EU-Gerichtshof kippt Polens Justizreform
Seit Jahren streitet sich die EU mit Polen über die Unabhängigkeit seiner Justiz. Am Montag hat der EuGH ein wichtiges Urteil zur Reform von 2019 gefällt. Für Polen ist das richtig teuer – und es ist noch nicht vorbei.
Es ist schwer, den Überblick über die vielen Klagen und Verfahren der EU-Kommission rund um Polens Rechtsstaatlichkeit zu behalten. Im Mittelpunkt steht ein zentrales Thema – die richterliche Unabhängigkeit. Darum geht es auch in dem jüngsten Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Union. Die polnische Justizreform vom Dezember 2019 verstoße gegen EU-Recht, teilte der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg mit und gibt der EU-Kommission damit Recht.
In Zentrum des Verfahrens stand erneut die Disziplinarkammer des polnischen Obersten Gerichtshofs, über die Polen seit Jahren mit Brüssel im Clinch liegt. Sie galt als das Herzstück der umstrittenen Reformen der polnischen Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) und wurde 2018 geschaffen. Ausgestattet mit weitreichenden Kompetenzen zur Ernennung und Entlassung von Richtern wurden ihre Mitglieder durch ein vom Parlament gewähltes Gremium bestellt. Kritiker sahen darin den Versuch, politischen Einfluss auf das Justizsystem zu nehmen.
Es ist schwer, den Überblick über die vielen Klagen und Verfahren der EU-Kommission rund um Polens Rechtsstaatlichkeit zu behalten. Im Mittelpunkt steht ein zentrales Thema – die richterliche Unabhängigkeit. Darum geht es auch in dem jüngsten Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Union. Die polnische Justizreform vom Dezember 2019 verstoße gegen EU-Recht, teilte der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg mit und gibt der EU-Kommission damit Recht.
Bereits im Juli 2021 hatte der EuGH die Kammer als rechtsstaatswidrig eingestuft. Nun befasste sich das höchste EU-Gericht mit einem weiteren Gesetz über diese Kammer aus dem Jahr 2019. In der Zwischenzeit nahm die polnische Regierung Änderungen vor, mit denen sie jedoch nicht alle Bedingungen der EU-Kommission erfüllte.
Langjähriger Zankapfel: Die Disziplinarkammer
Die EU-Kommission störte sich vor allem an der weitreichenden Befugnis der Disziplinarkammer, unmittelbar über den Status und die Amtsausübung der Richter zu entscheiden. Dabei handelte es sich etwa um Eingriffe in die Eröffnung von Strafverfahren, die Versetzung in den Ruhestand sowie andere sozial- und arbeitsrechtliche Fragen. Der EuGH bekräftigt, dass diese Kammer die gebotenen Anforderungen an Unabhängigkeit und Unparteilichkeit nicht erfülle und unzulässig sei.
Außerdem habe Polen gegen die “Garantien hinsichtlich des Zugangs zu einem unabhängigen, unparteiischen und zuvor durch Gesetz errichten Gericht” verstoßen. Denn die polnischen Vorschriften könnten polnische Richter daran hindern, sich auf geltendes EU-Recht zu berufen und sich im Zweifelsfall auch an den Europäischen Gerichtshof zu wenden – ohne Sanktionen fürchten zu müssen.
Auch müsse es den Richtern erlaubt sein zu überprüfen, ob ein anderes Gericht oder ein anderer Richter den Anforderungen aus dem EU-Recht auf wirksamen Rechtsschutz genügt – also etwa, ob deren richterliche Unabhängigkeit oder Kompetenz gewahrt sei. Ein entsprechendes Verbot wurde auch unter dem Titel “Maulkorb-Gesetz” diskutiert. Der Europäische Gerichtshof urteilte auch, dass die Pflicht zur Veröffentlichung von Mitgliedschaften in Vereinen, Stiftungen oder politischen Parteien im Internet unzulässig sei und die Richter der Gefahr einer “unzulässigen Stigmatisierung” aussetze.
Im Rahmen des Verfahrens wurde Polen durch den Europäischen Gerichtshof aufgetragen, die Arbeit der Disziplinarkammer in den strittigen Punkten auszusetzen. Da Polen dieser Anweisung nicht nachgekommen war, wurde das Land im Oktober 2021 mit einem Zwangsgeld von einer Millionen Euro pro Tag belegt. Dieses Zwangsgeld wurde nach den vorgenommenen Änderungen im April dieses Jahres auf 500.000 Euro pro Tag gesenkt. Nach Berechnungen von John Morijn, Juraprofessor an der Universität Groningen in den Niederlanden, beläuft sich die Höhe der Zahlungen bisher auf insgesamt 563 Millionen Euro.
Auch ein EU-Kommissionssprecher bestätigte in einem Pressebriefing, dass die Strafe sich auf mehr als 500 Millionen Euro summierte. Wenn Polen den Zahlungsanforderungen der EU-Kommission nicht nachkommt, treibt diese das Geld durch ein sogenanntes Off-Setting-Verfahren ein. Bei diesem zieht sie die ausstehende Summe von Geldern ab, die Polen sonst zustünden. Dieses Verfahren läuft bereits. Durch die jetzt verkündete endgültige Entscheidung fallen keine weiteren Zwangsgelder mehr an.
Die EU-Kommission hält weitere Milliarden Euro für Polen aus dem Corona-Wiederaufbau-Fonds zurück – wegen bestehender Bedenken bezüglich der Unabhängigkeit der Richter.
“Heute ist ein wichtiger Tag für die Wiederherstellung einer unabhängigen Justiz in Polen”, twitterte EU-Justizkommissar Didier Reynders am Montag. In Polen beschimpfte unterdessen der polnische Justizminister Zbigniew Ziobro den EuGH als “korrupt”, wie die AFP berichtete. Außerdem sei das Urteil nicht von Richtern, sondern von Politikern verfasst worden und verletze die EU-Verträge, erklärte Ziobro.
Polen ist nun dazu verpflichtet, das Urteil umzusetzen. Falls Polen dem aus Sicht der EU-Kommission nicht nachkommt, kann die EU-Kommission beim Gerichtshof erneut um Strafzahlungen gegen Polen nachsuchen. Aus Sicht des Rechtsexperten Morijn habe der EuGH heute ein für alle Mal festgelegt: “Richter können für ihr Verhalten in disziplinarischen Verfahren zur Verantwortung gezogen werden, aber nur von Leuten, die selber unparteiisch und unabhängig sind – also Richtern.”
Mit dem heutigen Urteil ist das letzte Wort in der Auseinandersetzung zwischen Brüssel und Warschau wohl noch nicht gesprochen. Im Februar hat die EU-Kommission beschlossen, Polen wegen seines Verfassungsgerichtshofs zu verklagen. Dieser hatte 2021 die Vorherrschaft des EU-Rechts gegenüber nationalem polnischen Recht in Abrede gestellt. Auch zeigte sich die EU-Kommission Mitte vergangener Woche “sehr besorgt” über ein neues polnisches Gesetz, das einen Sonderausschuss zur Überprüfung des russischen Einflusses einsetzen soll. Die Opposition vermutet, dass dieses Gesetz den ehemaligen Premierminister Donald Tusk vor den im Herbst anstehenden Wahlen von der politischen Bühne verdrängen soll.
Es ist schwer, den Überblick über die vielen Klagen und Verfahren der EU-Kommission rund um Polens Rechtsstaatlichkeit zu behalten. Im Mittelpunkt steht ein zentrales Thema – die richterliche Unabhängigkeit. Darum geht es auch in dem jüngsten Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Union. Die polnische Justizreform vom Dezember 2019 verstoße gegen EU-Recht, teilte der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg mit und gibt der EU-Kommission damit Recht.
In Zentrum des Verfahrens stand erneut die Disziplinarkammer des polnischen Obersten Gerichtshofs, über die Polen seit Jahren mit Brüssel im Clinch liegt. Sie galt als das Herzstück der umstrittenen Reformen der polnischen Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) und wurde 2018 geschaffen. Ausgestattet mit weitreichenden Kompetenzen zur Ernennung und Entlassung von Richtern wurden ihre Mitglieder durch ein vom Parlament gewähltes Gremium bestellt. Kritiker sahen darin den Versuch, politischen Einfluss auf das Justizsystem zu nehmen.
Langjähriger Zankapfel: Die Disziplinarkammer
Bereits im Juli 2021 hatte der EuGH die Kammer als rechtsstaatswidrig eingestuft. Nun befasste sich das höchste EU-Gericht mit einem weiteren Gesetz über diese Kammer aus dem Jahr 2019. In der Zwischenzeit nahm die polnische Regierung Änderungen vor, mit denen sie jedoch nicht alle Bedingungen der EU-Kommission erfüllte.
Die EU-Kommission störte sich vor allem an der weitreichenden Befugnis der Disziplinarkammer, unmittelbar über den Status und die Amtsausübung der Richter zu entscheiden. Dabei handelte es sich etwa um Eingriffe in die Eröffnung von Strafverfahren, die Versetzung in den Ruhestand sowie andere sozial- und arbeitsrechtliche Fragen. Der EuGH bekräftigt, dass diese Kammer die gebotenen Anforderungen an Unabhängigkeit und Unparteilichkeit nicht erfülle und unzulässig sei.
Außerdem habe Polen gegen die “Garantien hinsichtlich des Zugangs zu einem unabhängigen, unparteiischen und zuvor durch Gesetz errichten Gericht” verstoßen. Denn die polnischen Vorschriften könnten polnische Richter daran hindern, sich auf geltendes EU-Recht zu berufen und sich im Zweifelsfall auch an den Europäischen Gerichtshof zu wenden – ohne Sanktionen fürchten zu müssen.
Auch müsse es den Richtern erlaubt sein zu überprüfen, ob ein anderes Gericht oder ein anderer Richter den Anforderungen aus dem EU-Recht auf wirksamen Rechtsschutz genügt – also etwa, ob deren richterliche Unabhängigkeit oder Kompetenz gewahrt sei. Ein entsprechendes Verbot wurde auch unter dem Titel “Maulkorb-Gesetz” diskutiert. Der Europäische Gerichtshof urteilte auch, dass die Pflicht zur Veröffentlichung von Mitgliedschaften in Vereinen, Stiftungen oder politischen Parteien im Internet unzulässig sei und die Richter der Gefahr einer “unzulässigen Stigmatisierung” aussetze.
Millionenstrafen für Polen
Im Rahmen des Verfahrens wurde Polen durch den Europäischen Gerichtshof aufgetragen, die Arbeit der Disziplinarkammer in den strittigen Punkten auszusetzen. Da Polen dieser Anweisung nicht nachgekommen war, wurde das Land im Oktober 2021 mit einem Zwangsgeld von einer Millionen Euro pro Tag belegt. Dieses Zwangsgeld wurde nach den vorgenommenen Änderungen im April dieses Jahres auf 500.000 Euro pro Tag gesenkt. Nach Berechnungen von John Morijn, Juraprofessor an der Universität Groningen in den Niederlanden, beläuft sich die Höhe der Zahlungen bisher auf insgesamt 563 Millionen Euro.
Lob in Brüssel, Wut in Warschau
Auch ein EU-Kommissionssprecher bestätigte in einem Pressebriefing, dass die Strafe sich auf mehr als 500 Millionen Euro summierte. Wenn Polen den Zahlungsanforderungen der EU-Kommission nicht nachkommt, treibt diese das Geld durch ein sogenanntes Off-Setting-Verfahren ein. Bei diesem zieht sie die ausstehende Summe von Geldern ab, die Polen sonst zustünden. Dieses Verfahren läuft bereits. Durch die jetzt verkündete endgültige Entscheidung fallen keine weiteren Zwangsgelder mehr an.
Die EU-Kommission hält weitere Milliarden Euro für Polen aus dem Corona-Wiederaufbau-Fonds zurück – wegen bestehender Bedenken bezüglich der Unabhängigkeit der Richter.
“Heute ist ein wichtiger Tag für die Wiederherstellung einer unabhängigen Justiz in Polen”, twitterte EU-Justizkommissar Didier Reynders am Montag. In Polen beschimpfte unterdessen der polnische Justizminister Zbigniew Ziobro den EuGH als “korrupt”, wie die AFP berichtete. Außerdem sei das Urteil nicht von Richtern, sondern von Politikern verfasst worden und verletze die EU-Verträge, erklärte Ziobro.
Polen ist nun dazu verpflichtet, das Urteil umzusetzen. Falls Polen dem aus Sicht der EU-Kommission nicht nachkommt, kann die EU-Kommission beim Gerichtshof erneut um Strafzahlungen gegen Polen nachsuchen. Aus Sicht des Rechtsexperten Morijn habe der EuGH heute ein für alle Mal festgelegt: “Richter können für ihr Verhalten in disziplinarischen Verfahren zur Verantwortung gezogen werden, aber nur von Leuten, die selber unparteiisch und unabhängig sind – also Richtern.”
Die Sorgen um polnische Rechtsstaatlichkeit bleibt
Mit dem heutigen Urteil ist das letzte Wort in der Auseinandersetzung zwischen Brüssel und Warschau wohl noch nicht gesprochen. Im Februar hat die EU-Kommission beschlossen, Polen wegen seines Verfassungsgerichtshofs zu verklagen. Dieser hatte 2021 die Vorherrschaft des EU-Rechts gegenüber nationalem polnischen Recht in Abrede gestellt. Auch zeigte sich die EU-Kommission Mitte vergangener Woche “sehr besorgt” über ein neues polnisches Gesetz, das einen Sonderausschuss zur Überprüfung des russischen Einflusses einsetzen soll. Die Opposition vermutet, dass dieses Gesetz den ehemaligen Premierminister Donald Tusk vor den im Herbst anstehenden Wahlen von der politischen Bühne verdrängen soll.