Wirtschaft

EU: Staatsschulden senken – nur wie?

Beim Finanzministerrat der EU rauchen die Köpfe. Die Schulden sollen sinken, aber Investitionen steigen. Wie schafft man diesen schwierigen Balanceakt? Bernd Riegert aus Stockholm.

Einig waren sich die 27 Finanzministerinnen und Finanzminister der Europäischen Union bei ihrem informellen Treffen unter schwedischer Präsidentschaft darin, dass die derzeitigen Regeln zu Staatsschulden aus dem “Stabilitäts- und Wachstumspakt” nicht mehr zur finanziellen Wirklichkeit passen. Der Pakt wurde vor 26 Jahren geschlossen und zwei Mal renoviert, um die Gemeinschaftswährung Euro zu stabilisieren.

Jetzt, nach den Jahren der kostspieligen Corona-Pandemie und der Energiepreiskrise in Folge des russischen Krieges gegen die Ukraine, haben sich viele Staaten weit über das eigentlich erlaubte Maß hinaus verschuldet. Italien und Frankreich liegen weit jenseits von 100 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung. Der Durchschnitt der Euro-Staaten liegt bei 93 Prozent. Deutschland ist mit 66 nur leicht über der magischen Grenze von 60 Prozent Gesamtverschuldung, die der alte Stabilitätspakt vorgibt. Das soll so nicht bleiben.

Einig waren sich die 27 Finanzministerinnen und Finanzminister der Europäischen Union bei ihrem informellen Treffen unter schwedischer Präsidentschaft darin, dass die derzeitigen Regeln zu Staatsschulden aus dem “Stabilitäts- und Wachstumspakt” nicht mehr zur finanziellen Wirklichkeit passen. Der Pakt wurde vor 26 Jahren geschlossen und zwei Mal renoviert, um die Gemeinschaftswährung Euro zu stabilisieren.

Alfred Kammer, der Europadirektor des Internationalen Währungsfonds, sagte der DW in Stockholm, die Mitgliedsstaaten der EU müssten angesichts flauen Wirtschaftswachstums, hoher Zinsen und hoher Inflation die staatlichen Ausgaben begrenzen und die Schulden reduzieren. “Wir brauchen mehr Konsolidierung auf mittlere Sicht, um fiskalischen Spielraum und Puffer aufzubauen, denn die nächste Krise kommt bestimmt. Dafür brauchen wir finanzielle Schlagkraft. Die Ausgabenpolitik muss neu orientiert werden. Wir brauchen produktive Investitionen für die Zukunft und den grünen Umbau der Wirtschaft.” Die meisten Finanzministerinnen und -minister der EU stimmen dieser Analyse durchaus zu. Nur was ist zu tun?

IWF empfiehlt weniger Schulden

Die Europäische Kommission hat einen Vorschlag zur Reform der Schuldenregeln vorgelegt, der mehr Eigenverantwortung für die Schuldnerstaaten und weniger starre Vorgaben für den Schuldenabbau vorsieht. Investitionen in grüne Energie, Digitalisierung und Verteidigung sollen aus der Schuldenberechnung herausgenommen werden. Bundesfinanzminister Christian Lindner sind diese Regeln zu lasch, obwohl die EU-Kommission an den Grenzen von 60 Prozent Neuverschuldung und drei Prozent jährlichem Defizit festhält. “Wir haben keine klaren Vorgaben, was Zahlen angeht und deshalb auch keine Garantie, dass Schulden und Defizit wirklich zurückgehen”, monierte Christian Lindner in Stockholm. Die EU-Kommission will mit jedem überschuldeten Land individuelle Ziele aushandeln. Für den deutschen Finanzminister kein gangbarer Weg. Die Staatsfinanzen würden so “politischem Belieben” ausgesetzt. “Es gibt gegenwärtig noch viel zu diskutieren.”

Deutschland sehe sich nicht alleine in der Rolle des Sparsamen, so Lindner. Italien und Frankreich, beide hochverschuldet, üben Kritik allerdings aus einer ganz anderen Richtung. Frankreichs Finanzminister Bruno Le Maire möchte die Klausel streichen, dass die Neuverschuldung jedes Jahr um 0,5 Prozent sinken muss, wenn sie über drei Prozent liegt. Diese Klausel steht auf deutschen Wunsch hin im Gesetzesvorschlag. Italiens Finanzminister Giancarlo Giorgetti liebäugelt mit einer “Goldenen Regel”, nach der Schulden, die im Zusammenhang mit EU-Projekten gemacht werden, nicht auf die Staatsverschuldung angerechnet werden. Das sind im Falle Italiens etliche Milliarden, die zur Kofinanzierung von EU-Fördermaßnahmen aufgewendet werden müssen.

EU-Kommissar Valdis Dombrovskis, der die neue Schuldenregeln vorgeschlagen hat, gab sich in Stockholm angesichts der Kritik von allen Seiten ein wenig pikiert. “Wir haben im Vorfeld mit den Mitgliedsstaaten, dem EU-Parlament und den Sozialpartnern, also wirklich mit allen, breit angelegt beraten. Wir haben einen genau austarierten Vorschlag vorgelegt. Jetzt ist es wichtig, dass sich die Mitgliedsstaaten wirklich konstruktiv in den Gesetzgebungsprozess einbringen.” Das war wohl eine Aufforderung an Deutschland und Italien sich zu bewegen.

Viel Zeit bleibt den Ministerinnen und Ministern nicht mehr, sich zu einigen. Ende des Jahres sollen die wegen der Corona-Pandemie ausgesetzten alten Schuldenregeln wieder gelten. Dann müssten theoretisch Defzitverfahren gegen die Hälfte der EU-Staaten eröffnet werden. Diese Unsicherheit will man auch mit Blick auf nervöse Finanzmärkte vermeiden. Finanzminister Christian Lindner sieht in dem Zeitdruck eher einen Vorteil für die deutsche Position, weil vor allem die südlichen, höher verschuldeten Länder auf neue Regeln drängen. “Allerdings haben wir bereits Regeln, wir haben einen Stabi-Pakt”, so Lindner. Wenn es keine Reform gebe, würden die alten Regeln eben weiter gelten. “Wir befinden uns nicht in einem luftleeren Raum.”

Der Stabilitätspakt und die Schuldenregeln waren vor allem nach der Finanzkrise und der folgenden Staatsschuldenkrise vor zehn Jahren in der EU in aller Munde. Griechenland musste vor der Pleite gerettet und auch Irland, Portugal, Spanien sowie Zypern mussten gestützt werden. Italien war kurz davor. Die Strafen, die im ursprünglichen Stabilitätspakt vorgesehen waren, wurden nie angewendet, weil sie die klammen Staaten endgültig in den finanziellen Abgrund gestürzt hätten.

Die Lage, dass die EU eigene Mitgliedsstaaten finanziell retten müssen, dürfe sich nicht wiederholen, forderte Finanzminister Christian Lindner. Die steigenden Zinsen erhöhen die Kosten für Staatsschulden. Die Gefahr bestehe, dass zu hohe Schulden den ganzen Haushalt “strangulieren”, so Lindner. “Am Ende müssten wir dann wieder über gemeinschaftliche Haftung diskutieren. Das muss ausgeschlossen werden.”

 

Schweden | EU Finanzministertreffen in Stockholm

Alfred Kammer IWF
Schweden | EcoFin Treffen in Stockholm Christian Lindner

Einig waren sich die 27 Finanzministerinnen und Finanzminister der Europäischen Union bei ihrem informellen Treffen unter schwedischer Präsidentschaft darin, dass die derzeitigen Regeln zu Staatsschulden aus dem “Stabilitäts- und Wachstumspakt” nicht mehr zur finanziellen Wirklichkeit passen. Der Pakt wurde vor 26 Jahren geschlossen und zwei Mal renoviert, um die Gemeinschaftswährung Euro zu stabilisieren.

Jetzt, nach den Jahren der kostspieligen Corona-Pandemie und der Energiepreiskrise in Folge des russischen Krieges gegen die Ukraine, haben sich viele Staaten weit über das eigentlich erlaubte Maß hinaus verschuldet. Italien und Frankreich liegen weit jenseits von 100 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung. Der Durchschnitt der Euro-Staaten liegt bei 93 Prozent. Deutschland ist mit 66 nur leicht über der magischen Grenze von 60 Prozent Gesamtverschuldung, die der alte Stabilitätspakt vorgibt. Das soll so nicht bleiben.

IWF empfiehlt weniger Schulden

Alfred Kammer, der Europadirektor des Internationalen Währungsfonds, sagte der DW in Stockholm, die Mitgliedsstaaten der EU müssten angesichts flauen Wirtschaftswachstums, hoher Zinsen und hoher Inflation die staatlichen Ausgaben begrenzen und die Schulden reduzieren. “Wir brauchen mehr Konsolidierung auf mittlere Sicht, um fiskalischen Spielraum und Puffer aufzubauen, denn die nächste Krise kommt bestimmt. Dafür brauchen wir finanzielle Schlagkraft. Die Ausgabenpolitik muss neu orientiert werden. Wir brauchen produktive Investitionen für die Zukunft und den grünen Umbau der Wirtschaft.” Die meisten Finanzministerinnen und -minister der EU stimmen dieser Analyse durchaus zu. Nur was ist zu tun?

Die Europäische Kommission hat einen Vorschlag zur Reform der Schuldenregeln vorgelegt, der mehr Eigenverantwortung für die Schuldnerstaaten und weniger starre Vorgaben für den Schuldenabbau vorsieht. Investitionen in grüne Energie, Digitalisierung und Verteidigung sollen aus der Schuldenberechnung herausgenommen werden. Bundesfinanzminister Christian Lindner sind diese Regeln zu lasch, obwohl die EU-Kommission an den Grenzen von 60 Prozent Neuverschuldung und drei Prozent jährlichem Defizit festhält. “Wir haben keine klaren Vorgaben, was Zahlen angeht und deshalb auch keine Garantie, dass Schulden und Defizit wirklich zurückgehen”, monierte Christian Lindner in Stockholm. Die EU-Kommission will mit jedem überschuldeten Land individuelle Ziele aushandeln. Für den deutschen Finanzminister kein gangbarer Weg. Die Staatsfinanzen würden so “politischem Belieben” ausgesetzt. “Es gibt gegenwärtig noch viel zu diskutieren.”

Deutschland sehe sich nicht alleine in der Rolle des Sparsamen, so Lindner. Italien und Frankreich, beide hochverschuldet, üben Kritik allerdings aus einer ganz anderen Richtung. Frankreichs Finanzminister Bruno Le Maire möchte die Klausel streichen, dass die Neuverschuldung jedes Jahr um 0,5 Prozent sinken muss, wenn sie über drei Prozent liegt. Diese Klausel steht auf deutschen Wunsch hin im Gesetzesvorschlag. Italiens Finanzminister Giancarlo Giorgetti liebäugelt mit einer “Goldenen Regel”, nach der Schulden, die im Zusammenhang mit EU-Projekten gemacht werden, nicht auf die Staatsverschuldung angerechnet werden. Das sind im Falle Italiens etliche Milliarden, die zur Kofinanzierung von EU-Fördermaßnahmen aufgewendet werden müssen.

EU-Kommissar Valdis Dombrovskis, der die neue Schuldenregeln vorgeschlagen hat, gab sich in Stockholm angesichts der Kritik von allen Seiten ein wenig pikiert. “Wir haben im Vorfeld mit den Mitgliedsstaaten, dem EU-Parlament und den Sozialpartnern, also wirklich mit allen, breit angelegt beraten. Wir haben einen genau austarierten Vorschlag vorgelegt. Jetzt ist es wichtig, dass sich die Mitgliedsstaaten wirklich konstruktiv in den Gesetzgebungsprozess einbringen.” Das war wohl eine Aufforderung an Deutschland und Italien sich zu bewegen.

Neue Regeln stoßen auf Kritik

Mehr Spielraum?

Viel Zeit bleibt den Ministerinnen und Ministern nicht mehr, sich zu einigen. Ende des Jahres sollen die wegen der Corona-Pandemie ausgesetzten alten Schuldenregeln wieder gelten. Dann müssten theoretisch Defzitverfahren gegen die Hälfte der EU-Staaten eröffnet werden. Diese Unsicherheit will man auch mit Blick auf nervöse Finanzmärkte vermeiden. Finanzminister Christian Lindner sieht in dem Zeitdruck eher einen Vorteil für die deutsche Position, weil vor allem die südlichen, höher verschuldeten Länder auf neue Regeln drängen. “Allerdings haben wir bereits Regeln, wir haben einen Stabi-Pakt”, so Lindner. Wenn es keine Reform gebe, würden die alten Regeln eben weiter gelten. “Wir befinden uns nicht in einem luftleeren Raum.”

Der Stabilitätspakt und die Schuldenregeln waren vor allem nach der Finanzkrise und der folgenden Staatsschuldenkrise vor zehn Jahren in der EU in aller Munde. Griechenland musste vor der Pleite gerettet und auch Irland, Portugal, Spanien sowie Zypern mussten gestützt werden. Italien war kurz davor. Die Strafen, die im ursprünglichen Stabilitätspakt vorgesehen waren, wurden nie angewendet, weil sie die klammen Staaten endgültig in den finanziellen Abgrund gestürzt hätten.

Die Lage, dass die EU eigene Mitgliedsstaaten finanziell retten müssen, dürfe sich nicht wiederholen, forderte Finanzminister Christian Lindner. Die steigenden Zinsen erhöhen die Kosten für Staatsschulden. Die Gefahr bestehe, dass zu hohe Schulden den ganzen Haushalt “strangulieren”, so Lindner. “Am Ende müssten wir dann wieder über gemeinschaftliche Haftung diskutieren. Das muss ausgeschlossen werden.”

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