Deutschland

Die Deutschen und ihr Patriotismus

Konservative Parteien in Deutschland sind der Meinung, dass das Land mehr Patriotismus braucht, um es zu einen. Aber was bedeutet das für Deutschland?

Die CDU/CSU, größte Oppositionspartei im Deutschen Bundestag, hat dem Parlament einen Vorschlag vorgelegt, der einen Nerv trifft. Im Kern geht es um eine Frage, die die Deutschen seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs umtreibt: Können sie wieder stolz darauf sein, Deutsche zu sein?

Die konservative Partei will den “Tag des Grundgesetzes” am 23. Mai, der an die Verabschiedung der deutschen Verfassung im Jahr 1949 erinnert, zu einem nationalen Gedenktag aufwerten und schlägt ein Bundesprogramm für Patriotismus vor. Es beinhaltet:

Die CDU/CSU, größte Oppositionspartei im Deutschen Bundestag, hat dem Parlament einen Vorschlag vorgelegt, der einen Nerv trifft. Im Kern geht es um eine Frage, die die Deutschen seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs umtreibt: Können sie wieder stolz darauf sein, Deutsche zu sein?

Der “Tag der Deutschen Einheit” am 3. Oktober, der an die Wiedervereinigung der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik, der ostdeutschen DDR, im Jahr 1990 erinnert, soll “von deutlich mehr Bürgern als ein verbindender nationaler Erlebnismoment und nicht schlicht nur als arbeitsfreier Tag erlebt werden.

Auch Einwanderer sollen angesprochen werden

Die Christdemokraten setzen sich für einen “modernen Patriotismus” ein, der inklusiv wirken soll, auch auf Einwanderer. In Deutschland lebende Ausländer sollen von den “verbindenden und einladenden Potentialen des Patriotismus angesprochen werden und ihre Identifikation mit dem deutschen Staat” dadurch “gestärkt” werden. Patriotismus habe “Potenzial” und das dürfe nicht an den politischen Rand gedrängt werden.

Die CDU hofft, das Thema Patriotismus ihrem politischen Rivalen von rechts, der Alternative für Deutschland (AfD), abzutrotzen. Ein neuer Nationalstolz würde der “zunehmenden Polarisierung und Zersplitterung unserer Gesellschaft” entgegenwirken, schreiben CDU-Parteichef Friedrich Merz und sein CSU-Fraktionskollege Alexander Dobrindt in ihrem Antrag.

Das Problem mit deutschem Patriotismus ist fast so alt wie die Bundesrepublik selbst. Nationalstolz war nach dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr angesagt. Die Verletzungen und Narben sind bis heute zu spüren und wirken nach.

Eine Umfrage des Insa-Instituts aus dem Jahr 2021 ergab, dass 61 Prozent der Deutschen der Meinung sind, die Schulen sollten bei den Kindern einen “positiveren” Bezug zu Deutschland fördern. Doch was das genau bedeuten könnte, ist unklar, denn durch die deutsche Geschichte ist der Umgang mit Patriotismus problematisch.

“Wer kann sich schon unreflektiert und ohne Hemmungen zur deutschen Nation bekennen?”, fragte Martin Sabrow, Historiker am Leibniz-Zentrum für Zeitgeschichte in Potsdam. “Es gibt ein Holocaust-Mahnmal im Regierungsviertel [in Berlin] mit Stelen, die an sechs Millionen ermordete Juden und wie viele Millionen Menschen auch immer erinnert, die im Krieg umgekommen sind. Es wäre seltsam, wenn wir nicht ein mulmiges Gefühl im Umgang mit unserer Nationalität hätten.”

Es gibt auch noch ältere Gründe, warum Patriotismus in Deutschland nicht so selbstverständlich ist wie anderswo. Die deutschen Nationalfarben – Schwarz, Rot und Gold – haben eine wechselhafte und stark politisierte Geschichte. Nur selten haben sie die Deutschen so vereint, wie es beispielsweise die amerikanischen Stars and Stripes oder der britische Union Jack immer taten.

Die Farben schwarz-rot-gold wurden erstmals von einzelnen Korps der preußischen Armee geschwenkt, die für die Befreiung Europas von Napoleon kämpften. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts etablierten sie sich als Nationalfarben des Deutschen Bundes, und die Flagge selbst wurde von der Nationalversammlung nach den Revolutionen von 1848 angenommen, als sich nationale Identität, Freiheit und individuelle Rechte mit einer antimonarchistischen Welle verbanden.

Schon 1871, als Preußens Macht wuchs und die Monarchie sich wieder durchsetzte, wechselte die Flagge. Schwarz, Weiß und Rot wurden zu den Farben des neuen Deutschen Reichs erklärt. Als Kaiser Wilhelm II. gestürzt wurde und 1919 die Weimarer Republik ausgerufen wurde, wechselten die Farben erneut auf schwarz-rot-gold – um 1934 von den Nationalsozialisten wieder abgeschafft zu werden.

Auch nach dem Zweiten Weltkrieg waren die Nationalfarben umstritten. “Es gab einen Streit mit der DDR”, erklärt der Historiker Sabrow und erinnert an die Gründung der Deutschen Demokratischen Republik 1949. “Sie waren eigentlich die Ersten, die Schwarz-Rot-Gold genommen haben, und erst danach hat der Westen nachgezogen.” Die Farbkombination habe nie eine Tradition gehabt, die von verschiedenen politischen Lagern als selbstverständlich angesehen wird.

Erst vor zwei Jahrzehnten begannen die Deutschen, unverkrampfter mit ihren Nationalfarben umzugehen und sie auch öffentlich selbstverständlicher zu tragen. Vor allem, wenn es um die Unterstützung ihrer Sportmannschaften geht.

Die Fußballweltmeisterschaft 2006 der Männer, die in Deutschland ausgetragen wurde, wird oft als der Beginn eines neuen positiven, optimistischen Patriotismus bezeichnet. Während des Turniers, das in seinem Verlauf den Beinamen “Sommermärchen” bekam, wehte die deutsche Nationalflagge von unzähligen Balkonen und Außenspiegeln, und die Nation stellte sich hinter eine (auffallend multikulturelle) Sportmannschaft.

Doch in den letzten Jahren wurden die schwarz-rot-goldenen Farben und das Thema Patriotismus zunehmend von rechtsextremen politischen Kräften wie der islamfeindlichen PEGIDA-Bewegung und der 2013 gegründeten rechtspopulistischen AfD vereinnahmt, die sich gegen Einwanderung einsetzt.

Die CDU hat es sich nun zur Aufgabe gemacht, den Nationalstolz von der extremen Rechten zurückzuerobern. Sie versucht aber auch, so der Politologe Uwe Jun von der Universität Trier, die Tradition des “Verfassungspatriotismus” wiederherzustellen – also eines Patriotismus, der nicht in der nationalen Identität, sondern in den Werten des deutschen Grundgesetzes wurzelt. “Sie sagen: Dieses Grundgesetz, das eine stabile Demokratie in Deutschland geschaffen hat, sollte zum Anlass genommen werden, um zu feiern”, so Jun gegenüber der DW.

Jun ist sich jedoch nicht sicher, ob das häufigere Zeigen der Flagge dazu beitragen kann, dass die CDU für AfD-Wähler wieder attraktiver wird. Die Rechtspopulisten haben in den Meinungsumfragen in den vergangenen Monaten immer weiter zugelegt und ihre Zustimmungswerte waren noch nie so hoch. “Das wird schwierig”, sagt der Politologe. Viele AfD-Kernwähler seien Protestwähler, die Parteien aus der politischen Mitte wie der CDU misstrauten.

Der Historiker Sabrow ist ebenfalls skeptisch. “Es ist ein Versuch, zu einer sogenannten Normalität zurückkehren zu wollen, ohne die eigene historische Verantwortung zu leugnen”, sagte er. “Aber ich halte solche Versuche für völlig nutzlos. Ich glaube nicht, dass es in der modernen Gesellschaft möglich ist, eine solche Bindung von oben zu verordnen.”

Mitarbeit: Grzegorz Szymanowski

Der Text wurde aus dem Englischen adaptiert

Berlin | Holocaust-Gedenktag. Kerzen stehen am Vorabend des Internationalen Tags des Gedenkens an die Opfer des Holocaust zwischen den Stelen des Denkmals für die ermordeten Juden Europas.
Das Foto zeigt vier Fahnen mit den Farben schwarz, weiß und rot. Spiegelverkehrt ist auf einer Fahne Meine Heimat zu lesen.

Die CDU/CSU, größte Oppositionspartei im Deutschen Bundestag, hat dem Parlament einen Vorschlag vorgelegt, der einen Nerv trifft. Im Kern geht es um eine Frage, die die Deutschen seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs umtreibt: Können sie wieder stolz darauf sein, Deutsche zu sein?

Die konservative Partei will den “Tag des Grundgesetzes” am 23. Mai, der an die Verabschiedung der deutschen Verfassung im Jahr 1949 erinnert, zu einem nationalen Gedenktag aufwerten und schlägt ein Bundesprogramm für Patriotismus vor. Es beinhaltet:

Auch Einwanderer sollen angesprochen werden

Der “Tag der Deutschen Einheit” am 3. Oktober, der an die Wiedervereinigung der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik, der ostdeutschen DDR, im Jahr 1990 erinnert, soll “von deutlich mehr Bürgern als ein verbindender nationaler Erlebnismoment und nicht schlicht nur als arbeitsfreier Tag erlebt werden.

Die Christdemokraten setzen sich für einen “modernen Patriotismus” ein, der inklusiv wirken soll, auch auf Einwanderer. In Deutschland lebende Ausländer sollen von den “verbindenden und einladenden Potentialen des Patriotismus angesprochen werden und ihre Identifikation mit dem deutschen Staat” dadurch “gestärkt” werden. Patriotismus habe “Potenzial” und das dürfe nicht an den politischen Rand gedrängt werden.

Die CDU hofft, das Thema Patriotismus ihrem politischen Rivalen von rechts, der Alternative für Deutschland (AfD), abzutrotzen. Ein neuer Nationalstolz würde der “zunehmenden Polarisierung und Zersplitterung unserer Gesellschaft” entgegenwirken, schreiben CDU-Parteichef Friedrich Merz und sein CSU-Fraktionskollege Alexander Dobrindt in ihrem Antrag.

Das Problem mit deutschem Patriotismus ist fast so alt wie die Bundesrepublik selbst. Nationalstolz war nach dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr angesagt. Die Verletzungen und Narben sind bis heute zu spüren und wirken nach.

Eine Kultur des Stolzes, eine Kultur der Scham

Eine Umfrage des Insa-Instituts aus dem Jahr 2021 ergab, dass 61 Prozent der Deutschen der Meinung sind, die Schulen sollten bei den Kindern einen “positiveren” Bezug zu Deutschland fördern. Doch was das genau bedeuten könnte, ist unklar, denn durch die deutsche Geschichte ist der Umgang mit Patriotismus problematisch.

Schwarz, Rot und Gold: Umstrittene Farben in Deutschland

“Wer kann sich schon unreflektiert und ohne Hemmungen zur deutschen Nation bekennen?”, fragte Martin Sabrow, Historiker am Leibniz-Zentrum für Zeitgeschichte in Potsdam. “Es gibt ein Holocaust-Mahnmal im Regierungsviertel [in Berlin] mit Stelen, die an sechs Millionen ermordete Juden und wie viele Millionen Menschen auch immer erinnert, die im Krieg umgekommen sind. Es wäre seltsam, wenn wir nicht ein mulmiges Gefühl im Umgang mit unserer Nationalität hätten.”

Es gibt auch noch ältere Gründe, warum Patriotismus in Deutschland nicht so selbstverständlich ist wie anderswo. Die deutschen Nationalfarben – Schwarz, Rot und Gold – haben eine wechselhafte und stark politisierte Geschichte. Nur selten haben sie die Deutschen so vereint, wie es beispielsweise die amerikanischen Stars and Stripes oder der britische Union Jack immer taten.

Die Farben schwarz-rot-gold wurden erstmals von einzelnen Korps der preußischen Armee geschwenkt, die für die Befreiung Europas von Napoleon kämpften. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts etablierten sie sich als Nationalfarben des Deutschen Bundes, und die Flagge selbst wurde von der Nationalversammlung nach den Revolutionen von 1848 angenommen, als sich nationale Identität, Freiheit und individuelle Rechte mit einer antimonarchistischen Welle verbanden.

Schwarz-Rot-Gold wurde immer wieder abgeschafft

Schon 1871, als Preußens Macht wuchs und die Monarchie sich wieder durchsetzte, wechselte die Flagge. Schwarz, Weiß und Rot wurden zu den Farben des neuen Deutschen Reichs erklärt. Als Kaiser Wilhelm II. gestürzt wurde und 1919 die Weimarer Republik ausgerufen wurde, wechselten die Farben erneut auf schwarz-rot-gold – um 1934 von den Nationalsozialisten wieder abgeschafft zu werden.

Auch nach dem Zweiten Weltkrieg waren die Nationalfarben umstritten. “Es gab einen Streit mit der DDR”, erklärt der Historiker Sabrow und erinnert an die Gründung der Deutschen Demokratischen Republik 1949. “Sie waren eigentlich die Ersten, die Schwarz-Rot-Gold genommen haben, und erst danach hat der Westen nachgezogen.” Die Farbkombination habe nie eine Tradition gehabt, die von verschiedenen politischen Lagern als selbstverständlich angesehen wird.

Die Deutschen und ihr “Sommermärchen”

Erst vor zwei Jahrzehnten begannen die Deutschen, unverkrampfter mit ihren Nationalfarben umzugehen und sie auch öffentlich selbstverständlicher zu tragen. Vor allem, wenn es um die Unterstützung ihrer Sportmannschaften geht.

Vereinnahmung von rechts

Die Fußballweltmeisterschaft 2006 der Männer, die in Deutschland ausgetragen wurde, wird oft als der Beginn eines neuen positiven, optimistischen Patriotismus bezeichnet. Während des Turniers, das in seinem Verlauf den Beinamen “Sommermärchen” bekam, wehte die deutsche Nationalflagge von unzähligen Balkonen und Außenspiegeln, und die Nation stellte sich hinter eine (auffallend multikulturelle) Sportmannschaft.

Das Foto zeigt eine Aufnahme vom 24.6.2023, dem Todestag Walther Rathenaus. Ein geschmückter Wagen nimmt an einer Gedenkfahrt teil. Auf dem Wagen stehen Menschen und halten schwarz-rot-goldene Fahnen,

Doch in den letzten Jahren wurden die schwarz-rot-goldenen Farben und das Thema Patriotismus zunehmend von rechtsextremen politischen Kräften wie der islamfeindlichen PEGIDA-Bewegung und der 2013 gegründeten rechtspopulistischen AfD vereinnahmt, die sich gegen Einwanderung einsetzt.

Die CDU hat es sich nun zur Aufgabe gemacht, den Nationalstolz von der extremen Rechten zurückzuerobern. Sie versucht aber auch, so der Politologe Uwe Jun von der Universität Trier, die Tradition des “Verfassungspatriotismus” wiederherzustellen – also eines Patriotismus, der nicht in der nationalen Identität, sondern in den Werten des deutschen Grundgesetzes wurzelt. “Sie sagen: Dieses Grundgesetz, das eine stabile Demokratie in Deutschland geschaffen hat, sollte zum Anlass genommen werden, um zu feiern”, so Jun gegenüber der DW.

Jun ist sich jedoch nicht sicher, ob das häufigere Zeigen der Flagge dazu beitragen kann, dass die CDU für AfD-Wähler wieder attraktiver wird. Die Rechtspopulisten haben in den Meinungsumfragen in den vergangenen Monaten immer weiter zugelegt und ihre Zustimmungswerte waren noch nie so hoch. “Das wird schwierig”, sagt der Politologe. Viele AfD-Kernwähler seien Protestwähler, die Parteien aus der politischen Mitte wie der CDU misstrauten.

Der Historiker Sabrow ist ebenfalls skeptisch. “Es ist ein Versuch, zu einer sogenannten Normalität zurückkehren zu wollen, ohne die eigene historische Verantwortung zu leugnen”, sagte er. “Aber ich halte solche Versuche für völlig nutzlos. Ich glaube nicht, dass es in der modernen Gesellschaft möglich ist, eine solche Bindung von oben zu verordnen.”

Mitarbeit: Grzegorz Szymanowski

Der Text wurde aus dem Englischen adaptiert

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