Ukraine: Entscheidet die Eisenbahn den Krieg?
Im Ukrainekrieg nimmt Russland zunehmend ukrainische Bahnanlagen ins Visier. Tatsächlich hat sich die Eisenbahn zu einem der wichtigsten Logistik-Instrumente Kiews entwickelt – und zu einem Symbol des Widerstands.
Noch rollen sie, die Züge der Ukrsalisnyzja. Die ukrainische Bahngesellschaft berichtete am Mittwochabend lapidar, lediglich 20 Fernzüge hätten Verspätungen von bis zu zwölf Stunden. Dabei hatte die russische Armee in den vergangenen zwei Wochen ihre Angriffe auf das ukrainische Eisenbahnnetz im ganzen Land deutlich intensiviert. Am Mittwoch wurde eine Eisenbahnbrücke über den Fluss Dnipro schwer beschädigt. In der Nacht zuvor hatte es mehrere Eisenbahnstationen im Westen und Süden der Ukraine getroffen. Bereits zuvor waren mehrere Bahnhöfe ins Visier genommen worden, wie jener von Kramatorsk im Osten, wo bei einem Bombenangriff Anfang April mindestens 50 Menschen starben. Vor allem Provinzbahnhöfe, Umspannwerke und Eisenbahnbrücken werden zunehmend zum Ziel russischer Raketen.
Die veränderte Taktik der Russen hat einen triftigen Grund. In den ersten zwei Monaten des Krieges hat sich die ukrainische Eisenbahngesellschaft zum wichtigsten Logistik-Unternehmen des Landes gemausert. Rund 22.000 Kilometer umfasst das Schienennetz der Ukraine. Die Bahn war mit mehr als 230.000 Mitarbeitern schon vor Kriegsbeginn einer der größten Arbeitgeber des Landes. Erst vor zehn Jahren, pünktlich zur Fußball-Europameisterschaft 2012, hatte das Land rund 700 Millionen Euro in die Verbesserung der Schieneninfrastruktur und des Fahrzeugparks gesteckt, so dass die ukrainische Eisenbahn heute relativ modern aufgestellt ist.
Noch rollen sie, die Züge der Ukrsalisnyzja. Die ukrainische Bahngesellschaft berichtete am Mittwochabend lapidar, lediglich 20 Fernzüge hätten Verspätungen von bis zu zwölf Stunden. Dabei hatte die russische Armee in den vergangenen zwei Wochen ihre Angriffe auf das ukrainische Eisenbahnnetz im ganzen Land deutlich intensiviert. Am Mittwoch wurde eine Eisenbahnbrücke über den Fluss Dnipro schwer beschädigt. In der Nacht zuvor hatte es mehrere Eisenbahnstationen im Westen und Süden der Ukraine getroffen. Bereits zuvor waren mehrere Bahnhöfe ins Visier genommen worden, wie jener von Kramatorsk im Osten, wo bei einem Bombenangriff Anfang April mindestens 50 Menschen starben. Vor allem Provinzbahnhöfe, Umspannwerke und Eisenbahnbrücken werden zunehmend zum Ziel russischer Raketen.
Zwar gibt es auch ein großes Netz von Fernverkehrsstraßen im Land, doch ist nur ein Bruchteil davon – insbesondere in der Umgebung großer Städte – mehrspurig ausgebaut. Viele Fernverkehrsstraßen sind hingegen in äußerst schlechtem Zustand und für den Transport schwerer Güter eher ungeeignet.
Überlebenswichtiges Schienennetz
Und so ist gerade die Eisenbahn zum Symbol für den ukrainischen Widerstand geworden. Sie bringt Waffen und Hilfsgüter in den Ostteil des Landes. Sie evakuiert Millionen von Menschen, die vor den Kampfhandlungen fliehen. Mittlerweile transportiert sie zunehmend auch Familien zurück in Gebiete, die zuvor von russischen Truppen besetzt waren. Sie brachte wichtige Staatsgäste nach Kiew, etwa US-Außenminister Blinken, EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen oder den deutschen Oppositionschef Friedrich Merz. Und auch beim Transport von Ausfuhrgütern spielt die Eisenbahn eine immer wichtigere Rolle. Vor Kriegsbeginn wickelte das Land mehr als 50 Prozent seiner Im- und Exporte über den Seehafen von Odessa ab. Seit Beginn der russischen Seeblockade versucht die Ukraine nun aber zunehmend, Güter wie Weizen, Kohle, Stahl oder chemische Produkte über die Schiene ins westliche Ausland zu exportieren.
Dabei hat sich das Eisenbahnsystem in den ersten Kriegsmonaten als erstaunlich robust und anpassungsfähig erwiesen. Das Schienennetz ist weit verzweigt; werden Streckenabschnitte bombardiert, gelingt es häufig schnell, Ausweichrouten zu finden. “In einigen Fällen können wir beschädigte Bahnlinien in nur wenigen Stunden wieder reparieren”, berichtete Oleksandr Pertsovskyi, Leiter des Personenzuggeschäfts von Ukrsalisnyzja, noch Anfang der Woche gegenüber dem US-Nachrichtensender NBC. Die Führungsstruktur sei jetzt “flach”, sagt sein Chef Oleksandr Kamyshin gegenüber CNN. Streckenverantwortliche könnten vor Ort Entscheidungen treffen, ohne die Erlaubnis der Vorgesetzten einzuholen. Reparaturen könnten ohne Bürokratie in einem Bruchteil der üblichen Zeit durchgeführt werden. Zerstörte oder beschädigte Brücken seien zwar nicht so schnell zu reparieren, aber “unter dem Strich können wir das System trotz sich verstärkender Angriffe weiter betreiben”, so Pertsovskyi.
Dennoch wird die Aufgabe von Tag zu Tag schwieriger: Bahnmitarbeiter müssen Strecken planen, die besonders gefährliche Gebiete vermeiden. Zeitpläne müssen oft spontan geändert werden; sie werden über Social-Media-Kanäle der Bahngesellschaft bekannt gegeben. Und die Zahl der Raketenangriffe auf die Gleisanlagen nimmt nahezu täglich zu.
Schon von Anfang an war das Eisenbahnsystem der Ukraine heiß umkämpft. Russland bemühte sich, Logistikzentren der Ukrsalisnyzja in Großstädten wie Charkiw und Kiew möglichst schnell unter Kontrolle zu bekommen, scheiterte aber am heftigen Widerstand der Ukrainer. Andersherum gelang es der ukrainischen Armee und belarussischen Bahnmitarbeitern, die Bahnverbindungen nach Russland und Weißrussland zu zerstören – Gleise, die für die Verlegung großer russischer Truppenverbände wichtig gewesen wären.
Denn die russische Armee war logistisch schon immer stark vom Schienennetz abhängig. Russland ist ein riesiges Territorium mit schwierigem Gelände – Steppen, Permafrost und saisonal auftretendem Morast. Das stehende Heer motorisierter Bodentruppen ist daher seit jeher auf sein Schienennetz angewiesen, um Truppen, Nahrung und Treibstoff zu transportieren. “Wenn die Eisenbahn nicht genutzt werden kann, muss sich die Armee stattdessen auf Straßen verlassen”, schreibt die Russlandexpertin Emily Ferris vom Londoner Royal United Services Institute (RUSI) in einem Gastbeitrag für die Zeitschrift Foreign Policy. Russlands Streitkräfte hätten jedoch nicht genug Nahrungsmittel und Treibstoffvorräte, um Bodenoffensiven aufrechtzuerhalten und ukrainisches Territorium zu erobern, das zu weit von funktionierenden Gleisanlagen entfernt sei. “Im Norden”, so Ferris, “gelang es Russland nie, einen der Eisenbahnknotenpunkte in Tschernihiw oder in der Umgebung von Kiew zu kontrollieren, und die schlammigen Bedingungen führten dazu, dass zahlreiche Militärfahrzeuge steckenblieben.”
Jetzt aber hat Russland seine Kriegsziele neu definiert und konzentriert sich auf Eroberungen im Osten und Südosten des Landes. Aber auch in Charkiw oder der Südukraine kontrolliere die russische Armee die Eisenbahnknotenpunkte entweder nicht vollständig, schreibt RUSI-Expertin Ferris, oder sie seien durch Kampfhandlungen bereits nahezu vollständig zerstört. Dies aber sei mitentscheidend dafür, dass Russland es bislang kaum schaffe, seine Truppen tiefer in die Ukraine zu transportieren und mehr Territorium zu erobern.
Für das Eisenbahnnetz in der restlichen Ukraine bedeutet dies trotzdem nichts Gutes: Denn durch die Änderung ihrer Kriegsziele benötigt die russische Armee diese Bahnanlagen nun nicht mehr für einen etwaigen eigenen Vormarsch. Weil es den Russen nicht gelungen ist, das ukrainische Eisenbahnnetz zu erobern, wollen sie es nun zumindest teilweise zerstören, vor allem, um die Waffenlieferungen des Westens an die Front zu unterbinden. Wie lange die Ukraine in der Lage ist, ihre Gleisinfrastruktur aufrecht zu erhalten, dürfte daher ein mitentscheidender Faktor für den Ausgang dieses Krieges sein.
Noch rollen sie, die Züge der Ukrsalisnyzja. Die ukrainische Bahngesellschaft berichtete am Mittwochabend lapidar, lediglich 20 Fernzüge hätten Verspätungen von bis zu zwölf Stunden. Dabei hatte die russische Armee in den vergangenen zwei Wochen ihre Angriffe auf das ukrainische Eisenbahnnetz im ganzen Land deutlich intensiviert. Am Mittwoch wurde eine Eisenbahnbrücke über den Fluss Dnipro schwer beschädigt. In der Nacht zuvor hatte es mehrere Eisenbahnstationen im Westen und Süden der Ukraine getroffen. Bereits zuvor waren mehrere Bahnhöfe ins Visier genommen worden, wie jener von Kramatorsk im Osten, wo bei einem Bombenangriff Anfang April mindestens 50 Menschen starben. Vor allem Provinzbahnhöfe, Umspannwerke und Eisenbahnbrücken werden zunehmend zum Ziel russischer Raketen.
Die veränderte Taktik der Russen hat einen triftigen Grund. In den ersten zwei Monaten des Krieges hat sich die ukrainische Eisenbahngesellschaft zum wichtigsten Logistik-Unternehmen des Landes gemausert. Rund 22.000 Kilometer umfasst das Schienennetz der Ukraine. Die Bahn war mit mehr als 230.000 Mitarbeitern schon vor Kriegsbeginn einer der größten Arbeitgeber des Landes. Erst vor zehn Jahren, pünktlich zur Fußball-Europameisterschaft 2012, hatte das Land rund 700 Millionen Euro in die Verbesserung der Schieneninfrastruktur und des Fahrzeugparks gesteckt, so dass die ukrainische Eisenbahn heute relativ modern aufgestellt ist.
Überlebenswichtiges Schienennetz
Zwar gibt es auch ein großes Netz von Fernverkehrsstraßen im Land, doch ist nur ein Bruchteil davon – insbesondere in der Umgebung großer Städte – mehrspurig ausgebaut. Viele Fernverkehrsstraßen sind hingegen in äußerst schlechtem Zustand und für den Transport schwerer Güter eher ungeeignet.
Und so ist gerade die Eisenbahn zum Symbol für den ukrainischen Widerstand geworden. Sie bringt Waffen und Hilfsgüter in den Ostteil des Landes. Sie evakuiert Millionen von Menschen, die vor den Kampfhandlungen fliehen. Mittlerweile transportiert sie zunehmend auch Familien zurück in Gebiete, die zuvor von russischen Truppen besetzt waren. Sie brachte wichtige Staatsgäste nach Kiew, etwa US-Außenminister Blinken, EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen oder den deutschen Oppositionschef Friedrich Merz. Und auch beim Transport von Ausfuhrgütern spielt die Eisenbahn eine immer wichtigere Rolle. Vor Kriegsbeginn wickelte das Land mehr als 50 Prozent seiner Im- und Exporte über den Seehafen von Odessa ab. Seit Beginn der russischen Seeblockade versucht die Ukraine nun aber zunehmend, Güter wie Weizen, Kohle, Stahl oder chemische Produkte über die Schiene ins westliche Ausland zu exportieren.
Dabei hat sich das Eisenbahnsystem in den ersten Kriegsmonaten als erstaunlich robust und anpassungsfähig erwiesen. Das Schienennetz ist weit verzweigt; werden Streckenabschnitte bombardiert, gelingt es häufig schnell, Ausweichrouten zu finden. “In einigen Fällen können wir beschädigte Bahnlinien in nur wenigen Stunden wieder reparieren”, berichtete Oleksandr Pertsovskyi, Leiter des Personenzuggeschäfts von Ukrsalisnyzja, noch Anfang der Woche gegenüber dem US-Nachrichtensender NBC. Die Führungsstruktur sei jetzt “flach”, sagt sein Chef Oleksandr Kamyshin gegenüber CNN. Streckenverantwortliche könnten vor Ort Entscheidungen treffen, ohne die Erlaubnis der Vorgesetzten einzuholen. Reparaturen könnten ohne Bürokratie in einem Bruchteil der üblichen Zeit durchgeführt werden. Zerstörte oder beschädigte Brücken seien zwar nicht so schnell zu reparieren, aber “unter dem Strich können wir das System trotz sich verstärkender Angriffe weiter betreiben”, so Pertsovskyi.
Dennoch wird die Aufgabe von Tag zu Tag schwieriger: Bahnmitarbeiter müssen Strecken planen, die besonders gefährliche Gebiete vermeiden. Zeitpläne müssen oft spontan geändert werden; sie werden über Social-Media-Kanäle der Bahngesellschaft bekannt gegeben. Und die Zahl der Raketenangriffe auf die Gleisanlagen nimmt nahezu täglich zu.
Erstaunlich robust
Schon von Anfang an war das Eisenbahnsystem der Ukraine heiß umkämpft. Russland bemühte sich, Logistikzentren der Ukrsalisnyzja in Großstädten wie Charkiw und Kiew möglichst schnell unter Kontrolle zu bekommen, scheiterte aber am heftigen Widerstand der Ukrainer. Andersherum gelang es der ukrainischen Armee und belarussischen Bahnmitarbeitern, die Bahnverbindungen nach Russland und Weißrussland zu zerstören – Gleise, die für die Verlegung großer russischer Truppenverbände wichtig gewesen wären.
Kriegswichtiges Eisenbahnnetz – für beide Seiten
Denn die russische Armee war logistisch schon immer stark vom Schienennetz abhängig. Russland ist ein riesiges Territorium mit schwierigem Gelände – Steppen, Permafrost und saisonal auftretendem Morast. Das stehende Heer motorisierter Bodentruppen ist daher seit jeher auf sein Schienennetz angewiesen, um Truppen, Nahrung und Treibstoff zu transportieren. “Wenn die Eisenbahn nicht genutzt werden kann, muss sich die Armee stattdessen auf Straßen verlassen”, schreibt die Russlandexpertin Emily Ferris vom Londoner Royal United Services Institute (RUSI) in einem Gastbeitrag für die Zeitschrift Foreign Policy. Russlands Streitkräfte hätten jedoch nicht genug Nahrungsmittel und Treibstoffvorräte, um Bodenoffensiven aufrechtzuerhalten und ukrainisches Territorium zu erobern, das zu weit von funktionierenden Gleisanlagen entfernt sei. “Im Norden”, so Ferris, “gelang es Russland nie, einen der Eisenbahnknotenpunkte in Tschernihiw oder in der Umgebung von Kiew zu kontrollieren, und die schlammigen Bedingungen führten dazu, dass zahlreiche Militärfahrzeuge steckenblieben.”
Jetzt aber hat Russland seine Kriegsziele neu definiert und konzentriert sich auf Eroberungen im Osten und Südosten des Landes. Aber auch in Charkiw oder der Südukraine kontrolliere die russische Armee die Eisenbahnknotenpunkte entweder nicht vollständig, schreibt RUSI-Expertin Ferris, oder sie seien durch Kampfhandlungen bereits nahezu vollständig zerstört. Dies aber sei mitentscheidend dafür, dass Russland es bislang kaum schaffe, seine Truppen tiefer in die Ukraine zu transportieren und mehr Territorium zu erobern.
Für das Eisenbahnnetz in der restlichen Ukraine bedeutet dies trotzdem nichts Gutes: Denn durch die Änderung ihrer Kriegsziele benötigt die russische Armee diese Bahnanlagen nun nicht mehr für einen etwaigen eigenen Vormarsch. Weil es den Russen nicht gelungen ist, das ukrainische Eisenbahnnetz zu erobern, wollen sie es nun zumindest teilweise zerstören, vor allem, um die Waffenlieferungen des Westens an die Front zu unterbinden. Wie lange die Ukraine in der Lage ist, ihre Gleisinfrastruktur aufrecht zu erhalten, dürfte daher ein mitentscheidender Faktor für den Ausgang dieses Krieges sein.