zeit dramatisch geschrumpft. Mit dem zumindest militärischen Sieg über den IS hat die konkrete Bedrohung für Leib und Leben abgenommen. Aber die Lage bleibt schwierig. Es droht weiterhin, dass Religionen, die seit Jahrhunderten oder Jahrtausenden in der Region verwurzelt waren, marginalisiert werden oder gar verschwinden. Es gibt Ansätze für ein friedliches Miteinander, die wir auch aus Deutschland unterstützen. Aber die Herausforderungen sind anhaltend groß.

Frank Schwabe (SPD) ist seit Januar 2022 Religions- und Weltanschauungsbeauftragter der Bundesregierung.

Das Interview führte Christoph Strack.

Der Religions- und Weltanschauungsbeauftragte der Bundesregierung, Frank Schwabe, läuft gemeinsam mit anderen Menschen zu einem Termin, Irak, April 2023

Für knapp eine Woche hat der Religions- und Weltanschauungsbeauftragte der Bundesregierung, Frank Schwabe, den Irak besucht. Dabei hat er die Lage der Jesidinnen und Jesiden sowie anderer religiöser Minderheiten in den Blick genommen. Bei Gesprächen in Bagdad, Erbil und Dohuk und einem Besuch im Sindschar, dem Hauptsiedlungsgebiet der Jesiden im Irak, ging es um den Wiederaufbau. Aber auch um die Perspektive der Wiederansiedlung Geflüchteter. Jetzt ist er zurückgekehrt und äußert sich im Interview mit der Deutschen Welle. “Die Lage bleibt schwierig”, sagt er. “Es droht weiterhin, dass Religionen, die seit Jahrhunderten oder Jahrtausenden in der Region verwurzelt waren, marginalisiert werden oder gar verschwinden.”

Deutsche Welle: Herr Schwabe, im Januar hat der Bundestag die Verbrechen an den Jesidinnen und Jesiden als Völkermord eingestuft. Spielt diese Haltung der deutschen Politik vor Ort eine Rolle?

Frank Schwabe: Alle Gesprächspartner haben sich auf diesen Beschluss des Bundestags bezogen. Deutschland wird im ganzen Irak und insbesondere in der Region Kurdistan-Irak hoch geschätzt. Der Beschluss hat ein enormes Echo im Irak gefunden. Auch durch die rund 200.000 Jesidinnen und Jesiden in Deutschland kommt uns eine besondere Verantwortung zu. Es ist eine Mischung aus Dankbarkeit, aber auch eine hohe Erwartung. Wir haben die Möglichkeit einer sehr gestaltenden Außen- und Entwicklungspolitik. Deshalb bleiben wir über das bisherige Engagement hinaus weiter aktiv und wollen die 20 Forderungen des Bundestagsbeschlusses in die Tat umsetzen.

DW: Der Völkermord begann Anfang August 2014. Aber immer noch sind viele Jesidinnen und Jesiden ohne jedes Wissen um den Verbleib Ihrer Angehörigen. Inwiefern dauert das Leid der Menschen im Irak, gerade im Sindschar-Gebirge, noch an?

Schwabe: Deutschland unterstützt Projekte, die sich der Aufgabe widmen, Licht in den Verbleib von Vermissten zu bringen. Dort werden Fälle dokumentiert. Um den Angehörigen zu helfen, aber auch um eine Strafverfolgung betreiben zu können. Ansonsten sind hunderttausende Jesidinnen und Jesiden weiterhin vertrieben. Wie auch viele Chrstinnen und Christen und andere religiöse Minderheiten wie die Mandäer. Deutlich über 100.000 Jesidinnen und Jesiden leben weiterhin in Camps. Die meisten seit mittlerweile neun Jahren ohne wirkliche Perspektive. Viele jesidische Frauen leben immer noch bei ihren Peinigern. Weil sie nicht wissen, wohin sie sollen.

DW: Sehen Sie eine konkrete Rückkehrperspektive für Menschen, die in den Nordirak zurückkehren wollen?

Schwabe: Das Gebiet der Region Kurdistan-Irak ist im Grunde relativ sicher und entwickelt sich wirtschaftlich gut. Riesige Einnahmen durch den Ölverkauf machen das möglich. Man kann aber nicht generalisieren. Es gibt Gegenden, die im Spiel der unterschiedlichen Milizen nicht sicher sind. Und es gibt einen grundsätzlich hohen Druck auf religiöse und ethnische Minderheiten. Für das Gebiet rund um Sindschar braucht es eine Sicherheitsperspektive unter Einigung der irakischen Zentralregierung und der nordirakischen Regionalregierung. Deutschland kann dabei gemeinsam mit anderen Staaten eine begleitende Rolle spielen.

DW: Im Irak lebten einst neben einer muslimischen Mehrheit aus Schiiten und Sunniten auch Jesiden und Christen unterschiedlicher Kirchen. Sehr bewusst hat Papst Franziskus diese multireligiöse Struktur angesprochen, als er 2021 den Irak besuchte. Ist von dieser Vielfalt noch irgendetwas zu spüren?

Schwabe: Die Religionen, auch in der Vielfalt christlicher Kirchen, sind noch vorhanden. Aber die Zahl der Angehörigen der Religionen und religiös-ethnischen Gemeinschaften ist in kurzer Zeit dramatisch geschrumpft. Mit dem zumindest militärischen Sieg über den IS hat die konkrete Bedrohung für Leib und Leben abgenommen. Aber die Lage bleibt schwierig. Es droht weiterhin, dass Religionen, die seit Jahrhunderten oder Jahrtausenden in der Region verwurzelt waren, marginalisiert werden oder gar verschwinden. Es gibt Ansätze für ein friedliches Miteinander, die wir auch aus Deutschland unterstützen. Aber die Herausforderungen sind anhaltend groß.

Frank Schwabe (SPD) ist seit Januar 2022 Religions- und Weltanschauungsbeauftragter der Bundesregierung.

Das Interview führte Christoph Strack.

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