Deutschland

Trauer und Verzweiflung: Ukrainische Katholiken in Deutschland

Nach der Invasion in die Ukraine sind sie fassungslos und traurig. Aber dafür bleibt keine Zeit. Rund 50 Gemeinden der ukrainischen griechisch-katholischen Kirche in Deutschland helfen, wie sie nur können.

Bei einem der Telefongespräche in diesen Tagen wirkt Vladimir Viitovitch wirklich fassungslos. Fast fehlen ihm die Worte. Gerade eben, sagt er, habe er einen Anruf erhalten. “Ein Zug mit 350 Flüchtlingen aus der Ukraine kommt in wenigen Stunden hier in München an. Wir sollen uns kümmern.”

Da ist es Donnerstagabend. Und Viitovitch, der ukrainische Geistliche in München, ist seit Tagen nicht mehr einfach nur Pfarrer der Pfarrei “Maria Schutz und St. Andreas” der ukrainischen Katholiken. Er organisiert und tröstet, trägt Kisten und sucht Helferinnen und Helfer.

Bei einem der Telefongespräche in diesen Tagen wirkt Vladimir Viitovitch wirklich fassungslos. Fast fehlen ihm die Worte. Gerade eben, sagt er, habe er einen Anruf erhalten. “Ein Zug mit 350 Flüchtlingen aus der Ukraine kommt in wenigen Stunden hier in München an. Wir sollen uns kümmern.”

Vladimir Viitovitch ist Pfarrer der “Ukrainischen Griechisch-Katholischen Kirche” (UGKK). Sie entstand vor mehr als 400 Jahren, als polnischer katholischer Adel in der Westukraine die Herrschaft übernahm. Ihr Kirchenoberhaupt ist der Papst in Rom, ihre Liturgie und ihre Traditionen jedoch sind ostkirchlich. Es sind andere Gesänge als in den großen Kirchen in Deutschland. Viele der Priester sind verheiratet und haben Familie – aber es sind Katholiken. Und nun sind es Katholiken in Sorge um ihre ukrainische Heimat.

“Wir werden mehr werden, viel mehr”

In der Ukraine bekennen sich an die fünf Millionen Gläubige zu dieser Kirche, zumeist im Westen des Landes. “In Deutschland sind es offiziell knapp 80.000”, sagt Andriy Dmytryk der Deutschen Welle. “Aber es werden nun viel mehr”, fügt er hinzu. “Sehr viel mehr.”

Dymtryk ist Kanzler der UGKK-Exarchie, die Deutschland und Skandinavien umfasst. Ein Exarchat ist der Titel einer Diözese der Ostkirche außerhalb des jeweiligen Kerngebiets. Zur Exarchie zählen in Deutschland Gemeinden an rund 50 Orten, von Hamburg bis Rosenheim, von Krefeld bis Görlitz. Gut zwei Dutzend Geistliche sind im Einsatz.

Und in fast allen 50 Gemeinden laufen Hilfsaktionen, werden Spenden gesammelt, sind längst LKW in die Ukraine unterwegs. Wie in Düsseldorf. Die Gemeinde Christus König brachte innerhalb der ersten Woche nach dem russischen Überfall auf die Ukraine acht Lastwagen auf den Weg. Nicht etwa nur kleine Transporter, sondern schwere Sattelschlepper.

Die 21-jährige Solomia Pavlyk, Tochter von Pfarrer Mykola Pavlyk, ist eine der Organisatorinnen. “Man hat das Gefühl, dass alle helfen wollen, dass es ihnen dann besser geht.” Die Studentin schildert die Fassungslosigkeit der ersten Tage, den Schmerz über die Bilder, die schreckliche Sorge um Verwandte. “Es hat mich erst aus der Bahn geworfen. Wir saßen nur da und haben geweint.”

Und dann startete die Hilfe. Pavlyk schildert Eindrücke, die so in etwa aus jeder Gemeinde kommen: Menschen, die 60, 80 Kilometer fahren mit einem Auto voller Hilfsgüter, auch viele russischsprachige Menschen. Dutzende Helferinnen und Helfer. “Der Zusammenhalt ist so stark gewachsen.” Die Studentin staunt noch im Erzählen, dass nun viele tausend Menschen zu den Demos für die Ukraine kämen. “Vor drei, vier Wochen waren wir da noch mit 50 oder 100 Leuten.”

Und die Gemeinde bereitet sich auf Flüchtlinge vor. Solomia Pavlyk selbst erwartet eine Tante und Cousinen. “Mein Vater rechnet damit, dass viele zu uns kommen werden.” Am Mittwochabend waren Vater und Tochter dann gemeinsam unterwegs zu einem Solidaritäts-Gottesdienst in Köln. “Der Kölner Dom ist jetzt unser Zentrum”, sagt sie.

In Stuttgart zählt Natalia Bondar zu den Organisatorinnen. Die studierte Sprachwissenschaftlerin Bondar, die nun in der Lohnbuchhaltung eines großen Unternehmens tätig ist, ist selbst ukrainisch-orthodox – und doch ehrenamtliche Kantorin bei der griechisch-katholischen Gemeinde. Und auch sie schildert, wie überwältigt die Gemeinde von der Hilfe sei.

“Natürlich sind wir alle fassungslos, erschrocken, erschüttert”, sagt sie. Irgendwann macht Bondar deutlich, wie es wohl vielen der Helfenden geht. Sie erzählt von ihren alten Eltern. “Sie wollen das Haus nicht verlassen. Der Vater ist fünfundsiebzig und will das Haus verteidigen”, sagt sie. “Er hat zwei Äxte.” Die Tochter schildert ihre Gedanken: “Wir vertrauen auf unsere Kräfte, auf die Ukraine. Wir vertrauen auf Gott. Wir vertrauen auf die Armee.”

Es ist eines der vielen kleinen Dramen in dem großen Drama dieser Tage. “Das hält ja kein Mensch aus”, sagt Natalia Bondar und packt halt mit an. So organisiert, sammelt und hilft sie mit, um irgendwas zu tun. Mittlerweile bräuchten sie nur mehr Medikamente und Nahrungsmittel, Batterien, Kindernahrung und auch Tierfutter. Kleidung gebe es zuhauf. “Mehr geht gar nicht, unser großer Gemeindesaal ist voll.” Mittlerweile seien auch die ersten Geflüchteten eingetroffen, zwei junge Frauen und drei Teenager, die jeweils außer einer Tasche fast nichts mitbringen konnten.

Medikamente, Hygieneartikel, Lebensmittel, auch Geldspenden werden in diesen Tagen an vielen Orten in Deutschland gesammelt. Aber selten ist die direkte Betroffenheit so groß wie in den ukrainischen Gemeinden. Neben dem energischen Willen, zu unterstützen, steht die Verzweiflung. Als am Samstagmittag in Berlin die ukrainische Gemeinde ein Friedensgebet in Johannisthal im Osten der Stadt feiert, tritt Pfarrer Sergiy Dankiv am Ende eigens noch einmal für Hinweise ans Mikrofon. “Wir brauchen besonders seelsorgerliche, psychologische, therapeutische Unterstützung. Jetzt.”, sagt er. Das gilt besonders für die neu ankommenden Flüchtlinge, aber auch für die Helfer. 

Das bestätigt Dymtryk, der Kanzler in der Exarchie, der selbst noch Pfarrer in Ingolstadt ist. “Wenn ich dorthin komme, muss ich erstmal zwei, drei Stunden zuhören, Leid trösten, Unruhe nehmen”, berichtet der 44-Jährige. Auch die Geistlichen kämen an ihre Grenzen. Vertreter der UGKK werden bei der Frühjahrsvollversammlung der katholischen deutschen Bischöfe zu Gast sein und über weitere Hilfsmöglichkeiten und Vernetzung mit den sonstigen katholischen Gemeinden beraten.

Samstagabend ist es. Wieder im Gespräch mit Pfarrer Viitovitch in München. Ob die 350 Flüchtlinge untergekommen sind? Ja. “Aber es war eine abenteuerliche Geschichte”, sagt er. Erst seien sie am Grenzbahnhof aufgehalten worden. Dann hätten die Behörden sie an verschiedene Ansprechpartner aufgeteilt. “30 konnten wir dann an private Adressen vermitteln.”

Aber es würden mehr Flüchtlinge kommen, viel mehr, meint er. “Wir können jede Hilfe gebrauchen.” Wie geht es seinen Gemeindemitgliedern, die seit langem in München leben und oft noch Verwandtschaft in der nahen Ferne haben? Viitovitch spricht von der Angst der Menschen um die Heimat, um Freunde, von der Wut. Der Glaube spiele dabei eine Rolle. Aber für ihn als Seelsorger sei das Engagement aller hier “nicht so sehr eine Frage des Glaubens”.

Viele derer, die mit anpackten, sagten, so lange sie dabei seien, gehe es ihnen gut. “Die Arbeit hier, das ist auch Verdrängung. Man vertreibt die Zeit”, sagt er. Im Grunde genommen sei das alles sehr traurig. “Man könnte eigentlich auch mal weinen.”

Deutschland Ukrainische griechisch-Katholische Kirche Andriy Dmytryk
Deutschland UGKK Ukrainische griechisch-Katholische Kirche Mykola Pavlik

Bei einem der Telefongespräche in diesen Tagen wirkt Vladimir Viitovitch wirklich fassungslos. Fast fehlen ihm die Worte. Gerade eben, sagt er, habe er einen Anruf erhalten. “Ein Zug mit 350 Flüchtlingen aus der Ukraine kommt in wenigen Stunden hier in München an. Wir sollen uns kümmern.”

Da ist es Donnerstagabend. Und Viitovitch, der ukrainische Geistliche in München, ist seit Tagen nicht mehr einfach nur Pfarrer der Pfarrei “Maria Schutz und St. Andreas” der ukrainischen Katholiken. Er organisiert und tröstet, trägt Kisten und sucht Helferinnen und Helfer.

“Wir werden mehr werden, viel mehr”

Vladimir Viitovitch ist Pfarrer der “Ukrainischen Griechisch-Katholischen Kirche” (UGKK). Sie entstand vor mehr als 400 Jahren, als polnischer katholischer Adel in der Westukraine die Herrschaft übernahm. Ihr Kirchenoberhaupt ist der Papst in Rom, ihre Liturgie und ihre Traditionen jedoch sind ostkirchlich. Es sind andere Gesänge als in den großen Kirchen in Deutschland. Viele der Priester sind verheiratet und haben Familie – aber es sind Katholiken. Und nun sind es Katholiken in Sorge um ihre ukrainische Heimat.

In der Ukraine bekennen sich an die fünf Millionen Gläubige zu dieser Kirche, zumeist im Westen des Landes. “In Deutschland sind es offiziell knapp 80.000”, sagt Andriy Dmytryk der Deutschen Welle. “Aber es werden nun viel mehr”, fügt er hinzu. “Sehr viel mehr.”

Dymtryk ist Kanzler der UGKK-Exarchie, die Deutschland und Skandinavien umfasst. Ein Exarchat ist der Titel einer Diözese der Ostkirche außerhalb des jeweiligen Kerngebiets. Zur Exarchie zählen in Deutschland Gemeinden an rund 50 Orten, von Hamburg bis Rosenheim, von Krefeld bis Görlitz. Gut zwei Dutzend Geistliche sind im Einsatz.

Und in fast allen 50 Gemeinden laufen Hilfsaktionen, werden Spenden gesammelt, sind längst LKW in die Ukraine unterwegs. Wie in Düsseldorf. Die Gemeinde Christus König brachte innerhalb der ersten Woche nach dem russischen Überfall auf die Ukraine acht Lastwagen auf den Weg. Nicht etwa nur kleine Transporter, sondern schwere Sattelschlepper.

Acht Lastwagen binnen einer Woche

Die 21-jährige Solomia Pavlyk, Tochter von Pfarrer Mykola Pavlyk, ist eine der Organisatorinnen. “Man hat das Gefühl, dass alle helfen wollen, dass es ihnen dann besser geht.” Die Studentin schildert die Fassungslosigkeit der ersten Tage, den Schmerz über die Bilder, die schreckliche Sorge um Verwandte. “Es hat mich erst aus der Bahn geworfen. Wir saßen nur da und haben geweint.”

“Wir vertrauen auf Gott. Und die Armee”

Und dann startete die Hilfe. Pavlyk schildert Eindrücke, die so in etwa aus jeder Gemeinde kommen: Menschen, die 60, 80 Kilometer fahren mit einem Auto voller Hilfsgüter, auch viele russischsprachige Menschen. Dutzende Helferinnen und Helfer. “Der Zusammenhalt ist so stark gewachsen.” Die Studentin staunt noch im Erzählen, dass nun viele tausend Menschen zu den Demos für die Ukraine kämen. “Vor drei, vier Wochen waren wir da noch mit 50 oder 100 Leuten.”

Und die Gemeinde bereitet sich auf Flüchtlinge vor. Solomia Pavlyk selbst erwartet eine Tante und Cousinen. “Mein Vater rechnet damit, dass viele zu uns kommen werden.” Am Mittwochabend waren Vater und Tochter dann gemeinsam unterwegs zu einem Solidaritäts-Gottesdienst in Köln. “Der Kölner Dom ist jetzt unser Zentrum”, sagt sie.

In Stuttgart zählt Natalia Bondar zu den Organisatorinnen. Die studierte Sprachwissenschaftlerin Bondar, die nun in der Lohnbuchhaltung eines großen Unternehmens tätig ist, ist selbst ukrainisch-orthodox – und doch ehrenamtliche Kantorin bei der griechisch-katholischen Gemeinde. Und auch sie schildert, wie überwältigt die Gemeinde von der Hilfe sei.

“Leid trösten, Unruhe nehmen”

“Natürlich sind wir alle fassungslos, erschrocken, erschüttert”, sagt sie. Irgendwann macht Bondar deutlich, wie es wohl vielen der Helfenden geht. Sie erzählt von ihren alten Eltern. “Sie wollen das Haus nicht verlassen. Der Vater ist fünfundsiebzig und will das Haus verteidigen”, sagt sie. “Er hat zwei Äxte.” Die Tochter schildert ihre Gedanken: “Wir vertrauen auf unsere Kräfte, auf die Ukraine. Wir vertrauen auf Gott. Wir vertrauen auf die Armee.”

Es ist eines der vielen kleinen Dramen in dem großen Drama dieser Tage. “Das hält ja kein Mensch aus”, sagt Natalia Bondar und packt halt mit an. So organisiert, sammelt und hilft sie mit, um irgendwas zu tun. Mittlerweile bräuchten sie nur mehr Medikamente und Nahrungsmittel, Batterien, Kindernahrung und auch Tierfutter. Kleidung gebe es zuhauf. “Mehr geht gar nicht, unser großer Gemeindesaal ist voll.” Mittlerweile seien auch die ersten Geflüchteten eingetroffen, zwei junge Frauen und drei Teenager, die jeweils außer einer Tasche fast nichts mitbringen konnten.

“Auch mal weinen”

Medikamente, Hygieneartikel, Lebensmittel, auch Geldspenden werden in diesen Tagen an vielen Orten in Deutschland gesammelt. Aber selten ist die direkte Betroffenheit so groß wie in den ukrainischen Gemeinden. Neben dem energischen Willen, zu unterstützen, steht die Verzweiflung. Als am Samstagmittag in Berlin die ukrainische Gemeinde ein Friedensgebet in Johannisthal im Osten der Stadt feiert, tritt Pfarrer Sergiy Dankiv am Ende eigens noch einmal für Hinweise ans Mikrofon. “Wir brauchen besonders seelsorgerliche, psychologische, therapeutische Unterstützung. Jetzt.”, sagt er. Das gilt besonders für die neu ankommenden Flüchtlinge, aber auch für die Helfer. 

Das bestätigt Dymtryk, der Kanzler in der Exarchie, der selbst noch Pfarrer in Ingolstadt ist. “Wenn ich dorthin komme, muss ich erstmal zwei, drei Stunden zuhören, Leid trösten, Unruhe nehmen”, berichtet der 44-Jährige. Auch die Geistlichen kämen an ihre Grenzen. Vertreter der UGKK werden bei der Frühjahrsvollversammlung der katholischen deutschen Bischöfe zu Gast sein und über weitere Hilfsmöglichkeiten und Vernetzung mit den sonstigen katholischen Gemeinden beraten.

Samstagabend ist es. Wieder im Gespräch mit Pfarrer Viitovitch in München. Ob die 350 Flüchtlinge untergekommen sind? Ja. “Aber es war eine abenteuerliche Geschichte”, sagt er. Erst seien sie am Grenzbahnhof aufgehalten worden. Dann hätten die Behörden sie an verschiedene Ansprechpartner aufgeteilt. “30 konnten wir dann an private Adressen vermitteln.”

Aber es würden mehr Flüchtlinge kommen, viel mehr, meint er. “Wir können jede Hilfe gebrauchen.” Wie geht es seinen Gemeindemitgliedern, die seit langem in München leben und oft noch Verwandtschaft in der nahen Ferne haben? Viitovitch spricht von der Angst der Menschen um die Heimat, um Freunde, von der Wut. Der Glaube spiele dabei eine Rolle. Aber für ihn als Seelsorger sei das Engagement aller hier “nicht so sehr eine Frage des Glaubens”.

Viele derer, die mit anpackten, sagten, so lange sie dabei seien, gehe es ihnen gut. “Die Arbeit hier, das ist auch Verdrängung. Man vertreibt die Zeit”, sagt er. Im Grunde genommen sei das alles sehr traurig. “Man könnte eigentlich auch mal weinen.”

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