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Die NATO stellt ein: Generalsekretär gesucht

Jens Stoltenberg geht, wer folgt nach? Spekulationen über eine mögliche neue Generalsekretärin werden lauter. Es wäre eine Premiere für die Militärallianz. Doch wie läuft die Auswahl ab? Bernd Riegert aus Brüssel.

Im Oktober wird bei der NATO der diplomatische Spitzenposten frei. NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg ließ seine Sprecherin im Februar erklären, er habe nicht die Absicht, seinen Vertrag mit den 30 NATO-Staaten abermals zu verlängern. Das hatte er im Frühjahr letzten Jahres getan, um nicht mitten im russischen Angriff auf die Ukraine, die NATO-Spitze austauschen zu müssen.

Seit der Ankündigung Stoltenbergs schießen erneut die Spekulationen im Hauptquartier in Brüssel ins Kraut: Wer wird 14. Generalsekretär der Allianz? Oder besser gesagt: Generalsekretärin? Denn die erste Frau in diesem Amt wäre hoch willkommen. Knapp die Hälfte der 30 NATO-Botschafter im Nordatlantik hat eine Kandidatin oder einen Kandidaten diskret ins Spiel gebracht. Doch der Reihe nach.

Im Oktober wird bei der NATO der diplomatische Spitzenposten frei. NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg ließ seine Sprecherin im Februar erklären, er habe nicht die Absicht, seinen Vertrag mit den 30 NATO-Staaten abermals zu verlängern. Das hatte er im Frühjahr letzten Jahres getan, um nicht mitten im russischen Angriff auf die Ukraine, die NATO-Spitze austauschen zu müssen.

Jens Stoltenberg hat es seit 2014 vorgemacht. Er oder sie muss den Laden zusammenhalten, Interessen ausgleichen, Konsens unter den 30 Mitgliedern fördern, egal ob die Bedrohungen für den politischen Zusammenhalt vom erratischen Donald Trump oder dem aggressiven Wladimir Putin ausgehen. Diplomatisches Geschick und Loyalität zur Allianz sind gefragt.

Was muss ein NATO-Generalsekretär können?

Politische Entscheidungsbefugnisse hat der Generalsekretär nicht. Er sitzt lediglich formal dem Nordatlantikrat, dem obersten Beschlussgremium, vor. Militärische Befehlsgewalt hat er ebenso wenig. Außerdem vertritt er die NATO nach außen, gegenüber anderen Regierungen und der Presse. Der künftige Mann oder die künftige Frau sollte Staats- oder Regierungschef gewesen sein. Fließendes Englisch ist Pflicht. Französisch wünschenswert.

Die Kandidatin oder der Kandidat müssen sich gut mit Washington stehen. Die USA als wichtiges Bündnisland geben am Ende den Ausschlag, auch wenn der Generalsekretär traditionell ein Europäer ist. Die USA stellen grundsätzlich den Obersten Befehlshaber der NATO-Streitkräfte in Europa (SACEUR), was im Grunde der wichtigere Job in der Militärallianz ist.

Dem neuen Generalsekretär müssen alle 30 Regierungen im Konsens zustimmen. Deshalb müssen regionale Interessen, Herkunft und politisches Vorleben, aber auch  militärisches Gewicht und diplomatische Bedeutung des Herkunftslandes stimmen. So wäre es zum Beispiel im Moment undenkbar, dass ein Türke das Amt bekommt, wegen der Schwierigkeiten, die der autokratische Präsident Recep Tayyip Erdogan beim Beitritt Schwedens macht. Umgekehrt ist es kaum vorstellbar, dass die Türkei eine Kandidatin oder einen Kandidaten aus Finnland absegnen würde.

Formal ist nichts festgelegt. Es gibt keine offizielle Findungskommission. Die Diplomaten und Diplomatinnen verhandeln für ihre Regierungen in verschwiegenen Runden bis ein Konsens herrscht. Eine förmliche Abstimmung gibt es nicht. Die Staats- und Regierungschefs der Allianz verkünden den neuen Namen dann gerne bei einem Gipfeltreffen. Der nächste erreichbare Gipfel wäre im litauischen Vilnius am 11. Juli.

Bei den bisherigen 13 Benennungen hat es aber alle möglichen Wege und Variationen gegeben. Nicht alle Kriterien wurden immer erfüllt. Der einzige deutsche Generalsekretär Manfred Wörner (Amtszeit 1988-1994) war zum Beispiel nie Regierungschef, sondern “nur” Verteidigungsminister. Das trifft auf die meisten der anderen Amtsinhaber zu. Der erste Generalsekretär, der Brite Baron Hastings Ismay, war zuvor nur Staatssekretär, dafür aber ausgebildeter General.

Ein NATO-Diplomat, der nicht genannt werden will, setzt wegen der aktuellen Bedrohung durch Russland auf eine Frau aus dem Baltikum. In Frage kämen die amtierende estnische Ministerpräsidentin Kaja Kallas oder die litauische Regierungschefin Ingrida Simonyte. Eine Frau aus einem der Staaten an der Ostflanke würde sicher auch die Unterstützung Polens erhalten, dessen militärische Bedeutung in der NATO wächst. Genannt wird auch Zuzana Caputova, die Präsidentin der Slowakei. Das Land hat eine direkte Grenze zur angegriffenen Ukraine. Ihre Nominierung könnte als Akt der Solidarität ausgelegt werden.

Aber auch die Südostflanke der NATO-Staaten hat einen Kandidaten ins Rennen geschickt: Klaus Johannis, den Präsidenten Rumäniens, das durch seine Lage am Schwarzen Meer strategische Bedeutung für die NATO hat. Im Süden hat angeblich Italien Mario Draghi, den ehemaligen Ministerpräsidenten, als neuen NATO-Chef empfohlen, einfach um den Anspruch der Südländer auf einen Posten zu untermauern. Großbritannien werden ebenfalls Ambitionen nachgesagt, weil die Brexit-Briten auf internationaler Ebene wieder sichtbarer werden wollen. Kandidatin könnte die ehemalige Regierungschefin Theresa May sein. Schwer vorstellbar für viele EU-Politiker, die jahrelang mit der Theresa May um den Brexit-Vertrag gerungen haben.

Gewisse Außenseiterchancen werden der kanadischen Finanzministerin Chrystia Freeland eingeräumt. Sie ist die Enkelin ukrainischer Einwanderer. In Kanada gab es eine heftige Diskussion um ihre Herkunft, weil russische Propagandamedien die angeblichen Verbindungen von Freelands Großvater zu den Nazis im Zweiten Weltkrieg thematisierten. Am Ende wurden russische Diplomaten aus Kanada ausgewiesen, weil sie den Ruf Chrystia Freelands beschädigen wollten. Ihr Hauptproblem: Sie ist keine Europäerin. Ob die europäischen NATO-Staaten den traditionell ihnen zustehenden Posten abgeben würden, ist fraglich. Allerdings soll die Kanadierin die Rückendeckung der USA haben, berichtet die “Washington Post”.

Auf den Fluren des NATO-Hauptquartiers hört man auch das Gerücht, dass der amtierende Generalsekretär trotz seiner Ankündigung doch noch weiter machen könnte, weil man sich in der aktuellen Kriegslage nicht mit Personalien befassen will. Möglich wäre, dass Jens Stoltenberg bis zum April 2024 verlängert. Dann wird die NATO 75 Jahre alt, was mit einem Gipfeltreffen in Washington gefeiert werden soll. Dafür spricht vielleicht, dass der Job, den Jens Stoltenberg ursprünglich in Norwegen haben wollte, Chef der Notenbank, inzwischen sowieso vergeben ist.

Das Lesen in der Glaskugel wird noch eine Weile weitergehen. Die Deutsche Presseagentur in Brüssel wies darauf hin, dass die Namen, die am Anfang häufig in der Öffentlichkeit genannt werden, oftmals nicht zum Zuge kommen. Wieder so eine seltsame ungeschriebene Regel bei der Personalauswahl. Überraschungen sind also möglich.

 

NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg und US-Präsident Donald Trump beim NATO-Gipfel 2019
Stoltenberg im Gespräch mit möglicher Nachfolgerin Kaja Kallas, Premier von Estland im Februar in Tallinn
Rumänien Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg zu Besuch in Bukarest

Im Oktober wird bei der NATO der diplomatische Spitzenposten frei. NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg ließ seine Sprecherin im Februar erklären, er habe nicht die Absicht, seinen Vertrag mit den 30 NATO-Staaten abermals zu verlängern. Das hatte er im Frühjahr letzten Jahres getan, um nicht mitten im russischen Angriff auf die Ukraine, die NATO-Spitze austauschen zu müssen.

Seit der Ankündigung Stoltenbergs schießen erneut die Spekulationen im Hauptquartier in Brüssel ins Kraut: Wer wird 14. Generalsekretär der Allianz? Oder besser gesagt: Generalsekretärin? Denn die erste Frau in diesem Amt wäre hoch willkommen. Knapp die Hälfte der 30 NATO-Botschafter im Nordatlantik hat eine Kandidatin oder einen Kandidaten diskret ins Spiel gebracht. Doch der Reihe nach.

Was muss ein NATO-Generalsekretär können?

Jens Stoltenberg hat es seit 2014 vorgemacht. Er oder sie muss den Laden zusammenhalten, Interessen ausgleichen, Konsens unter den 30 Mitgliedern fördern, egal ob die Bedrohungen für den politischen Zusammenhalt vom erratischen Donald Trump oder dem aggressiven Wladimir Putin ausgehen. Diplomatisches Geschick und Loyalität zur Allianz sind gefragt.

Politische Entscheidungsbefugnisse hat der Generalsekretär nicht. Er sitzt lediglich formal dem Nordatlantikrat, dem obersten Beschlussgremium, vor. Militärische Befehlsgewalt hat er ebenso wenig. Außerdem vertritt er die NATO nach außen, gegenüber anderen Regierungen und der Presse. Der künftige Mann oder die künftige Frau sollte Staats- oder Regierungschef gewesen sein. Fließendes Englisch ist Pflicht. Französisch wünschenswert.

Die Kandidatin oder der Kandidat müssen sich gut mit Washington stehen. Die USA als wichtiges Bündnisland geben am Ende den Ausschlag, auch wenn der Generalsekretär traditionell ein Europäer ist. Die USA stellen grundsätzlich den Obersten Befehlshaber der NATO-Streitkräfte in Europa (SACEUR), was im Grunde der wichtigere Job in der Militärallianz ist.

Dem neuen Generalsekretär müssen alle 30 Regierungen im Konsens zustimmen. Deshalb müssen regionale Interessen, Herkunft und politisches Vorleben, aber auch  militärisches Gewicht und diplomatische Bedeutung des Herkunftslandes stimmen. So wäre es zum Beispiel im Moment undenkbar, dass ein Türke das Amt bekommt, wegen der Schwierigkeiten, die der autokratische Präsident Recep Tayyip Erdogan beim Beitritt Schwedens macht. Umgekehrt ist es kaum vorstellbar, dass die Türkei eine Kandidatin oder einen Kandidaten aus Finnland absegnen würde.

Welche Kriterien spielen bei der Auswahl eine Rolle?

Formal ist nichts festgelegt. Es gibt keine offizielle Findungskommission. Die Diplomaten und Diplomatinnen verhandeln für ihre Regierungen in verschwiegenen Runden bis ein Konsens herrscht. Eine förmliche Abstimmung gibt es nicht. Die Staats- und Regierungschefs der Allianz verkünden den neuen Namen dann gerne bei einem Gipfeltreffen. Der nächste erreichbare Gipfel wäre im litauischen Vilnius am 11. Juli.

Wie läuft das Bewerbungsverfahren ab?

Bei den bisherigen 13 Benennungen hat es aber alle möglichen Wege und Variationen gegeben. Nicht alle Kriterien wurden immer erfüllt. Der einzige deutsche Generalsekretär Manfred Wörner (Amtszeit 1988-1994) war zum Beispiel nie Regierungschef, sondern “nur” Verteidigungsminister. Das trifft auf die meisten der anderen Amtsinhaber zu. Der erste Generalsekretär, der Brite Baron Hastings Ismay, war zuvor nur Staatssekretär, dafür aber ausgebildeter General.

Ein NATO-Diplomat, der nicht genannt werden will, setzt wegen der aktuellen Bedrohung durch Russland auf eine Frau aus dem Baltikum. In Frage kämen die amtierende estnische Ministerpräsidentin Kaja Kallas oder die litauische Regierungschefin Ingrida Simonyte. Eine Frau aus einem der Staaten an der Ostflanke würde sicher auch die Unterstützung Polens erhalten, dessen militärische Bedeutung in der NATO wächst. Genannt wird auch Zuzana Caputova, die Präsidentin der Slowakei. Das Land hat eine direkte Grenze zur angegriffenen Ukraine. Ihre Nominierung könnte als Akt der Solidarität ausgelegt werden.

Aber auch die Südostflanke der NATO-Staaten hat einen Kandidaten ins Rennen geschickt: Klaus Johannis, den Präsidenten Rumäniens, das durch seine Lage am Schwarzen Meer strategische Bedeutung für die NATO hat. Im Süden hat angeblich Italien Mario Draghi, den ehemaligen Ministerpräsidenten, als neuen NATO-Chef empfohlen, einfach um den Anspruch der Südländer auf einen Posten zu untermauern. Großbritannien werden ebenfalls Ambitionen nachgesagt, weil die Brexit-Briten auf internationaler Ebene wieder sichtbarer werden wollen. Kandidatin könnte die ehemalige Regierungschefin Theresa May sein. Schwer vorstellbar für viele EU-Politiker, die jahrelang mit der Theresa May um den Brexit-Vertrag gerungen haben.

Wer ist im Rennen?

Gewisse Außenseiterchancen werden der kanadischen Finanzministerin Chrystia Freeland eingeräumt. Sie ist die Enkelin ukrainischer Einwanderer. In Kanada gab es eine heftige Diskussion um ihre Herkunft, weil russische Propagandamedien die angeblichen Verbindungen von Freelands Großvater zu den Nazis im Zweiten Weltkrieg thematisierten. Am Ende wurden russische Diplomaten aus Kanada ausgewiesen, weil sie den Ruf Chrystia Freelands beschädigen wollten. Ihr Hauptproblem: Sie ist keine Europäerin. Ob die europäischen NATO-Staaten den traditionell ihnen zustehenden Posten abgeben würden, ist fraglich. Allerdings soll die Kanadierin die Rückendeckung der USA haben, berichtet die “Washington Post”.

Auf den Fluren des NATO-Hauptquartiers hört man auch das Gerücht, dass der amtierende Generalsekretär trotz seiner Ankündigung doch noch weiter machen könnte, weil man sich in der aktuellen Kriegslage nicht mit Personalien befassen will. Möglich wäre, dass Jens Stoltenberg bis zum April 2024 verlängert. Dann wird die NATO 75 Jahre alt, was mit einem Gipfeltreffen in Washington gefeiert werden soll. Dafür spricht vielleicht, dass der Job, den Jens Stoltenberg ursprünglich in Norwegen haben wollte, Chef der Notenbank, inzwischen sowieso vergeben ist.

Verlängerung möglich?

Das Lesen in der Glaskugel wird noch eine Weile weitergehen. Die Deutsche Presseagentur in Brüssel wies darauf hin, dass die Namen, die am Anfang häufig in der Öffentlichkeit genannt werden, oftmals nicht zum Zuge kommen. Wieder so eine seltsame ungeschriebene Regel bei der Personalauswahl. Überraschungen sind also möglich.

 

Kandidatin Zuzana Caputova beim Treffen mit US-Präsident Joe Biden in Warschau, Februar 2023

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