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Meinung: Vergesst Amber Heard – erkennt den Backlash!

Der Prozess Depp vs. Heard stellte nicht nur eine toxische Beziehung in Hollywood zur Schau, sondern die Frauenfeindlichkeit in der Gesellschaft. Das eigentliche Problem dahinter ist aber noch größer, findet Julia Hitz.

Wer hätte gedacht, dass der Gerichtssender Law&Crime mal solche Nutzerzahlen sehen würde? Den Highlights des Gerichtsprozesses Depp vs. Heard zu folgen, war in den letzten Wochen fester Bestandteil der Abendrituale vieler Menschen, weltweit. Endlich wissen, wie die dreckige (in diesem Fall kotbeschmierte) Wäsche hinter Hollywoods verschlossenen Türen gewaschen wird. 

Doch stopp, hier geht es ja eigentlich um die juristische Entscheidung, ob die Schauspielerin Amber Heard ihren berühmten Ex-Ehemann ungerechtfertigt der häuslichen Gewalt beschuldigt hat, um Verleumdung. Die Jury gab Johnny Depp in den meisten Punkten Recht. Dieser – vermeintliche – Sieg wird nun in vielerlei Kommentarspalten oder Twitterfeeds genutzt, um unter Hashtags wie #AmberHeardIsALiar der 36-Jährigen jegliche Glaubwürdigkeit abzusprechen. Ja, sie wird gar für einen vermeintlichen Untergang der weltweiten #MeToo-Bewegung verantwortlich gemacht. Das ist nicht nur unangemessen, das ist gefährlich.

Wer hätte gedacht, dass der Gerichtssender Law&Crime mal solche Nutzerzahlen sehen würde? Den Highlights des Gerichtsprozesses Depp vs. Heard zu folgen, war in den letzten Wochen fester Bestandteil der Abendrituale vieler Menschen, weltweit. Endlich wissen, wie die dreckige (in diesem Fall kotbeschmierte) Wäsche hinter Hollywoods verschlossenen Türen gewaschen wird. 

Als Backlash wird die Bündelung von Bestrebungen bezeichnet, die sich gegen als fortschrittlich erachtete Entwicklungen richten. Analysiert wurde etwa der Backlash gegen die US-Bürgerrechtsbewegung, der sich in Protesten gegen die Aufhebung der Rassentrennung in den 1950er Jahren manifestierte. US-Journalistin und Pulitzer-Preisträgerin Susan Faludi beschrieb Anfang der 1990er Jahre den antifeministischen Backlash, der die erstrittenen Frauenrechte ins Visier nahm. Faludi zufolge war Mitte des 19. Jahrhunderts, um die Jahrhundertwende, sowie in den 1940er und 1970er Jahren jeweils ein antifeministischer Backlash zu verzeichnen, der feministische Bestrebungen zum Erliegen brachte.

Den Fokus wieder verschieben

Es ist unschwer zu erkennen, dass sich die USA mitten in einem antifeministischen Backlash befinden: Zentrale Frauenrechte, wie das Recht auf Abtreibung von 1973, drohen, vom Supreme Court einkassiert zu werden. Im Mai waren die Straßen voll mit entsetzten Menschen, die dagegen protestierten.

Dieser Backlash manifestiert sich auch in den Reaktionen auf den “Depp vs. Heard”-Prozess. Heard wird angegriffen, von allen Seiten: Doch neben denen, die sich einfach nur das Bild ihres lieb-verschrobenen Piratenmannes nicht verderben lassen wollen, und denen, die ihre Aggressionen lieber einer jungen, erfolgreichen Frau entgegenschleudern als einem gestandenen, erfolgreichen Mann, gibt es die, die die Uhr zurückdrehen wollen. Denen MeToo lange vor diesem Prozess ein Stachel im Fleisch war.

Man kann sie nachlesen: Dort, wo wegen Unzulänglichkeiten, Widersprüchen und Ungereimtheiten in Heards Aussagen direkt das Ende der #MeToo-Bewegung ausgerufen wird. (Und dort, wo sich Kommentatorinnen und Kommentatoren allzu willig vor diesen Karren spannen lassen). In den kommenden Wochen und Monaten muss genau hingesehen werden, wer nun versucht, im Namen dieses Prozesses, ganze Bewegungen mundtot zu machen.

Die Bewegung, die unter dem Hashtag #MeToo Betroffenen von sexualisierter Gewalt (spoiler alert: die meisten sind Frauen!) eine Plattform und Stimme gab, die Trost spendete durch Gemeinschaftlichkeit, hat reale Machtverhältnisse verschoben. Sie hat vielen Frauen Kraft und Macht verliehen, indem sie Frauen so sehr empowerte, dass sie sogar Gerichtsverfahren anstrebten und durchzogen.

Wohlsituierte weiße Prominente waren nicht die Zielgruppe, sondern Frauen aus marginalisierten Gruppen, oft rassistisch markiert, die kaum Mittel, Schutzräume oder Unterstützung haben, um sich zu wehren. Die Verurteilung von Harvey Weinstein ist ein beeindruckendes Manifest dieser Machtverschiebungen. Aber sie ist nicht Dreh- und Angelpunkt des Problems. In den meisten Fällen sind Anklagen mehr als gerechtfertigt. Sexualisierte und häusliche Gewalt ist ein reales Problem. Und daran ändert der Prozess Heard vs. Depp faktisch gar nichts.

Was aber etwas verschieben kann, ist seine Exegese, seine Interpretation, seine Instrumentalisierung im Zeichen des antifeministischen Backlashs. 

Erstens: In dem Prozess Depp vs. Heard wurde NICHT die #MeToo-Bewegung verhandelt, der Ausgang des Prozesses bedeutet nicht, dass Anschuldigungen sexualisierter und häuslicher Gewalt diskreditiert werden dürfen.

Zweitens: Männer (auch so besonders arme wie Johnny Depp) müssen in Zukunft nicht extra geschützt werden. Denn: Sie sind in unseren patriarchalen Gesellschaften bereits geschützt und privilegiert, sie brauchen keine #MenToo-Bewegung. Und als Betroffene von häuslicher und sexualisierter Gewalt sind sie selbstverständlich in die #MeToo-Bewegung eingeschlossen, wie #MeToo-Initiatorin Tarana Burke schon 2006 betonte.

Drittens: Amber-Heard-Bashing ist kontraproduktiv: Eine 36-jährige Schauspielerin soll verantwortlich dafür sein, dass Opfern sexualisierter Gewalt fortan nicht mehr geglaubt werden kann? Wer in dieses Horn tutet, sollte sich besser überprüfen.

Und viertens: Beschimpfungen unterlassen! Frauenfeindlichkeit bleibt Frauenfeindlichkeit und muss auf individueller wie auf gesellschaftlicher Ebene bekämpft werden. Heard als “Monster”, als “Schlampe”, als “Hexe” zu bezeichnen, ist frauenfeindlich, beleidigend und unwürdig. Offline wie online. Als Ehemann, als Ex-Ehemann und als Mann. Als Frau. Als Mensch.

DW-Redakteurin Julia Hitz
Protestierende mit Plakaten vor dem Supreme Court
#MeToo Proteste in Seoul

Wer hätte gedacht, dass der Gerichtssender Law&Crime mal solche Nutzerzahlen sehen würde? Den Highlights des Gerichtsprozesses Depp vs. Heard zu folgen, war in den letzten Wochen fester Bestandteil der Abendrituale vieler Menschen, weltweit. Endlich wissen, wie die dreckige (in diesem Fall kotbeschmierte) Wäsche hinter Hollywoods verschlossenen Türen gewaschen wird. 

Doch stopp, hier geht es ja eigentlich um die juristische Entscheidung, ob die Schauspielerin Amber Heard ihren berühmten Ex-Ehemann ungerechtfertigt der häuslichen Gewalt beschuldigt hat, um Verleumdung. Die Jury gab Johnny Depp in den meisten Punkten Recht. Dieser – vermeintliche – Sieg wird nun in vielerlei Kommentarspalten oder Twitterfeeds genutzt, um unter Hashtags wie #AmberHeardIsALiar der 36-Jährigen jegliche Glaubwürdigkeit abzusprechen. Ja, sie wird gar für einen vermeintlichen Untergang der weltweiten #MeToo-Bewegung verantwortlich gemacht. Das ist nicht nur unangemessen, das ist gefährlich.

Den Fokus wieder verschieben

Als Backlash wird die Bündelung von Bestrebungen bezeichnet, die sich gegen als fortschrittlich erachtete Entwicklungen richten. Analysiert wurde etwa der Backlash gegen die US-Bürgerrechtsbewegung, der sich in Protesten gegen die Aufhebung der Rassentrennung in den 1950er Jahren manifestierte. US-Journalistin und Pulitzer-Preisträgerin Susan Faludi beschrieb Anfang der 1990er Jahre den antifeministischen Backlash, der die erstrittenen Frauenrechte ins Visier nahm. Faludi zufolge war Mitte des 19. Jahrhunderts, um die Jahrhundertwende, sowie in den 1940er und 1970er Jahren jeweils ein antifeministischer Backlash zu verzeichnen, der feministische Bestrebungen zum Erliegen brachte.

Es ist unschwer zu erkennen, dass sich die USA mitten in einem antifeministischen Backlash befinden: Zentrale Frauenrechte, wie das Recht auf Abtreibung von 1973, drohen, vom Supreme Court einkassiert zu werden. Im Mai waren die Straßen voll mit entsetzten Menschen, die dagegen protestierten.

Dieser Backlash manifestiert sich auch in den Reaktionen auf den “Depp vs. Heard”-Prozess. Heard wird angegriffen, von allen Seiten: Doch neben denen, die sich einfach nur das Bild ihres lieb-verschrobenen Piratenmannes nicht verderben lassen wollen, und denen, die ihre Aggressionen lieber einer jungen, erfolgreichen Frau entgegenschleudern als einem gestandenen, erfolgreichen Mann, gibt es die, die die Uhr zurückdrehen wollen. Denen MeToo lange vor diesem Prozess ein Stachel im Fleisch war.

Man kann sie nachlesen: Dort, wo wegen Unzulänglichkeiten, Widersprüchen und Ungereimtheiten in Heards Aussagen direkt das Ende der #MeToo-Bewegung ausgerufen wird. (Und dort, wo sich Kommentatorinnen und Kommentatoren allzu willig vor diesen Karren spannen lassen). In den kommenden Wochen und Monaten muss genau hingesehen werden, wer nun versucht, im Namen dieses Prozesses, ganze Bewegungen mundtot zu machen.

Vier Empfehlungen, um dem nicht auf den Leim zu gehen:

Die Bewegung, die unter dem Hashtag #MeToo Betroffenen von sexualisierter Gewalt (spoiler alert: die meisten sind Frauen!) eine Plattform und Stimme gab, die Trost spendete durch Gemeinschaftlichkeit, hat reale Machtverhältnisse verschoben. Sie hat vielen Frauen Kraft und Macht verliehen, indem sie Frauen so sehr empowerte, dass sie sogar Gerichtsverfahren anstrebten und durchzogen.

Wohlsituierte weiße Prominente waren nicht die Zielgruppe, sondern Frauen aus marginalisierten Gruppen, oft rassistisch markiert, die kaum Mittel, Schutzräume oder Unterstützung haben, um sich zu wehren. Die Verurteilung von Harvey Weinstein ist ein beeindruckendes Manifest dieser Machtverschiebungen. Aber sie ist nicht Dreh- und Angelpunkt des Problems. In den meisten Fällen sind Anklagen mehr als gerechtfertigt. Sexualisierte und häusliche Gewalt ist ein reales Problem. Und daran ändert der Prozess Heard vs. Depp faktisch gar nichts.

Was aber etwas verschieben kann, ist seine Exegese, seine Interpretation, seine Instrumentalisierung im Zeichen des antifeministischen Backlashs. 

Erstens: In dem Prozess Depp vs. Heard wurde NICHT die #MeToo-Bewegung verhandelt, der Ausgang des Prozesses bedeutet nicht, dass Anschuldigungen sexualisierter und häuslicher Gewalt diskreditiert werden dürfen.

Zweitens: Männer (auch so besonders arme wie Johnny Depp) müssen in Zukunft nicht extra geschützt werden. Denn: Sie sind in unseren patriarchalen Gesellschaften bereits geschützt und privilegiert, sie brauchen keine #MenToo-Bewegung. Und als Betroffene von häuslicher und sexualisierter Gewalt sind sie selbstverständlich in die #MeToo-Bewegung eingeschlossen, wie #MeToo-Initiatorin Tarana Burke schon 2006 betonte.

Drittens: Amber-Heard-Bashing ist kontraproduktiv: Eine 36-jährige Schauspielerin soll verantwortlich dafür sein, dass Opfern sexualisierter Gewalt fortan nicht mehr geglaubt werden kann? Wer in dieses Horn tutet, sollte sich besser überprüfen.

Und viertens: Beschimpfungen unterlassen! Frauenfeindlichkeit bleibt Frauenfeindlichkeit und muss auf individueller wie auf gesellschaftlicher Ebene bekämpft werden. Heard als “Monster”, als “Schlampe”, als “Hexe” zu bezeichnen, ist frauenfeindlich, beleidigend und unwürdig. Offline wie online. Als Ehemann, als Ex-Ehemann und als Mann. Als Frau. Als Mensch.

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